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Armer Peter Parker. In Homecoming wollte er als Held ernst genommen werden, jetzt will er nur ein normales Leben führen. Auf einmal muss er in große Fußstapfen treten und außerhalb seiner gewohnten Umgebung Heldentaten vollbringen. Zum Glück hat er treue Verbündete… (Spoiler für Endgame)

Es war schon herzzerreißend mit anzusehen, wie in Infinity War Tony Starks Schützling Peter Parker auf Titan zu Staub zerfiel. Als Hulk dann in Endgame mit einem erneuten Schnippen alle von Thanos zermahlenen Lebewesen zurückholte, kam Peter wieder und hatte eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Infinity Stones.

Doch nicht nur Peter kam zurück: Zahlreiche Mitschüler wurden ebenfalls vom ersten Schnippen vernichtet und vom zweiten gerettet. Was macht man also, wenn man nach 5 Jahren nicht gealtert zurückkommt und die Hälfte der früheren Klassenkameraden bereits auf die Uni geht? Erst einmal Urlaub!

Story

Der Film beginnt mit einer kitschigen, dilettantisch geschnittenen Verabschiedung von den Avengers und insbesondere Tony Stark. Die amateurhafte Collage entpuppt sich als Beitrag des Schulfernsehens der Midtown High, wo die jugendlichen Sprecher die letzten fünf Jahre aus ihrer Sicht wiedergeben: Das Ereignis namens „Blip“ ließ die Hälfte ihrer Mitschüler und Lehrer verschwinden. Jetzt, im Jahr 2023, tauchen sie auf einmal wieder auf, völlig unverändert, während die verschont gebliebenen versucht haben, die postapokalyptische Welt wiederaufzubauen.

Dank der Avengers ist also wieder alles im Lot. Doch die Heldentruppe hat sich aufgelöst und die Welt trauert um ihren Retter Tony Stark. Die stärksten Helden sind beschäftigt oder nicht einmal mehr auf der Erde. Da erscheint es umso dringlicher, die Lücke zu füllen – nach Nick Furys Wunsch mit Spider-Man. Doch Peter Parker, kurz zuvor von den Toten wiederauferstanden, will wie andere Teenager leben und auf dem Schulausflug nach Europa seiner Mitschülerin MJ seine Gefühle gestehen.

Natürlich wird der Urlaub torpediert, denn riesige Elementarkreaturen von einer anderen Dimension tauchen an den größten Ausflugszielen auf und verursachen großflächige Zerstörung. Während Fury und S.H.I.E.L.D. versuchen, Spider-Man zu seiner Heldenpflicht zu drängen, taucht ein neuer Held auf: Quentin Beck alias Mysterio, letzter Überlebender von einer Parallelwelt, die von den Elementaren vernichtet wurde. Mysterio und Spider-Man freunden sich an und sind bereit, zusammen die Welt zu retten – doch nichts ist so, wie es für den jugendlichen Helden scheint…

Darsteller

Tom Holland spielt mittlerweile zum 5. Mal nach Civil War, Homecoming, Infinity War und Endgame Peter Parker mit einer erfrischenden Leichtigkeit, die Tobey Maguire und Andrew Garfield immer etwas gefehlt hat. Maguire köchelte immer in seiner eigenen Gefühlswelt vor sich hin, während Garfield für den nerdigen Peter immer zu cool rüberkam. Holland schafft es hingegen, die Naivität, den Idealismus und die Energie eines Teenagers gleichermaßen authentisch zu vermitteln.

Heimlicher (oder sehr offensichtlicher?) Star des Films ist Zendaya als MJ, die erfreulicherweise aus der üblichen „Freundin des Helden“-Rolle herausfällt. Auch diesmal wirft sie einige respektlose Sprüche in den Raum, die teilweise an die 90er Jahre-Serie Daria erinnern, aber vor allem entgeht ihr absolut nichts, während der Rest ihrer abgelenkten Reisegruppe (großartig: Martin Starr als völlig überforderter Lehrer Mr. Harrington) von „Zufall“ zu „Zufall“ schlittert. MJ muss nicht gerettet werden, im Gegenteil, sie hilft ihrem Verehrer Peter sogar mehrfach im Laufe des Films.

Samuel L. Jackson darf nach Captain Marvel erneut einen etwas anderen Nick Fury spielen. Während er in den 90ern noch der Neuling war, der sich erst mal an Aliens und Superkräfte gewöhnen musste, ist er in Far From Home wie Milliarden andere von den Toten zurückgekehrt und muss jetzt eine Welt ohne Avengers managen. Der einst so abgeklärte Superspion scheint nicht mehr alles unter Kontrolle zu haben. Aber das hat einen Grund, der erst am Ende verraten wird – und Jackson gibt diese Nuancen sehr gekonnt wieder.

Neuzugang Jake Gyllenhaal hätte beinahe selbst Spider-Man gespielt, allerdings nicht in Far From Home, sondern in Sam Raimis Spider-Man 2 (2004). Als Tobey Maguire sich am Set von Seabiscuit verletzte, schaute Sony nach Ersatz, doch der Star erholte sich glücklicherweise. Dass Gyllenhaal jetzt einen anderen Helden im MCU spielen darf, ist aber kein Trostpreis.

Der erfahrene Schauspieler stellt Quentin Beck als Mann mit Überzeugungen dar, dem das Schicksal übel mitgespielt hat und jetzt seine Fähigkeiten nutzt, um vor den Augen von S.H.I.E.L.D. und der Welt zum neuen Helden aufzusteigen. Das enorme Charisma von Beck gibt Gyllenhaal so geschmeidig wieder, dass man für einen Moment damit zufrieden wäre, wenn Peter Parker den Rest des Films mit MJ auf Dates gehen und die Weltenrettung Mysterio überlassen würde.

Inszenierung

Den Soundtrack liefert wieder Michael Giacchino, der neben dem bekannten Spider-Man-Thema aus Homecoming auch Leitmotive der Avengers, S.H.I.E.L.D. und anderer Figuren einstreut. Besonders packend ist das neue Thema von Mysterio, dessen Komplexität in Musikform gut wiedergegeben wird.

Die Computergrafiker haben wie in jedem Marvel-Film alles gegeben, um beeindruckende Effekte zu schaffen. Amüsanterweise gibt es in Far From Home vereinzelt Seitenhiebe auf solche bombastischen Effekte, was zum Comedystil der Haupthandlung passt. Spider-Man, der auch in den Comics gerne Sprüche klopft, muss sich nicht immer zu 100% ernst nehmen.

Leider, leider ist Spider-Man: Far From Home der erste MCU-Film ohne Stan Lee-Cameo. Der legendäre Comicautor und langjährige Präsident von Marvel Comics hatte zwar einige Szenen im Voraus gedreht, wie etwa den (verjüngten) Cabriofahrer in Endgame und sich selbst mit Mallrats-Skript in Captain Marvel, aber sein Ableben im November 2018 sorgte für ein jähes Ende dieser liebgewonnenen Tradition. Die Fans werden ihn dennoch nicht vergessen.

Erzählstil

Trotz des wilden Ritts durch Europa und der deutlich gefährlicheren Gegner (ein fliegender Dieb dort, zerstörungswütige Elementarriesen hier) erinnert die grundlegende Story an den Vorgänger Homecoming. Auch hier überstrahlt Tony Stark alles, selbst im Tod, und Peter versucht, in seine Fußstapfen zu treten, ohne die Fehler des genialen Egomanen zu wiederholen. Happy Hogan als Sicherheitschef von Stark Industries hat Schwierigkeiten, dem jungen Helden zu folgen. Und sogar die Bösewichte hegen wieder einen Groll gegen Tony.

Während Sam Raimis Spider-Man 2 dem Netzschwinger etwas Eigenständigkeit als Teil seiner Entwicklung zugestand, ist das Leben von MCU-Peter Parker erneut von den Vorstellungen seiner erwachsenen Vorbilder bestimmt. Gut, er ist erst 16 hier, und für eine Coming-of-Age-Story (die dieser Superheldenfilm eben auch ist) gehören Konflikte mit Erziehungsberechtigten, Lehrern, Vor- und Feindbildern auch dazu. Aber es wäre mal nett, wenn der arme Junge mal einen Solofilm ohne ständiges „Peter, du MUSST…“ bestreiten könnte. Das hier ist ja nicht Iron Man 5. (Oder doch?)

Auch der zweite Solofilm mit Tom Holland vermischt Teenager-Comedy mit ernsten Themen wie Verantwortung, (Selbst-)Vertrauen und Verzweiflung. Angesichts der Zielgruppe ist die Handlung aber viel lockerer als z.B. in den Captain America-Filmen. Knapp dem Tod durch einen wildgewordenen Feuerriesen entronnen, macht Sidekick Ned Leeds wenig später schon wieder Scherze. Die anderen Teenager kommen leider zugunsten der Lovestory zwischen Peter und MJ etwas zu kurz, auch Bully Flash Thompson wird hier als Pausenclown genutzt. Aber angesichts der bereits komplexen Handlung um Parallelwelten und Geheimagenten ist es ok, wenn einige Charaktere zwischendrin Spaß machen dürfen.

Spider-Man: Far from home © Marvel StudiosEin Unterthema des Films ist Medienkritik: Da wird Spider-Man mit Fake News konfrontiert, CGI-Effekte werden verballhornt (nimmt Marvel etwa sich selbst aufs Korn?) und auch die Generation YouTube bekommt mit dem peinlichen Schulsender ihr Fett weg. Und natürlich nehmen alle Figuren alles, was sie erleben, mit dem Smartphone auf. Keine Sorge, diese Szenen sind keine harte Gesellschaftskritik a la Black Mirror, hier wird nur augenzwinkernd dargestellt, wie Heldentum beim durchschnittlichen Medienkonsumenten im MCU ankommt.

Wie schon Endgame wartet auch Far From Home mit einigen Flashbacks und Anspielungen auf frühere MCU-Filme auf. Es kommen sogar einige Cameo-Auftritte von Nebencharakteren vor, die man fast schon vergessen hatte. Ein solches Cameo kommt erst ganz zum Schluss und sorgte im Saal für großen Applaus.

Apropos: In diesem Film gibt es endlich wieder zwei post credit scenes – also unbedingt bis zum Ende des Abspanns sitzenbleiben, denn die Bonusszenen verraten viel über die weiteren Entwicklungen in Phase 4, nicht nur für Spider-Man! Wer sie schon gesehen hat und sich fragt, was sie bedeuten, darf den Spoilerkasten öffnen:

Über die After-Scenes

Die Mid-Credits-Szene zeigt Peter als Opfer der letzten Täuschung von Mysterio, vermutlich mithilfe seines Komplizen William Ginter Riva (der sich schon in Iron Man von einem anderen Bösewicht anschreien lassen durfte), der kurz vorher noch alle Daten sichern konnte. Ein geleaktes Video lässt es so aussehen, als ob Spider-Man Mysterio ermordet und die Zerstörung in London verursacht hätte. Sich selbst als Held und Spider-Man als Verbrecher präsentiert hatte Mysterio schon in seinem ersten Comic-Auftritt.

Die fragwürdige Website, die das Video veröffentlicht hat, heißt… The Daily Bugle, bekannt aus den Comics als Zeitung, für die Peter Parker als Fotograf arbeitet. Im MCU scheint die Daily Bugle eher ein Verschwörungsblog zu sein, das krude Fake News verbreitet – durch niemand geringeren als J. Jonah Jameson! J.K. Simmons kehrt zurück zu Spider-Man und gibt gleichzeitig sein Debüt im MCU. Was bedeutet das für das Spider-Verse?

Hier laufen bereits die ersten Fantheorien heiß. Doch es reicht nicht, dass Mysterio und Jameson Spider-Man als Mörder darstellen, sie enthüllen auch die Identität des einzigen MCU-Superhelden, der überhaupt eine Geheimidentität hat. Spider-Man ist Peter Parker! Ob der Ärmste jetzt bis zum nächsten Film auf der Flucht ist? Oder könnte S.H.I.E.L.D. ihn retten? Vielleicht sogar ein gewisser blinder Anwalt?

Die Endszene bringt uns zurück zu Nick Fury und Maria Hill, die in ihrem Auto fahren… und plötzlich ihre Gestalt wechseln. Nein, sie sind keine Illusionen von Mysterio, sie sind Skrulls! Genauer gesagt, Anführer Talos und seine Frau Soren. Die beiden rufen den echten Nick Fury an und erzählen ihm, dass die Mission erfolgreich war und Spider-Man wie geplant Tony Starks Brille erhielt. Nick sitzt am Strand in einem Stuhl, hört sich das Gequassel abwesend an und legt auf. Als er sich aufrappelt, wird erkennbar, dass der Strand ebenfalls eine Illusion ist – er befindet sich auf einem Skrull-Schiff, wo er den anwesenden Aliens verkündet, dass er sich wieder an die Arbeit macht. War Talos etwa schon länger als Fury unterwegs?

Die gestaltwandelnden Aliens waren zwar 1995 an einen weit entfernten Ort aufgebrochen, wo die Kree sie nicht finden können, es ist aber gut möglich, dass sie in der Zwischenzeit zurückgekehrt sind, um sich bei ihren Rettern Fury und Captain Marvel zu revanchieren. Dazu passt auch gut, dass Nick Fury in einer Szene am Anfang von Far From Home Peter Parker ermahnt, er solle nicht Captain Marvels Namen nennen. Was in dem Moment noch wie Nick Furys Ärger über die Heldin klingt, kommt aus dem Mund von Talos eher Heiligenverehrung gleich.

Was aber hat der echte Nick Fury im Weltall vor, und wie helfen die Skrulls ihm dabei? Baut der paranoide Superspion etwa an der Organisation S.W.O.R.D.? Das Pendant zu S.H.I.E.L.D. beschützt die Erde vor außerirdischen Bedrohungen und wird von der Mutantin Abigail Brand angeführt. Wie praktisch, dass Marvel Studios inzwischen die Rechte an den X-Men besitzt! Aber all das ist nur Spekulation. Wir werden ab 2020 einige Überraschungen in Phase 4 des MCU sehen…

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Die harten Fakten:

  • Regie: Jon Watts
  • Darsteller: Tom Holland, Samuel L. Jackson, Zendaya, Jake Gyllenhaal et. al.
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Englisch
  • Format: 3D
  • Preis: ca. EUR 12-15 (Ticketpreise schwanken)

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Fazit

Ein witziger und spannender Eintrag im MCU und verdienter Abschluss von Phase 3, der bereits Schatten auf Phase 4 wirft. Far From Home bietet viele überraschende Wendungen, aber eine Tatsache dürften Comic-Fans bereits vorausahnen. Das schmälert den Filmspaß aber keineswegs. Und die Liebesgeschichte am Rande ist nicht so peinlich wie in vielen anderen Actionfilmen, sondern ergänzt sich gut mit der Haupthandlung. Auch ein seltenes Vorkommnis in Hollywood.

Neben den Überraschungen ist die grundlegende Handlung ähnlich wie Homecoming: Die ganze Zeit sagen Erwachsene mit mehr Lebenserfahrung, was Peter Parker tun oder nicht tun soll, jedoch am Ende ist er ganz auf sich gestellt. Es wäre interessanter, mal einen Spider-Man-Film völlig ohne Schützenhilfe von Tony Stark, S.H.I.E.L.D. oder anderen Helden zu sehen. Irgendwann muss der Junge auch ohne Stützräder fahren dürfen. Sonst ist er nur ein Werkzeug wie Tonys KI‑Assistentinnen. Immerhin suggeriert das Ende, dass Peter im nächsten Film wirklich allein agieren muss, aber das ist ein Thema für Phase 4. Freuen wir uns darauf, Marvel-Fans!

Tolle Unterhaltung, aber einiges kennt man aus dem Vorgänger schon.
Die Endszenen sind für Fans Pflicht!

Artikelbilder: © Marvel Studios
Der Besuch dieses Filmes wurde durch das Patreon-Projekt bezahlt.

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