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Phantastik kommt selten ohne Mythologie aus. Grade der deutschsprachige Raum bietet hier eine Fülle spannender Geschichten, auch jenseits der Brüder Grimm. Aber wo findet man diese? Wir haben Florian von Forgotten Creatures zum Gespräch eingeladen und wurden in eine fast vergessene Welt entführt.

Wer sich viel im Fantasy-LARP bewegt, mag schon einmal auf den Feensammler gestoßen sein. Florian Schäfer hat sich intensiv mit deutscher Mythologie beschäftigt und nutzt sein beeindruckendes Fachwissen nicht nur, um LARP lebendiger zu machen – sein Projekt Forgotten Creatures hat auch eine Zielgruppe jenseits des Live-Rollenspiels im Fokus. Grund genug, sich Florian zu schnappen und ausführlich über sein Projekt zu reden, denn klassische deutsche Mythen eröffnen eine spannende und unverbrauchte Welt, die es sich lohnt zu erkunden.

Florian Schäfer ist der Initiator des Projekts Forgotten Creatures, das unter dem Dach des Zeitensprünge e.V. angesiedelt ist. Als studierter Biologe arbeitet er als Tiergartenplaner und wirkt unter anderem an der Planung von Zoogehegen mit. Seine Liebe zur gestalterischen Arbeit lebt er auch im Hobby aus und ist neben seinem Projekt über vergessene Mythenwesen auch regelmäßig auf Live-Rollenspielen zu finden.

Hausgeister und anderes Gezücht

Teilzeithelden: Mit Forgotten Creatures hast Du ein ambitioniertes Projekt gestartet, aber was ist das eigentlich genau?

Florian: Forgotten Creatures ist nicht nur ein Projekt, es ist eine Mission. Wir retten Mythenwesen vor dem Vergessen! Das klingt zunächst recht phantastisch, ist aber bei genauerer Betrachtung eine Mischung aus Kunst und Kulturgeschichte. Im Grunde geht es um all die verschiedenen Wesen der niederen Mythologie: Kobolde, Lindwürmer, Geldmännlein oder Holzweiber.

Teilzeithelden: Kobolde und Lindwürmer kennt man, aber Geldmännlein?

Florian: In der Tat, den Kobold kennen manche vielleicht noch, aber spätestens beim Geldmännlein wissen selbst Fantasy-Fans oft nicht weiter. Dabei sind diese Wesen mal ein fester Bestandteil des Volksglaubens gewesen. Das Geldmännlein ist zum Beispiel eine Variante der Alraune. Es mehrt das Geld seines Besitzers, wenn man sich gut um es kümmert. Mit dem Besitz gefährdet man jedoch sein Seelenheil. Im Zuge der Hexenprozesse wurden vielfach Menschen angeklagt und beschuldigt, ein solches Wesen zu besitzen.
Und das ist der springende Punkt: Menschen haben an Natur- und Hausgeister geglaubt, sie verehrt, gefürchtet oder als Sündenbock genutzt. Viele Kreaturen unserer modernen Fantasy basieren auf diesen Sagen und Erzählungen, doch die Ursprünge gehen verloren. Forgotten Creatures hat sich zur Aufgabe gemacht, den eher unbekannten Wesen der Kulturgeschichte wieder ein neues Gesicht zu geben: mit lebensecht wirkenden Skulpturen.

Teilzeithelden: Vermutlich ist so ein Projekt selbst für Larper kurios. Was fasziniert dich so besonders, grade an deutschsprachiger Mythologie?

Florian: Meine Faszination für mythologische Stoffe begann schon sehr früh. Als Kind vom Land wuchs ich tatsächlich noch mit verschiedenen Sagen und Märchen auf, meine Fantasie tat dann ihr Übriges. Vor allem ist es aber auch die Ursprünglichkeit und das Wissen, dass Zwerge und Hausdrachen keine reine Erfindung der Fantasie waren, sondern Versuche, die Umwelt zu erklären. Mich faszinieren die soziokulturellen Hintergründe, die mit dem Glauben an Geister und Dämonen einhergingen. Das Verschwinden der Zwerge, das viele Sagen beschreiben, hatte zum Beispiel einen politischen Hintergrund.

Teilzeithelden: Spontan kommen bei solchen Themen die Brüder Grimm in den Sinn, aber wo hast Du noch Deine Quellen gefunden?

Florian: Die Sagensammlungen des 19. Jahrhunderts sind recht umfangreich. Neben den Grimms haben einige andere Autoren Sagen und Märchen gesammelt. Aber unsere Recherche geht noch tiefer. Zusammen mit der Erzählforscherin Janin Pisarek sichten wir historische Quellen aus Stadtarchiven, die teilweise bis ins 16. Jahrhundert und noch früher zurückreichen. Auch Akten zu Hexenprozessen können Informationen liefern. Meist sind es Textquellen. Bilder von Hausgeistern gibt es erst vermehrt ab dem 18. Jahrhundert. Vorher hat man diese Wesen offenbar nicht künstlerisch dargestellt.

Die Kunst, Bilder zu erschaffen

Teilzeithelden: Du machst vor allem Figuren und kleine Dioramen, von vielen Wesen gibt es aber nur Beschreibungen. Wie erschaffst Du dennoch das konkrete Bild?

Florian: In meinem Mythenatelier reihen sich Bücher, Ausdrucke und Skizzen aneinander (lacht). Die Grundlage jeder Figur bildet stets die aufwändige Recherche in historischen Quellen. Ich versuche, mich den Vorstellungen unserer Vorfahren so nah wie möglich anzunähern. Natürlich bleibt es eine (moderne) Interpretation, aber wenn es in den Schriften heißt, dass Wichtel rote Augen haben und sechzehn von ihnen in einen Ofen passen, dann bekommen sie eben rote Augen und ich messe Öfen aus der entsprechenden Epoche aus, damit sie die richtige Größe haben.

Teilzeithelden: Auf dem WELTENwerker Konvent habt ihr einen Bildband präsentiert. Wer euch also nicht live sehen kann, hat zumindest die Möglichkeit, Bilder anzuschauen. War das auch der Plan?

Florian: Tatsächlich war das eher ein „Unfall“, denn zunächst planten wir eine kleine Wanderausstellung Hausgeister! Hier wollten wir auch Menschen außerhalb des Live-Rollenspiels unsere Arbeit präsentieren. Wir gewannen relativ schnell drei kleinere Museen für dieses Projekt und begannen mit der konkreten Umsetzung. Aus dem Vorhaben eines kleinen Ausstellungskataloges wurde dann aber sehr schnell mehr. Jetzt sprechen wir von einem fast 200 Seiten starken Buch, das neben einem historischen Rückblick über die Geschichte der Hausgeister durch die Epochen wirklich schöne Fotografien der Fotografin Hannah Gritsch zeigt. Gemeinsam haben wir die Hausgeister in Freilichtmuseen abgelichtet und so in ihrem “natürlichen Umfeld” eingefangen. Hinzu kommen populärwissenschaftliche Beiträge von sechs Fachwissenschaftlern, vom Archäologen bis zum Psychologen, die sich auf die ein oder andere Weise mit Hausgeistern beschäftigt haben.

Das Buch erscheint voraussichtlich im Juni 2020. Durch Corona haben sich ein paar Dinge verzögert, wir bleiben aber sehr optimistisch. Da es das erste Projekt dieser Art ist, sind wir auf Vorbestellung angewiesen. Der Vorverkauf ermöglicht uns, eine entsprechende Auflage an Büchern zu drucken. und wer weiß, eventuell beißt bei entsprechenden Zahlen ja auch ein Verlag an und unterstützt uns. . Da es das erste Projekt dieser Art ist, bieten wir aber eine Vorbestellung zum günstigen Preis von 29,90€ an. Es ist unser erstes Projekt dieser Art. Der Vorverkauf ermöglicht uns, eine entsprechende Auflage an Büchern zu drucken.

Teilzeithelden: Und wo kann man die Ausstellung nun live bewundern?

Florian: Im Juni wird die Wanderausstellung im Brüder-Grimm Haus in Steinau zum ersten Mal eröffnet, im Juli ziehen wir dann ins Stadtmuseum in Neu-Isenburg, wo die Ausstellung ca. ein halbes Jahr zu sehen sein wird. Den vorläufigen Abschluss findet die Ausstellung dann im Stadtmuseum Camburg (Thüringen) im März 2021. Abseits der Hausgeister-Ausstellung kann man Exponate von mir auch in den „Denkräumen für Kulturgeschichte(n)“ sehen, ein kleines Museum, dass ich zusammen mit Freunden in Hann. Münden im kommenden August eröffne. Das ein oder andere Exponat findet seinen Weg aber sicher auch mit und auf Live-Rollenspiele.

Disclaimer: Aufgrund der Corona-Pandemie kann es zu Änderungen der Daten kommen. Nähere Informationen findet ihr auf der Homepage von Forgotten Creatures.

Mystik im LARP

Teilzeithelden: Ein gutes Stichwort. LARP haben wir nun schon ein paar Mal angesprochen. Verbindest Du beide Hobbys miteinander?

Florian: Mit meinem Charakter, dem Feensammler, versuche ich, wieder ein bisschen mehr Mystik in das gemeinsame Spiel zu bringen. Gruselige Geschichten, die man sich abends am Lagerfeuer erzählt, Aberglaube und die Angst vor dem Unbekannten, was im Wald lauert. Darum geht es mir. Viel zu oft empfinde ich die Magie auf Fantasy-Cons zu geregelt und entzaubert, daher bringe ich die Ursprünge unserer heutigen Fantasy wieder auf den Spielplan.

Teilzeithelden: Du erwähntest, dass Du nur einige Exponate mit auf Live-Rollenspiele nimmst, dabei ist das doch eine enorme Bereicherung, oder?

Florian: Mittlerweile bin ich auf LARP-Conventions sehr vorsichtig geworden. Früher habe ich eine ganze Menge Ausstattung und Figuren in Zelte gestopft und ein wahres Kuriositätenkabinett ausstatten können. Aber das ist vielfach zu unsicher geworden, besonders auf Zeltcons. Einmal haben Wind und ein rüpelhafter Spieler gleich zwei Figuren auf einer Con zerstört, das war sehr ärgerlich. Daher braucht es mittlerweile ein wirklich gutes Angebot, damit ich die zum Teil wirklich teuren Figuren solchen Risiken aussetze. Aber für die kommenden Jahre habe ich auch die ein oder andere interaktive Idee, die sich speziell für LARP eignen lassen soll. Man darf also gespannt sein.

Teilzeithelden: Ein extrem spannendes Projekt hast Du da aufgezogen und das auch noch ins LARP transferiert. Was planst Du für die Zukunft?

Florian: Ich bin bereits in Gesprächen für weitere Ausstellungen und ein paar andere Konzepte. Spruchreif ist davon aber noch nichts. Nach den Arbeiten für die Wanderausstellung stehen erstmal ein paar Kundenaufträge an und die Erweiterung meiner Ausstellung in den “Denkräumen für Kulturgeschichte(n)”.

Artikelbilder: Hannah Gritsch Photo und Design

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