Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Ruhestand? Nein danke, sagt Ex-S.H.I.E.L.D.-Chef Nick Fury und deckt eine Verschwörung unter den gestaltwandelnden Skrulls auf, die unbemerkt auf der Erde leben. Maria Hill und Everett Ross sind auch dabei, ebenso wie eine ehemalige Khaleesi. Doch Furys Altersmüdigkeit hemmt die Spannung in der ersten Episode.

Alternde Actionheld*innen sind gerade in, seien es Arnold Schwarzenegger in Fubar, Patrick Stewart in Star Trek: Picard oder Sylvester Stallone in Tulsa King. Auch Samuel L. Jackson als Nick Fury, der Superspion des Marvel Cinematic Universe, wird mit grauem Bart und Waffe in der Hand noch mal aktiv, um die Erde vor einer verdeckten Alien-Invasion zu schützen. Doch während Schwarzenegger seine Arthrose-Action mit Humor versieht und Stewart die vom Fandom verehrte Next Generation-Crew wieder um sich schart, geht Nick Fury in der neuen Disney+-Serie Secret Invasion als grummeliger Einzelgänger ins Rennen. In der Staffelpremiere vom 21. Juni bleiben Logik und Spannung stellenweise auf der Strecke.

Story

30 Jahre ist es her, dass Nick Fury (Samuel L. Jackson) in Captain Marvel den gestaltwandelnden Skrulls eine neue Heimat versprach. Damals führte Captain Marvel das Flüchtlingsschiff der Skrulls ins tiefe All, um einen Planeten für sie zu finden. Zum Dank verblieb eine Handvoll Skrulls, angeführt von Talos (Ben Mendelsohn), als Menschen getarnt auf der Erde, um Fury zu unterstützen. Jetzt erhebt sich eine radikale Gruppierung junger Skrulls um den charismatischen Gravik (Kingsley Ben-Adir), die mit gezielten Terroranschlägen anscheinend einen Nuklearkrieg provozieren wollen. Denn Skrulls sind immun gegen Strahlung und könnten nach der Auslöschung der Menschheit die Erde für sich beanspruchen. Fury indes baut eine Raumstation, die die Erde vor Gefahren aus dem All schützen soll. Doch als seine ehemalige rechte Hand Maria Hill (Cobie Smulders) und Talos ihn um Hilfe bitten, kehrt der Superspion zurück. Die drei müssen sich in Russland mit gewaltbereiten Skrulls herumschlagen, und eine davon ist leider Talos‘ Tochter G’iah (Emilia Clarke).

Welche Vorkenntnisse braucht ihr?

Dass das MCU immer komplexer wird mit seinen Querverbindungen und Selbstbezügen, dürfte mittlerweile den meisten klar sein. Hardcore-Marvelaner*innen kennen sowieso jeden Film und jede Serie seit 2008. Gelegenheitszuschauende müssen aber nicht so weit gehen, um den Film verstehen zu können. Diese Titel solltet ihr gesehen haben, bevor ihr euch Secret Invasion anschaut:

Unbedingt:

  • Captain Marvel (2019) – Die Vorgeschichte der Skrulls und dem jüngeren Nick Fury in den 1990ern. Die Unterdrückung der Skrulls durch die Kree und die Freundschaft zwischen Fury und Talos werden hier dargestellt.

Hilfreich:

  • Secret Invasion (2007-2009) – Das originale Comic-Event, auf dem die TV-Serie basiert. Zu dem Event gibt es auch eine Fortsetzung, die Kollege Kai Engelmann in seinem Monthly Da das MCU sich schon oft von gedruckten Vorbildern gelöst hat, wird es neben dem Namen keine allzu großen Ähnlichkeiten geben, dennoch ist das Comic-Event spannend zu lesen.
  • Avengers: Infinity War (2018) und Avengers: Endgame (2019) – Hier tauchen Fury und Hill nur in Mini-Szenen auf. Thanos‘ Snap hatte aber einen großen Einfluss auf Furys Weltsicht in Secret Invasion.
  • Agents of S.H.I.E.L.D. (2013-2020) – Auch hier spielt Fury nur in zwei Episoden mit, aber sein Top-Agent Phil Coulson führt in den sieben Staffeln sein Team unter anderem gegen außerirdische Gefahren. Wer noch mehr MCU-Agenten-Action sehen möchte, wird hier gut bedient.

Erzählstil

Schon in den Comics ist nicht immer nachvollziehbar, warum ein*e einzelne*r Superheld*in im Solo-Band auf sich allein gestellt die Welt retten muss, wenn es doch ganze Teams von Superpersonen und andere Verbündete gibt. Stan Lee erklärte das einst in seiner Leserbriefecke so, dass man sich einfach vorstellen müsste, die übrigen Held*innen wären gerade anderweitig beschäftigt. Eine etwas schwache Begründung, geht es doch immerhin um das Schicksal der Welt, der Galaxis eventuell der gesamten Realität. Dass da keine Zeit übrig ist, um Verstärkung zu rufen, wird angesichts der wachsenden Zahl neuer Streiter*innen für das Gute immer unglaubwürdiger.

Im MCU ist die Lage etwas anders, dort ist die alte Riege der Avengers abgetreten. Die Welt ordnet sich immer noch neu, nachdem wenige Jahre zuvor die Hälfte allen Lebens im Universum ausgelöscht und dann wiederhergestellt wurde. Die wenigen noch aktiven Verteidiger*innen müssen sich gerade an vielen Fronten dem neuen Bösen stellen. Dennoch wirkt es schwer nachvollziehbar, dass Fury nur mit Talos und Hill an seiner Seite eine weitreichende Verschwörung und Rebellion aufhalten will. Ist die Organisation S.W.O.R.D. aus WandaVision nicht mehr im Einsatz? Was ist mit anderen Geheimdiensten? Zumindest James Rhodes alias War Machine taucht kurz auf, vermutlich werden noch andere MCU-Charaktere in späteren Episoden auftauchen.

Doch angesichts der Ereignisse in dieser Episode wirkt es für den ansonsten so paranoiden und bestens vorbereiteten Fury geradezu fahrlässig, nur zu dritt und ohne große Spionageausrüstung loszuziehen. Hatte er in Captain America 2 noch einige Gadgets zur Hand, um sich notfalls aus einem umgekippten Auto freizuschneiden, reicht ihm jetzt eine gewöhnliche Pistole. Soll das souverän wirken? Das Gegenteil ist der Fall, mehrfach fällt der alternde Agent auf verwandelte Skrulls herein. Sollen wir glauben, dass er in 30 Jahren mit allen Ressourcen von S.H.I.E.L.D. nicht in der Lage war, ein Gerät zu entwickeln, das Skrulls erkennen kann?  

Nicht, dass die Bösewichte logischer vorgehen würden. Ein paar hundert toastbrotige junge Skrulls, die vage rebellisch auftreten und dabei unangenehm an die Flag-Smasher aus The Falcon and the Winter Soldier erinnern. Und ähnlich wie Karli Morgenthau zuvor darf auch Gravik Banalitäten über Ungerechtigkeit von sich geben. Nur dass Morgenthau mit ihren Tiraden gegen das System zumindest grundlegend recht hatte, während Gravik bislang nicht erklärt, warum er ausgerechnet die Erde zu Neu-Skrullos umwandeln will. Sicherlich gibt es zahlreiche unbewohnte Planeten, die leichter zu erobern wären.

Mag sein, dass sie wissen, dass Fury wieder auf Erden weilt. Aber denken die radikalen Skrulls, sie könnten es mit seinen Super-Kumpels aufnehmen? Selbst wenn die jungen Wilden nie von Thor oder Doctor Strange gehört haben, sollten sie zumindest Captain Marvel kennen, die ihre Elterngeneration vor den Kree gerettet hat. Graviks Rebellen können zwar wie alle Skrulls gestaltwandeln und sich die Erinnerungen ihrer Opfer aneignen, aber das reicht bei weitem nicht aus, um gegen Leute wie Captain Marvel oder Hulk zu bestehen. In den Comics gibt es den Super-Skrull, der unter anderem die Kräfte der Fantastic Four besitzt. Hat Graviks Gruppe ähnliche Individuen? Wir wissen es nicht, denn die konkrete Bedrohung wird in Folge 1 bewusst oberflächlich gehalten.

Hatte man in der letzten Episode von The Falcon and the Winter Soldier gehofft, Spider-Man würde in New York zu Hilfe eilen, so ist auch hier schwer nachzuvollziehen, dass Fury fast auf sich allein gestellt ist. So kommt keine echte Spannung auf, denn entweder bleiben die Bösewichte auf einem Niveau, mit dem ein alter Mann ohne Superkräfte klarkommt, oder ihm springen doch noch mächtigere Freund*innen zur Seite.

Darsteller*innen

Wenn man sich Samuel L. Jacksons bisherige Filmrollen anschaut, hat er sehr unterschiedliche Charaktere verkörpert, die stets in der Mitte der Action standen, aber eines nie waren: blass. Genau so wirkt er aber als gealterter Fury, der widerwillig sein Weltraumprojekt verlässt, weil er seinem Kumpel Talos einen Gefallen schuldet. Fast jede Person, der er begegnet, lässt sich erst einmal darüber aus, wie altersmüde er geworden ist. Zwar spricht er in vielen Szenen betont lässig, wirkt aber nie gänzlich Herr der Lage. Dass Fury nach den vielen Großkrisen des MCU ausgebrannt ist, kann man nachvollziehen. Wenn sich Held*innen vergangener Tage zu erschöpften Alten wandeln, die die Welt nicht mehr verstehen, ist das realistisch und aktuell. Doch will man so etwas auch noch im Vorabend-Eskapismus sehen müssen? Man vermisst den Jackson, der sich so amüsant über Motherfucker und Schlangen in Flugzeugen aufregte.

Charakterdarsteller Ben Mendelsohn ist auch dazu verdammt, der Handlung zu folgen. Einst war Talos Anführer seines Volks, jetzt wurde er aufs politische Abstellgleis gesetzt zugunsten junger Wilder wie Gravik. Ein alter Veteran des Kriegs gegen die Kree sollte eigentlich mit allen Wassern gewaschen sein, doch merkt auch er selten, dass er einem getarnten Artgenossen aufgesessen ist. Können sich nicht einmal Skrulls gegenseitig erkennen? Ein echter evolutionärer Nachteil. Ebenso hilflos wirkt er im Umgang mit seiner erwachsenen Tochter G’iah, erschreckend hölzern gemimt von Emilia Clarke. Der Game of Thrones-Star muss sich damit zufriedengeben, ein paar Propagandasprüche von sich zu geben, die Gravik bereits in einer vorigen Szene geäußert hatte. Der Vater-Tochter-Konflikt wird zwar in zwei Szenen angeschnitten, bleibt aber dennoch blutleer, weil G’iah am Ende kein Interesse hat, ihrem Vater entgegenzukommen.

Cobie Smulders, bekannt aus How I Met Your Mother, hätte im MCU auch eine bessere Behandlung verdient. Maria Hill ist in den Comics eine schlagkräftige Agentin, in den Avengers-Filmen und Agents of S.H.I.E.L.D. war sie meist darauf reduziert, den Hauptfiguren Hinweise zu geben. Ihre kollegiale Verbindung zu Fury hätte viel früher entwickelt werden können. Vielleicht wird sie das auch noch in Rückblenden, doch in Episode 1 von Secret Invasion wird ihr Talent nicht ausgereizt.

Vielleicht ist es unfair, nach der ersten von sechs Folgen Gravik mit Karli Morgenthau zu vergleichen. Doch der erste Eindruck zählt nun mal am meisten, und bisher wirkt Kingsley Ben-Adir in der Rolle des Bösewichts nicht wie eine globale Bedrohung. Schade, denn er hat in Peaky Blinders und The OA durchaus bewiesen, wie vielschichtig sein Schauspiel ist. Laut Regisseur Ali Selim soll Gravik ein komplexer Antagonist sein, „not just a bad guy with a bomb“. Das muss in den kommenden Episoden noch bewiesen werden.

Den besten Cameo der ersten Folge hat nicht Don Cheadle als Rhodey, sondern die britische Schauspielerin Olivia Colman (Broadchurch, The Crown). Sie bringt als MI6-Offizierin Sonya Falsworth die nötige Gravitas, aber auch frotzeligen britischen Humor in ihr Gespräch mit Fury. Colman soll in allen sechs Episoden von Secret Invasion auftauchen. Es bleibt zu hoffen, dass sie mehr zu tun bekommt, denn ansonsten ist ihr Team in der restlichen Handlung ziemlich ahnungs- und machtlos.

Inszenierung

Der Serienvorspann wirkt mit seinen verschwommenen Figuren seltsam gekünstelt, geradezu grotesk. Und in der Tat: Die Grafiken wurden größtenteils von einer KI erstellt. KI-Kunst wird momentan sehr kontrovers diskutiert, da die meisten Programme dieser Art Werke von menschlichen Künstler*innen scannen und dann unter Eingabe bestimmter Stichworte („Prompts“) zu neuen Bildern verarbeiten. Diese Remixe, so argumentieren viele, seien nichts weiter als Diebstahl geistigen Eigentums, da die KI die existierenden Stile nachahmt, ohne einen eigenen zu entwickeln. In jedem Fall steckt KI-Kunst immer noch in den Kinderschuhen, was man an Ungereimtheiten wie aufgequollenen Augen, verdrehten Armen, Händen mit zu vielen Fingern oder verflüssigten Landschaften erkennen kann.

Doch genau dieser Stil schien dem Produktionsteam bestens geeignet, um die Ästhetik der gestaltwandelnden Skrulls zu inszenieren. Ähnlich wie eine KI Gesichtszüge mal grotesk, mal zu perfekt darstellt, so zerfließt die getragene menschliche Haut zu einem schuppigen Grün, wenn Skrulls in ihre wahre Form zurückkehren. Das Animationsstudio Method Studios, das zuvor unter anderem an Loki und Moon Knight arbeitete, betonte, es seien keine menschlichen Künstler*innen durch die KI ersetzt worden. Vor dem Hintergrund des aktuell andauernden Streiks amerikanischer Drehbuchautor*innen, die unter anderem befürchten, teilweise durch KI-Schreibprogramme ersetzt zu werden, ist ein KI-erzeugter Serienvorspann ein gewagtes Signal.

In jedem Fall wirkt das an Wasserfarben erinnernde Intro eher verstörend als ästhetisch, was es durchaus auch soll. Passend dazu erzeugen die Streichinstrumente im (vermutlich von Menschen gespielten) Titellied eine angespannte, paranoide Stimmung. Der Soundtrack von Kris Bowers trägt dieses mulmige Gefühl treffsicher durch die gesamte Episode und gehört zu den wenigen Highlights.

Die harten Fakten:

  • Regie: Ali Selim
  • Darsteller*innen: Samuel L. Jackson, Ben Mendelsohn, Cobie Smulders, Martin Freeman, Emilia Clarke, Olivia Colman, Don Cheadle u.v.m.
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch (Rezension), weitere Sprachen verfügbar
  • Format: Streaming-Serie, 1 neue Episode pro Woche
  • Preis: Übliches Disney+-Abonnement (zurzeit ab 8,99 EUR monatlich)
  • Bezugsquelle: Disney+

 

Fazit

Ist es kleinkariert, im Spionagegenre nach Logiklücken zu suchen? Bei James Bond fragt auch niemand nach Realismus. Aber James Bond-Stimmung kommt in der ersten Folge von Secret Invasion eben auch nicht auf – keine cleveren Agentengizmos, keine coolen Sprüche oder Sex-Appeal – nur alte Leute, die einen Aufstand junger Wilder verhindern wollen. Die Autor*innen haben sich nach eigenen Angaben von Serien wie Homeland oder The Americans inspirieren lassen. Den Thrill dieser Serien vermisst man hier schmerzlich.

Und dennoch: Secret Invasion hat Potenzial. Es wäre nicht die erste Serie, die schwach anfängt und in der Mitte ihren Weg findet. Aber dazu müssen die Hauptcharaktere klüger handeln und die Bösewichte in ihrer Bedrohung deutlicher werden. Phase 4 des MCU war ein Kessel Buntes, der viel Neues brachte und nicht immer überzeugen konnte. Phase 5 startete mit Quantumania enttäuschend, konnte sich aber mit dem unterhaltsamen Guardians of the Galaxy 3 wieder fangen. Jetzt muss das MCU wieder mehr Hits liefern, sonst droht es zu einer Parodie seiner selbst zu verkommen.

 

  • Namhafte Nebendarsteller*innen
  • Guter Soundtrack und Kameraführung

 

  • Schwaches Drehbuch
  • Eindimensionaler Bösewicht
  • Talent von Samuel L. Jackson nicht ausgereizt

 

Artikelbilder: © Disney
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein