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Orks kommen im Liverollenspiel in verschiedensten Formen – und manchmal auch Farben. Aber wie sieht Ork-Larp vor dem Hintergrund der Welt aus, die diese Wesen erst bekannt gemacht hat? Ork-Spiel angelehnt an Tolkiens Mittelerde birgt wie jedes Genre seine ganz eigenen Tücken und Highlights, Konflikte und Abgründe.

Als J.R.R. Tolkien seine Orks erdachte, schuf er damit eine bis dahin unbekannte Form des Bösen.

Massenhaft auftretende, bösartige Handlanger eines dunklen Herrschers, die zu Tausenden gegen die letzten Widerstände der designierten Guten branden und bei denen es nicht leidtun muss, wenn sie Reihe um Reihe niedergemäht werden. Dafür sind sie schließlich da. Doch selbst Tolkien stieß hier an seine moralischen Grenzen, prägt er doch in seinem Werk den Satz „nichts ist böse von Beginn an“. Ein Blick ins Ork-Larp vor Tolkiens Hintergrund zeigt, wie es aussieht, wenn Spielende diese Tiefen für sich ausloten.

Triggerwarnungen

Gewalt, Charaktertod

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Bösewicht mit System

Einmal wirklich böse sein – ein Prinzip, das für viele Liverollenspielende ein ganz eigener Reiz des Hobbys Larp sein kann. Welche Rolle wäre da besser geeignet als die einer Kreatur, die ausschließlich für das Böse ins Leben gerufen wurde? Doch wer sich entscheidet, sich in das Ork-Spiel einzuarbeiten, wird schnell feststellen, dass doch einiges mehr dazu gehört, als einfach nur gern gemein zu sein. Denn so wild die Orks in Tolkiens Werk und den Filmen von Peter Jackson erscheinen, finden sich Spielende in den Reihen der Ork-Gemeinschaft als Teil einer militärischen Struktur, die trotz allem Chaos festen Regeln folgt.

Diese Regeln gehen zurück auf liebevolle Detailarbeit einer Community, die über Jahrzehnte Hintergründe, Ästhetiken und eine ganze Kultur ausgearbeitet hat. In Foren und Fan-Zusammenkünften haben mehrere Gruppen von Spielenden mit den spärlichen Informationen des Originals eine ganz eigene Nische für ihre Ork-Darstellung erschaffen – eine Welt in einer Welt, wenn man so will. Auf Basis des offiziellen Der Herr der Ringe Pen-and-Paper Rollenspiels wurde gemeinsam an Geografie, Sprachen und Kultur gearbeitet, und so über die Zeit ein eigener Kanon entwickelt. So sind tatsächlich verschiedene Gruppen in der Lage, mit einem für alle mehr oder weniger verbindlich gültigen Kanon zu arbeiten. Militärische Ränge, Ausdrucksweisen und sprachliche Konventionen bieten eine verlässliche Struktur, auf die Neulinge beispielsweise über Foren, Tutorials und Wikis zurückgreifen können. Wo Tolkien beispielsweise mit seiner Schwarzen Sprache (Black Speech) aufhörte, die in seinen Schriften nur rudimentär ausgearbeitet ist, setzte die Ork-Community mit linguistischem Eifer an, mit dem Ergebnis, dass diese Sprache dort nun rudimentär sprechbar ist. Dieser regelrechte Schatz an Wissen und Information ist es, der Einsteigenden einen, wenn aufgrund des Charakterkonzeptes schon nicht leichten, so doch gut geführten Start bietet.

Erst einmal im Spiel angekommen, findet sich der Ork im Spiel um Territorien und Ressourcen am Rande von Tolkiens Karten. Denn gespielt wird oft weit ab vom Geschehen der Herr der Ringe-Bücher, in Regionen, die kaum oder gar nicht beschrieben sind. Gegenden am Rande der bekannten Welt wurden hier nahtlos angefügt und mit Leben gefüllt, wie etwa das nördlich der Eisenberge gelegene Barl Syrnac – eine Region, die nur auf der Karte des Middle Earth Roleplay (MERP) auftaucht. Eigene Kulte wurden entwickelt, um auch die in den Romanen nur obskur angedeutete Götzenverehrung Saurons durch die Orks mit in das Spiel zu bringen. Das alles lässt den Freiraum, den eigenen Hintergrund zu prägen, gleichzeitig aber die Sicherheit einer bestehenden Welt zu haben – mit dem Dunklen Herrscher als oberster Autorität. Und sich in Ruhe mit der Frage zu beschäftigen, ob man sich als Ork der Tatsache bewusst ist, zu den Bösen zu gehören – oder ob das eigene Vorgehen einfach nur pragmatisch ist. Sind Methoden, die anderen als böse erscheinen, nicht einfach nur ein opportunes Mittel zum Zweck?

Armee des Dunklen Herrschers.

Community mit Fingerspitzengefühl

Ork-Spiel ist nichts für schwache Nerven, auf mehr als einer Ebene. Die Vorbereitungen erfordern viel Zeit und Mühe, auch wenn selten eine tiefgehende Hintergrundgeschichte ausgearbeitet werden muss. Doch Maske, Gewandung und Hintergrund erfordern einiges an Lernbereitschaft und Einarbeitung. Anfänger sind jedoch gut aufgehoben, da immer mindestens ein Paar Augen bereit ist, auf die Ausrüstung zu schauen und Feedback zu geben. Gerade Mittelerde-Orks besitzen durch Filme und Populärkultur eine ausgefeilte Ästhetik mit hohem Wiedererkennungswert, die in der Gruppe ein organisches, wenn auch finsteres Gesamtbild ergibt. Ein Basis-Ork kann in wenigen Wochen erstellt werden – wirklich fertig ist eine Ork-Gewandung nie, schließlich ist immer noch ein wenig Platz für Schmutz und brachiale Nähte. Insgesamt ist der Standard der Ork-Community sehr hoch – aber es ist immer eine Hand da, die Neulingen auf die nächste Stufe hilft. Anfänger*innen finden Beispiele und Rat für Gewandung und Darstellung, sowie die nötigen Kniffe, um die gewünschte Ork- Ästhetik zu erreichen. Spielende arbeiten sich hierfür in Techniken ein, die Gewandung altern lassen und den Eindruck von Schmutz erzielen – ohne dabei die hygienischen Ansprüche an Gewandung völlig zu negieren.

Das Spiel selbst kann anstrengend und fordernd sein, da sowohl innerhalb als auch von außerhalb durch Mitspielende anderer Fraktionen Konfliktspiel an der Tagesordnung ist. Orks im Dienst des Dunklen Herrschers befinden sich im permanenten Kriegszustand, denn die Herrschaft über die Freien Völker erringt sich nicht von selbst. Befehle kommen von oben und werden ausgeführt – wo nicht, ergibt sich auch mal eine Prügelei. Stimmgewaltige Hauptleute oder finsterste Hexer treiben mit peitschenden Reden ihren Trupp voran. Sauron selbst und seine Ringgeister werden als Götzen angebetet und die Symbolik ist entsprechend scharfkantig. Waffengewalt dagegen ist untereinander sehr selten, denn sich gegenseitig zu töten sabotiert natürlich die Anstrengung gegen die gemeinsamen Feinde. Es geht also oft rau, aber wesentlich weniger brutal zu, als man vielleicht erwarten möchte. Dennoch sind Orks im Spiel keine freundlichen Zeitgenossen, der Umgangston ist rau. Daher ist eine gute Kommunikation ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger als in anderen Genres. Außerhalb der Rolle ist der Umgang äußerst umsichtig, denn wenn im Spiel viel Konflikt und Gewalt stattfinden, ist Vertrauen essenziell. So kann im Spiel auch der finsterste Abgrund ausgelotet werden, und auch einmal etwas riskiert werden. Ein Ork kann vom niedersten Rang aus weit aufsteigen und sich verdient machen, also gar nicht so anders, als in jeder anderen militärischen Struktur.

Es kommt aber auch vor, dass es für neue Ork-Spielende einfach nicht passt. Dann kann es sein, dass erfahrenere Orks dazu raten, vielleicht in ein anderes Ork-Genre zu wechseln.

Vorwärts Marsch!

Wo Mittelerde-Orks und Orks anderer Welten aufeinander treffen und vielleicht im selben Lager agieren wie auf den deutschen Großcons, könnte man erwarten, dass es zwischen den Konzepten knirscht – doch meist eint die Orks aller Couleur eins: der gemeinsame Feind. Es kann schon einmal zum Kultur-Schock kommen, wenn zum Beispiel ein Mordor-Ork auf einen Kultur-Ork eines anderen Hintergrundes trifft.

Spielangebot für die Dunkle Seite

Als Spielende*r auf der Seite der „Guten“ verfällt man gern der Versuchung, in Orks eine Art Bonus-NSC zu sehen, den es so schnell wie möglich auszuschalten gilt.

Dass das kein schönes Spielangebot ist, und Spielende anderer Fantasy-Völker gern vergessen, dass sie an einiger Stelle genauso schlimm sein können wie so mancher Ork, wird leicht vergessen, wenn man sich der finsteren Übermacht gegenübersieht. Doch es lohnt sich, auch einmal über den eigenen Schatten zu springen, und ein anderes Spielangebot zu liefern. Sich gegenseitig totschlagen ist einfach, und am Tor des Ork-Lagers zu klopfen, um mal das Lager anzuschauen oder sich einmal foltern zu lassen, bricht die Immersion der Ork-Spielenden und degradiert sie zu zweifelhaften Dienstleistern. Wie auch untereinander erfordert solches Spiel mit Außenstehenden Vertrauen und sollte so auch behandelt werden. Wer sich eine etablierte Feindschaft erspielt hat, ist bei den Orks des Mittelerde-Hintergrundes allerdings sprichwörtlich in guten Händen. Ein Bündnis, Handel oder ein Auftrag gegen Geld oder Information wird für alle, die einen Erstkontakt suchen, bei Weitem mehr Spiel generieren – auch wenn man dafür das eigene Konzept ein wenig beugen muss. Ork-Spiel ist zudem eines der anstrengenderen Spielkonzepte. Je erfolgreicher es umgesetzt wird, desto schneller gerät aus dem Blick, dass es sich um Mitspielende handelt. Das ist Fluch und Segen zugleich, und es lohnt sich, sich ab und an vor Augen zu führen, dass die Arbeit an einem Ork-Konzept auf nicht nur eine/n Spielende/n zurückgeht, sondern auch auf alle, die ihm/ihr geholfen haben.

Artikelbilder: © Nabil Hanano
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Nina Horbelt
Fotografien: Nabil Hanano

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