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geschrieben von Johannes Wenzel

Über zwei Jahre ist es her, dass Wonder Woman weltweit in den Kinos anlief. Der Film war nicht nur ein finanzieller Erfolg, sondern begeisterte Kritiker und Zuschauer. Dennoch gab es auch Stimmen, welche der Superheldin jeglichen feministischen Subtext absprachen und sie als naive Mutterfigur abstempelten. Sind diese Vorwürfe berechtigt?


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Ist Wonder Woman tatsächlich eine Inspiration für mehr weibliche Perspektive im (Comic-)Kino gewesen? Alles Fragen, die vor dem Erscheinen der Fortsetzung im kommenden Jahr endgültig beantwortet werden sollten.

Superhelden – eine Männerdomäne?

Bis zum Jahre 2017 waren Superheldenfilme vor allem eines: männlich geprägt. Regisseure und Hauptdarsteller in Comic-Verfilmungen waren weitgehend Männer, sicherlich auch der damaligen Zielgruppe geschuldet. Denn erst durch den großen Marvel-Boom, beginnend mit Iron Man (2008), öffnete sich das Genre einem Mainstream-Publikum. Der massive Erfolg, den das MCU allerspätestens mit dem ersten Crossover-Film The Avengers (2012) von Joss Whedon verbuchen konnte, trug dazu bei, dass gerade in der Film- und Fernsehwelt auch zunehmend Frauen einen Zugang zu Verfilmungen aus dem Hause Marvel fanden.

© Warner Bros.
© Warner Bros.

Auf der Leinwand selbst gab es selbstverständlich bereits seit langer Zeit weibliche Figuren, die über das Klischee der „Damsel in Distress“ (= Jungfrau in Nöten) hinausgingen, jedoch waren feministische Interpretationen eher die Ausnahme. Michelle Pfeiffer in Batman Returns (1992) und Anne Hathaway in The Dark Knight Rises (2012) beeindruckten in der Rolle der Selina Kyle alias Catwoman als eine der beliebtesten weiblichen Figuren des großen Marvel-Konkurrenten DC-Comics, beide erhielten in ihren jeweiligen Filmen eigenständige Handlungsstränge.

Scarlett Johansson hingegen durfte zwar Seite an Seite mit den großen männlichen Stars der Avengers-Reihe kämpfen, verkommt aber bis auf ihren sehr menschlichen Auftritt in Captain America: Return of the First Avenger (2014) häufig zur sexualisierten Nebenfigur, die allzu oft eher durch erotische Ausstrahlung statt charakterlicher Entwicklung einen Eindruck beim Publikum hinterließ.

Wonder Woman – Ein Augenöffner?

Die Sicht der breiten Öffentlichkeit auf Frauen als Superheldinnen änderte sich erst nachhaltig, als die israelische Schauspielerin Gal Gadot ihren großen Auftritt in Wonder Woman (2017) bekam. Unter der Regie von Patty Jenkins, die zuvor unter anderem mit dem Biopic Monster (2003) brillierte und deren Federführung bereits im Vorfeld eine gewisse weibliche Perspektive versprach, sollte der Film vor allem der erste große Triumph des DC Extended Universe werden. Zuvor waren die ersten drei Filme des zusammenhängenden Franchises bei den Kritikern allesamt durchgefallen. Ironischerweise wurde die Rolle von Diana Prince in Zack Snyders Batman vs. Superman: Dawn of Justice (2016) von vielen Zuschauern als eines der besten Elemente eines ansonsten unerträglich zusammengewürfelten Filmes wahrgenommen, dessen Titelfiguren im Vergleich zu Wonder Woman wie zwei streitende Bengelchen wirkten.

© Warner Bros.
© Warner Bros.

Doch Gal Gadots souveränes Spiel hinterließ einen positiven Eindruck, der sich für viele in ihrem eigenen Solo-Film bestätigte: Wonder Woman war ein Riesenerfolg. Trotz der klassischen Origin-Story und dem Abziehbild eines Bösewichts (David Thewlis hätte lediglich die Tarngestalt, auf keinen Fall jedoch das schnurrbart-tragende, wahre Gesicht des mörderischen Kriegsgott Ares sein dürfen) überraschte der Streifen mit einer ausgezeichneten Mischung aus ordentlicher Action, einem gewissen Maß ein Ernsthaftigkeit und dennoch angenehm humoristischen Szenen.

Trotzdem fand nicht jeder seinen Gefallen am ersten kommerziellen Erfolg einer Comic-Verfilmung mit weiblicher Hauptrolle: Zu naiv, zu mütterlich sei die Interpretation der vermeintlich feministischen Ikone einer kommenden Generation. In einer Rezension der Welt wurde die Impulsivität und gleichzeitige Barmherzigkeit der Protagonistin als sexistisch bezeichnet, viele internationale Stimmen sahen die männlichen Figuren zu sehr im Fokus. Selbstverständlich wurden auch Unsinns-Debatten über mangelnde Achselbehaarung der Amazonen auf Dianas Heimatinsel geführt, vermutlich eine Unvermeidbarkeit in Zeiten der sozialen Medien. Doch sind all diese Vorwürfe tatsächlich berechtigt?

Diana Prince – die adelige Kriegerin in einer fremden Welt

© Warner Bros.
© Warner Bros.

Mitnichten. Denn Wonder Woman ist, wie bereits erwähnt, vor allem eines: eine Origin-Geschichte. Die kindliche Naivität, die Gadot in ihre Darstellung einbaut, ist nicht auf ihr Geschlecht zurückzuführen, sondern vielmehr auf ihre langjährige Isolation vom Rest der Welt. Aufgewachsen als einziges Kind unter Frauen, sind ihre irritierten Eindrücke auf erste Begegnungen mit Männern wie Steve Trevor (Chris Pine) oder erfreuten Reaktionen beim ersten Anblick eines Säuglings nicht zwingend auf weibliche oder mütterliche Urinstinkte zurückzuführen.

Diana Prince ist schlichtweg eine adelige Kriegerin, ihre Figurenkonzeption gleicht zu Beginn des Filmes der eines Ritters, der in ein modernes Zeitalter versetzt wurde – frei nach dem „Fisch-aus-dem-Wasser-Prinzip“ ist sie fasziniert von dieser ihr fremden Welt. Das wäre mit einer männlichen Titelfigur kaum anders gewesen, was die Vorwürfe bestimmter Kritiker ad absurdum führt. Ihre Gutherzigkeit erinnert völlig beabsichtigt an die Zuversicht eines anderen Giganten der Marke DC, nämlich der von niemand geringerem als Clark Kent alias Superman. Gelegentlicher Kitsch, vor allem bei der finalen Konfrontation, sei ihr von daher verziehen.

Die Mündigkeit, welche Wonder Woman bereits in Batman vs. Superman zeigen durfte und welche Joss Whedons oberflächliche Charakterzeichnung im belanglosen Puzzlewerk Justice League (2017) ein Stück weit schmälerte, dürfen Fans der Amazone mit Sicherheit im heiß ersehnten Wonder Woman 84 erwarten. Dieser soll nächstes Jahr im Juni in den Kinos anlaufen. Dort wird Diana auf eine ihrer ärgsten Widersacherinnen aus den Comics treffen, der raubkatzenartigen Cheetha. Diese debütierte bereits 1943 und etablierte sich seitdem durch ihr neidvolles Wesen und ihre wilde Seite als perfektes Spiegelbild zu Diana. Gespielt werden soll Cheetha von der eigentlich aus Komödie-Rollen bekannten Kristen Wiig, was sich möglicherweise als geniale Casting-Entscheidung von Patty Jenkins entpuppen könnte. Im Kampf mit ihrer Erzfeindin und mehrere Jahrzehnte nach dem im Ersten Weltkrieg angesiedelten ersten Teil darf man sich erhoffen, eine wesentlich reifere, noch selbstbestimmtere Heldin zu sehen, die trotzdem ihre positiven Wesenszüge beibehalten wird.

Wonder Woman – der Beginn einer neuen frauengeprägten Heldenära

Eines bleibt ohnehin unbestreitbar: Wonder Woman hat der weiblichen Repräsentation auf der großen (Blockbuster-)Leinwand gutgetan. Gal Gadot knüpft an ikonische Heldinnen des vergangenen Jahrhunderts wie Ellen Ripley (Sigourney Weaver) oder Sarah Connor (Linda Hamilton) an, erst der Erfolg von Wonder Woman überzeugte viele große Studios, Frauen vor und hinter der Kamera mehr Spielraum zu geben.

©Marvel Studios 2018

In Black Panther (2018) gehörten gerade die Darstellerinnen zu den Höhepunkten des Films – Figuren wie Nakia (Lupita Nyong’o) mussten im finalen Akt nicht gerettet werden, sondern trugen aktiv zum Geschehen bei. Auch der eher durchschnittliche Captain Marvel dürfte vom Fahrwasser des exzellenten Wonder Woman profitiert haben. Selbst Scarlett Johansson darf sich nach ihrem jüngsten Auftritt in Avengers: Endgame (2019) nochmal in einem Solo-Film als Black Widow beweisen, und ebenfalls im nächsten Jahr soll das weibliche Ensemble rund um Margot Robbie in Birds of Prey (and the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn) erscheinen, wobei diese Verfilmung aus unterschiedlichsten Gründen (vor allem mangelnder Authentizität gegenüber dem Geist der Comic-Vorlage) zu scheitern droht.

Wonder Woman 84 lässt sich auf jeden Fall optimistisch entgegenblicken – mit einer erfahrenen Regisseurin, einer motivierten Hauptdarstellerin und hervorragenden Cast-Ergänzungen sollte der Film nicht nur ein finanzieller Erfolg werden. Und obwohl Diversität natürlich kein alleiniges Qualitätsmerkmal darstellt, hat das Duo Jenkins und Gadot bereits vieles erreicht, wenn auch 2019 wieder junge Frauen (sowie Männer und Diverse) im Kino sitzen, den motivierenden wie auch epischen Soundtrack von Hans Zimmer vernehmen und mit der gleichen Entschlossenheit des Vorbilds Wonder Woman symbolisch ihre Arme kreuzen – mit einem Gefühl, Großes erreichen zu können, so wie es jeder gute Superhelden*innenfilm vermitteln sollte. 

Artikelbild: © Warner Bros., Bearbeitet von Verena Bach
Über den Autor

1996 geboren im bundesweit verpönten Gelsenkirchen, dort aktuell auch Student an der Westfälischen Hochschule (Studiengang: Journalismus und Public Relations). Für Comics und Filme interessiert sich Johannes Wenzel von klein auf, mit besonderer Vorliebe für DC und Batman.

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