Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Bei Gord geht es an die Grenze, im wörtlichen Sinn. Denn im Strategiespiel ehemaliger Witcher-Macher*innen müssen düstere Wälder und ferne Grenzlande erkundet und erschlossen werden. Lauern im schaurigen Dickicht nur Gefahren oder müssen sich auch Spieler*innen selbst in Acht nehmen?

Die Witcher-Reihe, besonders der dritte Teil, hatte zahlreiche Herausstellungsmerkmale, welche zum Riesenerfolg des Franchises beigetragen haben. Vielschichtige Nebenfiguren, tiefgründige Protagonist*innen oder die lebendige (Spiel)welt. Allen Variationen der Geschichten rund um Geralt, Rittersporn und Yennefer ist dabei die noch unverbrauchte slawische Mythenwelt gemein. Mit ein großer Grund, um Neugierige an die Buchseiten oder die Gaming-Maus zu locken. Diesen Sagenkosmos haben sich auch die Entwickler*innen des polnischen Studios Covenant.dev wieder zur Leitlinie für Ästhetik und Gameplay genommen. Wenig überraschend, haben einige Teammitglieder doch einen Hintergrund bei den CD Projekt Studios mitgebracht. Für ihren Erstlingstitel Gord stehen die Vorzeichen damit also erst einmal nicht schlecht.

Die Horrors sind die stimmigen Highlights des Spiels © Covenant.dev

Als noch kleine Neugründung ist ein Rollenspielepos wie ein Witcher‑Epos natürlich schwer zu stemmen. Abseits davon dürfte es gute Gründe für Gord geben, seine düstere Fantasywelt in einem anderen Genre-Gewand zu erkunden. Statt eines Einzelprotagonisten führt ihr gleich eine ganze Schar von Abenteurern in die düsteren Lande nördlich eines expandierenden Königreichs. Und anstelle eines Rollenspiel-Abenteuers winken Bewohnermanagement und Aufbaustrategie. Denn um den Vorstoß der königlichen Truppen in das wilde, aber goldreiche, Gebiet vorzubereiten, gilt es im Laufe der Kampagne Vorposten zu errichten, Rohstoffe zu sammeln und immer tiefer in das fremde Land vorzudringen. Weder Finsternis, Hunger, noch mythologische Schrecken dürfen euch am Erfüllen dieser Mission hindern.

Sie kamen als Eroberer

Um die wilde Grenzlandschaft zu zähmen und einen zivilisatorischen Außenposten zu errichten, bevor es euch auf die nächste Karte verschlägt, steht das Verwalten eurer Bewohner*innen im spielerischen Mittelpunkt. Euer Gord (entspricht „Gard“ oder „Festungswall“) umfasst dabei nur eine Handvoll Einwohner, Gord strebt eine sehr intime Spielbeziehung an. Es sollen keine Äonen überspannenden Zivilisationen durch die Zeitalter geführt werden, sondern ein kleines Völkchen an Nomaden an lauernden Gefahren vorbei zum nächsten Rastplatz geführt werden, der Nahrung und Schutz verspricht. Mit dieser Idee hebt sich das Spiel angenehm von anderen Titeln ab. Die Dorfbewohner*innen haben nicht nur Namen, sondern auch einzelne Stärken und Schwächen. So ist manch einer besonders schnell darin die Flachs-Vorräte aufzufüllen, während ein anderer dagegen aufgrund seines „Pazifisten“-Merkmals nicht unbedingt zum Krieger taugt. Denn die Schar an Anhänger*innen bringt keine festen Berufe mit, stattdessen weist man diese über die entsprechenden Gebäude zu. In die Kaserne geschickt, werden die Waldläufer*innen kurzerhand zu Krieger*innen umfunktioniert, während Fischende sich mit einer Angel aus dem Bootshaus bewaffnen, um die Nahrungsvorräte aufzustocken.

Die Cutscenes präsentieren sich sowohl als gezeichnete Cutscene als auch in der Spielgrafik. © Covenant.dev

Da Gords Welt die Neuankömmlinge nicht mit offenen Armen, sondern aufgerissenem Rachen empfängt, muss auch das dunkle Dickicht im Auge behalten werden. Den Pionier*innen macht nicht nur die Dunkelheit selbst zu schaffen, sondern auch jene Kreaturen, die in ihr auf unvorsichtige Beute lauern. Ersterer kann man mit einem Trinkzelt am Lagerfeuer gegensteuern, wo sich Sammler*innen aufwärmen und den Schrecken schön trinken können. Für letzteres müssen eure Kämpfer*innen mit Axt und Speer ran, um die Schrecken der Umgebung zurückzudrängen. Auf den Erkundungstrips können sie dabei über sammelbare Ressourcen oder Artefakte stolpern, die den Bewohner*innen Lebenspunkte spendieren oder neue Fähigkeiten verleihen.

