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Eine sonnige Mittelmeerinsel, eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln und eine Menge krimineller Machenschaften, denen es das Handwerk zu legen gilt: Im neuesten Teil der Sherlock Holmes-Reihe von Frogwares tritt Doyles fiktiver Meisterdetektiv einen Urlaubsaufenthalt der besonderen Art an. Mit messerscharfem Verstand und jugendlicher Überheblichkeit geht es ins Abenteuer.

Sherlock Holmes ist eine Videospielreihe der ukrainischen Spieleschmiede Frogwares. Die Reihe, in welcher Spielende Arthur Conan Doyles Kunstfigur durch diverse Fälle führen, begann 2002 mit Sherlock Holmes: Das Geheimnis der Mumie (Originaltitel: Sherlock Holmes: The Mystery of the Mummy). Im Jahr 2016 erschien der bislang letzte Teil der Reihe: Sherlock Holmes: The Devil’s Daughter. Mit Sherlock Holmes Chapter One, welches ab dem heutigen Tage erhältlich ist, geht die Spielreihe in die nächste Runde. Chronologisch spielt Chapter One vor allen anderen Teilen der Reihe: Im Zentrum der Handlung steht ein sehr junger Sherlock Holmes, der ganz ohne seinen späteren, wohlbekannten Begleiter Dr. Watson auskommen muss.

Auf den ersten Blick wirkt Cordona idyllisch.
Auf den ersten Blick wirkt Cordona idyllisch.

Für diesen Spieltest wurden die ersten circa zehn Stunden des Titels angespielt. Hierbei wurde die englische Textausgabe gewählt. Zur Vermeidung von Spoilern wird auf inhaltsträchtige Screenshots nach den ersten Spielstunden verzichtet.

Das erste Kapitel oder Zurück zu den Anfängen

Chapter One spielt Ende des 19. Jahrhunderts und beginnt mit einem seekranken Sherlock in einer Schiffskajüte. Bei ihm ist sein Kindheitsfreund Jon – nicht zu verwechseln mit Dr. John Watson, der in diesem Spiel nicht in Erscheinung tritt, da der Protagonist diesen erst in einem späteren Lebensabschnitt kennenlernt. Das ist damit zu begründen, das Frogwares in seinem neuesten Werk auf eine ebenso junge wie überhebliche Version des Meisterdetektivs setzt. Ziel der unliebsamen Schiffsreise ist Cordona. Hierbei handelt es sich um eine fiktive Mittelmeerinsel, auf der Sherlock – in diesem Spieluniversum – einen Teil seiner Kindheit verbrachte. Er plant, das Grab seiner Mutter zu besuchen, denn obwohl er damals ihrer Beerdigung beiwohnte, blieben viele offene Fragen einer schwärenden Wunde gleich zurück. Nun möchte Sherlock einen Abschluss für sich finden.

Sherlock besucht das Grab seiner Mutter.
Sherlock besucht das Grab seiner Mutter.

Neben den Rätseln der Vergangenheit gibt es für Sherlock tagesaktuelle Mysterien zu lösen. So beginnt bereits der erste Abend im Hotel fulminant und auch ansonsten scheint es auf Cordona weder an Langeweile noch an krimineller Energie zu mangeln. Da ist es kaum verwunderlich, dass die hiesige Polizeistelle nicht nur überfordert, sondern augenblicklich dazu bereit ist, Sherlock mit Aufträgen zu versorgen.

Offene Kriminalfälle gibt es zur Genüge.
Offene Kriminalfälle gibt es zur Genüge.

Sherlocks Fälle sind knifflig und damit für Rätsel- und Krimi-Fans genau das Richtige. Sie können durch das Interagieren mit der Umgebung sowie durch die Auseinandersetzung mit Beweisstücken und Berichten zu neuen Erkenntnissen im aktuellen Fall gelangen.

Spielwelt und Atmosphäre

Die Mittelmeerinsel Cordona wirkt auf den ersten Blick wie ein Urlaubsparadies und stellt damit eine attraktive offene Spielwelt (Open World) dar. Laue Sommerabende im Garten des Hotels und Musik zum Entspannen und Genießen machen es einfach, einen gelungenen Ersteindruck dieses Ortes zu erhalten. Wie so oft trügt jedoch der Schein: Jenseits der Hotelanlage existieren ärmliche Stadtviertel sowie ganze Lager krimineller Gruppierungen, die die hiesige Polizeistation überfordern.

Es gibt viel zu entdecken: Die Spielwelt ist von einer realitätsnahen Lebendigkeit geprägt. Die Straßen Cordonas sind gut besucht, es werden Zeitungen verkauft und Musikinstrumente gespielt. Pferdekutschen mit ungeduldigen Zugtieren säumen die Straßen und nachts tummeln sich schwärmeweise Motten an Lichtquellen in den Straßen. Rempelt Sherlock jemanden an, erfolgt eine empörte Reaktion – manchmal verbal, manchmal mithilfe von Gesten. Es macht Spaß, Cordona zu entdecken, und das ist auch gut so, denn anstelle von Questmarkern stehen Wegbeschreibungen. Mit deren Hilfe sowie Einsatz einer Karte muss der Ort, den es anzusteuern gilt, eigenständig identifiziert werden. Eine schöne Idee, die in modernen Spielen zu Vereinfachungszwecken kaum zum Einsatz kommt – hier allerdings für Unterhaltung sorgt und die Insel in all ihren Facetten zeigt.

Ein Protagonist für alle (Kriminal-)Fälle?

Namensgeber der Spielreihe und Hauptfigur von Chapter One ist Sherlock Holmes. Spielende lernen ihn als sehr jungen, charismatischen Mann kennen, der von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt ist. Das ist angesichts der Tatsache, dass die Haupthandlung des Spiels emotionale Verstrickungen für den Logikkünstler bereithält, spannend. Sherlocks feste Vorstellungen von sich und der Welt werden auf die Probe gestellt. Es fällt dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – leicht, mit ihm zu sympathisieren. Seinen Inselaufenthalt tritt Sherlock nicht allein an: Er wird von seinem Kindheitsfreund Jon begleitet. Dieser verfügt nicht nur über ein lockeres Wesen, sondern ist auch um keine humorvolle Bemerkung verlegen. Seine Meinung von Sherlock ist eine positive, wie sich in seinem Tagebuch nachlesen lässt. Das hält ihn allerdings keinesfalls ab, zu kommentieren, wenn der Meisterdetektiv auf dem Holzweg ist. 

Gameplay

Fälle am Bildschirm lösen kann Spaß machen, wie nicht zuletzt das kürzlich erschienene Gamedec zeigt. Neben einer überzeugenden Geschichte sind sowohl die Atmosphäre als auch die technischen Gegebenheiten essenziell. Kein Spannungsbogen hält einer ungeeigneten musikalischen Untermalung oder einer sperrigen Steuerung stand. Deshalb lohnt es sich, die Lupe herauszuholen und einmal genauer hinzusehen.

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Von kniffligen Fällen und Wegbeschreibungen

Sherlocks erster Fall kurz nach Anlegen seines Schiffs soll nicht mehr als ein Zeitvertreib sein. Es gilt, einen gefundenen Gehstock zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzuführen. Dafür muss der entsprechende Herr allerdings erst einmal ausfindig gemacht werden. Diese erste Aufgabe sowie die Handlung, die sich unmittelbar anschließt, dienen als Tutorial und sind somit wegweisend für spätere Spielinhalte. Spieler*innen lernen, wie Beweisstücke und Berichte zu sammeln und zu verarbeiten sind. Auch erfahren sie, wie sie Sherlocks geschultes Auge mithilfe der Konzentrieren-Funktion gezielt einsetzen können. So lassen sich Details erkennen, die anderweitig verborgen bleiben würden.

Die Fälle weisen einen angenehmen Herausforderungsgrad auf und sind oft komplexer, als der erste Eindruck es vermuten lässt. Die verschiedenen Schritte der Fallauflösung bis hin zur finalen Schlussfolgerung sind spannend und unterhaltsam. Die Werkzeuge zum Auflösen der Fälle sind die Fallmappe sowie die sogenannten Gedankenspiele (im englischen Original als „Mind Palace“ bezeichnet). In der Fallmappe werden verschiedene Haupt- und Nebenaufgaben sortiert aufgeführt und Beweise gesammelt. Diese können am rechten oberen Bildschirmrand angeheftet und somit als aktiv markiert werden. Nur so können beispielsweise Zeug*innen zu exakt diesem Beweis oder Umstand befragt werden. Für eine solche Befragung ist es nützlich, sich passend anzuziehen. Im Spiel können unterschiedliche Outfits erworben werden. Mithilfe seiner Verkleidungskünste kann sich Sherlock fließend durch die heterogenen sozialen Schichten Cordonas bewegen. Ist Sherlock nicht passend gekleidet, stößt er auf Ablehnung und die Antworten bleiben aus.

Die Gedankenspiele ermöglichen das Zusammenführen verschiedener Erkenntnisse. So sind Rückschlüsse möglich, die zur Fallaufklärung führen. Sind alle Beweise gesammelt, können die Ereignisse rekonstruiert werden.

 

Während des Tutorials wirkt der Ablauf beim Sammeln von Beweisen und Eindrücken etwas starr; das Spiel sieht eine gewisse Reihenfolge der Dinge vor und drängt Spielende gern in genau diese Bahn zurück. Dieser Umstand weicht nach den ersten Gehversuchen auf, ist aber auch zu späteren Zeitpunkten im Spiel anzutreffen. Selbst, wenn nicht der herausforderndste Schwierigkeitsgrad gewählt wird, haben es die Fälle in sich. Dies liegt daran, dass Chapter One Spieler*innen nicht an die Hand nimmt. Beweismittel müssen gesichtet und durchgelesen werden, um elementare Informationen aus ihnen gewinnen zu können. Auch stehen, wie weiter oben beschrieben, anstelle von Questmarkern auf der Weltkarte Wegbeschreibungen.

Die Fallmappe hilft bei der Organisation von Fällen und Beweisstücken.
Die Fallmappe hilft bei der Organisation von Fällen und Beweisstücken.

Manchmal reicht es nicht aus, einen klugen Kopf zu haben. Auch Kämpfe gehören zum Spielerlebnis von Chapter One dazu. Die nötigen Mechaniken werden in Form eines Fitnesstests in Cordonas Polizeistelle vermittelt. Das Kampfsystem weist keinen hohen Komplexitätsgrad auf, ist allerdings zweckmäßig und fügt sich nahtlos in Spielwelt und Handlung ein.

 

Zu Grafik, Ton und Steuerung

Chapter One wird in einer farbenfrohen, detailverliebten Grafik präsentiert, die die Handlung nicht nur stützt, sondern atmosphärisch bereichert. Einzig bei den Gesichtsanimationen der Nebencharaktere bleibt sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dies ist allerdings vor allem deshalb auffallend, da die Synchronisation hochwertig ist und emotionale Inhalte mit der Stimmlage transportiert werden. Ein ungerührtes Gesicht wirkt da irritierend. Zu Beginn stoßen Spieler*innen außerdem auf Nebencharaktere, die bei Befragung mit der gleichen gesprochenen Textzeile reagieren. Dieser Umstand ebbt im späteren Verlauf des Spiels ab.

Neben der gelungenen Vertonung der Textzeilen ist Chapter One mit einer stimmungsvollen wie auch dynamischen musikalischen Untermalung ausgestattet. Der Soundtrack wird nicht nur dem Setting gerecht, sondern wertet prägnante Szenen spürbar auf.

Während des Spieltests kam es weder zu Abstürzen noch zum Auftreten von Bugs. Chapter One speichert hin und wieder automatisch und legt darüber hinaus bei Beenden des Spiels einen Speicherstand an. Ein manuelles Speichern ist außerhalb von Videosequenzen möglich. 

