Rezension: Eisflüstern. Das Geheimnis im Eis (Anke Becker) – Phantastik im Eismantel

Eine Welt wird vom Eis verschlungen. Jaris, der der Enge seiner Heimatstadt zu entkommen sucht, folgt verzweifelt seinem Sehnen nach der Herkunft der Kälte ins Innere der eisigen Hauptstadt. Widerstände aus seinem engsten Umfeld ebenso wie eisige Winde suchen ihn davon abzuhalten, seinem Herzenswunsch zu folgen.

Eisflüstern. Das Geheimnis im Eis entführt in eine unwirtliche, menschenfeindliche Welt des Eises und der Kälte, in der der junge Jaris lebt. Kurz vor einer wichtigen Zeremonie seiner Gemeinschaft stehend, die ihm all seine Freiheit nehmen könnte, versucht er in den letzten Monaten, in denen er noch frei entscheiden kann, seinem Traum zu folgen. Vor Jahren verschlang das magische Eis die Hauptstadt und umliegenden Dörfer, Städte wie auch Ländereien. Jaris, der mit seiner Großmutter aus der Hauptstadt floh, hadert bis heute mit den damaligen Erlebnissen. Was war damals geschehen und warum kann er sich an seine Eltern kaum noch erinnern? Trotz widerstrebender Interessen seiner engsten Vertrauten unternimmt der Protagonist alles in seiner Macht stehende, um in die weit entfernte Stadt Ialan zu gelangen und Antworten zu finden.

Story

Mit Eisflüstern erschuf die Autorin eine spannende Welt, in der sich Phantastik und Steampunk treffen. Nebst Magie kennen die Einheimischen auch Dampfloks, Zeppeline und sogar ein mittels Kessel angetriebenes Propellerflugzeug. Beginnt die Geschichte noch gemächlich mit kleinen familiären Szenen des Protagonisten Jaris mit seiner Oma Niobe, wird die Handlung ähnlich schnell rasant wie in Pascal Wokans Roman Klänge der Magie. Eine riesige Eiswand, entstanden im Eispalast der Hauptstadt, breitet sich plötzlich mit rasender Geschwindigkeit in alle Himmelsrichtungen aus und verschlingt alles auf ihrem Weg. Tausende Menschen versuchen dem eisigen Tod zu entrinnen, darunter Niobe und ihr Enkel, die mittels Niobes Propellerflugzeug dem Schnee und Eis entrinnen und über das nun erstarrte Land hinweg fliehen können. In der Stadt Lisem, umringt von einer magischen Barriere, finden sie eine neue Heimat.

Gemeinsam mit dem nunmehr 24-jährigen Jaris erfahren Lesende mehr über die eisige Welt, in der die Menschen nun leben müssen. Mittels Erkundungsflügen mit der Propellermaschine seiner Großmutter in umliegende Städte und Ortschaften, die dem Fluch nicht entrinnen konnten, kann Jaris notwendige Handelsgüter auffinden und in seine Heimatstadt bringen. Interessant sind nicht nur seine Ausflüge außerhalb der Stadt, sondern auch seine geheimen Eskapaden im Ort selbst, pflegt er doch eine nicht öffentliche Dreiecksbeziehung mit zwei Freund*innen. Etwas erinnert er damit an den Protagonisten Steyn des queeren Romans Dornenritter. Insgeheim nutzt Jaris seine Flüge vor allem, um der Enge der Gemeinschaft zu entfliehen und seinem Freiheitsdrang nachzukommen. Seine Suche dient jedoch eigentlich nur seinem insgeheimen Traum, zurück in die Hauptstadt zu fliegen um zu erfahren, was tatsächlich geschah.

Allerdings dreht sich die Geschichte nicht ausschließlich um Jaris. Sie wird aus zwei Perspektiven erzählt: zum einen aus seiner, zum anderen aber auch aus der einer zunächst unbekannten Person namens Io. Diese entfacht mit Gedankenfetzen, Erinnerungsfragmenten und Einflussnahmen auf die eisige Welt stets neue Fragen, für Lesende wie auch für diese unbekannte Person, die sich zunächst ihrer selbst kaum bewusst ist, selbst.

Die Geschichte um den freiheitsliebenden Jaris zieht ab der ersten Seite in ihren Bann. Die Frage, woher der eisige Zauber stammt und was mit der Welt des Helden passiert ist, zieht sich durch das komplette Buch. Die Autorin weiß die Neugier der Lesenden gekonnt zu wecken und sie so an das Buch zu fesseln. Auch mit den Charakteren des Buches, seien es der aktive Abenteurer Jaris, seine ihn liebende Familie oder Fremde, auf die er im Verlaufe der Handlung treffen wird, tragen zur Spannung der Handlung bei. Jeder Charakter bringt eigene Motivationen mit und handelt entsprechend. So wirken die erschaffene Welt und ihre Geschichte plastisch und interessant.

Schreibstil

Die Ausdrucksweise der Autorin besticht durch klare und einfache Beschreibungen. So werden Welt und darin agierende Personen gut beschrieben, ohne durch zu viele Einzelheiten von der tatsächlichen Geschichte abzulenken. Dieser Stil hat zur Folge, dass Lesende schnell und einfach in den Lesefluss und die Handlung selbst finden können.

Die Beschreibung der Welt beschränkt sich zunächst auf die Örtlichkeiten, in denen der Protagonist Jaris aufwuchs und lebt. Nach und nach offenbart die Autorin jedoch weitere Örtlichkeiten und Hintergründe ihres durchdachten Weltenbaus. Vor dem Auftreten des Eises richtet sich die Gesellschaft nach einer starken Hauptstadt mit einem dreiköpfigen Rat, der das Land regiert. Dahingegen beschreibt die Autorin nach der eisigen Veränderung der Welt auch eine umstrukturierte Gesellschaft, die sich profaneren Problemen mittels engerer und kleinerer Gemeinschaften widmet.

Besticht das Buch zunächst durch seine durchdachte und spannende Handlung und die angenehme Erzählweise der Autorin, durchbrechen einige sehr erotische Szenen diesen Lesefluss. Weder Buchcover oder Kurzbeschreibung noch die bisherigen Handlungen wiesen darauf hin, dass derart konkrete Beschreibungen sexueller Handlungen auftauchen würden. Die Gesamtheit des Werkes betrachtend wirken insgesamt drei solcher Textabschnitte eher störend denn hilfreich.

Die Autorin

Die Autorin Anke Becker ist zwar hauptberuflich als Wirtschaftsingenieurin unterwegs, entdeckte jedoch schon 2015 das Schreiben für sich. Sie veröffentlichte diverse Romane im Selfpublishing, darunter auch die Romantasy-Dilogie Eloani.

Erscheinungsbild

Schön ist, dass das Erscheinungsbild des Buches sofort verrät, dass es der Phantastik, mit leichten Anspielungen an die Welt des Steampunks, zuzuordnen ist. Das Cover kann die Tatsache, dass es via Selfpublishing veröffentlicht wurde, trotz seiner komplexeren Machart nicht verstecken. Dafür wirken die verwendeten Schriftarten, Verschnörkelungen und eingesetzten Zeichnungen zu unruhig.

Positiv hervorzuheben ist, dass das Titelbild die Geschichte mit ihrer Hauptperson hervorhebt. Ein Propellerflugzeug, in dem ein junger Mann mit einem Hund sitzt, überfliegt eine eisige Landschaft.

Die harten Fakten:

• Verlag: Books on Demand
• Autorin: Anke Becker
• Erscheinungsdatum: 25.05.2023
• Sprache: Deutsch
• Format: Taschenbuch
• Seitenanzahl: 478
• ISBN: 978-3755742722
• Preis: Print (16,99 EUR) + E-Book (3,99 EUR)
• Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

Bonus/Downloadcontent

Zu Beginn des Buches finden sich eine Weltkarte sowie eine Karte der Heimatstadt des Protagonisten in Schwarz-Weiß. In Farbe und großer Auflösung können sie auf der Homepage der Autorin bewundert werden.

Mit drei Kurzgeschichten wichtiger Personen, die in der Geschichte vorkommen, überrascht die Autorin am Ende des Buches. Sie setzen acht bis neun Jahre vor der Handlung des Buches ein und greifen Freundschaften und Beziehungen der Hauptfigur Jaris auf.

Fazit

Mit Eisflüstern hat die Autorin eine fesselnde Welt geschaffen, in der Phantastik und Steampunk aufeinandertreffen. Die Geschichte beginnt ruhig, doch entwickelt sich schnell zu einer rasanten Handlung, als eine riesige Eiswand alles auf ihrem Weg verschlingt. Die Protagonist*innen, allen voran Jaris und seine Oma Niobe, fliehen mit einem Propellerflugzeug über das erstarrte Land und finden in der Stadt Lisem eine neue Heimat. Gemeinsam mit Jaris erkunden die Lesenden die eisige Welt und erfahren mehr über die Herausforderungen, mit denen die Menschen nun konfrontiert sind.

Die Erzählung aus zwei Perspektiven, Jaris und Io, einer zunächst unbekannten Person, sorgt für zusätzliche Fragen und Neugierde. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und tragen zur Spannung bei, da sie eigene Motivationen haben und entsprechend handeln.

Der Schreibstil der Autorin ist klar und einfach, ohne dabei mit zu vielen Details von der eigentlichen Handlung abzulenken. Dadurch finden Lesende schnell in den Lesefluss und können sich voll und ganz auf die Geschichte einlassen.

Während Handlung und Erzählweise zunächst zu überzeugen wissen, stören einige sehr explizite erotische Szenen den Lesefluss. Sie wirken fehl am Platz und passen nicht zum Buchcover, der Kurzbeschreibung und den bisherigen Handlungen. Diese Textabschnitte wirken eher störend für die Gesamtheit des Werkes.

Insgesamt ist Eisflüstern ein packendes Buch, das mit einer faszinierenden Welt, spannenden Charakteren und einer gut durchdachten Handlung überzeugt. Die Autorin schafft es, die Lesenden von Anfang bis Ende zu fesseln und ihre Neugierde aufrechtzuerhalten.

• Spannend
• Interessante Gesellschaftsstrukturen
• Guter Weltenbau

 

• Unpassende erotische Szenen

Artikelbilder: © paulgrecaud | depositphotos.com, © Books on Demand
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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