Das Leben als Grenzer*in ist mühsam und beschwerlich – Vor und hinter dem Bildschirm

Wo auf die Entdecker*innen viel Arbeit, Dunkelheit und Gefahren warten, liegt das riesige Potenzial eine intime Aufbaugeschichte in einer schauerlichen Fantasywelt zu erleben. Zu schade also, dass Gord diese Chancen an fast keiner Stelle zu ergreifen weiß, sondern Spieler*innen stattdessen in monotonen und kleinteiligen Tätigkeiten ertränkt. Euer Gord selbst ist als Baufläche sehr klein angelegt. Die Gebäude lassen wenig Auswahl, um den eigenen Vorstellungen beim Bauen Ausdruck zu verleihen. Stattdessen gleicht jedes Lager nach dem Kartenwechsel dem anderen. Die Palisadenwände sollen das sichere Refugium für Entdecker*innen bilden. Dank der löchrigen Wegfindung verlassen diese aber die sicheren Schutzräume gerne, um beim Sammeln blöd in den nächsten Monsterhort zu marschieren. Auch die eigenen Grundbedürfnisse werden von der KI völlig ignoriert. Müssten Dorfbewohner*innen nach einem zu langen Trip durch das dunkle Dickicht eigentlich ihre Gesundheit wieder aufladen, tun sie das nicht etwa von selbst, indem sie zu dem entsprechenden Gebäude marschieren. Stattdessen sterben sie einfach vor sich hin, sobald der entsprechende Wert auf null sinkt. Ihr müsst also aktiv ein Auge darauf haben, wo eure Bewohner*innen wertetechnisch stehen und regelmäßig Nanny spielen.

Nagt die Wildnis zu sehr an den Waldläufer*innen, brauchen sie ein Päuschen im Bade- oder Trinkhaus. © Covenant.dev

Erschwert wird die Organisation weiter durch die nicht zu Ende gedachte Nutzeroberfläche. Mit seinem Berufssystem verlangt das Spiel im Kern danach, die vorhandenen Bewohner*innen immer wieder hin und her zu wechseln und so stets die richtigen Personen für die anstehende Aufgabe zu finden. Dafür bedürfte es einer Möglichkeit, schnell und einfach einsehen zu können, wer sich besonders gut für den Kampf gegen das nächste Wolfsrudel eignet und wer sich beim Holz schlagen eher langsam anstellt. Da diese Information nur durch Klicks auf die Einzelportraits zu erfahren sind, ist es hier notwendig, bei der Suche jeden einzelnen Charakter durchzuklicken. Was nur deshalb schnell überflüssig wird, weil Spieler*innen schnell feststellen, dass die Vor- und Nachteile marginal sind und kaum Unterschiede machen. Meist greift man sich deshalb einfach die nächstliegende Person zum Maus-Cursor und schickt diese zur benötigten Aufgabe. Dies erschwert die Identifikation ungemein, weiter wird der Verwaltungsakt lediglich mühselig statt herausfordernd.

Dieser Sand im Getriebe schadet der grundsätzlichen Spielerfahrung massiv. Die nervige Kleinteiligkeit ist schnell ermüdend, eure Bewohner*innen und eure Basis werden euch egal. Gord plätschert dahin, statt die eigene Grundprämisse einzulösen. Das Gameplay wird zum anstrengenden Beifang auf dem Weg zu den interessanteren Zwischensequenzen, Story-Entwicklungen oder Neuentdeckungen auf der aktuellen Karte. Eine klare Entscheidung hin zu Vorbildern wie Rimworld auf der einen Seite als selbstlaufende Simulation oder Frostpunk als knallharte Überlebensstrategie auf der anderen Seite, hätte Gord wahrscheinlich besser getan als dieser Versuch des Mittelweges.

Kämpfe sind kleine Scharmützel, die leider kaum taktische Tiefe bieten. © Covenant.dev
Kämpfe sind kleine Scharmützel, die leider kaum taktische Tiefe bieten. © Covenant.dev

Flackernd schöne Gespensterwälder

Beim Stromern durch die Wälder finden eure Pionier*innen nicht nur Rohstoffe, Artefakte und Heil- und Nutzpflanzen (welche ebenfalls spielerisch leider kaum ins Gewicht fallen), sondern auch monströse Schrecken, die so genannten Horrors. Diese Waldmonster blockieren das Vorankommen zum nächsten Szenario und müssen überwunden werden. Das Design der heidnischen Mythenkreaturen ist ein großes Plus, ob die verspielte Dryade Rusalka oder der unförmige, pustelige Blob Ardaven: Die Waldbewohner stechen aus dem üblichen Einerlei an Widersachern heraus. Um es an ihnen vorbeizuschaffen, können eure Nomad*innen zu Waffengewalt greifen, dann steht ihnen ein meist verlustreicher Kampf bevor. Alternativ können Bedingungen der Kreaturen erfüllt oder Opfer erbracht werden – letzteres in Ressourcen oder sogar Menschenform.