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Frogwares
  • Publisher: Frogwares
  • Plattform: PC (Steam, Epic Store, GOG), Xbox Series X und S, PlayStation 5, eine Veröffentlichung auf der PS4 sowie der Xbox One ist zu einem späteren Zeitpunkt geplant
  • Sprache:
  • Sprachausgabe:
    • Englisch
  • Text:
    • Englisch, Französisch, Italienisch, Deutsch, Spanisch, Arabisch, Tschechisch, Japanisch, Koreanisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Chinesisch, Türkisch, Ukrainisch
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows 10 64-bit
    • Prozessor: Intel Core i5-6600 oder AMD Ryzen 5 2600
    • Arbeitsspeicher: 12 GB RAM
    • Grafik: Nvidia GeForce GTX 960 (4 GB) oder AMD Radeon R9 380 (4 GB)
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 28 GB
  • Genre: Action-Adventure, Thriller, Open World
  • Releasedatum: 16.11.2021
  • Spielstunden: Nach Aussage des Studios werden bis zu 15 Stunden für die Haupthandlung und zwischen 40 und 50 Stunden für das Spielen aller Inhalte benötigt.
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: Ab 16 Jahren
  • Preis: 44,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel

 

Fazit

Arthur Conan Doyles fiktiver Meisterdetektiv erfreut sich nicht nur einer großen Fangemeinde, sondern auch etlicher Film- und Serieninterpretationen und sogar Brettspiel-Umsetzungen. Doch auch die Videospielwelt macht das britische Genie unsicher – in Frogwares‘ Sherlock Holmes-Reihe bereits seit 2002. Chapter One stellt den aktuellsten Teil der Reihe dar, ist chronologisch allerdings vor allen bisherigen Titeln anzusiedeln.

Sherlock ist ein charismatischer, aber auch überheblicher Protagonist.
Sherlock ist ein charismatischer, aber auch überheblicher Protagonist.

Spielende schlüpfen in die Rolle eines jungen Sherlock Holmes, der die Mittelmeerinsel Cordona besucht. Auf dieser hat der Detektiv einen Teil seiner Kindheit verbracht und möchte nun, viele Jahre nach dem Tod seiner Mutter, deren Grab besuchen, um mit der Vergangenheit abschließen zu können. Begleitet wird er bei diesem Urlaubsaufenthalt der etwas anderen Art von seinem Kindheitsfreund Jon. Neben der primären Handlung, bei der es sich um eine ganz persönliche Angelegenheit für Sherlock handelt, gibt es in der offenen, schön gestalteten Spielwelt viele weitere Möglichkeiten, Mysterien aufzulösen und kriminellen Machenschaften ein Ende zu bereiten. Hierfür bietet Chapter One Tools wie die Fallmappe an, in welcher Beweise organisiert aufgenommen werden, oder den Menüpunkt Gedankenspiele, der das Verknüpfen gewonnener Erkenntnisse gestattet. Die Fälle können rekonstruiert und die Schuldigen festgesetzt werden.

Die Spielwelt ist lebendig, der Soundtrack stimmungsvoll und die Fälle angenehm knifflig. Chapter One nimmt Spieler*innen in vielen Aspekten nicht an die Hand, sondern erwartet Eigeninitiative, was dem detektivischen Spielgefühl zuträglich ist. Kleine Schwächen in Form von mangelnden Gesichtsanimationen der Nebencharaktere oder vom Spiel auferlegte Linearität sind angesichts der positiven Spielerfahrung verzeihbar. Wer also entweder Freude am Knobeln hat oder aber sich für Krimis begeistern kann, sollte einen Urlaubsaufenthalt auf Cordona erwägen. 

  • Spannende Handlung mit kniffligen Fällen
  • Lebendige Spielwelt
  • Kein „an die Hand nehmen“ von Spieler*innen
 

  • Teils erzwungene Linearität
  • Mangelnde Gesichtsanimationen

 

Artikelbilder: © Frogwares
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Screenshots: Yola Tödt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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