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Die Freuden des Ehelebens in der idyllischen Kleinstadt! Die Ex-Avenger Wanda und Vision genießen endlich ihr Glück im trauten Heim und – Moment mal, wieso sind wir in den 1950ern? War Vision nicht tot? Wieso erinnern sie sich an nichts? Was geht hier vor sich??

Es ist gefühlt 70 Jahre her, dass wir etwas aus dem Marvel Cinematic Universe (MCU) gehört haben. Das liegt zum einen an der Corona-Pandemie, die uns in unsere eigenen vier Wände eingesperrt und jegliches Zeitempfinden vernichtet hat, zum anderen aber auch an dem hohen Tempo, in dem Marvel Studios zwischen 2008 und 2019 Filme und Serien veröffentlichte. Und dann auf einmal ein Jahr lang Stille. Im Mai 2020 hätte eigentlich Phase 4 des MCU mit Black Widow anfangen sollen. Der Film wurde zuerst in den Herbst verschoben, dann in den Mai 2021, was zum jetzigen Zeitpunkt auch unsicher scheint. Dank des hauseigenen Streamingdienstes Disney+ startet Phase 4 jetzt also überraschenderweise mit einer… Sitcom?

Zum Lachen war Scarlet Witch alias Wanda Maximoff eigentlich gar nicht, als sie erst ihren Beau Vision und danach das eigene Leben durch Thanos verlor. Fünf Jahre später konnte Hulk den Snap umkehren und Wanda zusammen mit 50 Prozent aller Lebewesen im Universum wiederbeleben. Vision blieb aus bislang unerklärten Gründen tot – vielleicht, weil er bereits vor dem Snap starb, aber hätte Hulk nicht so nett sein können und ihn bei der Wiederbelebung dazuzählen? Dementsprechend rachsüchtig war Wanda und hätte Thanos in Avengers: Endgame fast alleine besiegt. Doch letztlich opferte sich Tony Stark, um das Universum vor dem lila Titanen zu retten. Das ist mittlerweile anderthalb Jahre her und seit Spider-Man: Far From Home haben wir nichts mehr von den Avengers im MCU gehört (2020 bekamen wir immerhin das Finale von Agents of S.H.I.E.L.D. serviert).

Story

Dementsprechend seltsam ist die Nonchalance, mit der WandaVision die traute Zweisamkeit der beiden Avenger zeigt. Es sind die 1950er, der amerikanische Traum lebt, die (schwarzweiße) Welt ist so adrett wie nur möglich. Wanda und Vision sind in das beschauliche Kaff Westview gezogen, wo piekfeine Mittelschichtler*innen im Vorgarten Rosen züchten und die größte Gefahr darin besteht, dass jemand seinen Auftritt beim örtlichen Talentwettbewerb vermasselt. Superschurk*innen? Fehlanzeige. Erwähnung ihrer Held*innenkarriere? Negativ. Der von Thanos herausgerissene Mind Stone? Sitzt wie eh und je in Visions Stirn. Auch wenn die beiden ständig ihre Kräfte benutzen (der Synthezoid Vision kann durch Wände gehen, Wanda ist telekinetisch begabt und kann Materie aus dem Nichts erschaffen), sind die beiden vor allem damit beschäftigt, sich in die Gemeinde zu integrieren.

Vision tarnt sich als normaler Mensch und zuckt bei jedem Witz über Maschinen zusammen, Wanda versucht, mithilfe ihrer quasselnden Nachbarin Agnes die perfekte Hausfrau zu werden. Die ungleichen Eheleute stolpern unentwegt in absurde Sitcom-Situationen, die sie mit ihren Superkräften lösen. Es könnte so süß und amüsant sein, den beiden zuzusehen … aber die Idylle ist zu perfekt, um wahr zu sein. Und in der Tat verhalten sich manche Nachbar*innen plötzlich extrem bizarr, um kurz darauf wieder normal zu werden, als sei nichts gewesen. Vision geht zwar jeden Tag als normaler Mensch zur Arbeit in einer Firma, doch was diese herstellt oder welchen Zweck seine Tätigkeit überhaupt hat, kann ihm keiner seiner Kolleg*innen erklären. Auch die beiden Hauptfiguren haben Gedächtnislücken: Wo kommen sie her? Warum sind sie hierhergezogen? Ihre Unfähigkeit, diese Fragen zu beantworten, macht ihre Nachbarn misstrauisch. Ist das nur spießbürgerliche Fremdenfeindlichkeit oder ahnen die Bewohner von Westview, dass hier etwas im Argen liegt?

Eines der verstörenden Erlebnisse, die so gar nicht in Wandas neues Leben passen, dürfte Comic-Fans bekannt vorkommen (wer einen kleinen Spoiler nicht scheut, möge den Kasten aufklappen):

spoiler

Der Überwachungsraum am Ende von Folge 1 und der Spielzeughubschrauber in Folge 2 tragen das Logo von S.W.O.R.D. – einer Organisation, die ursprünglich zu S.H.I.E.L.D. gehörte und die Erde vor außerirdischen Bedrohungen schützt. Wird Wanda etwa von S.W.O.R.D. gefangen gehalten? Oder hat sie sich eine eigene Illusion erschaffen, die von den Agent*innen beobachtet wird? Und wer hat versucht, über das Radio mit Wanda zu sprechen? Diese Fragen bleiben am Ende von Folge 2 ungelöst.