Die Horrors haben im Marketingvorfeld des Spiels einen großen Anteil daran gehabt, Gords Alleinstellungsmerkmale hervorzuheben und das Spiel von vergleichbaren Titeln abzuheben. Sehr schade also, dass auch diese Begegnungen wenig retten können. Dafür sind die Einflüsse aufs Gameplay zu gering und die Entscheidungen wie der Schrecken zu überwinden ist, schlichtweg nicht schwer genug. Da die Identifikation mit den Waldläufer*innen ausbleibt, ist es wenig von Belang, ob diese in den Gefechten fallen könnten – oder man sich sogar aktiv dazu entscheidet, sie zu opfern. Andere Titel haben bereits gezeigt, wie das besser funktioniert, selbst in prozedural erstellten Geschichten und Charakteren. Die Grafik zaubert dafür insgesamt sehr schöne, dichte Waldlandschaften auf den Bildschirm, die sich dicht anfühlen und das Gefühl eines fremden Dickichts gut transportieren.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Covenant.dev
  • Publisher: Team17
  • Plattform: PC, PlayStation 5, PlayStation 4, Xbox Series, Xbox One
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch, Polnisch, Russisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch
  • Mindestanforderungen:
    • Setzt 64-Bit-Prozessor und -Betriebssystem voraus
    • Betriebssystem: Windows 10 64-bit
    • Prozessor: Intel Core i5-6600 or AMD Ryzen 5 1600
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: NVIDIA GeForce GTX 960, 4 GB or AMD Radeon R9 380, 4 GB
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 20 GB verfügbarer Speicherplatz
    • Zusätzliche Anmerkungen: 1080p @ 30 FPS
  • Genre: Aufbau-Strategie
  • Releasedatum: 17. August 2023
  • Spielstunden: 22
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: 18+
  • Preis: 34,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo, MMOGA

 

Fazit

Gord ist einer dieser Titel, bei denen es besonders schwer fällt, keine breite Empfehlung aussprechen zu können. In Zeiten, wo halbfertige Titel oder übergriffige Season Passes lediglich auf den eigenen Geldbeutel zielen, zeigt das Spiel der Covenant.dev-Studios eigene Ideen und echte Liebe für die frische Spielwelt. Die dichten Wälder können eine schaurige Atmosphäre vermitteln, die an slawische Folklore angehauchten Monster sind unverbraucht und die Zwischensequenzen erzählen in bester Witcher-Tradition eine spannende Handlung mit griffigen Figuren.

Zu schade also, dass das tatsächliche Aufbauspiel kaum aus einem mühsamen Morast herausfindet und dadurch sehr schnell langweilt. Das Berufssystem wird durch schwache Attributs-Auswirkungen und die kleinteiligen Menus komplett überflüssig, Kämpfe sind strategisch unterfordernd und eine Identifikation mit dem eigenen Gord und seinen Bewohner*innen ist nahezu unmöglich. Daraus ableitend sind auch die angepriesenen moralischen Entscheidungen nur eine Flamme im Wind. Gord dürfte noch ein bis zwei große Patches davon entfernt sein, spielerisch wirklich Spaß zu machen. Anders lassen sich die Ungereimtheiten bei Wegfindung und der Benutzeroberfläche wahrscheinlich nicht verbessern. Im Anschluss können all jene einen Blick riskieren, die einen ungewöhnlichen Genre-Mix suchen, der in einer atmosphärischen Welt angesiedelt, in Sachen Aufbau-Gameplay aber nicht zu fordernd ist. Die wahre Chance von Gord ist das Mitnehmen der gelernten Lektionen für die Entwicklung eines Nachfolgers. Und dort auf die faszinierende, unterrepräsentierte Grundidee aufzubauen, um das Nomadenspiel zu liefern, von dem die Gamingwelt dort draußen noch gar nicht wusste, dass sie es unbedingt braucht.

 

  • Spielwelt lockt mit stimmiger Atmosphäre
  • Story mit Ambivalenzen, fernab vom Einheitsbrei
 

  • Spielmechaniken schlecht miteinander verzahnt
  • Misslungener Spagat aus Aufbau- und Survival-Spiel
  • Schwächen in der Benutzeroberfläche sorgen für Frustmomente

 

Artikelbilder: © Covenant.dev
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Nina Horbelt

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Durch einen Einkauf bei unseren Partnern unterstützt ihr Teilzeithelden, euer Preis steigt dadurch nicht.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein