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Die Welt ist im Wandel. Ich spüre es in den Karten. Ich merke es auf dem Tisch. Vieles, was einst war, ist vergessen, weil ein neuer Ruf durch das Land geht. Alles begann mit dem Schmieden der großen Ringe, doch es endet erst, wenn der Weg gegangen ist.

In der Neuauflage des erstmals 2011 erschienen Spiels Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel erhalten wir erneut die Möglichkeit, nach Mittelerde zu reisen und uns dort Gefahren zu stellen, wie wir sie aus Film und Buch zwar erahnen, doch so nie erlebt haben. Denn hier werden wir in die Zeit versetzt, welche zwischen Bilbos 111. Geburtstag und der Abreise Frodos aus dem Auenland liegt. Auch wenn man es nicht wahrnimmt, so liegen zwischen diesen beiden Ereignissen immerhin 17 Jahre.

Dieser Zeitraum lässt uns mit Held*innen in Berührung kommen, die es anderswo vielleicht nicht bis in die erste Reihe geschafft haben. Eine lange Zeit, um Abenteuer zu erleben, gefordert zu werden oder sich in voller Verzweiflung in ein Orkloch verkriechen zu wollen.

Doch was ist Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel, oder vielleicht besser noch, das Living Card Game, eigentlich?

Zuallererst ist es natürlich ein Kartenspiel. Das ist recht eindeutig. Eines, in dem man sich sein eigenes Spieldeck zusammenstellen und fortlaufend verändern kann, um mit diesem zu spielen. Das macht den „Living“-Aspekt aus. Wie bei Arkham Horror LCG bestreiten die Spielenden ein gemeinsames Abenteuer.

Die Spielenden spielen gemeinsam, haben jedoch eigene Bereiche.

Die Spielenden sitzen nebeneinander und kooperieren in jedem einzelnen Schritt des Ablaufs. Zu Beginn wird das Deck angepasst, um die vorgegebenen Missionen zu erfüllen. Dies ist bei einem Living Card Game das zentrale Element. Das Deck muss immer wieder aufs Neue verändert werden, um es an die Gegebenheiten und Erfordernisse anzupassen.

Daher kauft man auch bei Erweiterungen keine „Booster-Packs“ – wie beispielsweise bei Magic – The Gathering – in der Hoffnung auf eine gute Karte. Bei den Erweiterungen ist klar definiert, welche Karten sich darin befinden. So ist es den Spielenden selbst überlassen, zu entscheiden, ob eine solche Investition in das Deck notwendig ist.

Spielablauf

Noch vor Beginn einer Partie müssen wir uns mit der angehenden Mission auseinandersetzen. Denn anders als bei Deckbuilding-Games wie The Hunger bauen wir unser Kartendeck noch vor dem eigentlichen Spiel zusammen. Ein Scheitern ist ansonsten vorprogrammiert.

Schon die Anleitung empfiehlt, eigene Decks für die Missionen zu bauen.

Ist das erledigt, besteht der restliche Spielaufbau lediglich aus dem richtigen Zusammenstellen des Begegnungsdecks, welches vom Spiel selbst gesteuert wird und sich für jede Mission unterscheidet.

Anschließend stellt man sich mit den gewählten Held*innen dem Abenteuer. Das passiert in strukturierten Phasen. Zunächst erhalten alle Charaktere am Anfang einer Runde eine Ressource. Zudem wird eine Karte vom Deck gezogen. Das Deck besteht aus Verbündeten, Verstärkungen und Ereignissen, welche die Held*innen auf ihrer Reise unterstützen können. Um die Karten ins Spiel zu bringen, müssen deren Kosten bezahlt werden.

Wurden die gewünschten Vorbereitungen getroffen und die Karten bezahlt, geht es in die Abenteuerphase. Hier muss entschieden werden, welche Charaktere in das Abenteuer vorrücken, also die Umgebung erkunden wollen. Diese werden hierfür erschöpft und dürfen grundsätzlich in der Runde keine weiteren Aktionen durchführen.

Ihnen entgegen stellt sich das Begegnungsdeck, von welchem ein Aufmarsch erfolgt.

Mit dem Phasenablauf nimmt es das Referenzbuch sehr ernst.

Dadurch können Monster, Orte oder neue Ziele aufgedeckt werden. Zudem verfügen einige Karten über Sondereffekte, welche sofort abgehandelt werden.

Sind alle Karten aufgedeckt, wird ihr addierter Widerstandswert mit dem addierten Willenskraftwert der Helden*innen verglichen, welcher auf den jeweiligen Karten abgedruckt ist. Ist der Wert der Charaktere höher, gibt es einen Fortschritt im Abenteuer, welcher der Differenz zwischen dem Bedrohungswert und der Willenskraft entspricht. Das bedeutet, dass ein Ort erkundet oder ein Weiterkommen im Abenteuer erreicht wurde und hierzu entsprechend Fortschrittsmarker platziert werden.

Ist die Bedrohung höher als die Willenskraft, steigt der Bedrohungsgrad, welcher auf einem beiliegenden Zähler stetig aktualisiert wird, um die entsprechende Differenz an. Hat dieser Wert die 50 erreicht, endet die Mission automatisch als Fehlschlag. Bei einem Gleichstand der Werte geschieht nichts und man muss sich erneut dem stellen, was aufgedeckt wurde, sowie neuen Gefahren in der nächsten Runde.

Wurde auf diese Weise ein Ort erkundet, wird in der Reisephase ein neuer aus der Aufmarschzone gewählt, um diesen zu erforschen. Ist man mit dem Reisen fertig oder hatte keine Gelegenheit dazu, da der alte Ort noch nicht abgelegt werden konnte, wartet das Gezücht des dunklen Herrschers schon darauf, einem das Leben schwer zu machen.

Nun geht es in die Begegnungsphase, in der die Schrecken Mittelerdes auf die Spielenden einströmen. Die Kreaturen in der Aufmarschzone werden nun den Spielenden zugeteilt. Solange der abgedruckte Kampfbereitschaftswert den Bedrohungswert eines Spielenden nicht überschreitet, wird dieser als Beute angesehen und angegriffen. Dazu werden die Kreaturen in den entsprechenden Spielbereich gelegt. Wehren kann man sich dagegen nur durch jene Charaktere, welche noch nicht durch vorherige Ereignisse erschöpft wurden.

Zunächst erhält jede Monsterkarte eine Schattenkarte. Dabei handelt es sich um verdeckte Karten, welche bei einem Angriff einen zufälligen Effekt in den Kampf einfließen lassen. Die Spielenden wählen nun eine der vor ihnen liegende Kreaturenkarten aus und weisen dieser, so sie möchten, eine der nicht erschöpften Karten der Charaktere zu. Anschließend wird die Schattenkarte der Kreatur aufgedeckt, die ihren Kampfwert beeinflussen kann.

Die zur Verfügung stehenden Held*innen haben unterschiedliche Talente.

Unabhängig von der Schattenkarte erfolgt schließlich die Bestimmung des erlittenen Schadens. Dazu wird der Angriffswert mit dem Verteidigungswert verglichen. Ist der Angriffswert nicht größer als der Verteidigungswert, entsteht kein Schaden, andernfalls wird erneut die Differenz der verteidigenden Karte als Schaden zugewiesen, welche an solchen Verletzungen auch sterben kann und damit aus dem Spiel genommen werden muss.

Sollten nun noch Verteidiger*innen stehen, folgt der Gegenangriff auf die gleiche Weise. Anstatt Schattenkarten können hier jedoch Sonderfertigkeiten der jeweiligen Held*innen von Mittelerde zum Einsatz kommen.

Hat jede Seite einmal angegriffen, geht es in die Auffrischungsphase, in der die erschöpften Karten wieder spielbereit gemacht werden und der Bedrohungsgrad automatisch steigt. Kreaturen, welche bis jetzt nicht besiegt wurden, bleiben im Kampfbereich der Spielenden um in der nächsten Runde erneut für Schrecken zu sorgen. Erst wenn das Abenteuer ausreichend Fortschrittsmarker erhalten hat, endet die Partie siegreich für die Spielenden und ein Vorrücken zur nächsten Mission ist möglich.

Ausstattung

Das Spiel kommt in einer großen Box daher, welche bereits von Anfang an ausreichend Platz für Erweiterungen bietet.

Das Bild auf dem Cover zeigt Gandalf den Grauen, wie er sich mit Schwert und Stab im Übergang zu einem Wald gegen Orks und Spinnen behauptet. Gandalf ist im Spiel als Verbündeter auch als Karte vorhanden.

Anders als in der Erstauflage sind hier bereits vier Starterdecks enthalten und vorsortiert. Dabei handelt es sich um ein Taktikdeck, welches auf den Kampf ausgelegt ist, ein Geistdeck, welches auf das Erkunden spezialisiert ist, ein Wissensdeck, welches vornehmlich dazu genutzt werden kann, um Charaktere am Leben zu halten, und ein Führungsdeck, welches ein guter Allrounder ist.

Im Vergleich zur Erstauflage hat sich allerdings nicht nur die Zusammenstellung der Spieldecks geändert, auch die Einführungsmissionen unterscheiden sich. Zudem hat man Kampagnenkarten hinzugefügt, die es ermöglichen, Missionen in einen größeren Zusammenhang zu setzen. Für ein Spiel im Kampagnenmodus sind Gunst- und Bürdekarten beigelegt, welche für bleibende positive oder negative Ereignisse erlangt werden.

Unabhängig von der Art der Karten ist jede einzelne sehr schön illustriert. Die Bilder lassen Spielende in die Welt von Der Herr der Ringe eintauchen und die Geschichte, die man spielt, auch direkt erleben.

Durch die beiliegende Anleitung allerdings muss man sich, ähnlich wie durch das Spiel selbst, erst einmal durchkämpfen.

Zwar unterteilt sie schon zwischen Grund- und weiterführenden Regeln, liest sich jedoch manchmal wie ein Schreiben vom Finanzamt. Da sind die Beispiele in Bildern ein Rettungsanker, den man gern ergreift.

Zusätzlich zur Anleitung liegt ein Referenzhandbuch bei, welches genauso seitenstark ist wie die Anleitung. Hier wollte man offensichtlich keine Regelfrage offenlassen. Das schreckt ein wenig ab, denn letztlich kommt man so auf knappe 70 Seiten.

Für Fans des Systems, von Living Card Games oder des Universums von Der Herr der Ringe ist das Spiel allemal sein Geld wert.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Asmodee/Fantasy Flight Games
  • Autor: Nate French
  • Erscheinungsjahr: 2011/2022
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 30 Minuten pro Person
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: 14+
  • Preis: ca. 55 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Die Seite von Asmodee bietet das Regelwerk und das Referenzbuch zum Download an. Für alle, die bereits die erste Auflage des Spiels besitzen und nur an den neuen Inhalten der Starterbox interessiert sind, können diese ebenfalls kostenlos herunterladen.

Hat einen das Fieber dann einmal gepackt, hat man einiges vor sich. Bisher sind bereits 31 Erweiterungen für Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel erschienen. Damit lassen sich nicht nur die Spieldecks erheblich personalisieren und anpassen, auch liefern sie etliche neue Missionen, die sich zu großen Kampagnen zusammenstellen lassen.

Fazit

Ich mag Der Herr der Ringe. Das Original: Düster, lustig, ehrlich. Eine Geschichte über Aufgaben, Freund*innen und Verlust. Das Kartenspiel ist genau das. Es ist düster. Die Feind*innen, die sich uns in den Weg stellen, sind nicht nur dunkel gezeichnet. Ihre Seelen sind so schwarz wie die Haut von Uruk-hai. Ohne Freund*innen wird ein Überleben unwahrscheinlich.

Und leider ist es genau das, was mir am Spiel nicht gefällt. Wir haben die Einführungsmission etliche Male mit den Anfangsdecks versucht, die wir gern testen wollten, sind aber jedes Mal gescheitert. Zwischenzeitlich fühlte ich mich wie bei Bloodborne. Egal, was wir versuchten, unsere Decks hielten den Anforderungen nicht stand. Dann, mit einem Deckwechsel, war die erste Mission fast schon zu leicht.

Ein eigenes Deck zusammenzustellen wäre hier natürlich das Richtige. Die Anleitung bietet dazu sogar Vorschläge für Kartenkombinationen und benennt auch die genauen Regeln für das Zusammenstellen. Damit ist das kein großes Problem, und man kann sich vormals großen Aufgaben mit einer gewissen Gelassenheit stellen. Doch mich konnte Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel damit nicht ködern.

Es ist eines der schwersten Spiele, die ich seit langem in der Hand hatte. Es ist eine Herausforderung. In anderen Spielen, wie etwa Nemesis, macht es mir nichts aus, zu verlieren. Von mutierenden Aliens die Hucke voll zu bekommen, erzeugt bei mir kaum Frust, und am Ende des Spiels habe ich mehr Spaß gehabt als beim Kämpfen in Mittelerde.

Die für LCG typische Mechanik des Zusammenstellens eines Spieldecks, steht bei Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel im Vordergrund. Da mich das nicht fesselt, hatte ich leider keine große Freude am Spielen.

Und die Anleitung mit ihren verklausulierten Beschreibungen macht das Ganze nicht besser.

Ich bin mir sicher, dass einige von euch wirklich viel Spaß mit Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel haben können. Seid euch aber bewusst, dass es Arbeit ist. Es ist kein Spiel für kurz mal eben eine Runde. Es ist ein Spiel, das euch einlädt, die Grenzen eures Frustes kennenzulernen, und euch dann belohnt, wenn ihr sie überschreitet.

In unseren Testrunden blieb die Belohnung allerdings leider zu oft aus.

  • Hoher Wiederspielwert

  • Schöne Illustrationen

 

 

  • Sehr schwer

  • Komplexe Anleitung

 

Artikelbilder: © Asmodee
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Simon Burandt
Fotografien: Thomas Mottl
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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