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Der König ist untot, lang lebe der König? Nicht, wenn man die Einwohner des Piratennests Bilgewaters fragt, die von einer vernebelten Bedrohung royalen Ausmaßes heimgesucht werden. Ihr zieht also mit eurer um Piratenkönigin Miss Fortune gebildeten Heldengruppe aus, um in taktisch puzzligen Gefechten den dunklen Mächten den Garaus zu machen.

Vor über zehn Jahren als MOBA gestartet, steckt hinter der übererfolgreichen Marke League of Legends der Riot Games Studios inzwischen mehr als der kompetitive Multiplayer in der Welt Runeterras. Egal ob Merchandising, Animations-Serien oder Kartenspiele, die Hearthstone Konkurrenz machen können – Fans haben zahlreiche Möglichkeiten in die Welt der vielfältigen Charaktere und Schurk*innen einzutauchen. Mit Ruined King: A League of Legends Story will das Studio Airship Syndicate dabei besonders die Solo-Rollenspieler*innen abseits von Multiplayer und Elo-Rankings ansprechen. Stattdessen lockt der Titel mit einer geschlossenen Geschichte, vielfältigen Charakteren und einem gewieften Kampfsystem. Wie willkommen kleine, abgeschlossene Spielerfahrungen im vor Open World und Life Services platzenden Spielemarkt sein können, war ja gerade erst bei uns zu lesen.

Dabei bauen die Entwickler*innen für Ruined King auf ihren insgesamt sehr gelungenen Erstling des Studios mit dem etwas sperrigen Titel Battle Chasers: Nightwar auf. Lediglich ein paar Kinderkrankheiten im Dungeon-Design und der spielerischen Vielfalt hielten das Debut vom perfekt runden Spielerlebnis ab. Konnten diese Probleme für den Folgeausflug in die Welt der League of Legends ausgemerzt werden?

Ein Pistolenschuss scheucht das Piratennest auf

Einen Knall später ist die Schreckensherrschaft des grausamen Piratenkapitäns Gangplank über die Küstenstadt Bilgewater beendet, er selbst zur Strecke gebracht von der jungen Heldin Miss Fortune. Diese ist zu Spielbeginn noch dabei, den Piratenunterschlupf in eine neue Phase zu überführen als Illaoi, eine fromme Priesterin der großen Meeresschlange, die Stadt betritt, um die Einwohner vor einer düsteren Plage zu warnen. Zeitgleich spült es außerdem den kräftigen Nordmann Braum an die Küste, der nach einem Zusammentreffen mit dem ominösen, ruinierten König baden gegangen ist und der ebenfalls ein Interesse daran hat, die drohende Plage zu beenden. Doch nicht genug, Bilgewater scheint weitere Gestalten, aus eigentlich völlig unterschiedlichen Motiven zu versammeln, die ihren Part beim Bannen dieser Gefahren zu spielen haben.

Selbst in den staubigsten Bibliotheken gibt es für eure Party immer noch etwas zu entdecken

Im Spiel marschiert ihr fortan eure Party durch hübsch animierte Kartenwelten, egal ob dunkle Dungeons oder das karibische Bilgewater und sucht auf dem Weg zum nächsten Ziel versteckte Schätze, plünderbare Truhen oder herumstreunende Monster. Letzteren könnt ihr auch ausweichen, gelingt das nicht, kommt es zum Kampf. Die Areale sind dabei recht ausufernd gestaltet und schaffen es ein tatsächliches Gefühl ihrer Größe zu vermitteln, die grafische Darstellung der Dungeons dürfte dabei zwar niemandem vom Hocker hauen, weiß aber immer, was sie sein will und ist in sich geschlossen sowie stimmig. So funktioniert auch die Mischung zwischen Spielwelt und Gesprächen der Charaktere im Comic-Look gut und ohne Reibungsverluste.

Ruined King lässt sich dabei ordentlich Zeit die komplette Party aus sechs wählbaren Charakteren zu versammeln. Ein großes Plus, denn so kann man nicht nur die Mechaniken der einzelnen Figuren kennenlernen, sondern bekommt auch mehr als genug Zeit, um hinter die Storyhappen und Motivation der Figuren zu steigen. Davon profitiert ein Gros der Geschichte, denn die unterschiedlichen Ansichten der Reck*innen trotz ihrer Widersprüche zum Erreichen des gemeinsamen Ziels zu vereinen, gibt der Geschichte des Spiels die nötige Tiefe. Jede*r Spieler*in dürfte hier den persönlichen Lieblingscharakter finden, ob wegen der Figurenmotivation, der dazu gehörigen Spielmechanik oder gleich beiden Gründen auf einmal. Da fällt die Auswahl schon mal schwer.

