Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Pünktlich zum Kinostart von Captain Marvel letzte Woche hat Kollege Johannes seine Rezension des Films veröffentlicht. Über das Wochenende hatten nun einige weitere Kollegen die Chance, den Film zu sehen, und deren Meinungen weichen teils so stark von seiner ab, dass wir Johannes’ Meinung nicht als einzige stehen lassen wollten.

Fünf von fünf möglichen Daumen hat Johannes dem einundzwanzigsten Film des MCU gegeben – Höchstwertung also. Eine Wertung, die laut unserem eigenen Bewertungsmaßstab wie folgt definiert ist:

Dieses Produkt ist makellos und durchdacht in allen Bereichen. Auch für Themenfremde lohnt sich hier ein Hinschauen, denn das Erlebnis ist wertvoll.

 

Einige Kolleginnen und Kollegen wollten diese Wertung des Films so nicht stehen lassen, so dass wir euch hier einen Querschnitt der Meinungen innerhalb des Teams zeigen wollen:

Finjas Meinung: Da ist noch Luft nach oben!

Das Marvel Cinematic Universe und ich sind im Laufe der letzten Jahre durch einige Höhen und Tiefen gegangen. Ich habe mich dennoch sehr auf Captain Marvel gefreut, da mit einer weiblichen Titelheldin jetzt endlich mal wieder etwas Schwung in die Bude kommt. Der Film ist visuell sehr ansprechend, die Dialoge sind locker und die Botschaft kommt an – nur leider wird das ganze sehr abgeschwächt von einer Heldin, die immer nur reagiert, statt wirklich Initiative zu ergreifen. Die Figur der Carol Danvers hat mich einfach nicht überzeugen können. Zu wenig eigene Motivation, kaum emotionale Reaktion auf die Enthüllung wichtiger Plotpunkte, und nach echten Ecken und Kanten oder gar Schwächen muss man wohl mit der Lupe suchen. Auch ihre Gegenspieler wirkten auf mich mal wieder sehr flach. Das Motiv “Macht um des Machthabens willen” ist für mich einfach zu ausgelutscht, und wenn es da etwas zwischen den Zeilen zu lesen gab, ist mir das leider entgangen.

Mit Tendenz nach Unten

Positiv überrascht hat mich dagegen die schauspielerische Leistung, allen voran die von Lashana Lynch. Diese hat in ihrer Nebenrolle als Maria Rambeau eine der meiner Meinung nach emotional stärksten Szenen des Films unglaublich überzeugend dargestellt. Die Freundschaft zwischen ihrer Figur und Carol Danvers ist übrigens ein wichtiger Aspekt, sollte man dem Film unbedingt eine “feministische Agenda” zuschreiben wollen.

Das Hollywood-Kino braucht mehr taffe Frauen, die sich gegenseitig unterstützen. Dann verzeihe ich es einem Film auch, wenn er an der einen oder anderen Stelle etwas sehr dick aufträgt.

Natürlich hat auch Nostalgie im Film eine große Rolle gespielt, was dem Setting in den neunziger Jahren geschuldet ist. Mir gefiel besonders der passende Soundtrack sehr gut. Dieser bot viele Gute-Laune-Songs, die hauptsächlich die Actionszenen untermalt haben – wodurch es großen Spaß gemacht hat, das Spektakel zu verfolgen, wann immer die Fäuste ausgepackt (oder vielmehr aufgeladen) wurden.

Der Film ist schlussendlich dazu da, um Marvels Endgame vorzubereiten, und schließt hier ein paar wichtige Informationslücken. Ich hatte dadurch das Gefühl, dass Carol Danvers selbst dafür etwas auf der Strecke bleibt. Wenig Emotionen für das größere Wohl – den Kree würde das sicherlich gefallen.

Holgers Meinung: Als Origin Movie versagt.

Captain Marvel ist sicherlich kein schlechter Film. Und schon gar nicht ist er das Ende der weißen Männer oder sonst irgendein sexistischer Mist. Wenn man den Film unter genau diesem Gesichtspunkt betrachtet, nämlich, dass er der erste Film des MCU mit einer weiblichen Hauptfigur ist, ist es sogar ein enorm wichtiger Film. Aber „wichtig“ sagt nichts über die filmische Qualität aus.

Der Film hat sich scheinbar viele Aufgaben gleichzeitig gesetzt: Er musste eine wichtige neue Figur in das MCU einführen, die Stimmung nach dem Ende von Infinity War wieder heben, Verbindungen schaffen zu den Dingen, die bisher passiert sind, zwei Alien-Völker den Kinozuschauern näher bringen sowie die Vorgeschichte einiger bereits bekannter Figuren beleuchten. Und vielleicht lag da das Problem: Zu viel auf einmal geht selten gut.

Mit Tendenz nach Oben

Einige der Punkte haben ordentlich bis gut funktioniert. Fans des MCU finden reichlich Charaktere, Helden wie Schurken sowie Begebenheiten und sogar wichtige Plotgegenstände der vorherigen 20 Filme. Und auch Nostalgie über die neunziger Jahre, in denen auch ich aufgewachsen bin, verleiht dem Film eine Menge an Easter Eggs, die es zu entdecken gilt. Dadurch schafft es der Film sehr gut, sich zeitlich und thematisch im MCU zu verankern.

Allerdings sind andere Punkte dabei etwas untergegangen. Und der Wichtigste davon ist meiner Meinung nach, den Charakter von Captain Marvel vernünftig zu definieren. Denn am Ende des Films weiß ich leider noch immer nicht, was die Persönlichkeit der Titelheldin ausmacht. Was ist ihre Motivation, wie lauten ihre Ziele, was sind ihre persönlichen Stärken und Schwächen? Abgesehen davon, dass sie immer wieder aufsteht, weiß ich sehr wenig.

Ebenso ihre Kräfte: Sind diese zu Beginn des Films noch relativ überschaubar und gut definiert, so entwickeln sie sich im dritten Akt weiter, ohne danach noch einmal irgendwie definiert zu werden. Sie werden eingesetzt gegen Gegner, über deren Stärke wir wenig wissen, und so haben wir keinen Rahmen, in dem wir die Macht von Captain Marvel einordnen könnten.

Auch die Natur ihrer Kräfte und was diese alles umfassen, kann man aus der entsprechenden Action-Sequenz allenfalls erahnen. Und damit hat der Film als Origin Movie versagt. Denn er hat den Charakter von Captain Marvel zwar mit dem Rest des MCU gut verknüpft und damit ihren Auftritt in Endgame vorbereitet, aber die Charakterisierung der Figur selbst trat dabei zu sehr in den Hintergrund. Viele andere Figuren des Films wurden deutlich besser charakterisiert und erklärt.

Macht das Captain Marvel zu einem schlechten Film? Ein ganz klares Nein. Es hat mir Spaß gemacht, den Film zu gucken. Aber wirklich überzeugen konnte der Film mich leider nicht. Daher meine Wertung:

Leanders Meinung: Einer der schwächeren Marvelstreifen.

Vorab sei gesagt, dass ich kein Hater bin. Ich habe mich auf diesen Film gefreut, habe bewusst die Hetze, die durch das Netz geisterte, ignoriert. Als DC-Fan bin ich diese Art von Hetze und Vorverurteilung gewohnt und gebe darauf nichts.

Leider hat mich Captain Marvel nur sehr mäßig unterhalten. Dem Film fehlt so vieles, was ein gutes Filmerlebnis ausmachen würde. Doch ich möchte beim Positiven beginnen. Captain Marvel verfügt über eine tolle Besetzung. Brie Larson ist sehr sympathisch, Jude Law spielt wie immer genial und Samuel L. Jackson weiß auch als junger Nick Fury zu unterhalten. Es macht Freude, der Interaktion der Figuren zuzuschauen.

Mit Tendenz nach Unten

Leider endet hier für mich aber bereits das Positive, denn die Story enttäuscht mich auf ganzer Linie. Da geht es um irgendeinen Konflikt zweier für mich völlig belangloser Space-Völker, die beide nicht schaffen, sympathisch zu wirken. Wie soll ich da ein eigenes Investment aufbauen? Dann geht es um Selbstzweifel und Identität einer Heldin, über die ich am Ende des Films immer noch erschreckend wenig weiß und deren Entstehung so gar nicht überzeugt.

Eine Explosion sorgt für Verbrennungen, nicht für Superkräfte. Dazwischen beliebig wirkender Slapstick und jede Menge Worldbuilding.

Tatsächlich fühle ich mich, als sei ich in einen Legokasten für Weltenbauer gefallen. Der Film möchte mich mit Story-Versatzstücken erschlagen, die mich denken lassen sollen: „Aha, so hat sich das also im Marvel Cinematic Universe zugetragen.“ Fast krampfhaft wird der Streifen in den Metaplot des MCU gepresst. In dem Versuch, dem Filmuniversum Tiefe zu geben, wird aber völlig die Chance verpasst, einen fesselnden Solofilm zu erschaffen. Auf mich wirkt Captain Marvel, ähnlich wie AntMan & The Wasp, wie ein Atemholen vor dem eigentlichen Sprung: Avengers: Endgame. Man musste eben noch schnell diese Heldin einbauen, damit sie für das Finale zur Verfügung steht. Verständlich, aber langweilig. Da hilft auch ein Marvel-typisches Actionspektakel am Ende wenig.

Johannes’ Antwort: Die 5 ist für die Fans.

Das Marvel Cinematic Universe ist mittlerweile 20 Filme alt und hat seinen eigenen Stil entwickelt. Nicht jeder mag ihn und nicht jeder muss ihn mögen. Superheldencomics können ein sehr vielfältiges Medium sein, das erkennt man an der Vielzahl an Produktionen, sogar solchen, die unabhängig von Marvel oder DC sind, wie neuerdings The Umbrella Academy. Man kann also Captain Marvel nach vielen Maßstäben bewerten und entscheiden, dass der Film diese nicht erfüllt. Ich bleibe aber dabei: Die Höchstwertung ist verdient, denn dieser Film ist für die Fans.

Anders als die Kollegen über mir mutmaßen, ist Captain Marvel weder die Vorbackzeit für Carol Danvers in Avengers: Endgame, noch ist der Film ausschließlich der Wegbereiter für das nächste Teamup. Captain Marvel ist ein besonderer Film, weil mehrere Aspekte zusammenkommen:

  1. Starke Frauenfiguren: Nach monatelangem Onlinehass verunsicherter Trolle mehren sich nach Kinostart die Stimmen von Mädchen und Frauen, die sich über das Vorbild Carol Danvers freuen. Nicht etwa als emotionslose Klopperin, sondern als stoische Beschützerin, die nicht ständig lächeln und sexy posen muss. Auch Maria Rambeau, Minn-Erva und Annette Benings Rolle (Spoiler!) sind Heldinnen auf ihre eigene Art. Sicher, es gab zuvor Wonder Woman, Furiosa, Xena, … aber jede neue Kinoheldin normalisiert die Idee einer taffen Frontfrau. Und jetzt hat das MCU auch seinen Solo-Heldinnenfilm. Ebenfalls ein Meilenstein.
  2. Weiterentwicklung: Das MCU wird mit jedem Film weiter ausgebaut, aber Captain Marvel hat wichtige Schlüsselpunkte ausgebaut. Dem Gelegenheitszuschauer mag das egal sein, für den Fan ist es die Weiterentwicklung der Mythologie. Dass der Film als Quasi-Prequel zu The Avengers aufgezogen wurde, funktioniert erstaunlich gut, einschließlich Furys Auge. Und Comicleser dürften durch gleich zwei Plot Twists überrascht worden sein: Die Skrulls und Mar-Vell. Der Konflikt im Film ist sehr zeitgemäß und gibt genug Stoff für zukünftige Weltraumabenteuer. Die Kree sind aus Guardians of the Galaxy und Agents of S.H.I.E.L.D. bekannt und kriegen hier mehr Backstory verpasst, die Skrulls sind ganz neu und werden ausgiebig charakterisiert, unter anderem durch den charismatischen Talos.
  3. Purer Fanservice: Vom ergreifenden Stan Lee-Tribut über das Neunziger-Feeling (ich erinnere mich noch an Grunge und Flanell!) mit cooler Musik bis hin zu den flotten Sprüchen von Talos, Fury und Maria macht Captain Marvel auch einfach nur Freude. Ich denke, das ist der wichtigste Grund hier, oder?

Klar, einige Kritikpunkte der Kollegen sind berechtigt (einige auch nicht – vom Blitz getroffen in einen Chemieschrank zu fallen ist auch keine logische Begründung für Superkräfte, Leander! ;)). Man erfährt in der Tat nicht viel über Carol und der Endkampf ist etwas antiklimaktisch. Aber welche MCU-Origin Story hat es geschafft, wirklich alle Punkte abzuhaken? Meiner Meinung nach keine. Und das ist auch nicht nötig.

Gäbe es einen 4,5-Daumen, hätte ich diesen vergeben. Die 4 wäre mir aber zu wenig. So aber sage ich: Die 5 steht nicht für Perfektion, sie steht für den Spaß der Fans.

Artikelbild: © Marvel Studios

17 Kommentare

  1. EVENTUELL SPOILERGEFAHR !!!!

    Ich sehe das eher wie Johannes. Obendrein habe ich das Gefühl, das es einigen vielleicht nicht ganz klar geworden ist, dass dieser Film nicht nur in den 90iger Jahren spielt, sondern auch das Thema „Buddy Movie der 90iger“ verfolgt und in dem Stil gedreht wurde. Deswegen die vielen Szenen mit Fury und Carol, deswegen der manchmal übertrieben wirkende Humor in diesen Szenen. Die Kree sind hinlänglich definiert durch AoS und GotG, die Skrulls werden ganz sicher noch eine große Rolle spielen, spätestens im nächsten F4. Ich sehe auch die Entwicklung von Carol, die anfangs eben der harte Kree Soldat eines Eliteteams ist und dann nach und nach ihre menschliche Seite entdeckt und erst dann auch mehr Emotionen zeigt. Auch ihre Fähigkeiten wurden alle angerissen und wer zum Schluss sieht, wie sie ein Schiff der Ankläger mit einem Blast erledigt und drei anderen die Stirn bietet, hat auch keine Fragen mehr bzgl. des Machtniveaus. RONAN zieht sich vor ihr zurück. Ja, ein Origin Story ist immer etwas holprig, denkt nur mal an Iron Man 1, der ganz gut war, oder Thor 1, der grausam war. Da reiht sich Captain Marvel doch deutlich im oberen Feld ein und schliesst nebenbei noch die Lücke zu Endgame. Ja, manche Dinge hätte man noch besser machen können, aber 4-5 hätte ich auch gegeben.

  2. FULL OF SPOILER:

    ——-

    Ich gebe vor allem zu bedenken, dass Carol selber doch – auch am Ende des Filmes – nicht wirklich weiß wer sie ist. Das sagt sie auch mehrmals. Nur weil sie plötzlich aus allen Poren leuchtet und sie das volle Ausmaß ihrer Kräfte entdeckt hat, heißt das nicht, dass sie plötzlich weiß wer sie ist. Sie weiß nur, dass sie immer wieder aufsteht – und das reicht für den Abschluss des Filmes auch erstmal.
    Wer sie ist, wird sie – so denke ich – in der Zeitspanne nach dem Film heraus gefunden haben, während sie ein neues zu Hause für die Gestaltwandler gesucht hat. Ich gehe davon aus, dass sie mit vielen Ecken, Kanten und viel Persönlichkeit zurück kehren wird.
    Außerdem frage ich mich: Wird es eine erwachsene Leutnant trouble geben? :) I hope so!

  3. Filmisch nur Mittelmaß? Ich verrate jetzt vielleicht ein Geheimnis, aber mehr erwarte ich nicht von einem solchen Film. Hier geht es nicht um cineastische Schwergewichte sondern um reine Unterhaltung und ich habe mich prächtig unterhalten gefühlt. Mehrere Aspakte des Films werden gerade zu running gags und viel mehr kann ich von so einem Film kaum erwarten.

    Und Aussagen wie „Explosionen machen Verbrennungen keine Superkräfte“ lassen mich an der Eignung eine solche Kritik zu schreiben ein wenig Zweifeln. Zum einen weil die Explosion im Metaplot schon keine normale ist und zum anderen weil radioaktive Spinnen auch höchstens krank machen.

    • Andrej Pfeiffer-PerkuhnMit der radioaktiven Spinne konnte ich leben, ähnlich wie mit Gammastrahlen und ähnlichen unwissenschaftlichen Geschichten. Fûr mich klingt „sie stand neben einem explodierenen Motor“ nur leider überhaupt nicht spannend oder nachvollziehbar. Die Wirkung von Radioaktivität war zur Zeit der Entstehung von Spiderman in der Popkultur fast mythisch verklärt, das war allgemeiner Konsens. Das mit dem Antrieb überzeugt mich einfach erzählerisch nicht, es wirkt willkürlich. Das ist, was ich aussagen will.

    • Leander Linnhoff „Neben einem explodierendem Motor, der Energy eines Infinity stones nutzt, einer Machtquelle die bereits in etlichen anderen Marvelfilmen für Superkräfte verantwortlich war“, meinst du?

    • Leander Linnhoff Ach ja, meinen Liebling habe ich ja ganz vergessen. Gelbe Sonne gibt Außerirdischem Superkräfte und zwar die ganz große Packung. Dagegen ist das mit dem Motor geradezu komplex und nachvollziehbar.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein