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Nach vier Jahren kehrt Captain Marvel wieder auf die Kinoleinwände zurück und hat Verstärkung mitgebracht –Monica Rambeau und Miss Marvel unterstützen sie im Kampf gegen rachsüchtige Kree. Möglicherweise müssen die drei Heldinnen nicht nur das Universum retten, sondern auch die Einnahmen von Marvel Studios.

2019 machte Captain Marvel an den Kinokassen über eine Milliarde Dollar Umsatz weltweit und bewies zusammen mit dem DC-Gegenpart Wonder Woman, dass Solofilme von Superheldinnen durchaus ein breites Publikum erreichen können, was zuvor in Hollywood-Chefetagen oft angezweifelt wurde. Doch das war eine andere Zeit. Erst ließ die pandemiebedingte Kinopause die Hypemaschine des Marvel Cinematic Universe stocken, dann setzte das Serien-Dauerfeuer auf Disney+ ab Phase 4 die Zuschauer*innen unter Druck, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Zwar erforderten schon die Phasen 2 und 3 gewisse Vorkenntnisse, aber damals ging es nur um drei Filme pro Jahr, jetzt kommen noch vier bis fünf Serien hinzu – und das in einer Zeit, in der Streamingdienste ihre Preise erhöhen und die Aufmerksamkeit des TV-Publikums ein rares Gut ist. Zudem waren die bisherigen Einträge in Phase 5 eher durchwachsen, Quantumania und Secret Invasion stellten sich als teure Rohrkrepierer heraus. Unkenrufe von Superheld*innenmüdigkeit gab es schon in den erfolgreichen Vorjahren, doch jetzt könnte es zu einer echten Marvel-Müdigkeit in der Zielgruppe kommen.

Das MCU braucht also einen großen Hit, um die Begeisterung wieder anzufachen. Könnte Carol Danvers‘ zweites Abenteuer dieser Hit sein?

Triggerwarnungen

Keine typischen Trigger

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Story

Eine Gruppe Kree unter der Führung von Dar-Benn (Zawe Ashton) gräbt ein uraltes Artefakt aus – ein Armreif, mit dem ein galaxieweites Teleportationsnetzwerk (die aus Guardians of the Galaxy bekannten wabenförmigen Sprungpunkte) manipuliert werden kann. Sie wollen damit ihre bedrohte Heimatwelt Hala retten, deren Sonne bald erlischt. Dar-Benn ist enttäuscht, nur ein Exemplar zu finden, denn man braucht beide Armreife, um ihre volle Macht zu nutzen. Sie ahnt nicht, dass sich das zweite Schmuckstück auf der Erde in der Obhut von Kamala Khan (Iman Vellani) befindet.

Die jugendliche Heldin hängt in ihrem Zimmer rum, als sie plötzlich durch ihr großes Idol Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson) ersetzt wird. Während sich Carol bei den verdutzten Khans im Wohnzimmer vorstellt, landet Kamala im All, wo sie vom nicht minder verwirrten Nick Fury (Samuel L. Jackson) auf die Raumstation S.A.B.E.R. gebracht wird. Fury vermisst seine Top-Wissenschaftlerin Monica Rambeau (Teyonah Parris), Tochter von Carols Ex-Copilotin Maria. Schnell stellt sich heraus, dass Carol, Monica und Kamala allesamt lichtbasierte Kräfte haben, die durch Dar-Benns kosmische Experimente durcheinandergebracht wurden. Wenn eine der Heldinnen ihre Kräfte einsetzt, wechselt sie den Standort mit einer der anderen.

Die drei Marvels müssen lernen, das Teleportations-Chaos zu ihrem Vorteil zu nutzen, denn Dar-Benn verwüstet einen Planeten nach dem anderen, um Hala zu retten. Sie gibt Captain Marvel die Schuld am Zustand der Kree-Heimat und nimmt Kurs auf die Erde…  

Welche Vorkenntnisse braucht ihr?

Dass das MCU immer komplexer wird mit seinen Querverbindungen und Selbstbezügen, dürfte mittlerweile den meisten klar sein. Hardcore-Marvelaner*innen kennen sowieso jeden Film und jede Serie seit 2008. Gelegenheitszuschauende müssen aber nicht so weit gehen, um den Film verstehen zu können. Diese Titel solltet ihr gesehen haben, bevor ihr euch The Marvels anschaut:

Unbedingt: 

  • Captain Marvel (2019) – Der erste Teil zeigt, wie Carol Danvers ihre Kräfte bekam. Ihre Beziehungen zu Monica Rambeau, Nick Fury, den Skrulls und den Kree werden hier auch beschrieben.

Hilfreich:

  • WandaVision (2021) – Das Sitcom-Drama rund um eine trauernde Scarlet Witch ist zugleich Monica Rambeaus Origin-Story: Ihre Superkräfte bekommt sie durch das magische Kraftfeld rund um die Stadt Westview.

Nicht notwendig:

  • Secret Invasion (2023) – Nick Furys irdischer Einsatz gegen Skrull-Terroristen wird in The Marvels nicht erwähnt und spielt auch keine Rolle.

 

Erzählstil

In Avengers: Endgame wurde Captain Marvel aufgrund ihrer nahezu gottgleichen Kräfte nur sehr spärlich eingesetzt. Im Finale des Films vernichtet sie mühelos im Alleingang Thanos‘ Schlachtkreuzer, womöglich hätte sie auch ohne Iron Mans Opfer den Titanen und seine Armee bezwingen können Viele Fans fragten sich, welche Gegner*innen Carol Danvers überhaupt noch ebenbürtig sein können. The Marvels zeigt, dass es vor allem ihre eigene Fehlbarkeit ist, die Carol im Weg steht. Zwar kann Dar-Benn mit ihrem Armreif den drei Heldinnen Paroli bieten, aber ein größeres Hindernis für Captain Marvel ist ihre Scham über vergangene Fehler. So wirft Monica ihr vor, trotz ihres Versprechens nie zurückgekehrt zu sein, gerade als ihre Mutter (und Carols beste Freundin) Maria im Sterben lag. Ihre schier unermessliche kosmische Energie konnte Carol nicht nutzen, um Maria vor dem Krebs zu bewahren. Schlimmer noch, der rücksichtslose Einsatz ihrer Fähigkeiten und ihre Rachsucht an den Kree sorgte für die Katastrophe auf Hala.

Durch die Unterstützung ihrer neuen Mitstreiterinnen kommt die lange isolierte Carol endlich damit klar, dass ihre Macht Grenzen hat. Auch für die idealistische Kamala, die bislang keine Verluste hinnehmen musste, ist es eine bittere Lektion: Beim Versuch, Dar-Benn aufzuhalten, werden zahllose Zivilist*innen in Mitleidenschaft gezogen, von denen nicht alle gerettet werden können. In MCU-Filmen kommt es nur selten zu unschuldigen Opfern (die Serien sind da realistischer), sodass hier auch mal eine der dunkleren Seiten des Held*innentums betrachtet wird.

Leider werden diese ernsten Konsequenzen nicht ausführlich genug betrachtet. Die Weltraumaction steht immer im Vordergrund, sodass es nach einem Rückschlag direkt weitergehen muss – zum nächsten Planeten, wo Dar-Benn ihr Unwesen treibt. Die Handlung hat kaum Zeit zum Atmen, in einem Fall wird nicht einmal klar, was mit den heldenhaft verteidigten Aliens passiert. Das ist sicher dem Format geschuldet, aber angesichts der relativ kurzen Laufzeit von 105 Minuten hätten 10 Minuten mehr am Ende nicht geschadet, um alle offenen Fragen zu beantworten.

Sehr positiv fällt aber das tolle Teambuilding von Carol, Monica und Kamala auf. Während die Avengers sich in ihrem ersten Film als dysfunktionale Einzelkämpfer*innen erst zusammenraufen mussten, haben die drei Marvels nur geringe Startschwierigkeiten. Durch ihre geteilten Kräfte arbeiten sie gut zusammen und wirken auch als Freundinnen glaubwürdig. Das ist sehr angenehm verglichen mit früheren Hollywood-Tendenzen, weibliche Hauptfiguren unnötig gegeneinander auszuspielen. Wie schon in Teil 1 müssen die Heldinnen niemandem etwas beweisen, schon gar keinem eingeschobenen Alphamann, der sich in den Vordergrund drängen will.

Das gilt auch für die Antagonistin: Dar-Benn muss nicht die zweite Geige für einen größeren Bösewicht spielen, ihr Rachefeldzug ist ihre eigene Entscheidung und in Kämpfen hält sie sich nicht zurück. Diese Charakterisierungen dürften, wie beim Vorgängerfilm, manchen Männeregos nicht gefallen – schon 2019 wurden stundenlange Podcasts darüber publiziert, wie solch woker Unsinn den Untergang der abendländischen Unterhaltungskultur einläuten würde. Auch unsere Rezension hat, sagen wir mal, interessante Kommentare abbekommen. Die in solchen Milieus gehegte Hoffnung, der Boykott „woker“ Filme würde Hollywood zu einem Umdenken bewegen (und wieder weiße Hetero-Männer in den Mittelpunkt stellen), hat sich in den letzten Jahren dankenswerterweise nicht erfüllt.

Darsteller*innen

Brie Larson darf Carol Danvers noch mehr als Privatperson zeigen. War sie in Teil 1 vor allem das coole Fliegerass, das als Vorbild für die junge Monica diente, darf sie jetzt mit ihrem Flerken-Haustier Goose auf dem Sofa abhängen oder auf Partys tanzen. Und auch wenn sie dort flirten darf, wird ihr zum Glück keine handlungsdominierende Romanze angedichtet.

Überhaupt stellen die drei Hauptdarstellerinnen die Frauenfreundschaft betont natürlich dar. Kamalas Fangirling ist nicht so obsessiv wie befürchtet, die Zusammenarbeit mit ihrem Idol normalisiert sich schnell. Monicas Groll gegen Carol wird ebenfalls durch Aussprache beigelegt, angesichts der Kommunikationsschwierigkeiten bei manch anderen MCU-Held*innen keine Selbstverständlichkeit. Vellani und Parris merkt man an, dass sie Spaß an ihren Rollen hatten.

Ein Wermutstropfen dabei ist, dass Teyonah Parris wenig Gelegenheit hat, Monicas Rolle weiterzuentwickeln. Carol Danvers hatte ihren eigenen Film, Kamala Khan ihre eigene Serie. Monica Rambeau war in Captain Marvel und WandaVision stets nur Nebenfigur. Allerdings wird am Ende angedeutet, dass Monica noch eine größere MCU-Zukunft bevorsteht.

Zawe Ashton bleibt, wie so viele MCU-Widersacher*innen, als Dar-Benn etwas einseitig, zumal ihr Zorn gegen Captain Marvel teilweise berechtigt ist. Das ist nicht die Schuld der Schauspielerin, sondern die Tendenz von Marvel-Filmen, Bösewicht*innen komplexe Motivationen zu verleihen, die dann aber nicht ausführlich genug betrachtet werden. Ashton, übrigens die Partnerin von Loki-Star Tom Hiddleston, hatte sich zuvor in The Handmaid’s Tale einen Namen gemacht. The Marvels dürfte ihr weitere Türen für große Produktionen öffnen.

Samuel L. Jackson als Nick Fury und Zenobia Shroff, Mohan Kapur sowie Saagar Shaik als Muneeba, Yusuf und Aamir Khan spielen eher eine Nebenrolle im Film. Dennoch haben sie einige unterhaltsame Szenen, denn gerade die völlig überforderten Khans sind amüsant an der Seite des abgeklärten Nick Fury. Interessanterweise wird Aamirs Ehefrau Tyesha, die er in Ms. Marvel heiratete, nicht erwähnt. Dass Furys Skrull-Frau nicht vorkommt, ist angesichts der parallelen Produktion von Secret Invasion nachvollziehbar, doch Tyesha hätte zumindest erwähnt werden können. So wirkt es, als würde Aamir wieder als Single bei den Eltern wohnen. Ob das jemals erklärt wird? Es ist angesichts der schwachen Abrufzahlen momentan unklar, ob Ms. Marvel eine zweite Staffel bekommt.   

Inszenierung

Die CGI-Szenen in Marvel-Filmen wurden oft für ihre schwankende Qualität kritisiert. Gründe dafür sind unter anderem, dass CGI-Szenen in der Regel sehr kleinteilig an ein halbes Dutzend oder mehr verschiedene Animationsstudios auf der ganzen Welt ausgelagert werden. Diese müssen dann oft unter hohem Zeitdruck Spezialeffekte oder Monster erstellen. Bei The Marvels sind diese Qualitätsunterschiede zum Glück nicht bemerkbar, in der vorliegenden 2D-Version gab es keine Sequenz, in der Effekte falsch oder unnatürlich aussahen. Bunte Energiestrahlen sind natürlich ein Kernelement der kosmisch orientierten MCU-Einträge und von denen gibt es mehr als genug im Laufe der Handlung. Dafür wird das Handlungselement der Teleportationen zwischen Monica, Carol und Kamala mit einem originellen Effekt animiert.

Komponistin Pinar Toprak wurde für die Fortsetzung von Captain Marvel nicht erneut engagiert, statt dessen wurde der Soundtrack von Laura Karpman (Lovecraft Country, What If…?, Ms. Marvel) geschrieben. Der ist schön eingängig, beim neuen Titelthema kommen allerdings keine Elemente der Themen von Captain Marvel oder Ms. Marvel vor, was schade ist. Ansonsten trägt die Musik die galaktische Reise mit bebenden Orchesterelementen, aber auch ruhigeren, zauberhaften Klängen.

Großes Lob ist fällig für das Design von Carols Raumschiff sowie der S.A.B.E.R.-Station. Während letztere den coolen Charme eines Sci-Fi-Labors mit viel Glas und weißen Rundwänden hat, ist Captain Marvels mobiles Hauptquartier mit Sofas und Deko-Elementen versehen, sodass es tatsächlich als Wohnung wahrgenommen werden kann. Nur die Katzenhaare fehlen, haaren Flerkens etwa nicht?

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Die harten Fakten:

  • Regie: Nia da Costa
  • Buch: Nia DaCosta, Megan McDonnell, Elissa Karasik
  • Darsteller*innen: Brie Larson, Teyonah Parris, Iman Vellani, Samuel L. Jackson, Zawe Ashton, u.v.m.
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch (Rezension)
  • Format: Kinofilm (2D/3D), Länge 105 Minuten
  • Preis: Übliche Kinoticketpreise

 

Bonus/Downloadcontent

Es gibt eine Mid-Credits-Szene, die auf Monicas weitere Zukunft eingeht und für MCU-Fans interessant sein könnte, denn es kommt ein Held vor, den man aus mehreren Filmen kennt, der aber noch nie im MCU auftauchte…

Fazit

The Marvels ist endlich wieder ein großer Marvel-Spaß, der Elemente von Guardians of the Galaxy (Weltraumaction) mit der Bildung eines neuen Teams vereint. Obwohl die ernsten Szenen wie erwähnt zu kurz bleiben, schafft es die Handlung, Spannung zu erzeugen und den drei Hauptfiguren eine echt heldinnenhafte Herausforderung zu geben. Nach vielen Rückschlägen in Phase 4 und 5 könnte dieser Film wieder mehr Lust auf weitere MCU-Einträge machen.

Leider waren die Vorverkaufszahlen recht mau und die Prognosen sehen nicht allzu gut aus. Ist sie jetzt endlich hier, die Marvel-Müdigkeit? Es wäre schade, wenn die qualitativ besseren Filme und Serien durch eine Flut an mediokrem Material begraben würden. Disney sollte dringend seine Strategie überdenken, für eine Hardcore-Fanbasis in hohem Tempo zu veröffentlichen (das gilt auch für Star Wars!) und stattdessen das Publikum mal durchatmen lassen. Das wäre mal ein reales Marvel (Wunder). Dann würde auch das Motto der drei Heldinnen „Higher. Further. Faster. Together.“ wieder für das ganze MCU gelten.

  • Gute Chemie zwischen den drei Hauptdarstellerinnen
  • Spaßige Space-Action
  • Menschenverschluckende Alienkatze
 

  • Bösewichtin bleibt blass
  • Handlung stellenweise zu hektisch

 

 

Artikelbilder: © The Walt Disney Compay
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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