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Am vergangenen Wochenende war es soweit. Zentral in Deutschland wurden Wesen aus vergessenen Mythen und anderen Zeiten gesehen. Nicht nur eine Ausstellung, ein ganzes Programm lockt, um sich mit Kreaturen zu befassen, welche einen tief in das Reich der Sagen ziehen. Wir waren unter den Ersten, die sie sahen.

Alexander von Humbold machte einst auf einer seiner Forschungsreisen in Hann. Münden Rast und soll über die Stadt gesagt haben, dass es „eine der sieben schönst gelegenen Städte der Welt“ sei.

In einer Zeit, in der die Menschen reisen mussten, um sich Wissen anzueignen, war er Mitbegründer ganz neuer Forschungsbereiche. Folglich mag er gewusst haben, was er sagt.

Nun ist Hann. Münden erneut für jene von Bedeutung, welche sich auf die Suche nach neuem oder vielleicht auch nur verlorenem Wissen begeben wollen. Denn die Mythentage sind am vergangenen Freitag eröffnet worden und locken jene in das beschauliche Städtchen, die sich für Sagenhaftes und Mythisches in der Welt begeistern können.

Veranstaltungsörtlichkeit Hann. Münden nahe der nordhessischen Grenze

Bereits auf dem Weg in die Stadt erzählt uns das Radio von der bevorstehenden Eröffnung des Kabinetts der Kreaturen und von zahlreichen Veranstaltungen in diesem Zusammenhang.

In Hann. Münden angekommen fällt es uns nicht schwer einen Parkplatz in der Nähe unseres Ziels zu finden, die Stadt ist schließlich nicht so überlaufen und hektisch wie etwa Frankfurt am Main.

Von hier lassen sich die meisten Veranstaltungen der Mythentage dann problemlos zu Fuß erreichen, da sie im Bereich des Stadtkerns liegen. Über 700 alte Fachwerkhäuser und ein phänomenales Rathaus mit Glockenspiel lassen sich hier bewundern und wir entscheiden uns noch für einen Stadtbummel. An der Flussmündung „wo Fulda sich und Werra küssen“ reisen wir in der Zeit zurück, um festzustellen, dass dies ein passender Ort ist, um sich mit etwas zu befassen, was in unserer aufgeklärten Welt kaum noch einen Platz hat. Geschichte live zu erleben, bekommt in diesem Kontext eine neue Bedeutung. Wir entschließen uns, dass es Zeit wird, dem ins Auge zu schauen, was uns in die Stadt geführt hat. Zu Fuß geht es die letzten Meter zu unserem Ziel.

Kabinett der Kreaturen

Unscheinbar gelegen beherbergt das Haus mehr, als man erwartet.
Unscheinbar gelegen beherbergt das Haus mehr, als man erwartet.

In einer engen Einbahnstraße, unscheinbar und leicht zu unterschätzen befindet sich in einem Schaufenster die Aufschrift „Museum“.

Auf unser Klingeln werden wir hineingebeten und sind bereits hier von allerlei Wunderlichkeiten umgeben, welche unsere Neugier wecken. Hier gehe es zur „Wunderkammer“, doch wir würden bereits im Obergeschoss erwartet, teilt uns der Doktor mit. Und so gehen wir zunächst eine schmale Treppe hinauf, um in eine andere Art von Wunderkammer zu gelangen. Hier werden wir vom Herrn der Kreaturen und Mythenjäger, Florian Schäfer, in seinem Kabinett in Empfang genommen. Um uns herum: Wesen aus einer anderen Realität. Hinter uns ein Einhorn, welches so ganz anders aussieht als jene, die aus Film und Medien in den Köpfen der Menschen sind, blicken wir vor uns in die Augen eines Lindwurms, der sich um einen Ast schlängelt.

Dass es sich bei den Exponaten nicht um reale Tiere handelt, muss man sich hin und wieder ins Gedächtnis rufen. Man habe sich beim Erstellen der Figuren an die realen Beschreibungen aus vergangenen Zeiten gehalten, berichtet der Mythenjäger. Die Liebe zum Detail sieht man dann auch beim Betrachten der Ausstellung. Doch nicht nur für das Auge sind die Ausstellungsstücke. Verborgen in Schubladen befinden sich Beschreibungen zu den Wesen und ordnen diese historisch sowie mythologisch ein.  Hier und da finden sich dann auch QR-Codes, welche noch weitere Informationen für uns bereithalten. Somit ist auch der Kopf damit beschäftigt neue Informationen über sagenhafte Dinge zu erfahren. Was hier ausgestellt werde, so der Mythenjäger, sei keine Phantasie. Es seien einfach Wesen aus der Realität einer anderen Zeit.

Eines der Exponate
Eines der Exponate

Und das führt er dann auch weiter aus und erklärt uns die Hintergründe einiger Exponate. Dass es in der Vergangenheit zum guten Ton gehört habe – im Adelskreis zumindest – ein Einhorn-Horn zu besitzen.

Es geht auch darum die Wesen kennenzulernen.
Es geht auch darum, die Wesen kennenzulernen.