[Einklappen]

MCU-Chef Kevin Feige erklärte, die Serie sei sowohl von klassischen Sitcoms der 50er bis 90er Jahre inspiriert, als auch von Marvel-Comicserien, die die Persönlichkeiten von Wanda Maximoff und Vision entscheidend geprägt haben. Eine der wichtigsten ist vermutlich die House of M-Storyline. Was es damit (und mit weiteren Comic-Inspirationen) auf sich hat, erklärt euch Kai in seinem Hintergrundartikel.

Darsteller

Wanda Maximoff ist ein gebranntes Kind: Als Waisenkind wird sie von Hydra für Experimente missbraucht, ihr Bruder Pietro wird von Ultron ermordet, ihr Lover Vision fällt Thanos zum Opfer und lange war sie auf der Flucht, weil sie sich in Civil War auf die Seite von Captain America geschlagen hatte. Dementsprechend ist es toll, dass Elizabeth Olsen jetzt zur Abwechslung eine Wanda spielen darf, die als quirlig-überdrehte Hausfrau voll und ganz im Eheglück aufgeht. Ähnlich wie ihre Schwestern Mary-Kate und Ashley in Full House (was übrigens in WandaVision auch noch parodiert werden soll) zeigt auch die jüngere Olsen-Schwester ihre komödiantischen Talente. Ob das glückselige Schmunzeln, das sie in den ersten Folgen zeigt, bald blankem Horror weicht?

Paul Bettany bringt nicht nur seinen charmanten britischen Akzent, sondern auch britischen Humor in die Serie ein. Gekonnt wechselt er zwischen zeitgemäßer Gentleman-Seriosität und liebenswürdiger Tollpatschigkeit, wenn er mal wieder nicht Herr der Lage ist. Dieses Wechselspiel kennt man aus alten Sitcoms und passt gut zum Charakter von Vision, konnte aber bislang in den MCU-Filmen nicht ausreichend gewürdigt werden (Ansätze davon sieht man zu Beginn von Civil War, als er für Wanda kocht). Bettany ergänzt Olsen prima und man merkt die gute Chemie der beiden Darsteller*innen.

Bei den Nebencharakteren fallen vor allem Kathryn Hahn und Teyonah Parris auf. Erstere spielt die Nachbarin Agnes, die Wanda gerne mit guten Ratschlägen zutextet und über ihren Mann Ralph lästert. Agnes drängt sich oft genug in das Leben ihrer beiden Nachbarn, dass man auf die Idee kommen könnte, sie sei mehr nur als eine einfache Nachbarin. Diese verdächtige Oberflächlichkeit spielt Hahn mit Leichtigkeit. Übrigens ist WandaVision nicht der erste Ausflug der Komikerin ins Superheldengenre: Im gefeierten Animationsfilm Spider-Man: Into the Spider-Verse lieh Hahn der Schurkin Doc Ock ihre Stimme.

Teyonah Parris machte sich in Dear White People, Mad Men und Empire einen Namen, bevor sie im MCU als erwachsene Monica Rambeau gecastet wurde. Auch Rambeau ist aus den Comics bekannt: Sie trug vor Carol Danvers den Titel „Captain Marvel“ und ist aktuell die Heldin Spectrum. Davon ist in WandaVision noch nichts zu merken, Parris spielt in Folge 2 eine harmlose Nachbarin namens Geraldine. Falls sie nicht so harmlos sein sollte, wie sie scheint, lässt sie sich nichts anmerken. Parris verkörpert die von ihrer Nachbarschaft genervte Geraldine sehr glaubwürdig und könnte neben Agnes zu einer weiteren Freundin von Wanda werden.

Inszenierung und Stil

Die Idee hinter den kommenden Marvel-Serien auf Disney+ war, einige Nebencharaktere aus dem MCU, die keinen eigenen Film hatten, zu Serienstars zu machen. Dafür ließ Marvel Studios eine Menge Geld springen – jede einzelne der halbstündigen Episoden von WandaVision soll ein Budget von 25 Millionen Dollar haben. Produzentin Jac Schaeffer, die zuvor Co-Autorin an den Drehbüchern von Captain Marvel und Black Widow war, ließ sich bei der Entstehung von WandaVision von der heilen Welt der Familiensitcoms inspirieren, die für viele Fernsehzuschauer*innen eine Art Eskapismus bietet. Dementsprechend ist die Ästhetik der Serie angelehnt an Klassiker wie I Love Lucy, Verliebt in eine Hexe oder die Dick van Dyke Show. Der Gedanke, dass eine traumatisierte Frau wie Wanda Zuflucht in einer heilen Welt sucht, ist auch das Leitmotiv der House of M-Comics, hier wird sie mit Comedy gepaart. Das ist neu – es gab zwar schon witzige MCU-Filme wie Guardians of the Galaxy oder Ant-Man, diese waren aber gepaart mit Action und echter Gefahr. Bei WandaVision steht die Comedy im Vordergrund, Bösewichte zum Verkloppen sind (zumindest in den ersten beiden Folgen) keine da.

