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Essen und Trinken spielt nicht nur in vielen Kulturen eine Rolle, sondern dient auch in Literatur und Film als Element, eine Welt stimmig darzustellen. Warum man sich auch im LARP damit beschäftigen sollte und welchen Mehrwert das bringt, lest ihr hier.

Wer jemals einen Charakter selbst konzipiert oder an der Konzeption mitgewirkt hat, hat sich zwangsläufig auch mit der Welt beschäftigt, aus der dieser Charakter stammt. Die dabei erdachten kulturellen Eigenschaften spiegeln sich meist in den zunächst offensichtlichen Dingen wider: Charakternamen, Berufung und ganz besonders der Kleidung und Ausrüstung. Manch ein Spieler und eine Spielerin versuchen dann noch sprachlich ein paar Auffälligkeiten einzubauen, zum Beispiel bestimmte Wörter, Phrasen oder Akzente. Bei LARP-Orgas geht dies noch weiter, wie zum Beispiel der Wahl der Location, die nicht nur zum Grund- sondern auch kulturellen Setting passen soll, oder die versucht, eine in sich, mehr oder minder, logische Welt zu schaffen. Diesen Part eines Spieldesigns nennt man auch Worldbuilding. All dies dient dazu, einen Charakter und die Welt stimmig darzustellen und damit die Immersion zu erleichtern.

So glänzt der vom historischen Japan inspirierte Samurai mit einem beeindruckenden Detailgrad der Gewandung, eignet sich eine gewisse Gravitas an, hat sogar ein bisschen Kendo gelernt. Am Mittag erhält er Besuch von Gästen, die er natürlich in seinem authentisch eingerichteten Zelt empfängt, und serviert Cola und leckere Ravioli aus der Dose.

Bedeutung von Nahrungsmitteln im Worldbuilding

Das obige Beispiel ist in abgewandelter Form vermutlich jedem schon einmal begegnet. Gerade auf Fantasy-Zeltcons sind Gaskocher und Dosenfutter eine erprobte und bequeme Möglichkeit, den Kalorienbedarf zu decken. Wer aber das Bild des dargestellten Charakters abrunden will, könnte sich auch diesem Aspekt des Worldbuildings widmen. Sowohl reale kulturelle Eigenheiten als auch Welten in Literatur und Film werden durch Nahrungsmittel greifbar. Gerade bei erdachten Welten lohnt sich ein genauer Blick, wie mit kleinen (oder auch großen) Details eine Welt oder Figur ganz besondere Bedeutung bekam.

Geschüttelt, nicht gerührt!

James Bond mit seinem Stammgetränk © MGM
James Bond mit seinem Stammgetränk © MGM

Eine der ikonischsten Verwendungen von Nahrungsmitteln dürfte der berüchtigte Wodka Martini bei James Bond sein. Wenige Nahrungsmittel dürften so eng mit dem Namen eines Charakters verbunden sein wie dieses. Dabei hat der Drink noch eine Metaebene: zum einen schüttelt man Martini-Drinks nicht, sondern rührt sie. Tatsächlich macht das im Geschmack einen Unterschied. Zum anderen bestehen Martini-Drinks sehr selten aus Wodka, sondern aus Gin und Wermut. Im Originalrezept aus Casino Royal lässt Bond sogar Gin mit Wodka und einem Kina (ein Chinin-Getränk) der Marke Lillet mischen, das heute nur noch von anderen Marken zu erhalten ist. Kennern trieb das die Nackenhaare zu Berge, mischt man doch niemals Wodka und Gin. Doch Ian Fleming, ein echter Martini-Kenner, nutze dieses Bild bewusst, um mit Konventionen zu brechen und zu zeigen, dass James Bond eben anders ist als andere. Dieses Motiv wird ebenfalls in der Verfilmung von Casino Royal aufgegriffen, als Daniel Craig als Bond auf die Frage „geschüttelt oder gerührt“ mit „Sehe ich aus, als ob mich das interessieren würde?“ antwortet. Auch hier steht der Umgang mit seinem Stammgetränk sinnbildlich für einen Bond, der noch seinen Weg finden muss.

Im Kultfilm The Big Lebowski spielt auch ein bestimmtes Nahrungsmittel eine wichtige Rolle: Der White Russian, ein Cocktail aus Wodka, Kaffeelikör und leicht geschlagener Sahne. Der Dude hat oft und gerne einen zur Hand. Der White Russian gilt im Grunde als langweiliges Getränk, ist er vor allem geschmacklich süß und wenig vielschichtig. Man nimmt ihn eher als man ihn trinkt, was die Gemütlichkeit betont. Gleichzeitig ist es einer der einfachsten Cocktails, aber immer noch ein Cocktail. Alle diese Punkte beschreiben auch den Dude. Er ist eher langweilig, ziemlich bequem, sieht sich aber in einer höheren sozialen und intellektuellen Schicht, als er tatsächlich ist. Er trinkt nicht einfach profan einen Whiskey, er trinkt einen Cocktail!

Der Dude mit seinem White Russian © Polygram Filmed Entertainment
Der Dude mit seinem White Russian © Polygram Filmed Entertainment

Kannibalismus als Sinnbild

Eine ganz zentrale Rolle spielt Essen hingegen Film Soylent Green. Im Jahr 2022 sind natürliche Lebensmittel und sauberes Wasser nur noch einer wohlhabenden Elite vorbehalten. Künstliche Nahrungsmittel ernähren daher das Gros der Weltbevölkerung. Unter diesen Nahrungsmitteln ist Soylent Green das neueste Produkt, das als besonders nahr- und schmackhaft gilt. Der Film handelt vordergründig von einem Mord und dessen Aufklärung. Das eigentliche Thema jedoch ist der Umgang mit einer überforderten Natur, und das menschliche Wesen, das nicht auf Bequemlichkeiten verzichten will. Menschen sind im besten Fall Ressourcen, und so besteht Soylent Green aus Menschenfleisch. Das Nahrungsmittel wird also zum Sinnbild der verrohten Gesellschaft und ausgebeuteten Umwelt. Interessanter Fakt: In der literarischen Grundlage ist Soylent Green gar nicht aus Menschenfleisch. Die Drehbuchautoren haben also dem Film eine deutlich dramatischer Dimension gegeben, in dem sie eine Kleinigkeit der Welt angepasst haben. Beeindruckender, kann der Einfluss von Nahrungsmitteln auf eine Welt kaum aufgezeigt werden.

In Star Trek gelten Klingonen als besonders raues und kriegerisches Volk. Dies spiegelt sich ebenfalls in ihrem Essverhalten wider. Blutwein ist wohl das bekannteste Getränk. Auch wenn der genaue Inhalt nie in Filmen und Serien exakt aufgeklärt wird, darf man davon ausgehen, dass Blut jedoch eine tatsächliche Komponente ist. Das Essen selbst ist durch tierische Fleischprodukte, teils noch lebend beim Verzehr, gekennzeichnet. Die aufgeklärten und asketischen Vulkanier hingegen bevorzugen eine vollständig vegetarische und nachhaltige Ernährung. Generell spielen bei Star Trek Nahrungsmittel immer wieder eine wichtige Rolle, die immens dazu beitragen, die Welt abzurunden und auch die Unterschiede der verschiedenen Fraktionen greifbar zu machen.

Worldbuildung mit Nahrungsmitteln

Erschafft man nun eine Welt, eine Gruppe oder einen Charakter, sollte man sich, neben den offenkundigen Aspekten des Designs, auch mit Nahrungsmitteln auseinander setzen. Dazu gehört nicht nur die Art der üblichen Lebensmittel, sondern auch deren Zubereitung und das Servieren.

Wo fange ich an?

Liebevolle Essensausgabe
Liebevolle Essensausgabe © Hagen Hoppe

Folgende Fragen könnten dabei zunächst hilfreich sein:

  1. Ist meine Welt/mein Charakter einer real existenten Kultur entlehnt, und welche Nahrungsmittel herrschen dort vor?
  2. Ist mein Charakter einer bereits ausdefinierten fiktiven Welt entlehnt, und welche Nahrungsmittel herrschen dort vor?
  3. Welche Lebensmittel könnten gemäß der Geografie des Hintergrundlandes in Frage kommen?
  4. Macht der Stand oder Beruf einen Unterschied?
  5. Wie sind die Lebensbedingungen der erdachten Welt?
  6. Welche Lebensmittel sind gut erhältlich, vernünftig zu transportieren, und wie ist der Zubereitungsaufwand?
  7. Welche Koch- und Lagermöglichkeiten gibt es vor Ort?
  8. Kann ich nicht erhältliche oder nicht existente Nahrungsmittel anders darstellen?
  9. Ist Essen und Trinken reine Notwendigkeit oder wird es in der dargestellten Kultur oder vom Charakter zelebriert?
  10. Wie wird gegessen? Besteck, Teller, Hände oder Teigfladen?

Mit den Gedanken und Antworten dazu ist man schon einen ordentlichen Schritt weiter. Ein Wüstenvolk wird zum Beispiel Wasser eine ganz andere Bedeutung zumessen als Wesen aus einer Welt, in der jederzeit Zugriff auf Trinkwasser besteht. Besagtes Wüstenvolk könnte verschwenderischen Umgang mit Wasser schärfer ahnden als sonstige Verbrechen, Kleidung und Mensch werden schmutziger sein, da Wasser zu kostbar ist. Wasser könnte zudem Gegenstand heiliger Riten sein.

In dystopischen oder endzeitlichen Szenarien wird oftmals eine Mangelwirtschaft simuliert. Im Spieldesign wirkt sich das auch auf die Güte und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus. Eine undefinierbare Pampe als Nährbrei lässt so ein Szenario gleich viel realistischer wirken, ohne einen ganz realen Mangel herbeizuführen.

Auch die Verpackung umzugestalten kann ergeblich zum Ambiente beitragen © Maximilian Wegener
Auch die Verpackung umzugestalten kann ergeblich zum Ambiente beitragen © Maximilian Wegener

Beispiele zur Umsetzung

Bereits mit wenig Aufwand lassen sich auffällige Lebensmittel herstellen. Am offensichtlichsten ist dabei die Nutzung von Lebensmittelfarben. Diese können sowohl in Getränke als auch Essen gemischt werden. So lässt sich zum Beispiel mit etwas grün und braun ein herrlicher modriger Joghurt erzeugen, genauso wie verdorbenes Fleisch. Dennoch wird beides weiterhin ganz normal und hoffentlich gut schmecken.

Stilechte Cocktails statt Fertigdrink © Tim Fit auf dem MMM 2018
Stilechte Cocktails statt Fertigdrink © Tim Fit auf dem MMM 2018

Nährpaste erzeugt man am einfachsten mit einem Mixer und einem Gericht seiner Wahl. Ohne weiteres lassen sich sogar Nudeln mit Bolognesesauce in einen undefinierbaren Brei verwandeln, der jedoch weiterhin schmeckt. Verfeinert mit Lebensmittelfarbe, gerne auch kombiniert, wird so ein einmaliges optisches Element erschaffen, das geschmacklich sogar variabel ist. Denkbar sind dazu auch Smoothierezepte, die durch das Beifügen von Lebensmittelfarbe die nötige eintönig-eklige Farbe erhalten, die man von so einem Nährbrei erwartet.

Wasser ist verseucht und nur schlecht gereinigt? Rührt eine Teelöffelspitze saure Sahne in das kühle Wasser, und ihr erhaltet leichte und unbedenkliche Flocken. Ein subtilerer Effekt lässt sich auch mit ein paar Tropfen von ungesüßten Aromen herstellen. So kann z.B. eine Sellerieessenz einen erdigen fahlen Beigeschmack erzeugen, den der nicht eingeweihte Spieler zunächst nicht wirklich zuordnen kann.

Gehören alkoholische Getränke zur glaubhaften Darstellung der Rolle, aber Eistee als Whiskey-Ersatz ist euch zu offensichtlich und schmeckt auch nicht als Schuss in den morgendlichen Kaffee?

Wenn ihr euch nicht real betrinken wollt, oder auch andere schlicht nicht abfüllen wollt, gibt es spannende Lösungen. Egal ob Rum, Whiskey, Vodka oder Gin, diese Getränke gibt es auch alle als alkoholfreie Alternative. Pur schmecken diese meist widerlich. Werden sie jedoch in andere Getränke oder Essen gemischt, erzeugen sie den jeweiligen Geschmackseffekt. Eine umfangreiche Auswahl findet ihr zum Beispiel bei alkoholfreishop.de

Auch die LARPs auf der Demeter nutzen Nahrungsmittel für das Ambiente © Nadina Dobrowolska
Auch die LARPs auf der Demeter nutzen Nahrungsmittel für das Ambiente © Nadina Dobrowolska

Ganze Rezepte findet man in zahlreichen Kochbüchern, die sich phantastischem oder historischem Kochen widmen. Ein gutes Beispiel ist zum Beispiel das Star Trek Kochbuch, das auch jenseits von Science-Fiction interessante Inspiration bietet. Wer es eher realweltlich mag, sollte sich das Outlander-Kochbuch genauso anschauen wie das sehr bekannte Römer-Kochbuch von Edgar Comes. Ein phantastisches Kochbuch, das auch gleich verschiedene Kulturen und auch moderne Varianten der Gerichte bietet, ist zudem das Kochbuch zur Serie Game of Thrones. Nicht unerwähnt bleiben soll auch das LARP KochbuchHier finden sich zahlreiche Rezepte, die verschiedenen Settings und Genres im LARP zugeordnet sind. Auch finden sich in diesem Buch einige Grundlagen zum Kochen ganz generell. Allerdings gilt auch für dieses Kochbuch, dass viele Rezepte eine vollständige Küche erfordern oder vor den Con vorbereitet werden sollten.

Ansonsten bietet das Internet wirklich reichlich Rezeptseiten, die viele kulturelle Hintergründe abdecken. Jedoch sollte man die Rezepte im Vorfeld selbst testen um diese gegebenenfalls noch anzupassen. Grade pürierte Kost muss manchmal besser abgeschmeckt werden. Um sicherzustellen, dass es nicht zu einem tatsächlichem Mangel an Nahrung kommt, weil die Spieler*innen das angepasste Essen vielleicht nicht mögen oder eben ein Mangel simuliert wird, sollte es zumindest im OT ausreichend Nahrung und Getränke geben.

Essen für die Immersion

Nahrungsmittel sind ein Begleiter von fast allen Larps. Sie bieten daher eine ganz besondere, wenn auch zu oft übersehene, Möglichkeit, einer Welt und ihren Bewohnern Leben einzuhauchen. Wer sich also das nächste Mal mit seiner bespielten Welt oder seinem Charakter tiefer beschäftigen möchte oder auch die nächste Con vorbereitet, könnte sich ein paar Minuten für das Thema Zeit nehmen. Vermutlich wird jeder, der sich diese Zeit genommen hat, bestätigen, dass es lohnend war und das Spiel ungemein bereichert.

 

Artikelbild: Hagen Hoppe, Bearbeitet von Verena Bach

 

Über den Co-Autor

Artur Schönhütte fühlt sich in vielen Settings und Genres zu Hause. Ob Mafia-LARP, Fantasy oder die Wizarding World, er hat schon viele phantastische Welten bereist. Ein ganz besonderes Augenmerk legt er dabei auf den Einsatz von Nahrungsmitteln im Worldbuilding, zugegeben zumeist hinter der Bar. Kein Wunder, dass man ihn daher auch seit Jahren für den MittelPunkt als Barkeeper verpflichtet.

12 Kommentare

  1. Wartet das „Lyonesse RPG“ ab welches im Laufe des Jahres bei The Design Mechanism erscheinen wird.
    Dank dem Autor der Romanvorlage, Jack Vance, wird Essen dort tatsächlich viel detailreiche Aufmerksamkeit geschenkt.

  2. deswegen halte ich es auch für EXTREM wichtig, in-time zu kochen, entsprechendes Equipment zu benutzen und nicht nur für sich selbst, sondern ggf. auch noch die Kameraden, die Lagerkumpanen und Co. mit speisen zu lassen. Das bringt SO viel mehr Atmosphäre für alle Beteiligten!

  3. Ich erinnere mich an eine Con vor ein paar Jahren, wo die Spielercharaktere einen Teil der Geschichte eines Raubvogel-angelehnten Volkes nachstellen mussten und abends gabs „Hirn mit Fleisch“ (Kartoffelbrei und hackfleischsauce) und zum Nachtisch „Augen“ aus Litschis.
    IT fand ich das so dermaßen widerlich, das passte perfekt^^

    Aus Litschis werden auch bei einem GSC-Wasservolk-Konzept mit blauer Lebensmittelfarbe „Quallen“. Kommt auch immer sehr gut.

  4. Brrr…. ich erinnere mich noch an dieses Essen im Dunklen Reich. Die Küche hatte richtig Spass mit Lebensmittelfarben. Grünes Fleisch, blaues Rührei, blutrote Sauce und zum Nachtisch eine Kiwano….

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