Seine Untergebenen und Jäger*innen habe man auf die Suche nach derlei Wesen geschickt und Erfolge verlangt. Und auch damals gab es dann schon findige Handwerker*innen und Geschichtenerzähler*innen, die einen Wolpertinger ersannen und zu Geld machten. Mancherorts wurden auch, gerade mit Neulingen, Jagden etwa auf Dilldappen organisiert und sich letztlich köstlich im Wirtshaus darüber amüsiert, dass der Neue seit Stunden im dunklen Wald steht.

Bei den Erzählungen merken wir, dass Florian ein unglaublich breites Wissen über seine Exponate und auch den entsprechenden mythischen Hintergrund besitzt und vor allem Freude dabei hat dies weiter zu tragen. Er ist aber nicht nur der Herr der Kreaturen, er ist auch deren Schöpfer. In mühevoller Handarbeit sind die Wesen Schicht für Schicht entstanden, die man nun, teilweise erstmals, bewundern kann. Auch wenn das Museum nicht mit der Größe eines Senckenberg-Museums mithalten kann, sein Ziel gegen das Vergessen regionaler Sagen anzukämpfen, nimmt es ernst.

Veranstaltungen im Rahmen der Mythentage

Das Kabinett der Kreaturen stellt den zentralen Baustein der Hann. Mündener Mythentage dar, soll jedoch nicht der einzige Programmpunkt bleiben. Vom 14.10. bis zum 30.10.2022 entführen uns die Mythentage, mit Schwerpunkt auf den Wochenenden, in unsere eigene phantastisch angehauchte Vergangenheit.

Während die Sagenhafte Schifffahrt am Sonntag, den 15.10., schon quasi ausgebucht war, bieten diverse Konzerte und Lesungen für jene, die schnell genug sind, sich eine Eintrittskarte zu sichern, attraktive Angebote für Einzelpersonen bis hin zu Familien. Das aktuelle Programm kann dazu jederzeit online auf der Website des Veranstalters Forgotten Creatures eingesehen werden. Exemplarisch sei hier das Bandoneon-Konzert von Hannelore Koch am 28.10.2022 über Mythen, Märchen und Sagen von Seeungeheuern, Geisterschiffen und verzweifelten Liebenden genannt. Auch Lesebegeisterte sollen nicht zu kurz kommen. Am Samstag, den 29.10.2022, wird eine Lesung des bekannten Autors Kai Meyer mit Szenen aus seinen bekannten und aktuellen Werken samt Fragerunde des Publikums angeboten.

Ausstellungen während der Mythentage

Parallel zu den Mythentagen können neben dem Kabinett der Kreaturen auch weitere Ausstellungen besucht werden. So bietet der Göttinger Märchenland e.V. in der Lohstraße 3 von Freitag bis Sonntag, 12:00–17:00 Uhr die Ausstellung Fabelhafte Illustrationen an.

Gleich unter dem Kabinett der Kreaturen findet sich außerdem Dr. Wolfs Wunderkammer. Bei dieser handelt es sich um eine Dauerausstellung, die im Jahr 2020 eröffnet wurde und noch bis zum 01.11.2022, vor ihrer Schließung zwecks Erweiterung, besucht werden kann. Danach öffnet die Wunderkammer ihre Pforten erst wieder für ihre große Wiedereröffnung am 03.03.2023.

Wir durften im Rahmen einer kleinen privaten Führung Dr. Wolfs einen Blick in die Wunderkammer werfen und können einen Besuch dieser in Verbindung mit den Mythentagen nur empfehlen. Egal ob Larper*in, phantastisch oder historisch Begeisterte, in der Wunderkammer findet jedes Auge etwas, das es begeistert. Ob kleine Mäuse mit medizinischem Hintergrund, Basilisken aus unerwartetem Material oder historische Einrichtung, an dieser Stelle möchten wir nicht zu viel verraten, so ziemlich alles nur Denkbare findet sich in den kleinen Räumlichkeiten wieder.

Aufmerksame Besucher*innen entdecken hier verborgene Geister.
Aufmerksame Besucher*innen entdecken hier verborgene Geister.

Dr. Wolf erklärt uns, dass seine Frau und er sich schon immer für die Geschichte der Kleinigkeiten und manchmal auch des Merkwürdigen interessierten und so ihr Hobby zum Beruf gemacht haben.

Die Allgemeinheit solle die Möglichkeit bekommen die Anfänge der Museen zu erleben. Die Welt so kennen zu lernen, wie man es vor Jahrhunderten tat: In einem Raum gefüllt mit spannenden und überraschenden Dingen, in dem man gern die Zeit vergisst.

Die Wunderkammer sei dabei auch kein reiner Ort des Betrachtens. Hier und da ist es auch gern gesehen etwas zu begreifen, seiner Neugierde freien Lauf zu lassen und eigene Geschichten zu dem Gesehenen zu erzählen. Denn sicher ist: Alle finden in der Kammer etwas, zu dem sie selbst Bezug haben. So werde jede Führung zu einer eigenen, besonderen Erfahrung für Dr. Wolf und die Besucher*innen.

Von unserer Seite können wir zumindest so viel verraten, dass der eine oder andere Rote Faden sich durch die Kammer schlängelt und vielleicht Dinge offenbart, die hinter verschlossenen Türen versteckt sind.

Artikelbilder: © Forgotten Creatures
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Maximilian Düngen
Fotografien: Thomas Mottl

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