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In Fabled Lands erkunden wir eine phantastische Welt im Stil alter Choose-your-own-Adventure-Spielbücher. Das Indie-Entwicklungsstudio Prime Games hat diese Spielbuchreihe auf den Computer übertragen. In diesem Beitrag erfährst du, ob der Medienwechsel gutgetan hat.

Manchmal tut die Rückkehr zu einer alten Liebe gut. Man erinnert sich an die schönen Stunden, die man gemeinsam mit diesem besonderen Menschen verbracht hat. Die Aufregung, die Spannung und die Momente, an die man sich immer erinnern wird.

Und dann gibt es gute Gründe, die gegen ein Treffen mit der Vergangenheit sprechen. Man sieht mit dem zeitlichen Abstand nun die Fehler des Gegenübers umso deutlicher, je mehr der Schleier der Verliebtheit gewichen ist. Die eigenen Erfahrungen und Ansprüche sitzen wie zwei Teufel auf den Schultern und flüstern dir zu, was beim Anderen alles falsch ist. Und du hinterfragst deine eigene Entscheidungssicherheit und Verliebtheit von damals. Lag es an dir? Oder am Gegenüber?

Die Fabled Lands / Sagaland

Die Spielbuchreihe Fabled Lands (oder Sagaland von Ravensburger) von Dave Morris und Jamie Thomson wurde in den 1990er-Jahren verfasst. Die Kollegen Westerhoff, Große und Lewin haben etliche der erschienen Bände bereits besprochen. Die großartige Idee, eine frei erkundbare Fantasyspielwelt über mehrere Bücher zu verteilen, hat mich damals, Mitte der Neunziger, sofort gepackt. Bewaffnet mit Würfeln, Papier und Bleistift (sowie einer starken Neigung zum Schummeln, also zum Rückblättern bei aussichtslosen Kämpfen) wurden etliche Heldenreisen bestritten, bis die Bücher schön abgegriffen waren (ein sauberes Spielbuch ist ein ungeliebtes Spielbuch).

Meine Freude war dementsprechend groß, als am 26. Mai 2022 Prime Games die Fabled Lands als Computerspiel veröffentlichte. Die Aussicht, diese alte Liebe aus den Neunzigern wieder neu kennen lernen zu dürfen, rührte stark an meiner nostalgischen Seite.

Die Charaktererschaffung

Wie in den Spielbüchern aus prähistorischen Zeiten wählen wir aus sechs Klassen – Krieger*in, Magier*in, Schurken*in, Waldläufer*in, Kleriker*in oder Troubadour*in.  Anders als in der Ära des Papiers haben wir in der Computerfassung die Wahl zwischen mehreren Abenteuermodi, beispielsweise können wir entscheiden, wie hart das Spiel werden soll.

Im leichtesten Modus Explorer erhalten wir auf alle Werte einen Bonus von +2 und 6 Lebenspunkte, starten mit einem freien Wiederbelebungsvertrag und verlieren beim Tod unser Geld und unsere Ausrüstung nicht.

Im Modus Adventurer sind die Boni schon etwas niedriger, es gibt aber immer noch einen gratis Wiederbelebungsvertrag und die Ausrüstung ist im Todesfall geschützt.

Der klassische Modus Champion lässt uns das Abenteuer wie damals in den Büchern spielen und fordert uns sogar zu häufigem manuellem Speichern auf.

Der letzte Modus Ironman schließlich erlaubt kein eigenes Speichern, soll aber „die beste Spielerfahrung bieten, sobald man das Spiel gelernt habe“.

Davon abgesehen bietet die Charaktererschaffung mehrere große Neuerungen für alle Klassen – unsere Held*innen starten mit neuen Fähigkeiten, je nach Klasse. Während Krieger*innen mit zwei Kampfmanövern starten (und während des Abenteuers neue dazulernen können), gilt dasselbe für magisch orientierte Klassen und Zauber. Magier*innen starten ihr Abenteuer mit zwei Angriffszaubern, mit denen sie sich ihrer Haut erwehren können. Waldläufer*innen können zum Start schon einen Bären zu ihrer Unterstützung beschwören.

Grundsätzlich ist es im Laufe des weiteren Spieles nicht unmöglich, dass auch ein*e Kleriker*in Kampfmanöver erlernt, die doch recht hohen Voraussetzungen bei den Attributen machen dies jedoch eher unwahrscheinlich. Somit werden sich auch höherlevelige Charaktere nicht stark voneinander unterscheiden, wenn man keine neue Klasse beginnt.

Optisch stehen uns bei der Charaktererschaffung jeweils mehrere Haartypen, Gesichter, Rüstungen und die Wahl zwischen männlichen und weiblichen Charakteren offen. Ob man einen Mann oder eine Frau spielt, macht spieltechnisch keinen Unterschied, das Prinzip ist schon aus den Büchern bekannt. Ein besonders netter Verweis auf die alte Buchreihen ist der Umstand, dass Prime Games bei den vorgeschlagenen Namen der Klassen jeweils den Namen der vorgefertigten Spielfigur aus den Buchreihen genommen hat. Das rührt das nostalgische Herz.

