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Die letzte Woche, in der es uns um Gleichberechtigung ging, war eine interessante und lehrreiche für Annika. Obgleich sie selber keinen Artikel zum Thema beigesteuert hat, hat sie die Reaktionen und Diskussionen verfolgt und dabei viel gelernt: über sich, über andere und über das Thema an sich.


Alle Artikel der Themenwoche zur Gleichberechtigung:


Ich habe den Mut unserer Autoren bewundert, die sich mit einem Artikel beteiligt haben – denn uns allen war klar, dass Gleichberechtigung ein sensibles Thema ist, welches die Gemüter bewegt.

Gegenwind

Nicht unerwartet war für mich, dass der Diskurs in den Kommentarspalten teilweise hart geführt wurde. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass sich eher an Formulierungen bzw. Deutungen bestimmter Begriffe hochgezogen wurde als an dem Inhalt selbst, der ja teilweise nicht einmal dem widersprach, was die Diskutierenden selber vertreten. Ein kurzer Hinweis auf die falsche Nutzung von Begriffen ist gut und wichtig, dann weiß man es in Zukunft besser – viel wichtiger finde ich aber eine Diskussion über den Inhalt.

Irritierend fand ich die Beanspruchung der Deutungshoheit an mancher Stelle. Da wurde von einem Schaden gesprochen, den wir mit manchen Aussagen anrichten würden. Man sagte, dass Leute, die es besser wissen, Schadensbegrenzung für uns betrieben haben; dass wir uns in die Nesseln gesetzt haben und Ähnliches. Ich war immer der Auffassung, dass das komplexe Themenfeld Gleichberechtigung keinen starren Rahmen hat. Dass für den einen Gleichberechtigung ganz woanders anfangen kann als für mich und dass auch die Definition auseinandergehen kann. Ich finde es nicht hilfreich, wenn ein Rahmen abgesteckt wird und bestimmt wird, dass alles, was sich darin abspielt, richtig ist – und alles außerhalb dieses Rahmens nicht.

Auf Twitter habe ich einige Threads verfolgt, die durchaus kritisch waren, aber trotzdem konstruktiv (danke zum Beispiel an Elea Brandt, die in meinen Augen eine sehr sachliche Kritik angebracht hat). Beim Scrollen durch die anderen Kommentare ist mir dann einer aufgefallen, der sich auf einen alten Artikel von mir von 2011 bezog, der im Zuge der Woche aber nochmal verlinkt wurde:

… ich hab‘s satt, immer erased zu werden.

Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man selber in Texten keine Erwähnung findet, wenn die Gesellschaft sich mit Definitionen schwer tut oder seltsam befangen reagiert? Wenn man immer wieder für die Anerkennung kämpfen muss? Ich habe noch nie darüber nachgedacht, fand es aber traurig, dass ein alter Text von mir in anderen ein Gefühl des Ignoriertwerdens ausgelöst hat. Ich werde daran in Zukunft denken. Davon ab hätte ich den Artikel heute anders geschrieben, in den acht Jahren hat sich ja viel verändert.

Aufklärungsarbeit

Mir ist aufgefallen, dass „die andere Seite“ der Leute, die sich seit Jahren mit dem Thema befassen und schon viele Gefechte im Namen der Gleichberechtigung gefochten haben, schnell genervt reagierten, zur verbalen Keule griffen. Klar, wenn man schon jahrelang immer das Gleiche sagt, anderen erklären muss, worum es geht und Ignorante und Hater in ihre Schranken verweist, ist man irgendwann müde. Kommt dann auch noch jemand daher, der sich erstmals bewusst mit dem Thema auseinandersetzt und Dinge äußert, von denen man dachte, sie wären längst ausgestorben, fühlt es sich an wie ein frustrierender Kampf gegen Windmühlen.

Ich habe überlegt, wie ich reagieren würde und festgestellt: Ja, auch bei mir gibt es Themen, wo ich immer wieder von vorne anfange, Aufklärungsarbeit leiste und falsche Aussagen richtig stelle. Auch ich reagiere da bisweilen genervt. Deswegen fand ich diese Kommentare auf Twitter hier so treffend:

Vielleicht denken wir, oder fühlen unbewusst, dass wir uns mit dieser Zeit und mit der Arbeit darin, ein Recht erworben haben, mit null Toleranz von oben drauf zu hauen, wenn wir etwas sehen, an dem wir uns so lange abgearbeitet haben. Aber das ist natürlich Quatsch. Wenn wir weiter produktiv an diesem Diskurs arbeiten wollen, sollten wir nach außen nicht nur die Stacheln zeigen, sondern mit dem Verständnis auf Menschen zugehen, das wir vielleicht selbst mal benötigt haben. Als vor 5 Jahren GG passierte, wusste ich nicht viel über Feminismus. Ich hatte keine Ahnung von struktureller Gewalt und Ungleichheit. Ich kann nicht sagen, dass ich klein oder dumm gewesen wäre. Aber ich habe Vieles nicht gewusst. Und vieles nicht sofort verstanden. Und ich weiß, dass es ein schwieriger und langer Prozess war, diese Dinge zu verstehen. Ein Prozess, der nicht abgeschlossen ist und es vermutlich nie sein wird. Obwohl – oder weil – ich ihn als männlich sozialisierter Mensch mit privilegierten Voraussetzungen durchlaufe.

Ich werde mir in Zukunft ein Beispiel an diesen Worten nehmen und meinerseits versuchen, anderen das Verständnis entgegenzubringen, welches am Anfang einfach erforderlich ist. Man kann nicht erwarten, dass jemand, der den ersten Fuß auf ein Themenfeld setzt, über das gleiche Wissen verfügt wie jemand, der sich schon jahrelang mit dem Thema auseinandersetzt. Wenn man auf vermeintlich Ahnungslose draufhaut, erreicht man nur, dass diese sich wieder abwenden.

Leute mit vernünftigen Ansichten und weniger dickem Fell werden sich erst gar nicht zu solchen Themen äußern, weil sie Angst haben, zur Zielscheibe für Anfeindungen, Spott und Häme zu werden. Kann ich verstehen – aber gerade bei solchen Themen ist es wichtig, dass möglichst viele mitziehen, damit man irgendwann vielleicht nicht mehr darüber reden muss, weil es selbstverständlich ist. Ein Blick über die eigene Filterblase hinaus ist immer mal wieder gut, um andere Sichtweisen zu hören und die eigene Position zu prüfen.

Ich habe diese Woche interessiert verfolgt und viel für mich mitgenommen. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, wir könnten alle (gerade bei so sensiblen Themen) einfach mal hinter unserer Barrikade hervorgucken und entspannt auf den anderen zugehen, Fehler verzeihen und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ich schließe mich da selbst nicht aus. Ich sehe, dass es geht, auch im Rahmen dieser Woche habe ich gute Diskussionen verfolgt, die sachlich und konstruktiv geführt wurden. Es wäre schön, wenn das überall gelingen würde, denn gerade bei emotional aufgeladenen Themen brauchen wir kühle Köpfe.

Stimmen der Teilzeitheld*Innen

Da ich nicht die Einzige war, die diese Woche gespannt verfolgt hat, möchte ich hier abschließend auch ein paar meiner Kolleginnen zu Wort kommen lassen, wie sie die Woche wahrgenommen haben:

„Niemand von den TZH deklariert seine Auffassungen und Artikel als vollumfänglich, fehlerfrei und unantastbar. Zwar ist ein sachlicher Dialog entstanden, für den ich mehr als dankbar bin, jedoch waren wir auch mit viel Kritik vom hohen Ross herab konfrontiert: Unter Berufung auf vorhandenes umfänglicheres Wissen wurde von Einzelpersonen mit (vermeintlicher) Deutungshoheit der Vorwurf generiert, die TZH seien entweder ahnungslos oder – schlimmer noch – problemverstärkend. Auf den Vorschlag, Gastbeiträge einzureichen, wurde mit Ablehnung reagiert und erneut zu Vorwürfen gegriffen.

Diese suggerieren, es würde unsererseits eine Verschiebung der Verantwortung für eine gute Recherche o. Ä. vorgenommen werden. Dass das nicht nur zu verhärteten Fronten und verschenkten Potenzialen hinsichtlich weiterer Gespräche zum Thema führt, liegt auf der Hand: Wer fürchten muss, sich selbige durch hobbybezogene erste Gehversuche in einem gigantischen und furchtbar wichtigen Themenkomplex zu verbrennen, wird zukünftig lieber die Finger davon lassen. Das Thema würde demnach selbst für eigentlich interessierte Autoren zu einem NoGo und zu etwas, das jedes Szenemagazin bevorzugt vermeidet.“


Wenn eine Seite wie Teilzeithelden, die sich eher selten politischen Themen widmet und einer Vielzahl unterschiedlicher Autor*innen eine Plattform bietet, sich entscheidet, eine Woche lang das Thema Ungleichheit zu beleuchten, kann man sich auf so manches gefasst machen. Einigen sind die Artikel zu politisch, anderen nicht politisch genug, einige Autor*innen haben wenig Erfahrung damit, über sensible Themen zu schreiben, einige Leser*innen haben wenig Erfahrung damit, sensible Themen zu kommentieren – mit dieser ganzen Palette war zu rechnen und so ziemlich alles davon ist auch eingetreten. Drei Punkte möchte ich aber besonders hervorheben:

Internes Management: Es macht einen Unterschied, ob ich darüber schreibe, wie ich ein Spiel bewerte, oder ob ich über persönliche Erfahrungen schreibe. Insbesondere bei heiklen Themen wie körperlicher Autonomie kann niemand erwarten, dass der daraus resultierenden Diskussion mit Gleichmut und Objektivität begegnet wird. Die erste Priorität der Seite muss dem Sicherheitsgefühl der Autor*innen dienen, die heikle und persönliche Themen ansprechen. Nach meinem Eindruck hat Teilzeithelden das nicht schlecht gehandhabt – wir hätten uns aber im Vorhinein schon darüber klar sein können, dass dies zusätzliche Zeit und Energie erfordern würde. Gruppendynamik in den Kommentaren: Die Diskussion um den Gamer-Girl-Artikel fand ich wenig verwunderlich. „Feminismus und Videospiele“ ist ein heftig umkämpfter Themenkomplex, in dem sich in den letzten Jahren viel getan hat und der Ton schon immer etwas schärfer war. Allerdings war interessant mitanzusehen, wer sich dazu wie stark positionierte, da Alexa in ihrem Text eine Meinung vertrat, die noch vor wenigen Jahren als extrem unproblematisch gesehen wurde und nun sehr heftige Ablehnung erfuhr. Ich hatte den Eindruck, viele nahmen das zum Anlass, die eigene, noch recht neue Position zu prüfen und zu festigen. Letztlich gehört auch dieser Aspekt zum Sinn einer Themenwoche und ich finde nicht, dass er dem Diskurs geschadet hat.

Fehlende Intersektionalität: Ein wenig bedauerlich finde ich hingegen, dass wir in dieser recht spontanen und natürlich auf konkrete Ereignisse in der Szene antwortenden Aktion sehr selbstverständlich Geschlechterfragen in den Vordergrund gestellt haben und andere Faktoren von Ungleichheit kaum Beachtung fanden. Judith C. Vogt merkte auf Twitter an, wir hätten das Ganze auch gleich Feminismuswoche nennen können, und hatte damit nicht unrecht. Ich fände es schön, wenn wir bei etwaiger Wiederholung andere Themen mit einbeziehen könnten oder aber einfach bei Gelegenheit nochmal weitere Themenwochen anschließen.

Rassismus in der Phantastik und im Rollenspiel ist bestimmt noch nicht erschöpft (Februar ist z.B. Black History Month), mit ausreichender Planung und ggf. gezieltem Anwerben von Gastautor*innen könnte man sich aber quer durch die Ressorts auch mal LGBT-Fragen (wäre ein schönes Sommer-Thema während die CSDs veranstaltet werden) oder dem Thema Behinderung widmen.


Ich fand, dass man wieder gesehen hat, dass manche Leute denken, dass Gleichberechtigung bedeutet, man muss sofort von „seinem Kuchen“ etwas abgeben und auf die Barrikaden gehen oder diejenigen, für die man Gleichberechtigung fordert sich aufregen, bevormundet oder angegriffen zu werden.


Eine meiner Hauptbeobachtungen ist, dass die Meinungen im Grunde gar nicht so weit auseinandergehen, sich dann aber an irgendwelchen Formulierungen oder aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen aufgehängt wird – um vielleicht den eigenen Standpunkt valider zu machen, oder um seine eigene Meinung abzugrenzen und als wichtiger und richtiger darzustellen.

Artikelbild: © VadimVasenin|depositphotos

2 Kommentare

  1. Moin zusammen,
    erst mal, danke für den rückblickenden und reflektierenden Artikel. Ich möchte das mit dem Feminismus noch richtig stellen: Es ist nicht so, dass ich kritisiert habe, dass es um Gleichberechtigung statt um Intersektionalität geht und deshalb meinte, dann könne man die Woche auch Feminismus-Woche nennen.
    Meine Aussage war: „Gleichberechtigung“ denkt immer nur in den Kategorien Männer und Frauen, während intersektionaler Feminismus alle Formen von Marginalisierung mitdenkt. Ich würde mich also FREUEN, wenn es ne Feminismus-Woche und es somit auch beispielsweise nonbinäre, genderqueere und inter Menschen mitgedacht würden, und man den Fokus von „Frauen auf der einen Seite, Männer auf der anderen“ auf die vielfältigen Ausprägungen von Marginalisierung in unserem vorherrschenden System richten könnte.
    Ich wiederhole also einfach noch mal, was ich eigentlich ständig sage: Feminismus ist NICHT nur „für Frauen“ und Feminismus dreht sich nicht um Gleichberechtigung von Frauen. Feminismus kritisiert das vorherrschende patriarchale System, und eine Woche, die sich dem widmet, könnte sich gut und gern Feminismus-Woche nennne und damit mithelfen, das Wort salonfähiger unter Rollenspielenden zu machen. Ich bin es nämlich ein bisschen leid, immer gegen das 70er Jahre Vorurteil „Feminismus will Frauen an die Macht bringen“ anzulaufen und habe das in meinen Tweets zum Thema auch eigentlich anders erklärt, als ich hier zitiert wurde. ;)
    Schöne Grüße
    Judith

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