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Der Tradition entsprechend, besteht eine ideale Rollenspielrunde aus drei bis fünf Spielenden und einer Person, welche die Spielleitung übernimmt. Mehr gilt als chaotisch, weniger als langweilig. Es fehle dann an Interaktion zwischen den Mitspielenden, so sagen die Vorurteile. Doch das Rollenspiel zu zweit hat Vorteile, die es besonders machen.

Viele Gruppen im Rollenspiel bestehen aus mehreren Held*innen, die zusammen Abenteuer bestreiten. In Büchern, Comics, Filmen und Serien steht oft eine Gruppe im Mittelpunkt. Doch viel mehr Geschichten handeln von einzelnen Protagonist*innen, die sich allein allen Widrigkeiten stellen. Beispiele dieser Art Geschichten gibt es unzählige: Batman, Buffy, Indiana Jones, Jessica Jones, Sherlock Holmes, Xena und viele andere. Nun ja, sie arbeiten nicht ganz allein, denn oft werden diese Figuren von treuen Begleiter*innen unterstützt. Doch trotz ihrer Unterstützung stehen diese Held*innen im Zentrum der Geschichte.

Genau hier setzt das Medium Rollenspiel in einer besonderen Art und Weise an. In der kleinsten Konstellation spielen zwei Menschen miteinander. Eine Person stellt den Hauptcharakter einer Geschichte dar und die zweite übernimmt die Rolle von Erzähler*in und Spielleitung. In dieser kleinen Runde beginnen sich besonders immersive Geschichten zu entfalten.

Funktioniert Rollenspiel zu zweit?

Letztlich braucht es für eine Rollenspielrunde nur zwei Personen: Eine, die spielt, und eine andere, die das Spiel leitet. Im Folgenden wird dafür der Begriff Rollenspielduett genutzt.

Im Gegensatz zu größeren Runden hat diese Art des Spiels einige Besonderheiten und Herausforderungen, auf die noch genauer eingegangen werden wird.

Das „Wie“ dieser Art Rollenspiel ist klar: Eine Person spielt und die andere leitet das Spiel. Idealerweise können beide sich beim Leiten und Beschreiben von Szenen abwechseln, was hier ganz gut funktioniert. Da Rollenspiel zu zweit den Aspekt des Erzählens hervorhebt, liegt der Fokus auf der Geschichte und nicht auf komplexen Regeln.

Das „Wo“ ist deutlich interessanter. Eine große Gruppe kann oft nur am Tisch, vielleicht am Lagerfeuer oder virtuell zusammen spielen. Doch eine kleine kann fast überall spielen: bei Spaziergängen, langen Autofahrten, über das Telefon, virtuell oder eben klassisch am Tisch. Gewürfelt wird dann mit improvisierten Würfelbechern, Würfelapps oder gar nicht.

Würfeln unterwegs

Ein Mitspieler hat zu diesem Thema einen besonders charmanten Vorschlag gemacht. Er und seine Partnerin nutzen eine durchsichtige Brotdose oder ein Glas mit durchsichtigem Deckel mit einigen Würfeln, um unterwegs Würfeln zu können.

Beim Thema „Wer“ wird es noch interessanter. Rollenspielduette bieten sich für Freund*innen, Ehepartner*innen oder Eltern und Kinder an. Je einfacher die Regeln, desto besser.

Stärken

Das Spielen in solchen kleinen Gruppen hat einige entscheidende Vorzüge. Der SC ist die Hauptfigur einer Geschichte, die direkt auf diese zugeschnitten ist. Das bedeutet ein intensives Rollenspiel mit Fokus auf einen Charakter und seine Hintergründe.

Entscheidungen können unabhängig von anderen getroffen werden, was viel mehr Freiheiten gestattet.

Die Pflege von Beziehungen zu NSCs kann auf Wunsch in größerem Umfang eingebunden werden, was Kontakten, Freund*innen, Familie und Liebhaber*innen des SCs mehr Raum gibt. Das bedeutet auch mehr Raum für persönliche Emotionen des Charakters, denen in einer großen Runde seltener viel Aufmerksamkeit gewidmet werden kann. Für den*die Spielende*n gibt es praktisch keine Wartezeit. Der Charakter steht fast immer auf der Bühne und darf agieren. Nie muss auf andere Charaktere gewartet werden. Auch fallen Diskussionen mit anderen Mitspielenden und deren Charakteren weg, was mehr Interaktion mit der Spielwelt bedeutet. Insgesamt führt es zu einem viel tieferen Eintauchen in die Spielwelt.

Mehr Raum für persönliche Interessen des Charakters bedeutet auch mehr Raum für tiefgehende Dialoge mit NSCs und Müßiggang im Spiel, sofern beide Spielenden damit einverstanden sind. Wichtige Dialoge mit NSCs können vollumfänglich ausgespielt werden, weil die Zeit dafür vorhanden ist. Da Termine für gemeinsame Spieleabende effektiver und damit häufiger vereinbart werden, wird Zeit im Spiel zu einem Luxus, den größere Runden nicht haben.

Wo wird die Reise hinführen? Foto © EvgeniyShkolenko | depositphoto.com

Herausforderungen

Mit den Stärken kommen auch einige Eigenarten daher, die allerdings nicht als Nachteil von Rollenspielduetten zu betrachten sind. Beide Spielenden werden in Hinblick auf Kommunikation und Aufmerksamkeit stark gefordert. Das kann dazu führen, dass schon nach zwei bis drei Stunden die Aufmerksamkeit nachlässt. Es bietet sich daher an, häufiger Pause zu machen, damit beide Mitspielenden sich sammeln können.

Die ständige Aufmerksamkeit auf einen einzigen SC bedeutet natürlich auch viel rollenspielerische Energie. Für Spielende, die an die Wartezeiten größerer Runden gewöhnt sind, kann die ständige Präsenz auf der Bühne einschüchternd wirken. Der*die Spielende muss ständig mit seinem*ihrem Charakter agieren und reagieren. Es gibt kaum Bedenkzeit, was spontanen Entscheidungen mehr Bedeutung und Konsequenz verleiht.

Beispielsweise muss die Entscheidung, ob die gegnerische Wache nun betört, überwältigt oder ob daran vorbeigeschlichen wird, vom Charakter unmittelbar getroffen werden. Es gibt keine Unterstützung oder bessere Talente anderer SCs. Aber wie auch in großen Runden können Fehlschläge neue Handlungsfäden eröffnen.

Ebenso muss die Möglichkeit eines Scheiterns oder im schlimmsten Fall des Charaktertodes in Runde null besprochen werden. Außer hilfreichen NSCs wird niemand den SC retten. Letztere Situation sollte sparsam eingesetzt werden, da sonst die NSCs dem SC den Rang ablaufen.
Wie oben schon erwähnt, fällt den Rollen von NSCs mehr Bedeutung zu. Gefährt*innen, Kontakte und Rival*innen haben viel größere Rollen und über kurz oder lang wird der SC ein dichtes Netz an verschiedenen Beziehungen spinnen. Potenzielle Gefährt*innen dienen der Spielleitung stärker noch als in größeren Gruppe als Sprachrohr, um den Charakter am Plot entlangzuführen. Beispielsweise kann es passieren, dass der Charakter einen Wahrnehmungswurf nicht schafft oder einen relevanten Hinweis ignoriert. Dann könnte ein NSC darauf aufmerksam machen.

„Oh, sieh mal. Könnte das eine Spur sein?“ Foto © 008Melisa | depositphoto.com

Das Fehlen von Interaktionen mit anderen SCs und Spielenden führt unweigerlich dazu, dass beide Personen geradezu durch die Handlung rasen. Es kann sehr viel mehr Plot in kürzerer Zeit geschafft werden, wenn man das möchte. Eine Geschichte, die mit einer großen Gruppe zwei bis drei Spieleabende kosten kann, wird mit einem*einer Mitspielenden wahrscheinlich nur einen Spieleabend dauern.

In Hinblick auf die NSCs sollte sich die Spielleitung darauf einstellen, dass sie schneller und öfter zwischen den NSCs wechseln muss, was eine Belastung darstellen kann. Eine gute Buchführung über die NSCs kann hier helfen.

Die größte Herausforderung bei Rollenspielduetten mag die mangelnde Unterstützung durch andere SCs darstellen. Der SC wird oft allein Herausforderungen bewältigen müssen, egal, ob diese sozialer, intellektueller oder kämpferischer Natur sind. Auch gibt es keinen Austausch mit anderen SCs und einen damit verbunden alternativen Blickwinkel.

Mehr noch als in jeder anderen Gruppenkonstellation, muss beim Rollenspiel zu zweit ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen beiden Mitspielenden herrschen, denn unweigerlich wird das Rollenspiel tiefgründiger und emotionaler, gerade in Hinblick auf die vielseitigen NSC-Beziehungen.

Ratschläge

Diesen Herausforderungen kann man mit einigen einfachen Maßnahmen begegnen.

Hilfreich sind in jedem Fall mehr Pausen, um beiden Spielenden die Gelegenheit zu geben, sich zu sammeln oder schlicht zu verschnaufen.

Die fehlende Unterstützung des SCs kann mit NSCs ausgeglichen werden. Hier sollte die SL darauf achten, dass die NSCs dem SC nicht die Show stehlen. Der Hauptcharakter ist immer noch die wichtigste Figur der Geschichte. Die Spielleitung sollte sicherheitshalber etwas mehr Handlung vorbereiten und sich darauf einstellen, zu improvisieren, falls die eigentliche Handlung zu schnell durchgespielt wird.

Ein weiterer Punkt, den es zu beachten gilt, ist die Vielfalt von Fähigkeiten in einer größeren Gruppe. Dort können die SCs fehlende Fähigkeiten und Talente ihrer Gefährt*innen oft ausgleichen. In Rollenspielduetten können das entweder NSCs mit oben genannten Einschränkungen übernehmen oder die SL gesteht dem SC mehr Fähigkeiten und Talente zu. Für letzteres spricht, dass einsame Wölfe oft mehr Talente besitzen als Held*innen in einer Gruppe.

Wünsche und Tabus sollten, wie auch in jeder anderen Konstellation, in Runde null miteinander abgesprochen werden. Da der SC auch der Hauptcharakter der Runde wird, sollte an dieser Stelle gemeinsam ein Fahrplan erstellt werden, wohin die Reise beider Mitspielenden gehen soll. Es können und sollten auch verteilte Erzählrechte angewendet werden, um den*die Mitspieler*in stärker mit einzubeziehen und die Spielleitung zu entlasten.

Tiefgründige Kommunikation ist eine Stärke des Rollenspiels zu zweit. Foto © olga1818 | depositphoto.com

Rollenspielsysteme

Prinzipiell können alle Rollenspielsysteme zu zweit gespielt werden, allerdings bieten sich wegen der dichten Spielatmosphäre einige Systeme für Rollenspielduette an. Das Spiel ZweiKopfDämon wurde extra für das Rollenspiel zu zwei konzipiert. Als großes und populäres System steht die Welt der Dunkelheit als Erzählsystem für persönlichen Horror an besonderer Stelle. Die Untersysteme der Welt der Dunkelheit, ganz speziell Vampire und Bastet eignen sich hervorragend fürs Rollenspiel zu zweit. Aus naheliegenden Gründen sind Vampire und Katzen der Inbegriff von Einzelgängern und daher besonders für Rollenspielduette geeignet. Auch Magus: Die Erleuchtung und Wraith: The Oblivion bieten sich an. Die Systeme Private Eye und Scion-Hero sind ebenfalls hervorragend für Spieleabende zu zwei geeignet.

Auf der anderen Seite können Systeme, die stark auf Gruppenarbeit setzen, zu zweit recht anspruchsvoll werden. In Shadowrun, DSA und D&D können Herausforderungen natürlich auch von einem einzelnen SC bewältigt werden, allerdings werden Anpassungen notwendig sein.

Bei Shadowrun gibt es eine Ausnahme, denn in Rollenspielduetten kann endlich ein*e Decker*in zeigen, wo in der Matrix der schwarze Hammer hängt. Oft genug muss ein SC mit Matrixfähigkeiten in größeren Runden warten oder seine Matrixzauberei allein auswürfeln. Im Rollenspiel zu zweit können Runs in der Matrix zu voller Blüte getrieben werden.

Fazit

Rollenspielduette haben, wie jede andere Rollenspielgruppe, viele Vorzüge und einige Herausforderungen.

Als größten Nachteil kann die fehlende Interaktion mit Gruppenmitgliedern betrachtet werden. Dem gegenüber steht die intensive Kommunikation zwischen den Spielenden. Auf letzteren Punkt baut das intensive Beziehungsgeflecht zwischen SC und NSCs auf.

Ein weiterer Punkt ist das Anpassen der Geschichte an den Charakter, denn er wird hier der*die einzige Protagonist*in einer Geschichte. Die Verbindung zwischen den beiden Spielenden wird im Rollenspielduett mehr hervorgehoben. Es ist ein Miteinander, wenn die Spielleitung in die Rolle einer Figur schlüpft und tiefgründige Gespräche ausgespielt werden können, für die anderswo keine Zeit bleiben würde.

Zusammenfassend sei gesagt, dass Rollenspiel zu zweit eine besondere Form des Rollenspiels ist, die allen Freund*innen atmosphärischer Szenen ans Herz gelegt werden kann. Für Spielende ist das gute Gefühl, die einzige Hauptfigur der Geschichte zu sein, eine bereichernde Erfahrung. Für die Spielleitung ist es eine Möglichkeit, eine Geschichte für einen Charakter allein zu erstellen oder bestimmte Handlungsstränge zu testen.

In jedem Fall sei beiden Spielenden empfohlen, die Rolle des*der Spielenden und Spielleitung zu wechseln, gerne auch in derselben Kampagne.

 

Artikelbilder: © grandfailure, © EvgeniyShkolenko, © 008Melisa, © olga1818 | depositphoto.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Maximilian Düngen

1 Kommentar

  1. Es ist spannend zu lesen, dass Tino auf ähnliche Vor- und Nachteile kommt, wie ich das vor ein paar Tagen auch beschrieben habe, rein aus meiner eigenen Erfahrung heraus.

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