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Was ist der Mensch? Was kommt nach uns? Wer sollten wir sein? Der Ego-Puzzler The Talos Principle 2 von Croteam konfrontiert uns mit philosophischen Fragestellungen, die in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Klimawandel aktueller sind denn je. Aber ist es nur eine trockene Philosophiestunde oder auch ein gutes Spiel?

Knapp zehn Jahre nach seinem großartigen Vorgänger erreicht uns endlich The Talos Principle 2 von Croteam. Teil 1 lobpreisten wir bereits in unserem Artikel über philosophische Puzzle-Games – und wenn ein Spiel diesen Titel verdient, dann ist es The Talos Principle. In diesem Ego-Puzzler schlüpften wir in die Schaltkreise eines Roboters, der, angeleitet von einer mysteriösen Stimme, durch eine einsame Welt der Antike wanderte und Rätsel löste. Die Rätsel waren offensichtlich inspiriert von Genre-Geschwistern wie Portal (Valve) – doch hinter den Knobelaufgaben steckte noch eine Menge mehr.

Dieser Spieltest enthält Spoiler für The Talos Principle. Falls ihr es noch nicht gespielt habt, können wir euch nur wärmstens empfehlen, das zu ändern, bevor ihr weiterlest – das Spiel überzeugt mit kniffligen Rätseln sowie einer berührenden und zum Nachdenken anregenden Hintergrundgeschichte. Aber kann The Talos Principle 2 mit seinem Vorgänger mithalten? Bringt Croteam uns erneut der Erleuchtung näher oder beleuchten sie lediglich unsere Netzhaut?

Triggerwarnungen

Keine typischen Trigger

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Neu Jerusalem

The Talos Principle 2 beginnt fast genau wie sein Vorgänger: Als Roboter erwachen wir in einem antiken Garten und werden von Elohims Stimme begrüßt. Durch ihn angeleitet brechen wir auf, um Rätsel zu lösen. Diesmal versucht Elohim jedoch nicht, uns für immer in der Simulation zu halten, sondern erzählt uns sogleich von der echten Welt, die uns erwartet.

Als wir, eine Handvoll Rätsel später, wieder erwachen (dieses Mal aber wirklich), erwartet uns ein überraschender Anblick: Wir werden von einem weiteren Roboter mit der Nummer 33 und dem Namen Neith begrüßt. Zum ersten Mal haben wir die Möglichkeit, einen Dialog mit einem anderen Individuum zu führen. Dabei gibt es mehrere Dialog-Optionen, mit denen wir herausfinden, was seit The Talos Principle geschehen ist.

Völlig unerwartet: Dialoge und Dialog-Optionen.

Seit unser Roboter aus The Talos Principle (Nummer 1 und inzwischen Athena getauft) echte Intelligenz entwickelte und so die immerwährende Simulation verlassen und die reale, postmenschliche Welt betreten konnte, sind mehrere Jahrhunderte vergangen. In dieser Zeit hat Athena mit einigen Verbündeten Neu Jerusalem erbaut und seitdem das Ziel verfolgt, sie mit 1.000 Robotern zu füllen. Mit der Geburt des Hauptcharakters von The Talos Principle 2 (1k genannt) ist dieses Ziel erfüllt.

Willkommen, 1k

Woher kommt der Mann im Himmel?

Doch natürlich geht nicht alles nach Plan: Während der Ansprache des Bürgermeisters von Neu Jerusalem bei der Willkommenszeremonie erscheint plötzlich eine lila Partikelwolke am Himmel, die sich zu einer göttlichen Gestalt verdichtet und zu uns spricht. Die Gestalt stellt sich als Prometheus vor und lädt uns ein, die Wahrheit auf ihrer Insel aufzudecken. Doch sie wird unterbrochen und verpufft, bevor sie uns mehr Informationen geben kann.

Das Ereignis versetzt die Stadt in Aufruhr: Worum handelt es sich bei der Erscheinung? Hat ihr Auftreten mit der Geburt von 1k und damit der Erfüllung von Athenas definiertem Ziel für Neu Jerusalem zu tun? Kommt die Partikelwolke aus der Stadt oder von außerhalb? Stecken gar Aliens dahinter?

Der Wahrheit auf der Spur

Die Techno-Pyramide ist nicht der einzige epische Anblick.

Nach der Zeremonie wohnen wir einer Konferenz der Anführer der Stadt bei, die beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen. Zu diesem Zweck brechen wir zusammen mit anderen Charakteren zu einer Expedition auf, um die Herkunft der Partikelwolke zu ergründen.

Schon bevor wir auf der Insel landen, erblicken wir Prometheus‘ Ursprung: Eine riesige Techno-Pyramide (auch Megastruktur genannt) ragt dort in den Himmel und die Scans zeigen enorme Energien, die durch ihr Inneres fließen. Ohne eine Möglichkeit, hineinzugelangen, sehen wir uns allerdings zunächst in der Umgebung um und finden dort nicht nur unterirdische Labore, sondern auch – wer hätte es gedacht – Rätsel.

Ein Rätsel im Rätsel im Rätsel

Die Techno-Pyramide ist von mehreren künstlichen Anlagen umgeben, die eine Menge isolierter Puzzles für uns bereithalten. Wie bei Teil 1 ermöglicht uns das Lösen dieser Rätsel das Weiterkommen in der Anlage und – so die Hoffnung – auch den Zugang zu der Megastruktur und damit zu Antworten auf unsere Fragen: Wo ist Athena (die, seit sie Neu Jerusalem vor einigen Jahrhunderten verlassen hat, einen heiligenähnlichen Status innehat)? Wer hat uns diese Anlage hinterlassen und warum? Warum überhaupt Rätsel? Sollen wir wirklich bei 1.000 Bewohnern aufhören zu wachsen?

Die Puzzles sind angelehnt an jene, die wir bereits aus Teil 1 kennen. Es gibt ähnliche Werkzeuge wie in The Talos Principle, allerdings sind einige Mechaniken erweitert worden. Oft hindert uns eine Energiewand am Weiterkommen, doch gibt es immer Wege, diese auszuschalten. Störsender setzen sie ganz einfach außer Kraft. Manche davon sind jedoch auch an Empfänger angeschlossen, zu denen wir einen Laser in einer passenden Farbe lenken müssen. Bohrer öffnen unterdessen temporäre Löcher in bestimmten Wänden, durch die wir Laser leiten oder Werkzeuge schieben können.

Die Mechaniken sind zahlreich und müssen in unterschiedlichsten Weisen kombiniert werden, um ein Rätsel zu lösen. Zwar sind die Rätsel nummeriert, wir können sie aber in beliebiger Reihenfolge lösen. Da spätere Rätsel kniffliger sind, macht es meist Sinn, in der Reihenfolge zu bleiben und zunächst die neuen Mechaniken zu erlernen. Kommen wir bei einem Rätsel aber einmal nicht weiter, haben wir so die Möglichkeit, erstmal ein anderes zu lösen und später wiederzukommen.

Rätsel und Story sind in großen Teilen voneinander getrennt. Zwischendurch nehmen Charaktere zwar Bezug auf Elemente der Puzzles, sie sind aber nicht untrennbar in die Geschichte eingewoben. Dennoch fühlen sich die beiden Spielaspekte nicht an wie künstlich aneinandergeklebt: Durch den häufigen Wechsel zwischen Puzzles und Dialogen sowie kurze Updates der anderen Expeditionsteilnehmer entsteht ein organisches Spielgefühl.

Wo bin ich und wenn ja, wo lang?

Zwischen den Rätseln macht es Sinn, sich auch links und rechts des Weges umzuschauen. Hier und da sind nämlich Prometheus-Funken versteckt, die wir einsetzen können, um ein Rätsel zu überspringen und trotzdem weiterzukommen.

Ein Kompass am oberen Bildschirmrand hilft uns bei der Orientierung und zeigt uns, wo wir das nächste Rätsel und weitere wichtige Orte finden können. Zusätzlich weisen uns Fragezeichen darauf hin, wo es noch mehr zu sehen gibt – denn Rätsel sind nicht das Einzige, was es zu entdecken gilt.

Ich muss erstmal gar nichts

Aus dem Aufzug können wir Neu Jerusalem überblicken.

