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Kurzromane haben es eher schwer auf dem deutschen Buchmarkt, darum kommen diese beiden Texte von Ursula Le Guin in einem Buch daher. Kann das funktionieren und passen Das Wort für Welt ist Wald und Die Überlieferung überhaupt zusammen? Wir bei Teilzeithelden haben einen Blick in Grenzwelten

Grenzwelten enthält zwei kürzere Romane der Autorin Ursula Le Guin, Das Wort für Welt ist Wald und Die Überlieferung. Beide gehören zum sogenannten Hainish-Zyklus, einer Reihe einzeln stehender Bücher, die alle im selben Universum in einer fiktiven Zukunft spielen. In beiden Werken in Grenzwelten treten Terraner auf, es wird also auch über eine mögliche Zukunft der Erde geschrieben. In beiden Büchern spielt die Macht von Sprache und Träumen eine große Rolle und in beiden verändern die Hauptfiguren die Planeten.

Story

Das Wort für Welt ist Wald spielt auf einem Waldplaneten namens Athsche, der von Kolonialisten unterworfen wurde. Sie sind an der wichtigsten Ressource des Planeten interessiert, Holz, die Einheimischen sind ihnen dabei nur im Weg, werden versklavt und getötet. Doch selbstverständlich gibt es auch hier Menschen, die versuchen, zwischen den Kulturen zu vermitteln. Eine explosive Mischung, die heute aus James Camerons Avatar vertraut erscheint, auch wenn die Nicht-Menschen hier nicht groß und blau, sondern klein und grün sind. Das Buch ist jedoch deutlich älter, es wurde 1972 veröffentlicht. Ob es eine Inspirationsquelle für den bildgewaltigen Film war, ist ungewiss, diese Überlegung drängt sich jedoch auf.

Im Zentrum der Geschichte stehen drei sehr unterschiedliche Männer: der Terraner Captain Davidson, der brutal, selbstgefällig und gierig davon ausgeht, sich alles nehmen zu können. Der Ethnologe Lyubov, ebenfalls ein Terraner, geht dagegen differenzierter vor und versucht, die Einheimischen zu verstehen. Selver dagegen stammt von dem Planeten, den die Eindringlinge New Tahiti nennen. Eigentlich sollte er ein Träumer werden, doch vor Einsetzen der Handlung wurden er und seine Frau versklavt. Er unterstütze Lyubov, seine Frau dagegen wurde von Davidson brutal ermordet. Seitdem beginnt Selver aus seinen Erfahrungen und Träumen etwas zu lernen, was auf Athsche zuvor unbekannt war – das Morden.

Das zweite Buch in Grenzwelten ist Die Überlieferung, es wurde in anderer Übersetzung auch schon als Die Erzähler auf Deutsch veröffentlicht.

Im Zentrum der Handlung steht die Linguistin Sati, die als Observantin auf den Planeten Aka geschickt wurde. Dort gibt es keinerlei eigene Kultur mehr, alles wurde dem Ideal des antireligiösen, zentralistischen Staatskonzernes untergeordnet. Bücher und Datenträger wurden vernichtet, gebildete Menschen getötet und noch immer wird zu Denunziationen derjenigen aufgerufen, die etwas anderes als die staatlichen Parolen wiederholen. Aber dann bekommt Sati den Auftrag, in abgelegenes Bergdorf zu reisen und dort ihre Forschungen fortzusetzen. Von einem Agenten des Konzerns verfolgt erreicht Sati das Dorf, wo sie tatsächlich Reste der früheren Kultur und Hinweise auf eine versteckte Bibliothek mit dem Wissen der Vergangenheit entdeckt.

Im direkten Vergleich weisen beide Bücher Parallelen auf. Es sind Fremde auf einem fernen Planeten, doch die einen kommen zum Forschen, die anderen zum Ausbeuten. In beiden Fällen verändern sie die besuchte Welt. Auf Aka galt der Baum als Symbol für die Welt, während auf Athsche der Wald im wörtlichen Sinne die Welt ausmacht. Auch Träume spielen eine große Rolle: Sati träumt von dem, was war, während aus Selvers dunklen Träumen eine Gegenwart entsteht.

Dabei lässt sich in der Nebeneinanderstellung auch eine Entwicklung im Werk der Autorin erkennen. In Das Wort für Welt ist Wald sind sämtliche Protagonisten Männer, in Die Überlieferung steht dagegen eine lesbische Figur im Zentrum. Letzteres erschien im Jahr 2000 und damit fast dreißig Jahre später als Das Wort für Welt ist Wald.

Die beiden einzelnen Bücher passen also zusammen und ermöglichen einen Blick in die Werksentwicklung. Sehr wahrscheinlich wurden sie jedoch nicht aus diesem Grund in einem Band veröffentlicht. Dahinter dürften marktwirtschaftliche Überlegungen stehen, da Kurzromane auf dem deutschen Buchmarkt leider einen eher schweren Stand haben. Auf Englisch sind beide Bücher einzeln erhältlich.

Schreibstil

In Grenzwelten erzählt Le Guin wie gewohnt verdichtet, poetisch und sozialkritisch. In Das Wort für Welt ist Wald wechselt die Erzählperspektive zwischen den drei wichtigsten Figuren, die auf ihre ganz eigene Art die Welt betrachten. Lyubov will als Forscher verstehen, während Davidson alles ablehnt, was nicht in seine Weltsicht passt. Selver dagegen ringt mit dem, was er in der Traumzeit gesehen und in die Weltzeit gebracht hat, denn Träume bilden für die Athscheaner die Wurzel allen Seins.

Das Wort für Welt ist Wald ist kein wildes Feuerwerk an Action, aber dennoch ein extrem brutales Buch. Gerade die Passagen mit dem rassistischen, sexistischen Davidson, der seine Unzufriedenheit an Unterlegenen auslässt, sind keine leichte Lektüre.

Besonders an diesen Stellen scheint das Buch auch vom Vietnamkrieg zu handeln, den die Autorin im Vorwort auch als wichtigen Anstoß für das Schreiben des Werkes benennt. Dennoch lässt sich die Grausamkeit Davidsons nicht auf diesen Krieg beschränken. Zudem wirkt das Buch in Zeiten der Klimakrise auch erschreckend aktuell und mahnend, immerhin plündern die Terraner auf Athsche das, was auf der Erde fehlt: Holz.

In Die Überlieferung wiederum begleiten Leser*innen die ganze Zeit Sati, wissen nicht mehr als sie und können mit ihr Aka kennenlernen. Gleichzeitig blickt man mit ihr in ihren Träumen und Berichten zurück auf die Erde und ihre Erfahrungen dort in einer religiösen, christlichen Diktatur. Auch dies wirkt in Zeiten erstarkender rechts-christlicher Gruppierungen erschreckend aktuell.

Wissen und Bildung bot letztlich den Ausweg, was eine Hoffnung für die Erde mit sich bringt.

Diese Hoffnung begleitet Sati auch nach Aka, wo sie sich ihren Verletzungen stellen muss, um einen Ausgleich herstellen zu können.

Die Übersetzung

Seit einigen Jahren erscheinen bei FISCHER Tor die Neuübersetzungen der Werke Le Guins. Übersetzt werden sie üblicherweise von Karen Nölle. Diese hat auch die Romane in Grenzwelten auf einem hohen sprachlichen Niveau ins Deutsche übertragen. Es gelingt ihr, die verschiedenen Perspektiven auf die Welt und gerade die doch sehr unterschiedliche Sprache in Das Wort für Welt ist Wald zu übersetzen und zu erhalten.

Dennoch gibt es einige sprachliche Auffälligkeiten, die vermutlich darauf abzielen, den Text auch ohne Englischkenntnisse gut zugänglich machen. Der Planet in Das Wort für Welt ist Wald heißt auf Englisch „Athshe“, in der Übersetzung wird „Athsche“. Die Terraner vom Schlage Davidsons nennen die Einheimischen herablassend „Krietschis“, auf Englisch wurde das Wort „creechies“ verwendet. Offensichtlich sollte der Wortlaut nachgebildet werden und Unklarheiten über die Aussprache vermieden werden.

Die Hauptfigur in Die Überlieferung trägt im Original den Namen „Sutty“, auf Deutsch wurde daraus „Sati“.

Möglicherweise wurden diese Wortverwendungen und Anpassungen aus älteren Übersetzungen  übernommen. Ob man sie mag, ist Geschmackssache. In jedem Fall sind sie konsequent umgesetzt. Auch wirken sie nicht so deplatziert wie das „Chef“ in der neueren Herr der Ringe-Übersetzung aus dem Jahr 2000. Stattdessen wirken sie im Gesamttext passend, können jedoch für Kenner*innen der Originalversionen Stolpersteine darstellen.

Die Autorin

Die US-Amerikanerin Ursula K. Le Guin prägte in ihrem langen schreiberischen Leben Fantasy und Science Fiction. Sie verfasste mehr als 20 Romane, etliche Kurzgeschichten, Gedichte und Sachtexte. Sie erhielt sechs Nebula Awards und acht Hugo Awards, einen 1973 für Das Wort für Welt ist Wald.

Erscheinungsbild

Der Einband zeigt zwei Planeten an einem Nachthimmel über einem Regenwald, der nicht zu den Bäumen passt, die für Athsche erwähnt werden. Das Cover signalisiert offensichtlich Science Fiction, sticht jedoch nicht heraus. Immerhin kommt es ohne ein Raumschiff aus.

Die harten Fakten:

  • Verlag: FISCHER TOR
  • Autor*in: Ursula K. Le Guin
  • Erscheinungsdatum: 26.01.2022
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Karen Nölle)
  • Format: Klappbroschur
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN: 978-3-596-70578-8
  • Preis: 16,99 EUR (Print) + 14,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Grenzwelten vereint zwei Romane, die eigentlich relativ wenig miteinander zu tun haben: Das Wort für Welt ist Wald und Die Überlieferung. Sie wurden beide von Ursula Le Guin verfasst, sind von Karen Nölle neu übersetzt worden und im sogenannten Hainish-Zyklus einzuordnen. Dazu verhandeln sie beide Fragen der Identität, üben Kritik am Kolonialismus und zeigen auf sehr unterschiedliche Weisen auf, wie Sprache letztlich Bewusstsein abbildet und formt. Das Wort für Welt ist Wald ist dabei ein ungewöhnlich brutales Buch, das gerade in Zeiten der Klimakrise erneute Aktualität erhält.

Die Überlieferung stellt die Frage und Bedeutung von eigener Kultur ins Zentrum, auf einem Planeten, der von einem Staatskonzern beherrscht wird. Auch dies wirkt erschreckend aktuell.

Beides sind sehr gute Bücher, die etliche Gemeinsamkeiten haben und auch die Entwicklung der Autorin selbst zeigen können. Als einzelne Bände hätten sie jedoch auch funktioniert, einen solchen Gesamtband hätte es nicht benötigt.

Wer Raumschlachten und Lasergefechte sucht, ist hier falsch. Doch wer nachdenkliche Science-Fiction mit komplexen Kulturen und Figuren will, sollte zugreifen.

 

  • Zeitlos und erschreckend aktuell zugleich
  • Vielschichtige Figuren
  • Poetische Sprache
 

  • Doppelband nicht notwendig

 

Artikelbilder: © Fischer Tor
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Denise Hollas
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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