Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Phase 5 des Marvel Cinematic Universe beginnt mit seinen kleinsten Held*innen: Ant-Man und Wasp sind zurück und erforschen das Quantum Realm, wo sie es mit einem neuen Bösewicht zu tun bekommen. Wobei, so ganz neu ist er nicht… ist das Multiversum nicht kompliziert genug?

Nachdem Phase 3 des MCU 2019 endete, drehte sich Phase 4 inmitten der Pandemiewirren vor allem um die Nachwirkungen der Infinity-Saga: Manche Held*innen kehrten nach 5 Jahren Nichtexistenz zurück, andere mussten ihr Leben lassen oder setzten sich zur Ruhe und hinterließen eine Lücke, die wiederum von neuen Gesichtern gefüllt wurde. Phase 4 schien keinen roten Faden zu haben, es fehlte auch ein Avengers-Film als Rahmenhandlung. Dennoch war die Phase wichtig für die Einführung des Multiversums, in dem scheinbar endlose Parallelwelten und mit ihnen Varianten bekannter Charaktere existieren.

In der Serie Loki spielte Jonathan Majors „He Who Remains”, einen uralten Zeithüter, mit dessen Ableben sich unzählige neue Zeitlinien auftaten. Vor seinem Tod warnte He Who Remains noch vor seinen Varianten. Ein solcher Doppelgänger eröffnet jetzt dramatisch die 5. Phase des MCU: Kang der Eroberer bedroht Ant-Man und seine Familie im Quantum Realm.

Story

Scott Lang geht es richtig gut: Als einer der wenigen aktiven Avenger wird er öffentlich gefeiert und hat sogar ein Buch über sein Leben geschrieben. Seine Freundin Hope Van Dyne versucht mit der Firma ihres Vaters die Welt zu verbessern und die inzwischen erwachsene Tochter Cassie erforscht zusammen mit Hank Pym das Quantum Realm. Doch eines ihrer Experimente geht schief und die vier werden zusammen mit Janet Van Dyne in die bizarre subatomare Dimension geschleudert. Dort gerät das Quintett prompt in Gefahr, denn Janet hat nicht die volle Wahrheit über ihre jahrzehntelange Gefangenschaft erzählt. Es gibt dort intelligente Lebewesen, hochentwickelte Zivilisationen und einen finsteren Tyrannen, den sie einst bekämpft hat. Jetzt nimmt Kang der Eroberer Janet und ihre Familie aufs Korn, denn er will mit ihrer Hilfe aus dem Quantum Realm ausbrechen.

Welche Vorkenntnisse braucht ihr?

Dass das MCU immer komplexer wird mit seinen Querverbindungen und Selbstbezügen, dürfte mittlerweile den meisten klar sein. Hardcore-Marvelaner*innen kennen sowieso jeden Film und jede Serie seit 2008. Gelegenheitszuschauende müssen aber nicht so weit gehen, um den Film verstehen zu können. Diese Titel solltet ihr gesehen haben, bevor ihr euch Quantumania anschaut:

Unbedingt:

  • Ant-Man (2015) sowie Ant-Man and the Wasp (2018) – Die beiden ersten Abenteuer von Scott Lang, Hank Pym und Hope Van Dyne führen die Charaktere ein und entwickeln sie weiter. Zudem gibt es in Quantumania zahlreiche Rückbezüge auf die beiden Vorgänger, insbesondere Janet Van Dynes Geschichte im zweiten Film.

Hilfreich:

  • Loki, Staffel 1 (2021) – Wie zuvor erwähnt ist dies Jonathan Majors‘ zweite Rolle im MCU. Als leicht manischer Strippenzieher hinter der TVA wollte He Who Remains mit grausamen Methoden einen Zeitkrieg verhindern, was aber an Lokis weiblichem Pendant Sylvie scheiterte. Wer die Unterschiede zwischen He Who Remains und Kang betrachten möchte, darf sich gerne vorher Loki anschauen: Immerhin bekommt die Serie in diesem Jahr eine zweite Staffel.
  • Captain America: Civil War (2016), Avengers: Infinity War (2018) und Avengers: Endgame (2019) – Es gibt einige Verweise auf Ant-Mans frühere Abenteuer mit den Avengers, aber auch ohne Kenntnisse der Infinity-Handlung kann man Quantumania verstehen.

