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Munteres Farmen in Harvest Time oder anonymer Beischlaf in Twisted & Perverted? Am Ende des 22. Jahrhunderts sind den Möglichkeiten in digitalen Welten keinerlei Grenzen mehr gesetzt. Das bietet nicht nur Raum für kriminelle Energie und menschliche Abgründe, sondern auch ganz neue Möglichkeiten für professionelle Ermittler*innen: Die sogenannten Gamedecs.

Im April 2020 endete die Kickstarter-Kampagne zum isometrischen Cyberpunk-RPG Gamedec Insgesamt unterstützten 4.911 Personen das Projekt; es wurden 171.163 USD eingenommen. Ein großer Erfolg für das Team der polnischen Spieleschmiede Anshar Studios. Diese hat in der Vergangenheit unter anderem mit – beziehungsweise für – Larian Studios gearbeitet und führt auch darüber hinaus bekannte Namen im Portfolio auf.

Seit dem 16.09.2021 ist Gamedec auf Steam und GOG sowie im Epic Store und Humble Store erhältlich. Eine Veröffentlichung für die Nintendo Switch soll im kommenden Jahr erfolgen. Wann der Titel auf weiteren Plattformen erscheint, steht noch nicht fest. Eine Veröffentlichung wurde jedoch angekündigt.

Willkommen in der (digitalen) Zukunft

Warschau, Ende des 22. Jahrhunderts. Die physische Realität ist nicht mehr in der Lage, alle Bedürfnisse der Bevölkerung abzudecken. Immer mehr Menschen tauchen in virtuelle Welten ab, in denen sie unter anderem phantastische Geschichten erleben oder aber ihren sexuellen Interessen nachgehen können. Mithilfe modernster Ausrüstung können sie sich in digitalen Umgebungen bewegen. An die Stelle ihrer realen, wirklichen Gestalt tritt ein sogenannter Avatar – eine Figur, mit der sich eine Person durch digitale Szenarien bewegt. Dieses alternative Ich repräsentiert, in der Regel anonym, den Menschen hinter der Hardware. Ein Avatar kann mithilfe von sogenannten Skins sein Aussehen verändern und verfügt – je nach besuchtem Spiel beziehungsweise Setting – über besondere Talente oder Fähigkeiten.

Das Startmenü von Gamedec.

Digitale Spiel- und Erlebniswelten bieten nicht nur Raum für erfreuliche Besuche gewöhnlicher Nutzer*innen, sondern auch für Hacker, Cheater und sogenannte Trolle – also Personen, die online mithilfe ihres Verhaltens bewusst Ärger und Frustration provozieren. Doch auch für kriminelle Aktivitäten am Rande gesellschaftlicher Moralvorstellungen wird die virtuelle Realität genutzt. Hier kommen sogenannte Gamedecs zum Einsatz. Bei ihnen handelt es sich nicht um Spieler*innen oder um Admins, sondern um detektivische Nutzer*innen mit einem besonderen Set an Rechten und Möglichkeiten. Sie sind es auch, die Fehler im Code sowie Bugs innerhalb eines Spiels ausfindig machen können. Gamedecs können von jedem engagiert werden, der sie bezahlen kann. Die wirklich guten Detektiv*innen können sich sowohl in der physischen Welt, dem sogenannten Realium, als auch in der digitalen Realität, dem Virtualium, einen Namen machen.

Als Gamedec können Spielende im gleichnamigen Titel ihre Recherchefähigkeiten und Dialogkompetenzen unter Beweis stellen. Sie springen innerhalb des Spiels, welches den äußeren Erzählrahmen darstellt, in weitere Spielwelten. In diesen lernen sie nicht nur verschiedene Spielprinzipien und die Avatare anderer Virtualium-Besucher*innen kennen, sondern lösen knifflige Fälle und kommen illegalen Machenschaften auf die Spur. Hierbei werden heikle Themen wie Kinderarbeit und Mord nicht ausgeklammert. Gamedec ist ein Spiel für Krimi-Fans, Leseratten und Freund*innen isometrischer Rollenspiele. In diesem düsteren, Cyberpunk-Titel, der auf Kampfsequenzen verzichtet, gilt es, spannende Dialoge zu führen und schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, die nicht ohne Konsequenzen bleiben. Hierbei trifft der Hauptcharakter auf viele interessante Personen und Weltansichten. Dem Spiel wohnt stellenweise sogar eine philosophische Komponente inne.

Seltsame Begegnungen sind vorprogrammiert.

Das Leben als Gamedec

Die Hauptfigur des Spiels kann, losgelöst vom gewählten Äußeren, männlichen oder weiblichen Geschlechts sein. Beruflich ist sie als Gamedec aktiv und lebt in einer gemütlichen Wohnung in Warschau, von wo aus sie Aufträge annimmt. Hierfür lässt sie sich gut bezahlen. Doch wie genau darf man sich diese cyberpunkige Detektivgeschichte und die Art, wie sie erzählt wird, vorstellen?

Die Charaktererstellung ist schnell erledigt.

Ein Detektivroman in Pixeln

Bei Gamedec handelt es sich um ein isometrisches Einzelspieler-RPG, in dem eine einzige Figur gesteuert wird. Der Titel kommt ohne Kämpfe – nicht aber ohne Gewalt – aus und lebt von der Interaktion mit der Umgebung und anderen Charakteren des Spieluniversums. Hierbei warten etliche Textzeilen auf lesefreudige Spieler*innen. Die Steuerung ist leicht verständlich und zugänglich.

Übersichtlich: Die Steuerung von Gamedec auf einem Blick.

Anshar Studios legt den Fokus innerhalb des Spiels einerseits auf eine dichte Atmosphäre und andererseits auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, ein und denselben Fall zu lösen. Durch das Sammeln von Hinweisen kann die Hauptfigur zu verschiedenen Schlüssen kommen. Hierfür gibt es eine eigene Übersicht: Mithilfe erhaltener Informationen sowie einer deduktiven Vorgehensweise können Schlüsse aus der aktuellen Situation gezogen werden. Dies schaltet neue Dialog- und Interaktionsoptionen frei, sodass ein Vorankommen im aktuellen Fall oder sogar dessen Abschluss ermöglicht wird. Zusammen mit der immer wieder auftretenden Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die den weiteren Spielverlauf definieren, entsteht so bei jedem Durchlauf von Gamedec ein einzigartiges Spielerlebnis. Ein hoher Wiederspielwert ist gegeben.

Nach und nach steigt die Hauptfigur in unterschiedliche digitale Welten ein. Zu Beginn lernen Spieler*innen die düsteren Straßen von Twisted & Perverted kennen, die dazu einladen, körperlichen Gelüsten nachzugehen. Wesentlich kinderfreundlicheres Vergnügen bietet Harvest Time: Der Farming Sim im Wild-West-Stil ermöglicht den Anbau von Kürbissen und Erdbeeren, aber auch den ein oder anderen Saloon-Besuch. Die einzelnen Umgebungen sind abwechslungsreich gehalten und sind eng mit der Handlung von Gamedec verknüpft. Es werden altbekannte Spielklischees wie beispielsweise das sogenannte „Grinding“, also das repetitive Ausüben einer Tätigkeit zur Gewinnmaximierung, oder das Einsammeln großer, gelber Münzen zum Aufbessern der Finanzen aufgegriffen.

Grafik, Sound und Steuerung

Wer in die Welt von Gamedec einsteigen möchte, kann sich auf eine moderne und ansehnliche isometrische Grafik einstellen. Das Spiel läuft flüssig und bis auf einen einzigen Fehler, der das Auswählen eines vorherigen Speicherstandes notwendig machte, zeigt es sich im Spieltest ohne Bugs. Die Musik ist unauffällig, erfüllt aber ihren Zweck; die Soundeffekte, beispielsweise bei der Menübedingung, sind stimmig. Anshar Studios setzt auf eine einfach anzueignende, intuitive Steuerung. Auch das Erlernen neuer Professionen durch die Hauptfigur des Spiels ist denkbar simpel: In einer einzigen Übersicht können Spieler*innen alle möglichen Professionen einsehen. Diese wiederum lassen sich mit sogenannten Aspekten freischalten, die im Laufe des Spiels, beispielsweise durch die Auswahl bestimmter Dialogoptionen, gesammelt werden können.

Unterschiedliche Professionen erlauben besondere Dialog- und Interaktionsoptionen.

Gamedec speichert in regelmäßigen Abständen selbst, gestattet aber auch zu jeder Zeit – mit Ausnahme von automatisierten Sequenzen – eine manuelle Speicherung. So lassen sich verschiedene Dialoge und Szenen erneut spielen und man kann unterschiedliche Feststellungen zum aktuellen Fall oder den Dialogoptionen ausprobieren. Unter Umständen können so andere Ergebnisse und Konsequenzen heraufbeschworen werden.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Anshar Studios
  • Publisher: Anshar Publishing
  • Plattform: PC, später auch für Nintendo Switch und andere Plattformen
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Polnisch, Chinesisch (vereinfacht), Russisch, Französisch, Spanisch
  • Mindestanforderungen:
    Betriebssystem: Windows 10 64-bit
    Prozessor: Intel i5-3570 oder AMD FX-8140
    Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    Grafik: Nvidia GTX 760 oder AMD Radeon R9 270
    DirectX: Version 11
    Speicherplatz: 17 GB
  • Genre: Rollenspiel
  • Releasedatum: 16.09.2021
  • Spielstunden: 10 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: USK/PEGI nicht geprüft. Das Spiel enthält Gewaltdarstellungen, sexuelle Inhalte und anstößige Sprache.
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Steam

Fazit

Indem Gamedec ein Cyberpunk-Setting mit den Elementen einer Detektivgeschichte verbindet, schafft es eine spannende Mischung. Diese wird dadurch, dass die untersuchten Verbrechen primär in virtuellen Welten stattfinden, nur noch brisanter. Das isometrische Einzelspieler-RPG verzichtet auf Kämpfe und legt stattdessen den Schwerpunkt auf Dialogführung und Umgebungsinteraktionen. Vor prekären Themen schreckt es dabei keinesfalls zurück. Eine intuitive Steuerung macht es Spieler*innen leicht, sich vollkommen auf die Geschehnisse im Spiel einlassen zu können. Die vielen Möglichkeiten, Rückschlüsse zu ziehen, Gesprächsoptionen zu wählen und Entscheidungen zu treffen, sorgen für einen erhöhten Wiederspielwert – ein Umstand, der über die ansonsten recht niedrige Spielzeit von ca. 10 Stunden hinwegtröstet. Diese sind bis zum Rand mit einer spannenden, sich schnell entwickelnden Handlung gefüllt, die das Weiterspielen nicht nur attraktiv, sondern zu einem Muss macht. Für Lesefreudige ist darüber hinaus vielleicht ein Blick in die Gamedec-Romane von Marcin Sergiusz Przybyłek interessant.

Ein neues Abenteuer wartet – online und in Warschau!

Isometrische Rollenspiele sind alles andere als tot, wie nicht zuletzt der erneute Erfolg von Disco Elysium auf Steam zeigt. Fügt man Krimi-Elemente und ein Cyberpunk-Setting hinzu, entsteht ein außergewöhnlicher, spannender Cocktail, in den es sich eintauchen lässt. Spielende können sich auf amüsante Wortduelle, philosophisches Gedankengut und eine Geschichte freuen, die die Grenzen der wirklichen Welt mit denen digitaler Realitäten verschwimmen lässt.

 

  • Interessanter Genre-Mix
  • Hoher Wiederspielwert
  • Zugängliche, intuitive Steuerung
 

  • Kurze Spielzeit

 

Artikelbilder: © Anshar Studios
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Maximilian Düngen
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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