Jede Folge scheint in eine neue Dekade zu springen – die erste spielt scheinbar in den 50ern, die zweite mit einem sehr offensichtlich an Verliebt in eine Hexe angelehnten Intro in den 60ern und die dritte scheint in die 70er zu wechseln. Die Idee einer Fake-Sitcom funktioniert erstaunlich gut: Schaeffers Team hat es geschafft, die zeitlosen Aspekte klassischer Comedyserien einzufangen und auf veraltete Themen zu verzichten. In manchen Szenen wirkt es tatsächlich so, als sehe man eine Serie aus den 50ern – bis wieder etwas Bizarres und Unerklärliches passiert. Dabei helfen auch der obligatorische Lachtrack, zeitgenössische Musik und authentische Kostüme. Die Kameras filmten mit altmodischen Linsen und im 4:3-Format, auch die Schnitte wirken angenehm altbacken. Sogar die Schauspieler*innen wurden in Redewendungen und Slang früherer Jahrzehnte geschult. Man merkt, dass hier keine Parodie alter Schwarzweißserien angestrebt wurde, sondern eine ernstgemeinte Hommage.

MCU-Fans, die auf weitere Hinweise hoffen, was hier eigentlich passiert, werden aber in den ersten beiden Episoden enttäuscht. Die Handlung streut nur kleine Krümel eines großen Rätsels aus und arbeitet stellenweise mit falschen Fährten. So haben die Fake-Werbespots einen Bezug zu den Ursprüngen von Wandas und Visions Kräften, aber was hat das zu bedeuten? Warum gibt es in den schwarzweißen Episoden ein bis zwei Objekte, die bunt sind? Ist das signifikant oder eine gezielte Täuschung? Man muss aber nicht befürchten, dass die Mystery-Handlung lange ausgedehnt wird: Gerade mal 9 Folgen hat diese Staffel, sodass bald mehr Klarheit herrschen wird. Bis dahin werden sich zahlreiche Foren und Youtube-Kanäle mit den wildesten Theorien gegenseitig überbieten.

Die harten Fakten:

  • Genre: Comedy, Superhelden, Mystery
  • Regie: Matt Shakman
  • Produzent*innen: Jac Schaeffer, Kevin Feige
  • Darsteller*innen: Elizabeth Olsen, Paul Bettany, Teyonah Parris, Kathryn Hahn et. al.
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Spanisch (Spanien/Lateinamerika), Französisch (Frankreich/Kanada), Italienisch, Japanisch, Portugiesisch (Brasilien). Weitere Sprachen als Untertitel verfügbar
  • Preis: Disney+ Monatsabo EUR 6,99, Jahresabo EUR 69,99
  • Bezugsquelle: Disney+

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Fazit

WandaVision ist vieles – Hommage an das goldene Zeitalter des Fernsehens, leichte Sitcom-Kost, die in dieser Form schon ausgestorben schien und eine tiefgründige Mystery-Geschichte, die auf übernatürliche Schrecken hindeutet. Vielleicht brauchen wir genau diese Mischung in Zeiten der Pandemie. Die nostalgische 50er-Jahre-Ästhetik, die eine heile Welt beschwört, die es schon damals nicht gab? Warum nicht – zuhause sitzen wir ja eh ständig und unser Zeitempfinden ist so durcheinander, dass sich 2019 und 1950 fast gleich anfühlen. Da können wir also auch zwei witzig-charmanten Eheleuten in einem deutlich aufgeräumteren Retro-Zuhause zuschauen. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die Welt ganz und gar nicht heil ist und außerhalb unseres Wohnzimmers globale Bedrohungen lauern. Und unsere einzige Superkraft ist die Hoffnung, dass sich unsere Anstrengungen irgendwann auszahlen und die Normalität wiederkehrt. Einen besseren Start für 2021 kann es doch nicht geben. Auf die Nachbarn von Westview kann man aber im realen Leben gut verzichten.

Artikelbilder: © Disney
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Alexa Kasparek

Dieses Produkt wurde privat finanziert.

2 Kommentare

  1. Ah okay. Die geringe Anzahl an Folgen der Staffel erklärt, warum so ein ziemlich schneller, stellenweise sehr drastischer Sprung in Stil und Kleidung stattfindet. Ich fand nämlich den Einsatz an Farben bislang ziemlich unsubtil.

    • Kurze Staffeln sind ja in Zeiten des Bingewatchings nicht unüblich. Das traditionelle Format von 20-26 Episoden pro Staffel passt nicht mehr zu heutigen Sehgewohnheiten – auch, weil Filler-Episoden nicht mehr notwendig sind. Früher war es schwierig, eine Story über mehrere Folgen oder gar eine ganze Staffel zu verteilen: Zuschauer, die nicht regelmäßig einschalteten, wären hoffnungslos verloren. Dank Streaming kann man einzelne Folgen nicht mehr verpassen, dadurch werden Staffeln verkürzt und präsentieren eine zusammenhängende Handlung.

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