Geschätzte Lesezeit: 15 Minuten

KULT: Die verlorene Göttlichkeit ist die deutsche Übersetzung der vierten Edition des Horror-Rollenspiel-Klassikers aus den 1990er Jahren. Die Charaktere tauchen ein in eine gottverlassene Welt im Zentrum des Machtkampfs übermenschlicher Wesenheiten. Hinter dem zerbröckelnden Gefüge ihrer Realität kommen erschreckende Abgründe aus Verfall und dämonischer Perversion zum Vorschein.

Ein Teil der Einleitung
Ein Teil der Einleitung

Eigentlich ist KULT ein Urgestein des Horror-Rollenspiels. Das „Splatterpunk“-Pen-and-Paper blieb jedoch in seiner Popularität stets hinter den Platzhirschen Cthulhu und der World of Darkness zurück. Vor allem unter denjenigen, die in den 1990ern noch zu jung waren, um ein Horror-Pen-and-Paper, geschweige denn ein Spiel wie KULT zu spielen, dürfte es lange unbekannt gewesen sein. Mehr noch als andere Vertreter des Genres nimmt das Rollenspiel kein Blatt vor den Mund, sondern zielt explizit darauf ab, verstörende und abgründige Inhalte zu thematisieren.

1991 erschien die erste Ausgabe des Rollenspiels beim schwedischen Verlag Target Games und in deutscher Sprache beim Mario Truant Verlag. Die ursprünglichen Autor*innen Gunilla Jonsson und Michael Petersén zeichnen sich unter anderem auch für Mutant verantwortlich, das einigen heute als Rollen- und PC-Spiel Mutant: Year Zero bekannt sein dürfte. Nach einigen Neuauflagen und Reprints, startete der schwedische Modiphius Verlag 2016 eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne an deren Ende 2018 eine vierte Edition des Pen-and-Papers unter dem Namen KULT: Divinity Lost erschien. Diese Fassung hat Marcus bereits im Jahr 2019 besprochen.

Der Artikel, den ihr hier lest, wird Einblick in die deutsche Übersetzung geben, die 2022 erneut bei Truant Spiele erschien. Zwar wird es Doppelungen zu Marcus` Artikel geben, die Schlussfolgerungen sind jedoch nicht in allen Fällen gleich. Eine wichtige Anmerkung vorweg: KULT ist ein System des abgründigen und tabulosen Horrors. Die untenstehende Warnung umfasst somit nur die häufigsten Trigger. Der Verlag selbst rät ein Spiel erst ab 18 Jahren an. Wer sich mit derlei nicht wohlfühlt, dem wird das System eher nicht zusagen.

Triggerwarnungen

Body Horror, Drogenmissbrauch, Gewalt (sexualisierte Gewalt, Gewalt gegen Kinder, extrem dargestellte Gewalt), Folter, Psychische Krankheit, Pornografie, Tod (auch von Kindern)

[Einklappen]

Die Spielwelt

Die Spielwelt ist stark von der Kabbala, also der mystischen Tradition des Judentums und der Gnosis beeinflusst, einer religiösen Strömung die sich im zweiten Jahrhundert nach Christus zum Hauptgegner der frühen christlichen Kirche formte. Diese ebenso interessanten wie komplexen Bereiche werden hier mit christlicher Mythologie und bizarren Horrorfantasien gemischt. Das Ergebnis ist eine eigensinnige und reichhaltige Kombination, die – ebenso wie die Zitate in diesem Text – natürlich weit davon entfernt ist, eine ernsthafte religiöse Unterweisung zu sein.

Ist Gott tot? – Die Vorgeschichte

„Alles in der Welt hängt vom Verlangen ab.“ – Übersetzt aus der „Zohar“, dem Hauptwerk der Kabbala

Etablierung der Spielwelt
Etablierung der Spielwelt

Der Name des Rollenspiels KULT: Die Verlorene Göttlichkeit ist gleich im doppelten Wortsinn kennzeichnend: Ein selbstsüchtiger Gott, der „Demiurg“, versklavte die Menschheit und umhüllte sie mit einer Illusion. Diese sollte die Menschen mit Oberflächlichkeiten und körperlichem Verlangen betäuben und daran hindern, ihren eigenen göttlichen Funken zu erkennen und somit zur Gefahr für seine Macht zu werden. Mit Hilfe von Aspekten seiner selbst, den zehn Archonten, die bestimmte Prinzipien wie Hierarchie, Versuchung, Ehre oder Sicherheit verkörpern, erhielt er dieses Gefängnis aufrecht.

Als der Demiurg verschwand, begann die Illusion zu bröckeln. Ohne die strukturgebende Herrschaft des Demiurgen entbrannte eine Art Konkurrenzkampf zwischen den verbliebenen Mächten, vor allem zwischen den Archonten und ihren direkten Widersachern, den Todesengeln, die aus Astaroth, dem schwächeren Zwilling des Demiurgen hervorgingen. Überdies stehen sich verschiedene Ebenen der Existenz gegenüber: die ewige Stadt „Metropolis“, das höllische „Inferno“, die immer dunkle „Unterwelt“, die ungezähmte Wildnis „Gaia“ und „Limbus“, die wandelbare Traumwelt. Zwischen allem liegt „Elysium“, die von der Illusion umhüllte, uns bekannte Welt. Auf jeder dieser Ebenen tummeln sich mächtige, teils gottgleiche Wesenheiten mit ganz eigenen Interessen.

Für die Menschen bedeutete dieser Umbruch Chaos und starkes Unbehagen. Die allermeisten betäuben ihre Ängste, wie sie es seit Jahrtausenden taten: mit der Befriedigung ihrer Triebe und oberflächlicher Unterhaltung. Wenige, wie die SC, wagen es und nutzen die Möglichkeit, das wahre Wesen der Existenz zu ergründen und den gefahrvollen und zerrüttenden Pfad zur Erkenntnis zu beschreiten.

Das Gefängnis zerfällt – Der Status quo

„Es gibt keine einzige Tür, die nicht durch Tränen geöffnet werden kann.“ – Übersetzt aus der „Zohar“

Die komplexen Hintergründe von KULT lassen sich über einen Vergleich gut verständlich machen: Ähnlich wie im Cthulhu-Rollenspiel ist die Menschheit übermächtigen Wesenheiten ausgeliefert und ähnlich wie in der World of Darkness befindet man sich in einer düstereren, zynischeren Variante unserer Realität mit einem unmenschlichen Monster hinter jeder Ecke. Im Unterscheid zu Cthulhu haben die Menschen in KULT ein wenig mehr Handlungsmacht, man ist nicht gänzlich hilfloser Spielball in den Klauen kosmischer Mächte. Dem elegant-dekadenten Verfall von Vampire: The Masquerade begegnet KULT mit einer ordentlichen Ladung Splatter, Perversion und Gewalt.

Die Archonten
Die Archonten

So vielschichtig und voller Ideen ist die Spielwelt, dass sie gefühlt aus allen Nähten platzt. Das kann Leser*innen des Regelwerkes zunächst überfordern. Dass viele Bezeichnungen aus dem Hebräischen stammen und somit vermutlich nicht problemlos ins Ohr oder von der Zunge gehen, macht es nicht leichter, sich zu orientieren. Glücklicherweise ist es auch gar nicht notwendig, die Spieler*innen mit der vollen Ladung Mythologie zu konfrontieren. Das Regelwerk selbst legt nahe, nicht unbedingt alles bis ins Detail zu studieren, sondern sich als SL von besonders interessanten Elementen inspirieren zu lassen und darauf eine Story aufzubauen.

Ein kleines Element der Mythologie reicht dabei aus, um alltägliches Grauen zu etwas Übernatürlichem zu machen und die SC in ihrem Glauben an die Realität zu erschüttern: Ein brutaler Ring aus Menschenhändler*innen, der Snuff-Filme produziert, hat in einem Hinterzimmer einen blutigen Schrein voller abgetrennter Körperteile aufgestellt. Ein Drogenboss überlebt jeden Mordanschlag und es gelingt ihm mit erstaunlicher Leichtigkeit, ganze Landstriche zu unterwerfen. Eine Kleinstadt im Amazonasgebiet wird von Überschwemmungen heimgesucht, neue Gebäude brechen zusammen und überwuchern in kürzester Zeit. Dass die Menschenhändler*innen den Todesengel der Lust „Gamaliel“ anbeten, der Kriminelle ein Liktor (übermenschlicher Handlanger) des Archonten der Hierarchie „Kether“ ist und dass sich das Amazonasgebiet mit der Domäne Gaias überlagert, müssen die SC nicht unbedingt herausfinden, solange sie nur merken, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht und die Erkenntnis in ihrem Hinterkopf zu nagen beginnt. In diesem gelegentlichen Zerreißen des Schleiers vor der Realität liegt der Reiz von KULT.

Eine Story in KULT sollte die SC und deren Handlungen fokussieren. Das heißt nicht, dass feinfühlig mit ihnen umgegangen wird. Es wird explizit dazu angeregt, „unangenehm“ zu werden, das heißt durch die Gestaltung der Story zu beunruhigen und „entnervende Augenblicke“ zu schaffen. Dabei werden in den Beispielen auch explizit Themen wie Vergewaltigung oder Kindsmord geschildert. Spätestens bei der Lektüre dieser Passagen wird eindeutig, dass KULT ein Horror-Rollenspiel der sehr harten Sorte ist. Entsprechend wird auch ausführlich auf Sicherheitsmechanismen eingegangen (Klärung sensibler oder Tabu-Themen, Unterbrechung des Spiels, Überspringen von Szenen et cetera. Natürlich steht es jeder SL frei, wie explizit, grausam und abgründig die Geschichte ist. In jedem Fall handelt es sich um ein System von dem Personen, die sich mit dieser Art von Horror und Beklemmung nicht wohl fühlen, prinzipiell die Finger lassen sollten.

Die Regeln

„Kein Tag ist ohne seinen Fluch.“ – Übersetzt aus der „Zohar“

KULT hat in seiner regeltechnischen Ausgestaltung wenig mit dem ursprünglichen Regelwerk der 1990er Jahre gemein. Wie auch viele weitere Systeme mit narrativem Fokus, unter anderem World Wide Wrestling, Avatar Legends, Blades in the Dark oder Monsterhearts, baut es auf dem sehr adaptiven Powered by the Apocalypse-System (PbtA) auf. Da wir PbtA bereits vorgestellt haben und KULT keine massiven Änderungen in das System einbringt, hält sich dieser Artikel diesbezüglich eher kurz.

Einige Spielerspielzüge
Einige Spielerspielzüge

Im Gegensatz zu den üblichen 2W6 nutzt KULT für seine Würfe stets 2W10. Wie üblich in PbtA würfeln die SC auf „Moves“ beziehungsweise „Spielzüge“, die sie je nach Situation ausführen können. Spielzüge der SC heißen beispielsweise „Die Illusion durchschauen“, „Jemanden angreifen“ oder „Unter Druck handeln“. Die zehn Eigenschaften der SC, die Boni oder Mali auf Spielzüge geben, sind auf dem Charakterbogen in Form des Sephiroth, des kabbalistischen Lebensbaumes, angeordnet. Diese Motivik, die wiederholt im Regelwerk auftaucht, symbolisiert die göttlichen Aspekte, die in KULT als Archonten in Erscheinung treten, sowie deren Perversion in Form der Todesengel.

Wenn das Grauen zu groß wird, hilft Betäubung
Wenn das Grauen zu groß wird, hilft Betäubung

Passend für ein Horrorspiel ist auch geistige Stabilität Gegenstand der Regeln. Wenn ein Charakter „gebrochen“ ist, also am unteren Ende der Stabilitätsleiter angekommen ist, bedeutet dies allerdings nicht, dass er aus dem Spiel ausscheidet. Vielmehr hat die SL die Möglichkeit, dies zu einem Teil des Charakterentwicklungsprozesses zu machen. Ganz im Sinne des gnostisch-kabbalistischen Grundgedankens des Spiels hat man einen Teil der Wahrheit gesehen und tut einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis. Somit verhindert das System, das Charaktere allzu schnell zusammenbrechen und – ähnlich wie in Cthulhu – zur Verschleißware werden.

 

Charaktererschaffung

„Und das Sinken geschieht um des Steigens willen.“ – Übersetzt aus der „Zohar“

Wie für PbtA-Systeme typisch, basiert der Charakterbau auf der Wahl eines Archetyps, also einer Art Charakterschablone. Das System bietet mit 25 Archetypen eine große Auswahl. Bei 20 der Schablonen handelt es sich um „bewusste“ Archetypen. Das heißt, dass diese SC bereits einen ersten Blick hinter die bröckelnde Illusion des Demiurgen werfen konnten. Mit einem dieser Archetypen wird man in der Regel ins Spiel starten.

Was ist mit den verbliebenen fünf? Einer davon ist „Der Schläfer“. Schlafende SC haben ihre Erkenntnisse verdrängt oder hinter einem Trauma verborgen. Ohne den Zugriff auf Vorteile sind sie schwächer als bewusste SC. Im Laufe des Spiels können Schläfer*innen erwachen und einen bewussten Archetyp wählen.

Vier der Archetypen sind „erleuchtet“. Sie sind zwar noch nicht zu vollständiger Erkenntnis gelangt, aber zumindest zu einem Teil davon. Hier handelt es sich bereits um mächtige Individuen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Diesen Grad zu erreichen ist nur mit sehr großer Anstrengung, also nach langem Spiel und viel Charakterentwicklung möglich. Sowohl die Wahl eines schlafenden als auch eines erleuchteten Archetyps geben dem Spiel einen eigenen Einschlag. Zudem erklärt das Regelwerk auch, wie man einen individuellen Archetyp erschafft. An dieser Stelle sollen die bewussten Archetypen als Beispiele genügen.

Ein Archetyp kann je nach gewähltem „Beruf“ unterschiedliche Ausprägungen annehmen: „Der Akademiker“ könnte sowohl eine Autorin wie auch ein Psychologe sein, „Die Marionette“ ist vielleicht ein Opfer von Menschenhandel oder ein Reality-TV-Promi, „Der Prophet“ eine Hexe oder ein Pastor. Es folgt die Wahl eines oder mehrerer „Dunkler Geheimnisse“. Das sind Ereignisse, die den SC in der Vergangenheit geprägt haben und ihn auch in Zukunft verfolgen und antreiben werden. Jeder SC wählt zudem zwei Nachteile und drei Vorteile.

Es folgen Eigenschaftsmodifikatoren, Charaktererscheinung, ein Name des SC und – besonders relevant für das spätere Spiel – die Beziehung zur den anderen SC und NSC. Letztere werden in Zahlenwerten (0 = Neutral, 1 = Bedeutsam, 2 = Lebenswichtig) festgehalten und ermöglichen bestimmte Spielzüge.

Wenn die SC bestimmte Aufgaben oder Meilensteine, sogenannte „Storyaufhänger“, bewältigt haben und wenn auch sonst eine Entwicklung stattgefunden hat, erhalten sie „Erfahrung“. Bei 5 Erfahrung, dürfen Spieler*innen eine Verbesserung für den SC auswählen. Wann was verbessert werden darf, ist in einer Tabelle auf dem Charakterbogen festgehalten.

Der Charakterbau in KULT ist alles in allem einfach gestaltet. Alle Werte werden auf einem zweiseitigen, übersichtlich gestalteten Charakterbogen festgehalten. Wichtiger als eine tiefgehende Kenntnis der Regeln ist eine Auseinandersetzung mit dem Hintergrund und der Motivation des SC und auch mit den SC der anderen Spieler*innen. Der Bau des Charakters ist somit bereits ein motivierender Prozess, der bestimmte Grundstrukturen der kommenden Story legt.

Erscheinungsbild

„Ohne das Bittere geschmeckt zu haben, kann man die Süße nicht kennen.“ – Übersetzt aus der „Zohar“

Auf der Vorderseite des Regelwerkes prangt eine gerüstete weibliche Engelsgestalt mit angeketteten Flügeln aus der Feder des großartigen Illustrators Bastien Lecouffe-Deharme (unter anderem Illustrationen für das Dune-Rollenspiel sowie für Magic: The Gathering).

Es handelt sich um ein schweres A4 Hardcover mit rund 400 Seiten aus dickem, glänzendem Papier. Wie üblich für umfassende Regelwerke sind Schriftsatz und Zeilenabstand klein, aber lesbar. Am Ende des Regelwerkes findet sich ein alphabetisch und thematisch geordneter Index. Will man nach einem bestimmten Schlagwort wie „Stabilität“ suchen, kann diese thematische Anordnung etwas hinderlich sein: Ist die Kreatur, die ich gerade suche, ein „Kind der Unterwelt“ oder stammt sie aus dem „Inferno“? Und wo finde ich nochmal Informationen zu „Astaroth“ – vielleicht unter „Astaroths Inkarnationen“? Leider nein.

Allgemein trägt die Gestaltung des Regelwerkes selbst aber zur Übersichtlichkeit bei: Auf jeder Seite finden sich auf den Seitenrändern Kapitelzahl – und Titel – sowie der Titel des Abschnitts. Trotz der Länge des Regelwerkes kann man sich somit schnell orientieren. Im Gegensatz zur englischen, weist die deutsche Version des PDFs leider kein mit den Seiten verknüpftes Inhaltsverzeichnis auf.

Diese „Nepharitin“ lässt an „Hellraiser“ denken
Diese „Nepharitin“ lässt an „Hellraiser“ denken

Der Aufbau des Regelwerkes ist logisch und nachvollziehbar. „Buch I: Die Lüge“ ist vor allem für Spieler*innen relevant. Hier erhält man eine Kurzinformation zur Welt sowie Informationen zu Regeln und Charakterbau, inklusive der Archetypen. „Buch II: Der Wahnsinn“ ist vorrangig für die SL bestimmt. Neben Regeln und Handreichungen finden sich hier ausführliche Anleitungen zur Vorbereitung und Gestaltung einer Spielrunde. Hinzu kommen generelle Informationen zur Spielwelt. Das ausführliche „Buch III: Die Wahrheit“ umfasst tiefergehende Informationen zu Welt und Wesenheiten sowie besondere Regeln zum Spiel von Magiern und „erleuchteten“ Archetypen.

Besonders positiv hervorzuheben ist, dass sich viele relevante Aspekte stets auch in verkürzten Übersichten finden. Dies betrifft Regelaspekte, zum Beispiel Vor- und Nachteile für SC, vor allem aber auch Zusammenfassungen zur Spielwelt. So muss man als SL nicht sämtliche Hintergrundinformationen durcharbeiten, sondern hat die Möglichkeit, sich zunächst einen ersten Eindruck zu verschaffen und dann besonders interessante Aspekte genauer nachzulesen. Dies erleichtert den Einstieg in das Regelwerk ungemein.

Verfügt man zudem auch über die englische Version der vierten Edition und will schnell die Übersetzung überprüfen oder doch einmal etwas im Original lesen, ist es von Vorteil, dass die Seitenzahlen beider Versionen absolut übereinstimmen: Jedes Kapitel und jeder Abschnitt finden sich in beiden Versionen an der gleichen Stelle. In der Übersetzung konnten keine Fehler oder Ungenauigkeiten festgestellt werden, auch das Lektorat hat gelungene Arbeit geleistet.

Eine der typischen Vignetten (zusammen mit Vorteilen)
Eine der typischen Vignetten (zusammen mit Vorteilen)

Auf fast jeder Seite des Regelwerks finden sich vollfarbige Abbildungen in guter bis sehr guter Qualität, von kleinen Vignetten bis hin zu ganzseitigen Illustrationen. Insbesondere beeindrucken dabei die Darstellungen der diversen Monster und Kreaturen der Spielwelt. Die visuell-künstlerische Gestaltung des Regelwerkes erinnert in ihrer überzeichneten Ästhetik stark an die der Hellraiser-Filmreihe. Hat man ein Faible für diese Art des Horrors, wird man dieses Regelwerk lieben. Das durchgehende Farbschema gold-schwarz stützt eine Atmosphäre düsterer Dekadenz und leicht schräge Textspalten unterstreichen Desorientierung und Surrealität. Alles in allem weiß das KULT-Grundregelwerk auf gestalterischer, wie optischer und qualitativer Ebene zu überzeugen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Truant Spiele
  • Autor*in(nen): Robin Liljenberg, Petter Nallo, Marco Behrmann
  • Erscheinungsjahr: 2018 (englische Version)/2022 (deutsche Version)
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover (DIN A4)
  • Seitenanzahl: 384 (inklusive Charakterbögen und Übersicht der Spielzüge)
  • ISBN: 9783949089053
  • Preis: 59,95 EUR (Hardcover), 29,99 EUR (Softcover)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Neben dem Grundregelwerk existieren auf deutscher Sprache auch vier Abenteuer(bände), ein thematisches Tarot-Kartenset, ein Spielleitungsschirm und ein Archetypen-Set mit Vorlagen zu den verfügbaren Charaktertypen. Auf der Website des Verlags lassen sich die Charakterbögen downloaden.