Darsteller*innen

Die Leistung der Schauspielenden unterscheidet sich nicht wesentlich von den beiden ersten Teilen. Paul Rudd als Scott Lang ist immer noch ein unbekümmerter Sonnenschein, dem selbst in dieser deutlich düstereren Handlung die Doppelbelastung aus Weltenretter und Familienvater keine allzu großen Sorgen bereitet. Rudd spielt das gewohnt souverän, besonders herausgefordert wird er aber auch nicht. Evangeline Lilly steht ihrem Co-Star in Actionsequenzen in nichts nach, aber leider bekommt sie deutlich weniger interessante Dialoge als zuvor. Herumflirren und Gegner abschießen sind nach 15 Jahren MCU nicht mehr so spannend wie noch im ersten Iron Man.

Michael Douglas und Michelle Pfeiffer als ihre Eltern Hank und Janet sind weiterhin für den Technobabble zuständig. Leider gibt es hier ein kleines Ungleichgewicht. Während Hank Pym wieder aktiver als Held auftreten darf, bleibt Janet Van Dyne genauso farblos wie im Vorgänger. In manchen Szenen steht Janet stumm herum und versucht, die Situation zu begreifen, obwohl sie durch ihren unfreiwilligen Aufenthalt das Quantum Realm (und Kang) noch am meisten verstehen sollte. Hier hat das Drehbuch eine echte Schauspielveteranin verschwendet, denn dass Pfeiffer bessere Darbietungen bringen kann, hat sie ja schon in vielen anderen Filmen bewiesen.

Auch Jonathan Majors hat schon komplexere Persönlichkeiten verkörpert. In Lovecraft Country war er ein verletzlicher, getriebener Held, in Loki ein wohlmeinender Extremist mit Todeswunsch. Kang verkörpert er als stereotypen jähzornigen Diktator, dessen Hintergrund zwar kurz erklärt, aber größtenteils für zukünftige Marvel-Titel aufgehoben wird. Zwar ist Kang zu Beginn angemessen furchteinflößend, diese Aura nimmt aber zum Ende des Films stark ab. Schade, denn in der Comic-Vorlage kann Kang bisweilen sämtliche Avengers gleichzeitig in Schach halten. Zerstörungswut allein macht keinen interessanten Antagonisten aus. Schade, dass das Drehbuch auch diesen talentierten Schauspieler deutlich unterfordert.

Newcomerin Kathryn Newton löst Kinderstar Abby Rider Fortson als Cassie Lang ab. Die Teenagerin hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl und setzt sich unter anderem für Obdachlose ein (interessanter Verweis auf die reale Wohnungskrise in San Francisco). Mehr erfahren wir leider nicht über sie, Cassie bleibt recht blass in der Handlung. Damit reiht sie sich mit Riri Williams und America Chavez ein in die Galerie von MCU-Teenagerinnen, die zu wenig Hintergrund bekommen haben (Kamala Khan alias Ms. Marvel ist die Ausnahme, sie hatte aber auch eine ganze Staffel für sich). Das technische Knowhow, die Kampffähigkeiten – was ihr Vater zuvor mühsam erlernen musste, wird für die Tochter im Schnelldurchlauf abgespult. Zwar schlägt sich Cassie ziemlich tapfer in den Actionszenen, aber in der Gesamthandlung bleibt sie nur ein plot device für Scott und Hope.

Die Nebenrollen tragen bis auf 1-2 überraschende Gaststars (Bill Murray als charmantes Ekelpaket Krylar) eher das Wasser für die Hauptfiguren. Insbesondere die urkomischen Dialoge von Jimmy Woo (Randall Park), Luis (Michael Peña) und Kurt (David Dastmalchian) fehlen schmerzlich in diesem Film.

Inszenierung

„Schaue ich gerade Guardians of the Galaxy?” werden sich viele in der Pressevorführung gefragt haben, denn Quantumania präsentiert so viele fantastische CGI-Landschaften, dröhnende Raumschiffe und gruselig-liebenswerte Aliens, dass sich der Vergleich geradezu aufdrängt. Allzu viel Worldbuilding darf man aber nicht erwarten: Hier sind ein putziger Alien-Schleim, ein Telepath, ein Roboter, ihnen allen wurde von Kang übel mitgespielt. Ihr wollt mehr über sie wissen? Pech gehabt, jetzt kommt ein sehr stylischer Laserkampf.

Nicht falsch verstehen: Unterhaltsam ist das allemal. Es gibt zahlreiche Sequenzen, die für das Betrachten in 3D prädestiniert sind, wie ein langer Flug durch tentakelartige Wälder. Wirklich innovativ ist das spätestens nach den Multiversums-Eskapaden in What If…? und Multiverse of Madness jedoch nicht mehr. Und da Marvel mittlerweile bei großen Blockbustern ein halbes Dutzend unterschiedlicher CGI-Studios beschäftigt, gefühlt für jede Szene ein anderes, schwankt die Qualität der Spezialeffekte gelegentlich.

Passend zur visuellen Epik hat Komponist Christophe Beck sein verschmitztes Ant-Man-Thema bombastisch aktualisiert. Allerdings verliert es dadurch etwas an Charme, denn so monumental wie die Avengers-Titelmelodie von Alan Silvestri ist es nicht und sollte es ursprünglich auch nicht sein. So geht die Musik in einigen Szenen etwas unter. Unpassend oder gar störend ist der Soundtrack aber nicht, aber über andere Marvel-Titel hinaus ragt er eben auch nicht.

Erzählstil

Während die Ästhetik an Guardians of the Galaxy erinnert, hat die Story Elemente von Thor: Ragnarok (Tag der Entscheidung auf Deutsch). Der Unterschied ist, dass Taika Waititi den zuvor dramatisch-ernsten Thor zu einem amüsanten Comedy-Trottel umschrieb, während sich der sprücheklopfende Scott zuvor nur mit behämmerten Gangstern auseinandersetzen musste und jetzt das Schicksal des Universums in den Händen hält. Ohne Avengers als Unterstützung. Das wirkt in vielen Szenen eine Nummer zu groß selbst für einen Mann, der auf Knopfdruck Wolkenkratzer überragen kann.

Ant-Mans Alleinstellungsmerkmal im MCU war bislang die schlitzohrige Einbrecherposse mit witzigen Sidekicks wie Luis und Jimmy. Dass sein Abenteuer jetzt auf ernst und episch getrimmt wird, er sogar als erster den Bösewicht bekämpft, der die gesamte Phase 5 bestimmen wird (kein Spoiler, immerhin heißt der nächste Avengers-Film „The Kang Dynasty“), ist ein krasser Umbruch. Zudem wirkt wie in Thor: Love and Thunder die Comedy angesichts der Herausforderungen eher deplatziert. Kang droht nach seiner Flucht unzählige Welten zu vernichten, doch Scott und seine Familie liefern sich ironische Wortgefechte, die den Eindruck vermitteln, dass sie zu keinem Zeitpunkt in ernsthafter Gefahr sind.

Tatsächlich hat der anfangs schreckenerregende Kang gewisse Parallelen zu Kaiser Ming aus dem 80er-Jahre-Klassiker Flash Gordon, nur in einem geschmackvolleren Kostüm. Ansonsten ist der Machtverlust im Lauf der Handlung recht ähnlich zwischen beiden Figuren. Kang hat auch die unangenehme Angewohnheit vieler Filmschurk*innen, seine sofort tödliche Superwaffe nur gegen namenlose Hintergrundcharaktere einzusetzen, gegen die Hauptcharaktere aber in Faust- und Ringkämpfe überzugehen. Noch ärgerlicher ist Kangs rechte Hand, ein Bösewicht, der hier nicht gespoilert werden soll. Diese Figur wirkt trotz ihres bedrohlichen Arsenals häufig lächerlich in ihrem Aussehen und Verhalten. Ihre Persönlichkeitsentwicklung im Lauf des Films ist klischeehaft, unglaubwürdig und wird zu keinem Zeitpunkt von den Held*innen ernst genommen.

Natürlich wurden die MCU-typischen Witze schon in Phase 1 kritisiert. Dort passten sie aber noch überwiegend zur Gesamthandlung und nahmen nicht überhand. Beim vierten Thor wäre es sinnvoller gewesen, den Humor herunterzudrehen, bei Quantumania wiederum hätte Autor Jeff Loveness die Dramatik nicht so hoch ansetzen müssen. So präsentiert er eine Handlung, bei der scheinbar sehr viel auf dem Spiel steht, es sich aber selten so anfühlt. Das reicht immer noch für ein unterhaltsames Actionspektakel, die wenigsten MCU-Titel waren bislang intellektuell herausfordernd. Doch gerade dieser Gewöhnungseffekt ist das Problem: Quantumania leitet die fünfte Phase eines stetig wachsenden, vernetzten Filmuniversums ein, das sich in der Mitte seines zweiten Jahrzehnts befindet. Und dafür bietet es nicht genug Neues.

Die harten Fakten:

  • Regie: Peyton Reed
  • Buch: Jeff Loveness
  • Musik: Christophe Beck
  • Darsteller*innen: Paul Rudd, Evangeline Lilly, Jonathan Majors, Michelle Pfeiffer, Michael Douglas, Kathryn Newton et. al.
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch (Rezension)
  • Länge: 124 Minuten
  • Format: 2D (Rezension)/3D
  • Preis: Übliche Kinoticketpreise

 

Bonus/Downloadcontent

Es gibt zwei Bonusszenen, eine inmitten des Abspanns, eine danach. Beide geben einen Ausblick auf weitere Filme und Serien in Phase 5. Wer das MCU liebt oder noch weitere Facetten von Jonathan Majors‘ Talent sehen will, sollte sitzen bleiben.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PGlmcmFtZSBjbGFzcz0ieW91dHViZS1wbGF5ZXIiIHdpZHRoPSI2OTYiIGhlaWdodD0iMzkyIiBzcmM9Imh0dHBzOi8vd3d3LnlvdXR1YmUtbm9jb29raWUuY29tL2VtYmVkL21WdjYyeDZDd0JFP3ZlcnNpb249MyYjMDM4O3JlbD0xJiMwMzg7c2hvd3NlYXJjaD0wJiMwMzg7c2hvd2luZm89MSYjMDM4O2l2X2xvYWRfcG9saWN5PTEmIzAzODtmcz0xJiMwMzg7aGw9ZGUtREUmIzAzODthdXRvaGlkZT0yJiMwMzg7d21vZGU9dHJhbnNwYXJlbnQiIGFsbG93ZnVsbHNjcmVlbj0idHJ1ZSIgc3R5bGU9ImJvcmRlcjowOyIgc2FuZGJveD0iYWxsb3ctc2NyaXB0cyBhbGxvdy1zYW1lLW9yaWdpbiBhbGxvdy1wb3B1cHMgYWxsb3ctcHJlc2VudGF0aW9uIGFsbG93LXBvcHVwcy10by1lc2NhcGUtc2FuZGJveCI+PC9pZnJhbWU+

Fazit

Darf man einen neuen Marvel-Titel für Elemente kritisieren, die man bei früheren Rezensionen gelobt hat? Ist Kevin Feiges Erfolgsformel nicht schon länger eine Parodie ihrer selbst? Eine ganze Industrie an YouTube-Satirekanälen hat sich darauf spezialisiert, die vorhersehbaren Handlungsstränge im jeweils neuesten MCU-Eintrag durch den Kakao zu ziehen. Selbst She-Hulk weist in ihrem postmodernen Ausflug ins Marvel-Hauptquartier auf diese stetig wiederkehrenden Muster hin. Nachdem Wakanda Forever und Multiverse of Madness die Bestnote hier erhielten, ist Quantumania vor Kritik gefeit … oder?

Jein. Ein gewisses Schema F gehört zu jedem MCU-Film, ja eigentlich zu jedem Superheld*innen- oder Actionfilm im Allgemeinen. Das heißt nicht, dass man nicht mehr erwarten darf. Denn wenn dieses filmische Universum viele Jahre weiterbestehen will, muss es notwendigerweise die Formel erneuern. Superheld*innenfilme sind für viele Fans ein comfort food, wie die Lieblingseissorte, die Trost und Entspannung verspricht. Wenn aber das leckere Gelato zu einem Einheitsbrei verkommt, greift man irgendwann zu anderen Sorten.

Ich habe schon einmal zwei Noten für einen MCU-Titel vergeben. Auch hier ist es schwierig, sich auf ein Urteil festzulegen. Denn mit Quantumania bekommt man genau das, was man mittlerweile von Marvel erwartet. Reicht das aus? Dann ist es ein guter Film. Wollte man mehr? Dann bleibt es nur Durchschnitt. Ähnlich wie Loki in seiner Soloserie muss sich das MCU bald entscheiden, was es sein will – und aus welchem Grund.

 

Für Fans typischer Marvel-Action
Wenn man sich mehr Innovation im MCU wünscht

  • Gewohnt lässiger Protagonist
  • Schöne Familiendynamik der Hauptfiguren
  • Beeindruckende Landschaften
 

  • Stimmung der Handlung passt nicht zum Helden
  • Bösewicht und einige andere Charaktere zu flach
  • Wenig neues im Vergleich zu den Vorläufern

 

 

Artikelbilder: © Marvel Studios © Disney
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Saskia Harendt
Der Besuch dieser Vorstellung geschah im Rahmen einer Pressevorführung.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein