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Eine neue Welt, viele alte Konflikte und eine letzte Hoffnung: Spiders GreedFall erschien am 10.09.2019 und erzählt eine abenteuerliche Geschichte von Politik, Religion und Gesellschaft auf der von Kolonialisierung und Machtspielen zerrissenen Insel Teer Fradee. Doch lohnt sich das Segelsetzen tatsächlich und wenn ja: Wohin geht die Reise?

Auf prächtigen Segelschiffen geht es der neuen Welt entgegen.

In den letzten Wochen wurde GreedFall von vielen einflussreichen Szenemagazinen mit Titeln wie Dragon Age oder The Witcher verglichen. Dass eine solche Nebeneinanderstellung hohe Erwartungen auf Spielerseite erzeugt, ist unumgänglich. Die Frage, ob Spiders – mithin das Studio hinter The Technomancer (2016) und Bound by Flame (2014) – diesen gerecht werden kann, wird seit dem Release von GreedFall viel diskutiert.

Für diesen Spieltest wurde GreedFall auf der PS4, Schwierigkeitsstufe „normal“, gespielt.

Teer Fradee stellt sich vor: Zu Setting und Handlung

Zwischen Kolonialzeit und Fantasy

Inspiriert von Architektur, Kunst, Mode und vor allem Gesellschaft des 17. Jahrhunderts kreiert Spiders ein Setting, welches bisher innerhalb der Spielelandschaft wenig präsent war. Gemischt mit Fantasy-Aspekten wie Magie und gewaltigen Kreaturen entsteht ein erfrischend anderes Szenario. Mit zentralen Themen wie Kolonialisierung und damit einhergehenden Konflikten mit Ureinwohnern und Religion werden politische und gesellschaftliche Herausforderungen in das Spiel eingebunden.

Die vielversprechenden Prämissen begegnen dem Spieler in einer attraktiv gestalteten Spielwelt.

Die Insel Teer Fradee – ein politischer Brennpunkt.

Die eigentlich reizvolle Gestaltung jedoch wird von wiederkehrenden Räumlichkeiten, vor allem in den bereisten Städten, sowie von den immer gleichen Nebencharakteren bzw. Gegnern in den Straßen und in der Natur nachhaltig geschädigt. Ein Umstand, der vermutlich dem Budget der Spieleschmiede zuzuschreiben ist.

Wie, was und warum – ein Handlungsüberblick

Der Spieler schlüpft in die Rolle von De Sardet, welche/r einer einflussreichen Familie der Händlerkongregation angehört, und bricht zu neuen Ufern auf. Ziel der Reise ist Teer Fradee, eine erst vor wenigen Jahren entdeckte und dünn besiedelte Insel mehrere Monate Schiffsreise entfernt. Hier gilt es zum einen, für die Sicherheit von Gouverneur Constantin zu sorgen, dem Cousin von De Sardet, und zum anderen, das Heilmittel für eine tödliche Krankheit, Malichor genannt, zu finden.

Der Charaktereditor beinhaltet viele ansehnliche Optionen für männliche und weibliche De Sardets.

Zwischen zornigen Eingeborenen und machthungrigen Fraktionen, deren Konflikte vom Festland mit hierherkamen, muss De Sardet den richtigen Weg finden – dies jedoch keinesfalls allein. Insgesamt fünf potenzielle Gefährten kreuzen De Sardets Weg. Hiervon können immer zwei auf einmal mit ins Team genommen werden. Ein Austausch ist in den Städten sowie in den Lagern unterwegs möglich.

Waffenmeister und Söldner Kurt war De Sardets Mentor – und ist der erste von fünf Gefährten.

GreedFalls Handlung präsentiert sich dem Spieler glaubwürdig; der Einstieg erfolgt schnell und die Grundlagen der Steuerung werden fließend im Spiel erläutert, ohne sich in erschlagendem Maße zu bündeln. De Sardets Rolle als Emissär/in verleiht dem Charakter politisches sowie gesellschaftliches Gewicht, schafft jedoch keine unnahbare Persönlichkeit. Die ein oder andere Tür mag sich durch Nennung von Rang und Namen öffnen, viele andere jedoch müssen geknackt oder sogar aufgesprengt werden.

Alles auf einen Blick: Wer mag uns, wer nicht?

Was steckt drin – und wie funktioniert’s?

Von De Sardets Tagewerk und zum generellen Gameplay

Auf Teer Fradee gibt es so einiges zu tun: De Sardet muss die Insel erforschen, politische Konflikte abwiegeln, Kontakt zu den Ureinwohnern pflegen und natürlich herausfordernde Auseinandersetzungen überstehen. Dies mit leichten und schweren Einhandwaffen, Pistolen und Flinten, Zweihändern und sogar Magie. Hinzu kommen alchemistische Mixturen, die als Fallen aufgestellt, zur Verstärkung der Kampfkraft auf Waffen aufgetragen oder sogar geworfen werden können.

Darüber hinaus spielt das Handeln im Verborgenen eine große Rolle, denn es werden Schlösser geknackt und Warenhäuser – gut verkleidet – infiltriert. Materialien und Rohstoffe, die in Kisten und Truhen, aber auch im freien Feld gefunden werden, können bei entsprechender Talentwahl zu nützlichen Gegenständen wie Rüstungs- und Waffenverbesserungen verarbeitet werden.

Obwohl während der Charaktererstellung festgelegt werden muss, ob De Sardet kriegerisch, technisch oder magisch begabt ist, können im Laufe des Spiels auch Fertigkeiten gewählt werden, die nicht dem eigenen Schwerpunkt entsprechen. Dies jedoch unter einem erhöhten Einsatz von Erfahrungspunkten.

Die Kämpfe sind auf dem gewählten Schwierigkeitsgrad („normal“) zumeist beim ersten Versuch und ohne größere Probleme schaffbar. Immer dann jedoch, wenn eine der großen mystischen Kreaturen aus den Wäldern Teer Fradees De Sardets Weg kreuzt, kommt es zu einer Schlacht, die sich über mehrere Minuten hinzieht. Nun muss ausgewichen bzw. geblockt sowie der sorgfältige Einsatz von beispielsweise alchemistischen Reagenzien erwogen werden.

Das Gameplay in all seinen Facetten lässt sich wie folgt zusammenfassen: wenig Innovation, viel Altbekanntes – und noch viel mehr Altbewährtes. Die Möglichkeiten beispielsweise im Kampf sind keine Neuheiten, stellen allerdings einen unterhaltsamen Mix dar, der vor allem für Genre-Fans attraktiv sein dürfte. Es scheint, als habe Spiders die letzten Jahre gut beobachtet und fleißig mitgeschrieben, denn nur das, was Spaß macht, ist in GreedFall gelandet. Es ist zugänglich und bietet auch nach vielen Spielstunden Anreiz weiterzumachen.

Dialoge und Rollenspiel

Als Rollenspiel legt GreedFall Gewicht auf zwischenmenschliche Interaktionen, dies mit De Sardets Gefährten, mit denen sogar eine Romanze eingegangen werden kann, und Charakteren jenseits der eigenen Reisegruppe. Positiv ins Auge fallen die Sprechauftritte der Gefährten, die neben den eigentlichen Dialogen auftreten. Sie finden in Form von eingeworfenen Kommentaren oder untereinander geführten Gesprächen statt und verleihen den Charakteren Lebendigkeit.

Auch die Waffen werden in GreedFall oft sprechen gelassen.

Die eigentlichen Dialoge betreffend lässt Spiders jedoch Vielfalt und charakterliche Prägung durch Spielerentscheidung vermissen: Oft sind nur wenige Antwortmöglichkeiten im Dialog mit Gefährten oder anderen Charakteren vorhanden. In den meisten Fällen beschränkt sich die Auswahl auf Ja/Nein-Antworten oder auf eine Abfolge von Fragen, die zur Fortführung der jeweiligen Mission abgehakt werden müssen. De Sardet verbleibt in vielen Momenten entweder farblos oder aber bewegt sich, was die Gesprächsführung angeht, jenseits der Kontrolle des Spielers.

Technisches

GreedFall ist kein grafisches Wunderwerk. Nicht ganz zu Unrecht wird vielseits online (so beispielsweise auf Steam und Reddit) behauptet, BioWare hätte dieses Werk vor Jahren schon produzieren können. Die grafische Erfahrung ist keinesfalls negativ, es kommt jedoch spielerseitig auch zu keinen „Wow“-Momenten. Die Anzeige von Untertiteln, Briefen und Questtexten ist – so zumindest an der PS4 – leider etwas klein. Eine Option zum Vergrößern ist nicht gegeben.

Positiv auffallend ist, dass GreedFall so gut wie bug- und glitchfrei ist. In einer Zeit von unzähligen Hotpatches und Spielen, die am Release-Tag unspielbar sind, ist dies positiv hervorzuheben. Es sind lediglich Kleinigkeiten aufgefallen: ein Halstuch, das in andere Kleidungsteile „clippt“, oder eine Küchenhilfe, die sich auf (statt an) den Tisch stellt. Nichts hat die Handlung oder das Gameplay beeinflusst; es gab keine spielbrechenden Bugs und keine Abstürze.

Die Idee, Ladezeiten durch Reiselager zu ersetzen, in welchen De Sardet beispielsweise die Gefährten auswechseln und mit ihnen sprechen kann, vertreibt langweilige Warterei.

Zu guter Letzt soll, was die technischen Grundlagen angeht, die Synchronisation (ausschließlich englische Sprachausgabe) hervorgehoben werden: Diese ist wahnsinnig schön. Die Stimmen sind passend für die jeweiligen Charaktere ausgewählt und die Sprecher haben eine meisterhafte Arbeit geleistet – das Zuhören ist eine rege Freude.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Spiders
  • Publisher: Focus Home Interactive
  • Plattform: PC, PS4, Xbox One
  • Mindestanforderungen PC:
    • Betriebssystem: Windows 7/8/10 (64 bits)
    • Prozessor: Intel Core i5-3450 (3.1 GHz) oder AMD FX-6300 X6 (3.5 GHz)
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: 2 GB, empfohlen GeForce GTX 660/Radeon HD 7870
    • Speicherplatz: 25 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: RPG, Fantasy
  • Releasedatum: 10.09.2019
  • Spielstunden: Hauptquest ca. 30 Std. zuzüglich Nebenquests und Erkundung
  • Spieleranzahl: 1
  • Altersfreigabe: 16 Jahre
  • Preis: EUR 46,99 (Xbox One, PS4), EUR 49,99 (PC)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

GreedFall fasst vieles, was sich in den letzten Jahren in Sachen (Action-)Rollenspiele bewährt hat, in einem Spiel zusammen. Das interessante Setting weiß in Kombination mit lebendigen Charakteren und einer spannenden Handlung zu begeistern. Darüber hinaus fällt neben dem Fehlen von Bugs vor allem die herausragende Synchronisation ins Auge – oder ins Ohr.

Sich wiederholende Räumlichkeiten/Level und Gegner, teils flache Dialoge sowie Gameplay und Grafik, die wenig Innovatives mit sich bringen, stellen die Negativaspekte von Spiders aktuellstem Werk dar.

Gegen Black Ulgs muss De Sardet sich mehr als einmal verteidigen.

Ein direkter Vergleich von GreedFall mit großen Titeln wie Dragon Age und The Witcher – wie eingangs angesprochen – ist angesichts der personellen und finanziellen Differenzen der einzelnen Studios schwerlich herzustellen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass Fans vor allem früherer BioWare-Titel ihre rege Freude mit GreedFall haben können. Die Autorin dieses Artikels jedenfalls hat jede Spielstunde bisher genossen und wird, den genannten Schwächen zum Trotz, De Sardet bis zum Ende der Reise begleiten.

Mit treuen Gefährten geht es neuen Abenteuern entgegen!

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass GreedFall sich ein bisschen anfühlt, als würde man zu einem geschätzten Rollenspiel „von damals“ zurückkehren. Dies sowohl im positiven als auch im negativen Sinne: Obwohl die Grafik im Vergleich zu modernen Spielen hinterherhinkt und die Mechaniken wenig innovativ sind, ist es Spiders gelungen, dank dichter Atmosphäre und liebevoller Detailarbeit seine Spieler in eine Renaissance des Rollenspielgenres zu schicken.

mit Tendenz nach oben

 

Artikelbild & Screenshots: © Spiders/Focus Home Interactive, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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