Eine Menge der Inhalte in The Talos Principle 2 sind optional. So können wir gleich zu Beginn des Spiels Neu Jerusalem erkunden und dort mit einigen der Bewohner sprechen und so mehr über die Stadt, ihre Vergangenheit und ihre aktuellen Probleme herausfinden. Beispielsweise gibt es immer wieder Engpässe in der Energieversorgung – und die ist unentbehrlich für das Fortbestehen der neuen Roboter. Darüber hinaus steht die Frage im Raum, ob nach 1k mit der Erschaffung neuer Bewohner wirklich Schluss sein soll. Mehr Bewohner bedeutet mehr Arbeitskräfte für die Stadt, doch auf der anderen Seite gilt das ungebremste Wachstum der Menschheit auch als Urgrund ihres Untergangs.

Klug und sympathisch geschrieben, machen sogar die vielen Texte Spaß.

Auf der rätselhaften Insel gibt es natürlich besonders viel zu entdecken. Hier sind wie bereits in Teil 1 Terminals verteilt, an denen wir uns Texte durchlesen und Audioaufnahmen anhören können. Die Inhalte sind dabei ganz unterschiedlich: hier die Erzählung einer Geschichte aus der griechischen Mythologie, da der Bericht von Menschen aus der Vergangenheit; hier die Auseinandersetzung mit einem philosophischen Konzept, da eine Meinung zu der politischen Lage der Menschheit. Texte in Videospielen sind stets eine Gratwanderung – viele werden überflogen oder gänzlich ignoriert. The Talos Principle 2 versteht es jedoch, seine Texte so in das Spiel und seine philosophischen und politischen Fragestellungen einzubetten, dass wir jeden davon freiwillig gelesen haben – bei keinem anderen Spiel haben uns lange und viele Texte so viel Spaß gemacht und uns derart zum Nachdenken angeregt.

Mit unseren Antworten im Social Media Forum können wir uns philosophisch und politisch positionieren.

Doch nicht nur wegen der Terminals lohnt sich die Erkundung der Insel: Jeder Bereich hat noch optionale Rätsel zu bieten. Diese sind besonders knifflig und erfordern ein tiefes Verständnis der Hilfsmittel, die uns zur Verfügung stehen. Die Rätsel können alternativ zu den anderen gelöst werden, um in der Hauptstory weiterzukommen. Darüber hinaus gibt es allerdings noch goldene Tore, die zu Beginn des Spiels verschlossen sind und nur durch Lösung der optionalen Rätsel geöffnet werden können. Dahinter verstecken sich zusätzliche, optionale Rätsel, die jedoch nichts mit der Hauptstory zu tun haben.

Ein weiterer optionaler Aspekt ist Neu Jerusalems Social Media Forum. Als hochtechnisierte Wesen sind wir natürlich stets mit den anderen Bewohnern der Stadt in Verbindung und können uns ins Netz einklinken und Forenposts lesen – und darauf antworten. Die anderen Bewohner reagieren dabei auf aktuelle Geschehnisse, wodurch sich die Welt von The Talos Principle 2 lebendig anfühlt.

Ich kann, weil ich will, was ich (nicht) muss

Lassen wir all die optionalen Aspekte aus dem Spielerlebnis raus, ist The Talos Principle 2 nichts weiter als ein gutes Puzzle-Spiel – und das ist es definitiv. Die Rätsel haben einen angenehmen Grad an Kniffligkeit und motivieren zum Weitermachen. Spielen wir sie in der vorgesehenen Reihenfolge, stellt sich ein intuitiver Lerneffekt ganz ohne Tutorials ein.

Interessanterweise sind es jedoch gerade die erwähnten optionalen Aspekte, die das Spielerlebnis großartig machen. Es ist beachtlich, wie viele Ebenen das Spiel umfasst, ohne überfrachtet zu wirken. Haupthandlung, Hintergrundgeschichte, philosophische Fragestellungen, Rätsel, Charaktere, Dialoge – The Talos Principle 2 verbindet zahlreiche Ideen und Mechaniken und schnürt sie harmonisch zu einem hübschen Gesamtpaket – weder stupides Spiel noch trockene Philosophiestunde.

Über und unter der Haube

Einige Ausblicke vermitteln ein Gefühl von Ehrfurcht.

Optisch ist The Talos Principle 2 für seinen Preis mehr als angemessen. Die Charakterdesigns fallen eher in den Bereich „uncanny valley“ – doch das ist für postmenschliche KI-Roboter vielleicht auch gerade richtig. Die Landschaften und Umgebungen sehen gut aus, und hier und da gibt es ein paar phantastische Ausblicke.

Akustisch macht das Spiel ebenfalls einiges her. Sounddesign und Soundtrack untermalen das Spielgeschehen optimal und passen sich auch bei der Erkundung unserem Verhalten an. Gerade der Soundtrack von Damjan Mravunac ist eine großartige Weiterentwicklung aus dem ersten Teil, mit deutlich mehr elektronischen Sounds, die zu der neuen hochtechnisierten Welt passen.

Im Test auf der PlayStation 5 lief das Spiel flüssig und fehlerfrei sowie ohne lange Ladezeiten. Die Steuerung ist größtenteils intuitiv und nur im Umgang mit einzelnen Rätsel-Werkzeugen etwas ungelenk.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Croteam
  • Publisher: Devolver Digital
  • Plattform: PC, PlayStation 5, XBOX Series X|S
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Polnisch, Russisch, Türkisch, Japanisch, Koreanisch, Chinesisch
  • Mindestanforderungen: 64-bit Windows 10 (2004 Version), AMD Ryzen 5/Intel core i3, 8 GB RAM, Radeon RX 470/GeForce GTX 970, DirectX 12, 75 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Puzzle
  • Releasedatum: 02.11.2023
  • Spielstunden: 15+ Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: USK 12
  • Preis: 28,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, MMOGA

 

Fazit

The Talos Principle 2 ist wieder ein großartiger Ego-Puzzler aus dem Studio Croteam. Es greift Aspekte von Teil 1 wie die Handlung, Spielmechaniken und politisch-philosophischen Fragestellungen über das Menschsein auf und setzt sie konsequent fort. Dabei gibt das Spiel gerade genug Neuerungen und unerwartete Wendungen in den Mix, um ein spannendes und neuartiges Spielerlebnis zu bieten, schafft es dabei jedoch, seinem Vorgänger treu zu bleiben.

Wie in The Talos Principle lösen wir mit unserem Robotercharakter eine Reihe von Rätseln, um weiterzukommen – und dann weitere Rätsel zu lösen. Während es in Teil 1 jedoch lediglich eine Hintergrundgeschichte gab, erleben wir diesmal eine waschechte Story mit Charakteren und einer mysteriösen Handlung. Croteam führt dabei interessante Mechaniken wie das Social Media Forum von Neu Jerusalem ein, in denen wir uns mit anderen Charakteren des Spiels über die Geschehnisse unterhalten können. Besonders angenehm ist dabei, dass wir die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen nicht einfach serviert bekommen, sondern vielmehr zum Nachdenken und Entwickeln eigener Lösungen und Antworten angeregt werden. Das Spiel will uns keine Meinung aufdrücken, setzt jedoch die Bereitschaft voraus, unsere Gedanken auf die Probe zu stellen.

Die fesselnde Handlung und die vielen aufgeworfenen Fragen lassen uns immer wieder aufs Neue zu dem Spiel greifen, das Rätseldesign trifft genau in den Bereich von knifflig, aber nicht frustrierend. Die phantastischen Landschaften und Strukturen vermitteln immer wieder aufs Neue ein Gefühl von Ehrfurcht, und wir hatten noch nie so viel Spaß dabei, so viel Text in einem Spiel zu lesen – abgesehen von Teil 1. Allen, die Ego-Puzzler und Philosophie mögen, können wir das Spiel uneingeschränkt empfehlen: The Talos Principle 2 überzeugt auf ganzer Linie und erhält von uns fünf von fünf Prometheus-Funken.

  • Regt zum Nachdenken an
  • Knifflige Rätsel
  • Mysteriöse Handlung
 

  • Viel zu lesen

 

Artikelbilder: © Croteam
Layout und Satz: Andreas Hübner
Lektorat: Manfred Klevesath
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