Kämpfe

Wohl am stärksten hat sich in der Computerspielumsetzung das Kampfsystem verändert. Während das Erkunden und Auswürfeln von Herausforderungen ganz genauso wie vor über zwanzig Jahren abläuft, hat sich Prime Games zu mehreren gravierenden Neuerungen bei den konfliktreichen Austragungen von Zwischenhändeln, vulgo Kämpfen, entschieden.

Es wurde schon erwähnt, dass es jetzt Dinge wie Kampfmanöver, Zauber und beschworene Haustiere wie Bären gibt. Kämpfe, die in den Spielbüchern der Reihe nach ausgewürfelt wurden, finden jetzt auf einem Hexagonalfeld statt, auf welchem sich die beteiligten Figuren bewegen können. Allen Beteiligten stehen (wie beispielsweise in HeXXEn 1733) pro Runde eine gewisse Anzahl von Aktionspunkten zur Verfügung, jede Benutzung von Angriffen, speziellen Manövern und Zaubern kostet eine gewisse Anzahl von Aktionspunkten. Wenn man keine mehr hat, muss man passen und den nächsten Zug abwarten.

In den Städten bekommen wir es mit eher einfachen Dieben zu tun.
Haustiere sind immer toll!

Je nach Gegner*in kommen Nahkampfwaffen, Geschosswaffen und Zauber zum Einsatz. Möchte man sich aus der unmittelbaren Umgebung eines*einer Gegners*Gegnerin wegbewegen, gibt es einen Passierschlag wie in Dungeons & Dragons. Das wäre an und für sich ja ein wirklich interessantes System und eine tolle Neuerung gegenüber dem reinen Runterwürfeln in den Spielbüchern, wo die Kämpfe jetzt nicht so besonders spannend waren (und man einfach weitergeblättert hat, wenn man mal doch besiegt wurde).

Leider hakt das Kampfsystem an zwei wichtigen Punkten. Erstens haben die Waffen sehr seltsame Aktionspunktkosten – sprich, ich kann nur mit Dolchen und Äxten mehrmals pro Runde zuschlagen, mit jeder anderen Waffe allerdings maximal einmal pro Runde. Das macht die Auswahl der Waffen relativ eintönig. Die Sonderfertigkeiten retten da leider nicht mehr viel an Spannung.

Je weiter weg von der Zivilisation, desto härter die Kämpfe

Zweitens sind die Kämpfe sehr unausgewogen. Entweder habe ich keine Chance (vor allem mit allen nicht kämpferisch orientierten Charakteren zu Beginn des Abenteuers) oder ich schneide mich ohne Mühe und Kratzer durch die Gegner*innen. Verbunden mit dem Permadeathcharakter des Spiels (auch, wenn es Wiederbelebungsverträge gibt) fühlen sich insbesondere die Kämpfe in der Computerspielumsetzung wie eine vergebene Chance an.

Auf höheren Leveln

Ein mächtiger Kämpfer der Stufe 4 mit angesammelten Artefakten

Wie in den Spielbüchern kann man magische Artefakte ansammeln, die Boni auf Attribute geben. Da allerdings jeweils nur der höchste Bonus gewertet wird, behält man aufgrund des geringen Platzes im Inventar immer nur den Gegenstand, der den höchsten Bonus auf Charisma, Kampfkraft oder Magie gibt, und verkauft alles andere. Je nach Seltenheitswert sind die Gegenstände mit unterschiedlichen Farben umrahmt. Leider behält unsere Figur ihr Aussehen vom Start bis in alle Zeiten, neue Rüstungen oder Gegenstände wie ein Wolfspelz verändern das Aussehen unserer Held*innen leider nicht. Schade.

Der größte Schwachpunkt der Fabled Lands-Reihe kombiniert sich gerade beim längeren Spielen mit den Schwächen des Computerspielens an sich. Die Spielbuchreihe war schon immer relativ tödlich und fordernd, auf höheren wie auf niedrigen Leveln. Was sich in Zeiten, in denen man nicht viel anderes in diesem Bereich hatte, nicht gleich bemerkbar machte, fällt allerdings bei einem Computerspiel, das aufgrund des Wegfalls des Umblätterns schneller gespielt wird, umso schlimmer auf. Viele Kämpfe werden tödlich enden, ebenso eine große Anzahl an Herausforderungen, die einen scheitern lassen und somit etliche Stunden an Spielfortschritt aufgrund eines einzelnen Würfelwurfes vernichten.

Noch dazu fallen aufgrund der höheren Spielgeschwindigkeit am Computer die potenziellen Endlosschleifen umso mehr auf – so kann man als Krieger*in zu Beginn des Spiels schnell unendlich viel Geld machen, indem man in Marlockstadt ins Elendsviertel geht und dort die umherstreifenden Stadtwachen aufmischt. Hält man diese Endlosschleife lange genug durch, kann man unendlich Geld gleich mit einem Startcharakter machen. Solche Probleme fallen leider allzu schnell auf. Auf höheren Leveln kann es einem etwas ferner der Zivilisation dafür allzu leicht passieren, dass man mühsam erarbeitete Charakterstufen und Attributswerte aufgrund eines Würfelwurfes verliert. Für das Spielen ist eine solide Frustresistenz unbedingt erforderlich.

Grafik

Auf der Weltkarte erkunden wir die Umgebung.

Die gemalten Karten, Charaktere und Umgebungen des Spiels erinnern etwas mehr an die etwas märchenhaftere Sagaland-Reihe als an die düsteren 80er-Jahre Sword and Sorcery-Zeichnungen, die wir in den Auflagen des Mantikore-Verlages gesehen haben. Die Zeichnungen sind bunt mit nicht allzu harten Kanten und solide gemalt. Man merkt ihnen allerdings stark an, dass sie an einem Computer erstellt wurden. Aber ein Medienwechsel darf ruhig einen anderen Grafikstil beinhalten.

Die Stadtumgebungen sind in einem Stil gestaltet, der stark an Spielbücher erinnert. Insgesamt ist die optische Aufmachung schön gelungen und mit Gefühl gemacht.

Die Städte erinnern stark an Spielbücher.

Umfang

Aktuell kann man in Fabled Lands die Reiche Sokara und Golnir, Uttaku sowie die eisigen Wüsten des Nordens bereisen. Oder, anders gesagt: Der Inhalt der ersten vier ursprünglichen Spielbücher von Dave Morris und Jamie Thomson beziehungsweise die ersten beiden Doppelbände des Mantikore-Verlags können bespielt werden. Das heißt, dass das Südmeer und Akatsurai sowie Ankon-Konu leider (noch) nicht bereist werden können.

Mit den derzeit veröffentlichten Inhalten kann man allerdings locker etwa zehn Stunden Spielzeit rechnen, wenn man alle Questen abarbeiten möchte und etwas Glück mitbringt.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Prime Games
  • Publisher: Prime Games
  • Plattform: PC
  • Sprache: Englisch
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows XP SP2+
    • Prozessor: 1.5 GHz
    • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
    • Grafik: Hardware Accelerated Graphics with 1GB memory
    • DirectX: Version 9.0
    • Speicherplatz: 2 GB verfügbarer Speicherplatz
  • Genre: Abenteuer, Indie, Rollenspiel
  • Releasedatum: 26. Mai 2022
  • Spielstunden: ~ 10 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: jugendfrei
  • Preis: 16 EUR 
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Steam

 

Fazit

Nostalgie ist eine schöne Sache. Die alte Liebe verlockt mit ihrer Schönheit, und man fragt sich, was man an ihr gefunden hat. Oder vielmehr, was sich an einem selbst verändert hat, dieser Verlockung anheimgefallen zu sein. Die eigenen Ansprüche haben sich mitunter gewandelt, und man erwartet von einer intensiven (Spiel-) Beziehung heute mehr als in der Jugend. Es ist spannend, zu sehen, wie man heute an ein Spiel herangeht, das einen vor über zwanzig Jahren so begeistert hat und das tollste überhaupt war. Hat man die Fehler damals übersehen oder wissentlich ignoriert? Ist man selbst kritischer oder einfacher zu befriedigen geworden? Und was erwartet man heute von einem Abenteuerspielbuch?

Die Fehler, die das Spiel hat, sind in erster Linie den Büchern und nicht der Computerspielumsetzung anzukreiden. Mit dem Kampfsystem und den erweiterten Fertigkeiten hat Prime Games zumindest versucht, einem sehr alten Genre einen kleinen Schub fürs Computerspiel zu geben, und das ist durchaus zu honorieren. Auch, wenn es an vielen Kleinigkeiten hakt.

Alles in allem geht der Preis von 16 EUR für die Computerumsetzung von Fabled Lands absolut in Ordnung. Noch dazu gibt es eine Gratisdemo, die einen das Spiel erstmal antesten lässt. Das ist überaus fair und lässt einen nicht die Katze im Sack kaufen.

Viel Spaß in den Fabled Lands!

  • Eine optisch gelungene Umsetzung der Spielbücher
  • Man kann den Umfang mehrerer Spielbücher bespielen
  • Neue Fertigkeiten und unterschiedliche Schwierigkeitsgrade
 

  • Die Kämpfe sind nicht wirklich spannend
  • Man stirbt durch das schnellere Blättern zu schnell
  • Die Figur verändert sich auch durch bessere Gegenstände optisch nicht

 

Artikelbilder: © Prime Games
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Jessica Albrecht
Screenshots: Johannes Haslhofer
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

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