All denen, die der englischen Sprache mächtig sind, sei die Website des Spiels wärmstens empfohlen. Hier kann man diverse Inhalte kostenlos downloaden. Dazu gehören eine Anleitung zur Nutzung des Tarot-Sets, diverse Szenarien, Charakterbögen und eine Übersicht der SC-Spielzüge.

Fazit

„Bemühe dich, zu sehen, doch entfliehe dem Ertrinken.“ – Übersetzt aus der „Zohar“

Wollte man KULT lapidar zusammenfassen, so könnte man es als „Cthulhu auf Crack“ bezeichnen. Alles ist düsterer, pervertierter und abgründiger – so sehr, dass man zwischendurch vergessen könnte, dass sich hinter den abstoßenden Kreaturen und üblen Sex-Kulten der Spielwelt eine erstaunlich komplexe Mythologie verbirgt. Dies auszutarieren und ein (ungewolltes) Abgleiten in reinen Splatter und Gore zu vermeiden ist Aufgabe der SL.

Auch „Engel“ gibt es in KULT
Auch „Engel“ gibt es in KULT

Die Spielwelt von KULT ist äußerst interessant und faszinierend. Wunderbar kann man sich in Beschreibungen und hochqualitativen Illustrationen verlieren. Sie ist aber zugleich auch die größte Schwachstelle des Systems: Ob die wilde Mischung an Elementen harmonisch oder doch etwas zu viel ist, liegt in der persönlichen Vorliebe. Die Überfülle an Weltelementen und deren teilweise Ähnlichkeit hat in jedem Fall das Potenzial, zu überfordern. Der thematische Index hilft dann bei der Suche nach bestimmten Schlagwörtern auch nicht weiter.

Dies wird indes durch die passgenaue und verständliche Aufbereitung des PbtA-Systems relativiert, die einen direkten Einstieg ins Spiel ermöglicht. Nach dem Grundsatz „Learning by doing“ lässt man sich von einzelnen Aspekten inspirieren und kann sukzessive immer mehr in die Welt eintauchen. Die ausführlichen und nachvollziehbaren Handreichungen zum Managen einer Spielrunde und dem Erstellen eigener Abenteuer erleichtern zudem die Arbeit der SL.

KULT kann also SL und Spieler*innen ähnliche Erfahrungen wie den SC bieten: Abenteuer für Abenteuer gelangt man näher an die „Gnosis“, also die „Erkenntnis“ darüber, wie diese Welt funktioniert. Im Optimalfall bleiben aber nur die SC traumatisiert zurück.

 

  • Interessante und komplexe Spielwelt

  • Nachvollziehbare und einfache Regeln

  • Schön und übersichtlich gestaltetes Regelwerk

 

  • Überfüllte Mythologie/Spielwelt

  • Unübersichtliches Inhaltsverzeichnis

 

Artikelbilder: © Cabinet Licensing LLC, © Truant Spiele
Layout und Satz: Mika Eisenstern
Lektorat: Denise Hollas
Dieses Produkt wurde privat finanziert.
Dieser Artikel enthält Affiliate-Links. Durch einen Einkauf bei unseren Partnern unterstützt ihr Teilzeithelden, euer Preis steigt dadurch nicht.

1 Kommentar

  1. Eine schöne Beschreibung, die „lapidare Zusammenfassung“ trifft es ganz gut. Hab mich auch speziell auf das Lesen dieser Rezension gefreut, weil ich KULT selbst erst seit fünf Spielabenden leite.

    Erwähnenswert ist noch, dass das System sehr empfiehlt, Beziehungsdiagramme zwischen den Charakteren und ihren weiteren Kontakten zu zeichnen und diese von Spielabend zu Spielabend weiter zu entwickeln. Das erdet dieses doch sehr spezielle Setting ein wenig und macht es „menschlicher“, auch wenn man in einer sehr mystischen Umgebung spielt.

    Es ist auf alle Fälle einen tieferen Blick wert und fühlt sich anders an als Cthulhu. Was auch kein schlechtes System ist, aber Abwechslung ist immer gut.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein