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In einer Gemeinde an der Ostküste Massachusetts’ lebt Sally Owens mit ihren Töchtern. Die Familie ist berühmt-berüchtigt, sollen ihre Mitglieder doch seit Generationen über magische Fähigkeiten verfügen. Als Sallys Schwester Gillian zurückkehrt, werden alle auf die Probe gestellt: Können die Owens-Frauen ihr Schicksal in Practical Magic zum Positiven wenden?

In dem im Juli auf Deutsch, jedoch bereits im Jahre 1995 auf Englisch erschienenen Roman Practical Magic begleiten wir die beiden Protagonistinnen Sally und Gillian Owens sowie Sallys Töchter. Der Alltag der Familie wird vor allem durch das Bild geprägt, das die Bewohner*innen des kleinen Ortes an der Ostküste Massachusetts’ von ihnen haben. Sämtliche Owens-Frauen sollen über magische Fähigkeiten verfügen. So werden sie zum einen gefürchtet, zum anderen geht aber auch eine gewisse Faszination von ihnen aus.

Die Schwestern Sally und Gillian haben beide ihren jeweils eigenen Weg gefunden, mit diesem besonderen Schicksal umzugehen. Während Gillian schnell in jungen Jahren das Weite suchte, bleibt Sally vor Ort und versucht, die Magie aus ihrem Leben fernzuhalten. Doch nicht nur die beiden, sondern auch Sallys Töchter Antonia und Kylie müssen mit der besonderen Stellung, die ihre Familie in dem Örtchen innehat, umgehen und zugleich die typischen Kämpfe der Pubertät ausfechten.

Als Gillian schließlich zu ihrer Schwester zurückkehrt, hat sie Schwierigkeiten im Gepäck und bringt das Familiensystem, in dem die Rollen zwischen Sally und ihren Töchtern klar ausgehandelt sind, gehörig durcheinander. Schließlich wird zudem die Unterstützung der Tanten der beiden Schwestern nötig, die seit der Kindheit für die beiden sorgten und die auch ihre jeweils eigenen Verstrickungen mit den beiden Protagonistinnen haben.

Familienbeziehungen über Generationen hinweg

Drei Generationen der Owens-Familie werden durch je zwei Schwestern abgebildet. Dass sich diese Paare nicht gleichen, sondern jeweils eigene Charaktere mit Stärken und Schwächen aufweisen, ist eine der Stärken des Romans. Auch die Generationen sowie die Beziehungen der jeweiligen Schwestern untereinander unterscheiden sich, sodass die Owens insgesamt eine glaubwürdige Familie darstellen. Sie sind durch eine gemeinsame Geschichte, und damit zusammenhängend durch die ihnen nachgesagten magischen Fähigkeiten, ein gemeinsames Stigma, aneinandergebunden. Die Beziehung zwischen den Tanten, Franny und Jet, verbleibt etwas im Dunklen, wird aber in der Vorgeschichte zu Practical Magic ausführlich erzählt: In The Rules of Magic lernen Lesende die beiden kennen und können so ihr Handeln im vorliegenden Band besser beurteilen.

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Auch die Nebencharaktere sind sehr individuell ausgestaltet, sodass es spannend ist, mehr über sie und ihre Hintergründe zu erfahren. Wie sich diese Hintergründe auf die Beziehungen zu den Owens-Frauen auswirken und welche Motivationen verfolgt werden, ist auf diese Weise gut nachvollziehbar. Trotzdem treten die Nebenfiguren gegenüber den handelnden Protagonistinnen in den Hintergrund. Aufgrund der detailgetreuen Ausgestaltung, mit der Erzählung ihrer Wünsche und Träume, die aber trotzdem den Hauptfiguren ihren Platz im Rampenlicht lässt, wirkt dieses Buch angenehm anders.

Die Weise, wie die Autorin diese Beziehungen darstellt, kann getrost als besonders bezeichnet werden. Plätschernd, wie ein klarer Gebirgsbach, wird die Handlung vorangebracht, es wird erzählt, berichtet, Anekdoten geschildert und gleichzeitig vor Steinen, die den Lauf der Geschichte verändern, verlangsamen oder beschleunigen, nicht Halt gemacht. Die Seiten blättern sich fast von selbst, jedoch nicht, weil es vor Spannung nicht aushaltbar ist, sondern weil die Lesenden immer weitergetragen werden und die Geschichte wie die Landschaft bei einer schönen Spazierfahrt an einem vorbeizieht. Dies hat seine ganz eigene Faszination und einen besonderen Charme, weil es der Autorin damit gelingt, dass Practical Magic nicht langweilig wird.

Magie? Wirklich?

Practical Magic stellt die Schwestern Gillian und Sally in den Mittelpunkt, verweist auf die lange Geschichte der Owens-Frauen, die alle von einer Hexe abstammen und magiebegabt sein sollen. Dies könnte eine gute Basis für eine phantastische Geschichte sein, in der die Frauen ihre magische Begabung nutzen, um Schwierigkeiten zu begegnen (oder diese herauszufordern). Das Problem ist nur: Sie tun es kaum aktiv.

Zwar wird erklärt, dass Sally ihre Begabung ablehnt, aber auch Gillian zaubert nicht wirklich. Die Begabung blitzt hier und da auf, auch bei Sallys Töchtern, doch hier wurde leider Potenzial verschenkt. Die Magie ist trotzdem vorhanden, jedoch wird sie mehr als abergläubische Rituale oder Konsequenzen, die sich beispielsweise aus einer Kombination bestimmter Handlungen ergeben können, geschildert. Kapitel werden mitunter mit derlei Beschreibungen eingeleitet: „Liegen Messer über Kreuz auf dem Esstisch, wird es Streit geben, aber das gilt auch, wenn zwei Schwestern unter demselben Dach wohnen, …“

Einzig die Tanten verwenden aktive Magie. So verwundert es nicht, dass sie, trotz ihrer Abwesenheit über weite Strecken des Romans, eine gewichtige Rolle im Fortgang der Geschichte spielen. Magisches Talent wird an einigen Stellen auch bei Kylie erkennbar. Auch dies birgt eine Geschichte in sich, die, trotz der nicht ausufernden Länge von 304 Seiten, ihren Platz bekommt und nachvollziehbar erzählt wird.

Doch dafür, dass das Hauptaugenmerk laut Titel auf der Praktischen Magie liegt, findet diese, über die gesamte Länge des Buches gesehen, zu wenig statt. Vor allem die Geschichte der Tanten, die in The Rules of Magic erzählt wird, weckt hier andere Erwartungen.

Persönliche Erwartungen: Da hab ich doch den Film gesehen!

Practical Magic ist einer der wirklich seltenen Fälle, in denen ich den Film gesehen habe, bevor ich das Buch in den Händen hatte und in diesem Fall muss ich sagen: Ich habe den Film lange vorher und häufig gesehen, bildete das gemeinsame Anschauen mit meiner Schwester doch eine Halloween-Tradition in meiner Jugend. Umso mehr freute ich mich über die Gelegenheit, nun das Buch zu lesen und zu rezensieren. 

Die Verfilmung zu Practical Magic von Regisseur Griffin Dunne kam 1998 unter dem Titel Zauberhafte Schwestern in die deutschen Kinos. Sally und Gillian werden von Sandra Bullock und Nicole Kidman gespielt. Um nicht zu spoilern, wird an dieser Stelle kein detaillierter Vergleich zwischen Buch und Film vorgenommen, sondern eher das persönliche Erleben widergespiegelt.

Selten habe ich erlebt, dass ein Buch und die Verfilmung sich so ähnlich und gleichzeitig so fremd sind. Die Dynamik zwischen Gillian und Sally, die Beziehung, die Stimmung, die Meinung voneinander, sind komplett unterschiedlich. Obwohl das Gerüst und die Geschichte sich im Groben ähnlich sind, wird der*die Rezipient*in hier kaum Ähnlichkeiten zwischen Buch und Film entdecken können, was das Innenleben der Figuren angeht. Dagegen sind manche Szenen des Films genau aus dem Buch übernommen: Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, ein Buch, das meiner Meinung nach nicht viel mit dem Film gemein hat, zu lesen, erschienen wieder Sandra Bullock und Nicole Kidman vor meinem geistigen Auge und ich wurde wieder in den Film zurückgeworfen.

Weitere äußere Umstände, die wichtig für die Erzählung sind, unterscheiden sich zum Teil erheblich. Beispielsweise sind Sallys Töchter im Buch im Teenager-Alter, während sie im Film viel jünger dargestellt sind. Natürlich sind so die Dynamiken zwischen den Mädchen und ihrer Mutter oder ihrer Tante komplett andere. Weitere Figuren und ihre Beziehung zu den Owens-Frauen kommen oftmals entweder im Film oder im Buch vor, aber selten in beiden. Die Magie und das Zaubern nehmen in der Verfilmung einen größeren Platz ein. Eventuell hat das Vorwissen darum beim Lesen des Buches falsche Erwartungen geweckt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Film eher auf die äußeren Umstände der Geschichte Wert legt, während das Buch seinen Fokus auf die Figuren und ihre Wechselwirkungen setzt. Beides ist reizvoll, doch sollte dies bei Vergleichen zwischen beiden Ausdrucksformen bedacht werden.

Die Autorin

Alice Hoffman ist eine US-amerikanische Schriftstellerin, die 1952 geboren wurde und in Cambridge, Massachusetts, lebt. Sie verfasste viele Bücher für Erwachsene und Kinder, die, obwohl sie in der Regel phantastische Elemente aufweisen, stets einen großen Realitätsbezug haben. Ihr gesamtes Werk und mehr Informationen können auf ihrer Homepage eingesehen werden.

Dort finden sich auch Informationen zu zwei weiteren Büchern, die sich mit den Owens-Frauen befassen und bisher nicht in deutscher Übersetzung erschienen sind: Magic Lessons, das das Leben von Maria Owens, der Urahnin der Familie, in Salem schildert und The Book of Magic, das sich mit Kylie Owens befasst (erscheint in englischer Sprache am 18. Oktober 2022). Neben Practical Magic ist bereits The Rules of Magic, das das Leben der beiden Owens-Tanten schildert, auf Deutsch erschienen.

Erscheinungsbild

Das Paperback ist in Pastelltönen gestaltet: Abgebildet sind ein Hügel und ein Haus, das typisch für die US-amerikanische Ostküste ist. Größtenteils sieht man jedoch einen wolkenverhangenen Himmel, auf dem eine Sternenkette stilisiert dargestellt wird. Diese Sterne, ebenso wie die im „G“ des Wortes Magic thronende Katze (obwohl keine Katze im Buch vorkommt), geben Hinweise auf die magischen Elemente von Practical Magic, während der Rest des Covers einen leichten Familienroman andeutet.

Erfreulicherweise sind sowohl auf der Rückseite als auch auf dem Klappentext Inhaltsangaben, die dem Inhalt auch tatsächlich entsprechen, abgedruckt. Der Fokus wird auf die Beziehung der Schwestern und den Hintergrund der Familie gesetzt. Auf der hinteren Klappe werden die Autorin und die Übersetzerin vorgestellt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fischer Tor
  • Autor*in: Alice Hoffman
  • Erscheinungsdatum: 27.07.2022
  • Sprache: Deutsch (Aus dem Englischen übersetzt von Eva Kemper)
  • Format: Paperback
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN: 978-3-596-70061-5
  • Preis: 18 EUR (Print) + 14,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (deutsch und englisch), idealo

 

Ein Familienroman mit einer Prise Magie

Mit Practical Magic begeben wir uns tief in die Leben von Sally und Gillians Owens, Schwestern, die sich nach langer Zeit wiedersehen, weil letztere in Schwierigkeiten geraten ist. Die Frauen der Owens sind in dem kleinen Örtchen an der Ostküste der USA als Hexen verschrien und versuchen, dem auf unterschiedliche Weise zu begegnen. Auch Sallys Töchter sind von diesen Vorurteilen und den Ereignissen, die Gillians Rückkehr lostreten, betroffen und müssen ihre Rolle sowohl in der Familie als auch im Leben finden. Nicht zuletzt sind da die Tanten Jet und Franny, die ebenfalls auf ihre Weise im Familiengefüge eine Rolle spielen. Die Owens-Frauen brauchen sich und Magie, damit sich alles zum Positiven wendet.

Wenn man einen interessanten, abwechslungsreichen Familienroman mit gut ausgestalteten Frauenfiguren sucht, kann man getrost zu Practical Magic greifen. Es macht Spaß, das Zusammenspiel und die Entwicklung der Frauen hin zu einer Familie zu sehen und an ihrem Leben teilzuhaben. Die teilweise blumige Sprache und die Schilderung von abergläubischen Ritualen in Verbindung mit einer soghaften Erzählweise tun ihr Übriges, eine angenehme Lesezeit zu verschaffen.

Legt man dagegen Wert auf einen phantastischen Roman mit ungewöhnlichem Weltenbau und innovativen Magieansätzen, wird man mit dem Roman keine Freude haben. Auch diejenigen, die große Fans des Films von 1998 sind, könnten ihre Schwierigkeiten mit dem Buch haben, da es sich teilweise sehr stark vom Film unterscheidet.

 

als Phantastikroman:

als Familienroman:

  • Gut ausgestaltete Protagonistinnen
  • Ungewöhnliche Erzählweise
  • Glaubhafte Familienverstrickungen
 

  • Kein klassisch phantastischer Roman
  • Wenig Magie

 

Artikelbilder: © Fischer Tor
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Maximilian Düngen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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