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Eigentlich sind Vampire als Thema für Filme, Serien und Spiele jeder Art gefühlt ausgesaugt. Sie lösen bei mir jedenfalls kaum noch einen großen Hype aus. Doch beim Namen Richard Garfield, dem Autor von Magic – The Gathering, sowie einer Deckbau-Mechanik sollte man hellhörig werden. KannThe Hunger den Blutdurst stillen?

Die unsterblichen Rosen erblühen, und die Vampire erwachen. Nun bleibt bis zum Sonnenaufgang Zeit, Menschen zu jagen und Gefährten zu finden.

In Richard Garfields Deckbuilding-Spiel schlüpfen die Spielenden in die Rollen der konkurrierenden Vampire und machen sich auf die Jagd. Anders als bei dem eher kleinen, aber feinen Ruchlos, gibt es hier einen sehr großen Spielplan, der neben der Deckbau-Mechanik den zweiten großen Mechanismus repräsentiert: Einen Wettlauf gegen die Zeit. Kann die Hatz bis zum Morgengrauen überzeugen, oder ist die Angelegenheit am Ende doch eher blutleer?

Das Spiel bietet einen einstiegsfreundlichen Modus mit etwas anderen Voraussetzungen an, wie beispielsweise weniger komplexen Jagdzielen, einfacheren Bedingungen, um am Ende gewinnen zu können, oder dem Verzicht auf asymmetrische Fähigkeiten der Vampire. In der folgenden Erläuterung werden nur die „Standardregeln“ erklärt.

Spielablauf

Das Spielfeld
Das Spielfeld

Bei The Hunger ist unser Ziel, möglichst viele Dorfbewohner*innen zu jagen, um Blutpunkte zu sammeln. Dabei darf man aber nicht so behäbig werden, dass man es nicht mehr ins Schloss zurückschaffen. Denn nur wer am Spielende wieder im Schloss oder zumindest in dessen nächster Umgebung ist, darf an der Endwertung teilnehmen. Alle anderen verbrennen zu Asche.

 

Eine Partie besteht aus exakt 15 Runden. Zu Beginn erhalten alle Vampire ihre Startkarten. Diese sind, wie bei Deckbuildern üblich, für alle identisch. Zusätzlich bekommen alle zwei zufällige Jagdziele, von denen eins behalten werden darf. Dies sind geheime Ziele, mit denen entweder am Spielende Punkte gemacht werden können oder die beim Ausspielen einen sofortigen Bonus geben.

Am Anfang jeder Runde wird die Zugreihenfolge bestimmt. Bei Spielstart erfolgt dies durch die drei gezogenen Handkarten. Der Vampir mit der niedrigsten Geschwindigkeit, der „Währung“ in The Hunger, beginnt und dann folgen die anderen in aufsteigender Reihenfolge. Im weiteren Verlauf richtet sich die Reihenfolge nach der Position auf dem Spielplan. Hier lautet die grundsätzliche Faustformel „desto weiter vom Schloss entfernt, desto eher bin ich dran“.

Eine Auswahl von Fähigkeiten und Gefährten
Eine Auswahl von Fähigkeiten und Gefährten

Ist die Reihenfolge erst einmal geklärt, folgen die Züge der Vampire. Zuerst werden die drei gezogenen Handkarten aufgedeckt und ihre Effekte abgehandelt (sofern vorhanden). Diese Effekte können beispielsweise dafür sorgen, dass keine weiteren Karten gezogen oder aufgedeckt werden dürfen, Karten aus der Auslage entfernt werden oder durch bestimmte Aktionen zusätzliche Blutpunkte (die Siegpunkte bei The Hunger) erhalten werden.

Sind alle Effekte abgehandelt, wird die Geschwindigkeit aller ausliegenden Karten addiert. Mit dieser Geschwindigkeit können nun zwei Dinge getan werden: Bewegen und Jagen. Mit den Geschwindigkeitspunkten kann man sich entsprechend viele Felder auf dem Spielplan vom Schloss weg- oder zum Schloss hinbewegen, und mit den (möglicherweise) verbleibenden Punkten darf gejagt werden. Um Punkte zu sparen, darf man sich entscheiden, sich gar nicht zu bewegen. Tut man dies, gibt es jedoch nicht den Bewegungsbonus des aktuellen Feldes.

Die begehrten Rosen
Die begehrten Rosen

Auf Schatzfeldern darf man sich das dortige Schatzplättchen nehmen, durch die man Blutpunkte und weitere Vorteile erhält, wie zum Beispiel zusätzliche Geschwindigkeit, eine Verdopplung der Schatzplättchen-Blutpunkte, Joker für Jagdziele et cetera. Auf Grabstätten sind neue Jagdziele verfügbar. Eine zusätzliche Jagd auf dem günstigsten Jagdfeld rechts außen ermöglichen die Brunnen. Im Gasthaus erhält man für zwei Geschwindigkeit den gesamten Stapel an Jagdkarten, der dort ausliegt, und im Labyrinth am Ende des Spielplans darf man sich eine Rose seiner Wahl nehmen. Diese Rosen bieten massive Vorteile für den Rest des Spiels, aber man läuft dramatisch Gefahr, es bei Spielende nicht mehr zurück ins Schloss zu schaffen und zu verbrennen.

Ein paar mögliche Schatzplättchen
Ein paar mögliche Schatzplättchen

Nach der Bewegung darf exakt einmal mit den verbliebenen Punkten auf dem Jagdgebiet gejagt werden. Hier liegen die Jagdkarten aus und kosten je nach Position auf dem Tableau ein bis drei Geschwindigkeitspunkte. Beim Jagen dürfen alle Karten genommen werden, die auf dem Feld liegen, welches Ziel der Jagd war. Die Jagdkarten sind in vier Kategorien unterteilt: Menschen, Fähigkeiten, Gefährten, Gegenstände. Fähigkeiten besitzen meist hohe Geschwindigkeiten und Effekte. Gefährten sind tierische Begleitungen, die bei der Jagd helfen und die Auslage dauerhaft verbessern können, da sie auf Wunsch dauerhaft in der Auslage verbleiben dürfen. Die seltene Kategorie Gegenstände wird durch die drei Rosen repräsentiert. Das Wording in der Anleitung legt aber die Vermutung nahe, dass durch mögliche Erweiterungen weitere Gegenstände hinzukommen könnten.

Je ein Mensch aus jeder Fraktion
Je ein Mensch aus jeder Fraktion

Die für die Endwertung (und unsere vampirischen Gelüste) wichtigste Kategorie sind jedoch die Menschen. Diese sind noch einmal unterteilt in vier Zugehörigkeiten: bürgerlich, geistlich, kämpferisch und adelig. Diese Unterteilung ist für viele Jagdziele relevant. Menschen geben die so wichtigen Blutpunkte. Doch thematisch sehr passend „verstopfen“ alle Menschen, die gejagt wurden, das Deck und machen uns langsam. Denn die meisten Menschen geben keine Geschwindigkeit, wenn sie in der Auslage liegen, oder reduzieren diese sogar noch. Und gänzlich nervig wird es, wenn Trunkenbolde gezogen werden, die uns verwirren, so dass wir uns automatisch vier Felder vom Schloss wegbewegen, oder Opfer, die etwas so Scharfes gegessen haben, dass vor der nächsten bewussten Bewegung erst der nächste Brunnen aufgesucht werden muss.

Verschiedene Jagdziele für die Endabrechnung oder Sofortboni
Verschiedene Jagdziele für die Endabrechnung oder Sofortboni

Haben alle Vampire ihren Zug beendet, wird die nächste Runde vorbereitet. Der Rundenanzeiger wandert weiter, und die Karten im Jagdgebiet wandern alle ein Feld nach rechts. Ausnahme sind die Karten der Spalte ganz rechts, diese bleiben einfach liegen. Am Ende der 15. Runde wird zunächst geschaut, welche Vampire in Sicherheit sind. Alle Vampire, die nicht wieder auf dem Schloss oder mindestens dem Friedhof gelandet sind, verbrennen und können nicht gewinnen, egal wie viele Blutpunkte sie besitzen. Vampire auf dem Friedhof müssen auf der Siegpunktleiste fünf Punkte abziehen. Im Schloss erhält man, je nachdem, als wievielter Vampir man einläuft, Bonus-Punkte. Nun werten alle zunächst die beiden öffentlichen Jagdziele auf dem Spielplan und dann die Jagdziele auf dem eigenen Tableau. Der überlebende Vampir mit den meisten Blutpunkten hat gewonnen.

Ausstattung

Die Charaktere mit ihren Holzmarkern
Die Charaktere mit ihren Holzmarkern

Zunächst möchte ich den sehr comichaften Zeichenstil des Spiels positiv hervorheben. Das Flair der Zeichnungen passt gut zu dem leichtgängigen Spielprinzip und ist sehr stimmig und schön anzuschauen. Dass gerade bei den Vampiren an der ein oder anderen Stelle etwas über das Ziel hinausgeschossen wurde, ist jedoch bedauerlich. Die vier Charaktere Rajesh, Yoko, Boris und Josephine sind durch ihre klischeehafte Darstellung hart an der Grenze zum unangenehmen Stereotypen.

Das Spielmaterial besitzt eine sehr wertige Haptik und ist pragmatisch. Statt (wie viele andere Spiele) auf Teufel komm raus Miniaturen ins Spiel zu quetschen, sind die Vampire durch Holzmarker dargestellt. Diese Marker besitzen eine aktive und eine erschöpfte Seite, um anzuzeigen, ob der jeweilige Vampir in dieser Runde bereits seinen Zug getätigt hat.

Das aufgeräumte Innere der Schachtel
Das aufgeräumte Innere der Schachtel

Alles passt wunderbar in die Schachtel, und die Aussparungen für das Material sind vernünftig eingearbeitet. Die Anleitung ist klar verständlich, und auch die deutsche Übersetzung ist sehr klar. Auf gerade einmal acht Seiten wird das Spielprinzip gut wiedergegeben. Die Beispiele helfen beim Verständnis, und die Erklärung der sehr eingängigen Ikonografie ist für die ersten ein bis zwei Runden Gold wert.

 

 

Die harten Fakten:

The Hunger Spielschachtel

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor*in(nen): Richard Garfield
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60 Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: (2) 3 4 5 6
  • Alter: ab 12 Jahren
  • Preis: ca. 35 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite von Pegasus Spiele gibt es die deutsche Anleitung.

Fazit

Lieber Richard Garfield, du hast mich von meinem Vampir-Verdruss geheilt. The Hunger ist ein schnell gelernter Deckbuilder, der auch Wenig-Spielenden schnell Spaß macht. Die Ikonografie ist sehr schnell gelernt, und durch die sehr gute Übersetzung sind Karteneffekte klar und eindeutig. Auch die eher wenigen möglichen Aktionen ziehen das Spiel nicht unnötig in die Länge, da man nicht allzu viel Auswahlmöglichkeiten hat. Mit Min-Maxing kann natürlich auch diesem Spiel viel Fluss genommen werden, aber die Gefahr ist geringer als bei anderen Vertretern dieser Mechanik. Der Wettlauf-Aspekt funktioniert sowohl mechanisch als auch thematisch. Dadurch muss sich The Hunger aber leider den Vergleich mit Klong! gefallen lassen.

Fraglich bleibt der Wiederspielwert. Es entstand nicht das Gefühl, nach einer Partie etwas noch nicht gesehen zu haben. Klar kann man in der nächsten Partie versuchen, etwas besser zu machen und mal ausnahmsweise nicht zu verbrennen. Aber gefühlt reicht es einfach nicht für „mehr“. Hier bleibt abzuwarten, ob die Erweiterung High Stakes (auf Deutsch noch nicht bestätigt; sollte das noch geschehen, bin ich auf die Übersetzung des Wortspiels gespannt) mit Vampirjäger*innen und Werwölfen eine neue Dynamik reinbringen kann.

Unterm Strich kann ich The Hunger allen Deckbau-Fans ans Herz legen. Die Partien haben gefühlt immer die richtige Länge, und die eigene Downtime hält sich auch bei höheren Personenzahlen in Grenzen. Gerade, wenn man die Mechanik mag und Wenig-Spielenden näherbringen möchte, ist The Hunger eine schöne Einstiegshilfe.

Das Spiel erhält vier von fünf Pflöcken ins Herz.

  • Sehr schnell erklärt und gelernt
  • Tolles Artwork
  • Hübsches und pragmatisches Material
 

  • Charaktere grenzwertig stereotypisch
  • Begrenzter Wiederspielwert

Artikelbilder: © Pegasus Spiele
Layout und Satz: Kai Frederic Engelmann
Lektorat: Simon Burandt
Fotografien: Tim Billen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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