Trotz fehlender Animation, halten die Dialogszenen bei Laune – dank der tollen Sprecher!

Hauende Heiler und gestresste Samurai

Ein Glück also, dass man für die zahlreichen Kämpfe sich nicht für eine*n Reck*in entscheiden muss, sondern hier möglichst gut ineinandergreifende Dreier-Teams aufgestellt werden wollen. Die Ausgangsbasis bildet das übliche Triumvirat aus Damage Dealer, Tank und Heiler, wie aber schon in Battle Chasers: Nightwar holen die Entwickler*innen auch hier so viel wie möglich aus diesem Fundament heraus. Jeder Charakter bringt zuvorderst eine eigene Spielmechanik mit; der Samurai Yasuo baut durch erfolgreiche Angriffe Anspannung auf, die in kostenlose Spezialfähigkeiten oder schadensreduzierende Schilde investiert werden kann, die Priesterin Illaoi dagegen hält die Gruppe, wo sie kann, am Leben. Das allerdings nicht allein durch biedere Heilungszauber, sondern vor allem durch das Beschwören magischer Tentakel, die mit ihr zusammen auf den Gegner einprügeln – und bei jedem erfolgreichen Treffer sie und ihre Mitstreiter heilen.

Alleine diese Vielfalt sorgt dafür, dass sich jeder Charakter besonders anfühlt und ihr die Gruppenkonstellation immer wieder durchmischen wollt, um das verschiedene Zusammenspiel zu testen. Weiter könnt ihr beim Stufenaufstieg die verschiedenen Fähigkeiten mit einem Kniff, je nach eurer Vorliebe und Gruppenzusammenstellung, weiter anpassen. So könnt ihr beispielsweise wählen, ob ein Angriff Illaois sie selbst zusätzlichen heilen soll oder stattdessen unglückliche Gegner mit einem hinterlistigen Statuseffekt belegt. Denn viele Fähigkeiten funktionieren besonders in Kombination unter den Champions besonders gut. Wenn Meuchelmörder Pyke mit einem Angriff Gegner bluten lässt, macht der nächste Pistolenschuss der Piratin Miss Fortune dann auch mal schnell doppelten Schaden. Das Suchen und Finden gelungener Kombinationen, um die Schwachpunkte der Gegner gezielt auszunutzen, motiviert dabei über das gesamte Spiel hinweg. Außerdem werden langjährige Fans der League of Legends-Reihe dadurch mit authentischen Umsetzungen der Figuren in ein neues Genre belohnt. Die neunschwänzige Fuchsgöttin Ahri behält ebenso ihre Fuchsfeuer- und Verführungszauber wie der bullige Braum seine Rolle als schildbewaffneter Beschützer der verletzlicheren Gruppenmitglieder.

Kampffinesse auf ganzer Linie. Genau genommen, sogar auf allen drei Linien

Das Kampfsystem ist dabei stark durch japanische Rollenspielvorbilder geprägt. Im abwechselnden Schlagabtausch hauen sich eure Party und die Monster und Halunk*innen so lange auf die Rübe, bis nur noch eine Seite steht, teilweise tretet ihr hier auch gegen mehrere Wellen an Feinden an. Spezialfähigkeiten wie Zauber und besonders starke Angriffe verbrauchen dabei Mana, dieses kann aber durch schwächere Angriffe in einem temporären Pool von euch gesammelt werden. Gerade für längere Touren durch einen monsterverseuchten Dungeon müsst ihr so immer wieder abwägen, ob ihr euch direkt durch den Manavorrat eurer Charaktere brennt oder erst mit ein paar Angriffen temporäre Ressourcen aufbaut – und in der Zeit vielleicht den ein oder anderen Schlag mehr auf den Lebensbalken kassiert.

Attentäter Pyke ist in die Schatten verschwunden, um beim nächsten Angriff hart auszuteilen
Attentäter Pyke ist in die Schatten verschwunden, um beim nächsten Angriff hart auszuteilen

Hier handelt es sich noch um eine eher kleine Variation des Bekannten, wirklich in die Vollen geht Ruined King dagegen mit seiner Lane-Mechanik, um dem J-RPG Genre seinen Stempel aufzudrücken. Ganz nach Vorbild des großen Bruders, League of Legends, mit Top, Middle und Bottom-Lane, winken auch in diesen Gefechten drei Linien auf die ihr ein Auge behalten solltet. Hier unterteilen sich diese allerdings in die Tempo-, Normale- und Schadenslinie. Denn ihr habt bei vielen Fähigkeiten die Auswahl, auf welcher Lane ihr diese ausführen möchtet; Angriffe auf der Tempolane können schneller ausgeführt werden, so kommt ihr in der Rundeninitiative mit der rettenden Heilung vielleicht noch dem großen Spezialangriff des Gegners zuvor, sind dafür aber oft weniger effektiv. Angriffe, die ihr auf der Schadenslane wirkt, brauchen lange in ihrer Ausführung, winken dafür aber mit verringerten Kosten, massiv erhöhtem Schaden oder besonderen Spezialeffekten.

Dieses System ergänzt nahtlos die traditionellen Formeln des Rundenkampfes und bereichert diese mit einer weiteren taktischen Ebene. Airship Syndicate holen dabei auch gleich alles aus der neuen Mechanik heraus. Einerseits besitzen Gegner besondere Statuseffekte, welche sich durch einen Angriff aus einer bestimmten Lane unterbrechen lassen. Beispielsweise verliert eine Vampirfledermaus nach einem Angriff aus der Tempolane ihre Fähigkeit zur Selbstheilung, was den restlichen Kampf vereinfacht. Andererseits ergeben sich nette Spielereien mit der Rundenreihenfolge; Gegner können in der Initiative zurück geboxt werden oder für ein Gefecht sind schlachtfeldabhängige Statuseffekte im Auge zu behalten. All dies macht aus den Kämpfen fordernde, motivierende Puzzles, hier sollte man lediglich sicherstellen, dass man den richtigen Schwierigkeitsgrad für sich gefunden hat, um Unter- oder Überforderung vorzubeugen. Dieser ist aber innerhalb des Spiels anpassbar und muss nicht von Beginn an unwiderruflich festgelegt werden.

Tolle Sprecher, tolle Präsentation – tolles Tempo?

So prügelt ihr euch durch zahlreiche Gegnerwellen und erkundet massig Dungeons, als Belohnung winkt hier neben Erfahrungspunkten, Gold und Gegenständen auch immer der nächste Story-Happen. Diese ist simpel gehalten, wird aber durch die zahlreichen Figuren bereichert, welche durch ihre formidablen Sprecher glänzen können. Mit Legends of Vox Machina dürften die Stimmen von Laura Bailey (Miss Fortune) und Liam O’Brien (Samurai Yasuo) noch einmal an Bekanntheit über Critical Role hinaus gewonnen haben, aber auch Luyanda Unati Lewis-Nyawo muss sich hinter der Stimmenprominenz nicht verstecken. Stattdessen haucht sie Illaoi einen selbstbewussten Charme ein, der zu fesseln weiß. Durch die Bank macht die Sprecher-Riege einen fantastischen Job und Ruined King kann so mit wenigen Mitteln viel erreichen und die fortlaufende Handlung als Motivationshebel für sich nutzen. Das gilt auch bei den deutschen Stimmen im Spiel, wenn diese aber, wie fast immer bei Übersetzungen, leichte Abstriche hinnehmen müssen.

Kleinere Rätsel und Nebenquests lockern die Trips durch die Dungeons immer wieder auf
Kleinere Rätsel und Nebenquests lockern die Trips durch die Dungeons immer wieder auf.

Die treffende Präsentation und interessante Geschichte sind insgesamt eine große Hilfe, da es beim sonstigen Spieltempo leider immer wieder mal hadert. So mancher Dungeon fühlt sich ein bis zwei Räume zu lang an, da es hier trotz Rätseln, Angelminispielen und versteckten Boni insgesamt an Abwechslung fehlt. Auch die Gegnerverteilung ist nicht immer gelungen. So unterhaltsam die Kämpfe in sich auch sind, zahlreichen Gegnern kann man auf der Übersichtskarte nicht ausweichen und so muss man sich beim Weg durch die Areale immer wieder in Gefechte verwickeln lassen, auf die man schlichtweg keine Lust mehr haben könnte. Hier hätten ein paar Gegner weniger Wunder gewirkt oder die Entwickler*innen hätten noch etwas an der Vielfalt schrauben können, um die Laune auf den langen Wegen länger hochzuhalten.

Schatzkarte mit Wegfindungsschwierigkeiten

Gut investierte Zusatzarbeit hätte sich auch beim größten Manko des Spiels bezahlt gemacht: dem misslungenen Questverfolgungs- und Schnellreisesystem. Eigentlich ohne Auswirkungen auf das restliche Spiel und seine Stärken, weiß dieses doch immer wieder mit Nadelstichen zu frustrieren und schlichtweg zu nerven. Da wäre einmal die Schnellreisefunktion selbst. Diese wird erst nach der Hälfte des Spiels für den Hauptort Bilgewater überhaupt freigeschaltet und bietet dann nur unintuitiv platzierte Reisepunkte, was dazu führt, dass man zigmal auf die Karte schauen muss, nur um den kürzesten Weg zurück zum Questgeber ausfindig machen zu können.

Dies wird genau dadurch erschwert, dass das verhauene Trackingsystem euch oft im Unklaren lässt, wo ihr denn für den nächsten Schritt der aktuell verfolgten Aufgabe überhaupt hinreisen sollt. Zwar gibt es stets einen Maker, mal zeigt dieser aber tatsächlich das nächste Ziel an, mal zurück zum Questgeber und mal nur in das nächste Zielgebiet. Zusammen mit schwammigen Formulierungen in den Aufgabentexten, entsteht eine explosiv nervige Mischung, die euch immer wieder unnötige, lange Wege marschieren lässt, weil ihr hier noch etwas hättet mitnehmen müssen oder dort, trotz blinkender Zielmarkierung, noch gar nicht hin könnt. Wenn man genau weiß, wo es gerade lang geht, ist man von diesem Problem nur wenig betroffen und es verschwindet hinter den vielen positiven Attributen des Spiels, gerade aber in der Kombination mit den etwas zu langen Dungeons entsteht hier ein hohes Potenzial genervt festzustellen, dass man am anderen Ende der Karte etwas vergessen hat, weil das Spiel einen hier im Unklaren gelassen hat.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Airship Syndicate
  • Publisher: Riot Forge
  • Plattform: PC, PlayStation 4, Nintendo Switch, Xbox One
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Japanisch, Koreanisch, Polnisch, Portoguese, Russisch, Chinesisch, Türkisch, Vietnamesisch
  • Mindestanforderungen:
    • Setzt 64-Bit-Prozessor und -Betriebssystem voraus
    • Prozessor: Intel Core i5-2300, AMD A8-5600k
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: Radeon Vega 8 / Intel Iris Plus / Geforce GTX 650 / Radeon HD 7770 (2GB VRAM Required)
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 15 GB verfügbarer Speicherplatz
    • Zusätzliche Anmerkungen: empfohlen für 1080p, 30FPS auf mittleren Einstellungen
  • Genre: RPG
  • Releasedatum: 16. November 2021
  • Spielstunden: 30 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: FSK 12
  • Preis: 29,99€
  • Bezugsquelle: Fachhandel, MMOGA

 

Fazit

Gleich vorweg: nicht nur Fans der MOBA-Vorlage sollten einen Blick auf Ruined King: A League of Legends Story riskieren. Auch Rollenspieler*innen alter Schule finden hier ein modernes RPG, welches mit der Finesse im Kampfsystem und den Dungeon-Trips an das Spielgefühl von Klassikern wie Grandia II oder Lufia erinnern kann. Unterstützt wird dies durch die stimmige Präsentation und lebendige Figuren, denen eine fantastische Sprecherriege Leben einzuhauchen weiß.

Noch schöner wäre es gewesen, wenn Airship Syndicate von den Vorbildern nicht auch uralte Fehler übernommen hätte. Denn gelegentliche Zähigkeit beim Marsch durch die Areale und ein unklares Questlog sowie zu verkopftes Schnellreisesystem, hätten im Zuge dieser Modernisierung gerne komplett geschluckt werden können. Am Ende bleibt der Titel aber für Rollenspiel-Fans eine sehr gute Wahl und wir sind gespannt, was das Studio als Nächstes auf die Beine stellen wird.

 

  • Einnehmende Charaktere und Präsentation
  • Trickreiches Kampfsystem
  • Story, die bei Laune hält
 

  • Wenig Abwechslung im Dungeon-Design
  • Frustrierendes Reisesystem und Quest-Tagebuch

 

Artikelbilder: © Airship Syndicate
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Giovanna Pirillo
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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