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Drachen verkörpern wie kaum ein anderes Wesen das Genre Fantasy. Sei es in der Literatur, auf dem Bildschirm oder in einem Spiel, eine Begegnung mit Drachen ist meistens eine denkwürdige Begebenheit. In The practically complete Guide to Dragons spüren wir diesen mystischen Wesen näher nach. Aber Vorsicht. Hier lauern Drachen!

Triggerwarnungen

Keine üblichen Trigger

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Ich bin Feuer. Ich bin… der Tod“ – Smaug der Goldene

Inhalt

Gleich zu Beginn dieses Artikels muss leider eine Warnung stehen. Und nein, diese lautet nicht „Hier könnten Drachen sein“. Das sind sie. Sehr zahl- und variantenreich sogar. Der*die gediegene Freund*in gewaltiger, fliegender und mächtiger Echsen wird hier seine*ihre Freude haben. Allerdings ist dieses Werk keine Regelerweiterung für die mannigfaltigen Ergänzungsbände für das Spiel Dungeons and Dragons von Wizards of the Coast. Hier finden sich keine Werteblöcke für die zahlreichen Varianten des Draco Nobilis, vielmehr halten wir eine Forschungsschrift über diese faszinierenden Wesen in Händen, niedergeschrieben und festgehalten aus der Hand von Sindri Suncatcher, dem „größten Magier der Kender aller Zeiten“. Im vorliegenden Werk folgen wir dem gelehrten Sindri, der in seiner Schrift über seine zusammengetragenen Daten und sein erlangtes Wissen über Drachen referiert.

Somit ist The practically complete Guide to Dragons, allen anderen positiven wie negativen Fakten unbenommen, leider für alle Spieler*innen unbrauchbar, welche sich neue Regeln für Drachen erhofft haben. Das ist zwar schade, angesichts der großen Bandbreite an Regeln für Drachen, welche sich bereits im Monsterhandbuch befinden, jedoch verschmerzbar. Was ist also in diesem Buch enthalten, wenn keine neuen Regelerweiterungen? Überraschend viel.

Sindri beginnt seinen Rundgang durch die Welt der Drachen mit der Frage, was eigentlich einen Drachen ausmacht, also mit einer Betrachtung seiner Anatomie. Von diesem Punkt an zieht sich dasselbe Muster durch das gesamte Buch: farbenprächtige und großflächige Illustrationen von Drachen, die mit Sindris wissenschaftlicher Analyse beschrieben werden. Dabei lässt der Kendermagier immer wieder seine persönlichen Erlebnisse mit diesen Wesen oder seinem Lehrmeister Maddoc einfließen. In diesem Sinne schließt sich das Werk stilistisch an Volo’s Guide to Monsters oder Tasha’s Cauldron of Everything an. Als Ausgleich für den fehlenden Regelteil geht das Buch in anderen Dingen wesentlich mehr in die Tiefe, beispielsweise bei der Beschreibung der Gesellschaft der Drachen.

Jeder Drache ist einzigartig. Das gilt auch für seinen Hort.
Jeder Drache ist einzigartig. Das gilt auch für seinen Hort.

Diese wird im ersten richtigen Kapitel des Buches beschrieben. Oder vielmehr, die unterschiedlichen Horte der diversen Drachenarten. Denn das Versteck eines im Sumpf lebenden schwarzen Drachen unterscheidet sich doch wesentlich von einem im Gebirge residierenden roten oder einem Kupferdrachen. Methodisch werden hier die (bösen) chromatischen und die (guten) metallischen Drachen behandelt. Ihre jeweils eigenen Atemwaffen wie Gift, Säure oder Feuer, ihre Vorlieben beim Horten von Schätzen, ihre Unterschlüpfe und andere (kleinere) Besonderheiten.

Das Augenmerk ist hier eindeutig auf die beiden großen Gruppen der chromatischen und metallischen Drachen gerichtet. Die restlichen Vertreter der großen Familie der Drachenheit finden ebenfalls, leider nur auf ein paar wenigen Seiten, eine Erwähnung: die ungemein süßen Feendrachen, die gewaltige Drachenschildkröte Wyvern, Drachengeborene und Kobolde werden nur sehr kurz abgehandelt. Dafür findet der fiktive Autor genügend Raum dafür, seine Erkenntnisse zum Fliegen eines Drachen auf immerhin zwölf Seiten abzuhandeln. Das mag dann schon etwas viel Umfang für dieses Thema sein.

Ebenfalls sehr kurz abgehandelt wird die abschließende Sektion über Magie der Drachen. Dabei ist aber nicht die Magie gemeint, die von Drachen gewirkt wird (ihre unterschiedlichen Atemwaffen und ihre Gewohnheiten beim Zaubern werden schon davor bei den Beschreibungen der jeweiligen Drachenart angeschnitten), sondern wie sie auf andere Völker wirkt. Insbesondere auf diejenigen Vertreter anderer Spezies, welche diese Magie erlernen möchten. Zauberer mit der durch die Blutlinie eines Drachenahnen vererbten Magie, Drakewarden-Waldläufer und Mönche, die dem Pfad des aufgestiegenen Drachen folgen, sind alle auf die ein oder andere Weise von der Magie der Drachen beeinflusst. Hier ist die Beschreibung, die Ideenfundgrube und somit die Nutzbarkeit für die Leser*innen leider sehr eingeschränkt, was durchaus schade ist. Bedauernswerterweise wäre hier wesentlich mehr möglich gewesen.

Wie beispielsweise in dem Buch Fizbans Schatzkammer der Drachen. Dieses, im selben Jahr erschienene, Buch bietet eine Fülle an Werteblöcken für alle Arten von Drachen, auch die Edelsteindrachen, welche leider von Sindri nicht einmal erwähnt werden. Ebenso wird von diesem Autor die in Fizbans Schatzkammer der Drachen an vorderster Stelle präsentierte Ursprungsgeschichte der Drachen vollständig ausgelassen. Gerade für einen Hintergrundband ist das schade. Was Fizban an Inhalt hat (mehr Drachen, dafür sind die Ideen fürs Spiel ein wenig weniger schmeichelhaft in Tabellen enthalten), muss der „practically complete“ Guide durch Charme wert machen. Das gelingt mal besser, mal weniger gut. Wer das komplettere Paket haben möchte, sollte daher gleich zum etwas teureren Fizbans Schatzkammer der Drachen greifen.

Bahamut, der Platindrache, und Tiamat, die Königin der chromatischen Drachen, sind die einzigen beiden namhaften Drachen, welche Erwähnung finden. Und das jeweils nur auf einer Doppelseite. Die gebotenen Zeichnungen und Darstellungen sind zwar sehr schön anzusehen, aber auch hier fühlt es sich nach etwas wenig Inhalt an. Für Spieler*innen wie Spielleitungen ist es zu wenig (Hintergrund-)Material zum Arbeiten, und für reine Leser*innen fehlt es ebenfalls an spannendem Lesestoff.

Drachen sind eine sehr variantenreiche Spezies.
Drachen sind eine sehr variantenreiche Spezies.

Etwas ausführlicher sind dafür die einzelnen Beschreibungen der unterschiedlichen Drachenarten. Wie unterscheidet sich der Unterschlupf eines schwarzen Drachen von dem eines Silberdrachen? Welche Vorlieben haben sie bei der Anhäufung von Schätzen? Wie ist ihr Umgang mit anderen (intelligenten) Spezies? Neben diesen Fragen erfährt man auch, wie das Verhalten der einzelnen Drachengruppen bei der Brutpflege ist, in welchem Alter sie zu Jungdrachen, erwachsenen Drachen und älteren Drachen werden, welche Größe sie untereinander aufweisen (und welche Drachenart die größte ist) und weitere Hinweise, wie man sie ins Spiel einbringen kann.

Sehr schön ergänzt wird diese Übersicht durch feine Zeichnungen, an denen sich die künstlerisch Begabten unter den Spieler*innen beim Nachzeichnen und Entwerfen eigener Drachen austoben können. Generell scheint dies eher ein Band für die an Illustrationen interessierten Drachenfreund*innen zu sein, welche sich an den Abbildungen dieser mächtigen Kreaturen erfreuen.

Ergänzt wird das Buch durch eine kurze Einführung in die Sprache und Schrift der Drachen sowie einen Wegweiser für den Kampf gegen Drachen (der sehr weise dazu rät, eine aggressive Konfrontation mit einer mehrere hundert Kilogramm schweren, fliegenden und magisch begabten intelligenten Echse tunlichst zu vermeiden).

Und der Größte von allen ist...
Und der Größte von allen ist…

Eigenartigerweise verfällt das Buch bei seinen Beschreibungen immer wieder in Stereotype – chromatische Drachen sind böse, rote Drachen halten sich immer in heißen, bergigen Umgebungen auf, Bronzedrachen sind Menschen gegenüber freundlich gesonnen et cetera. Das ist insofern schade, da es die diversen Drachenarten vorhersehbarer macht und damit langweiliger. Ein blauer Drache kann sich doch genauso in einer Gebirgshöhle verstecken wie ein schwarzer Drache mit einem grünen um einen Hort im Wald konkurrieren.

Wizards of the Coast hat sich bei Dungeons and Dragons in letzter Zeit mit dem Aufweichen der althergebrachten Gesinnungsübersicht um das Aufbrechen der alten Stereotype wie der chaotisch bösen Orks oder der edlen Elfen bemüht. Vielleicht soll diese verallgemeinerte Sicht auf die Drachen dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um eine innerweltliche Schrift eines einzelnen Autors handelt, der eben diese Ansichten über Drachen hat. Jedenfalls wäre es schön gewesen, die ein oder andere Ausnahme zu den gezeigten Stereotypen zu sehen.

Erscheinungsbild

Das Buch kommt mit hochwertigen Illustrationen und Karten daher. Die Seiten fühlen sich beim Blättern angenehm dick an. Die mit Fäden genähte und nicht nur geleimte Bindung scheint bis jetzt solide zu sein und dürfte so einiges an Blättern und Schmökern aushalten und ist somit dem schwergewichtigen Inhalt angemessen.

Gerade die Illustrationen machen einen großen und sehr schönen Teil dieses Bandes aus. Die gezeigten Drachen und ihre Verwandten haben sichtlich Charakter und laden, fast schon mehr als die Textpassagen, dazu ein, dem ein oder anderen Drachen in einem Abenteuer begegnen zu wollen. Die große Bandbreite dieser Kreaturen kommt in den Illustrationen besonders schön zur Geltung.

Feendrachen sind einfach nur süß.
Feendrachen sind einfach nur süß.

Insbesondere Künstler*innen, welche gerne geschuppte Ungeheuer (nach)zeichnen, werden ihre helle Freude an dem Buch haben. Zwischen vollfarbigen Ansichten in Acryl und Wasserfarben und mit dem Rotstift gezeichnete Skizzen finden sich hier Darstellungen von Drachen aus mehreren Stilrichtungen und mit feinen Nuancen. Man merkt, dass sich die Künstler*innen Mühe gegeben haben, zwischen beispielsweise einem schwarzen und einem grünen Drachen Unterschiede kenntlich zu machen, auch wenn man ihre Farbe nicht sieht.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor*in(nen): Susan J. Morris, Lisa Trutkoff Trumbauer, James Wyatt
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: Englisch
  • Format: A4
  • Seitenanzahl: 127
  • ISBN: 978-0-7869-6906-7
  • Preis: 29,45 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, Sphärenmeister

 

Fazit

Wie bereits zu Beginn des Artikels erwähnt, kann man dieses Werk nur als Quellenbuch bewerten. Spieler*innen, welche auf der Suche nach neuen Regeln für Drachen sind, werden hier nichts finden und zwangsläufig enttäuscht werden. Daher richtet sich die Benotung lediglich auf den Aspekt als Hintergrundband für Drachen.

Sehr positiv zu erwähnen ist die große Bandbreite an vorgestellten Drachenarten. Hier ist für wirklich jeden Geschmack etwas dabei. Und die unterschiedlichen Illustrationen machen Freude und Lust darauf, ein Abenteuer mit Drachen zu bespielen.

Auf der negativen Seite bleibt dennoch das Gefühl, dass hier auch bei einem innerweltlichen Hintergrundband mehr an Inhalt möglich gewesen wäre. Seien es Drachen, die vom Stereotyp abweichen, spannende Erzählungen von und über Drachen, oder einfach etwas mehr Inhalt zu den einzelnen, durchaus spannenden Kapiteln. Beispielsweise, wie die Drachenmagie andere Spezies beeinflusst. Oder wie die (alten) Drachen über die anderen Völker ihrer Welt denken.

Braucht man dieses Buch? Nein, definitiv nicht. Es ist ein Luxusprodukt, ähnlich wie die Spezialausgaben der anderen Dungeons and Dragons-Bücher, welche durch ein eigenes Cover ebenfalls eine Kundschaft finden. Am ehesten wird es vermutlich als ein Geschenk für Drachenfreund*innen Freude bereiten. Aber notwendig ist dieser Band nicht. Wer wesentlich mehr spielrelevanten Inhalt für etwas mehr Geld bei ebenfalls vielen Hintergrundideen in Tabellenform haben möchte, ist mit Fizbans Schatzkammer der Drachen besser beraten.

Alles in allem ist dieses Werk eine schöne (kleine) Ideengrube vor allem für Spielleiter*innen, welche ihrer Gruppe einen mächtigen Antagonisten oder Verbündeten vorstellen möchten. Die Spezies Drache mag zwar immer das Bild einer donnernden, gewaltigen, urzeitlichen, fliegenden, feuerspeienden und magischen Echse hervorrufen, innerhalb dieses Klischees zeigen die Drachen eine beachtliche Vielfalt. Und das kann niemals schlecht sein.

Viel Spaß mit euren Drachen.

  • Eine breite Übersicht über die Drachen
  • Sehr schöne Illustrationen
  • Man möchte nach dem Lesen unbedingt einem Drachen im Spiel begegnen

 

  • Leider stereotype Beschreibungen
  • Keine spielrelevanten Informationen
  • Die innerweltliche Beschreibung wird auf lange Sicht eher dröge als interessant

 

Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Kai Frederic Engelmann
Lektorat: Giovanna Pirillo
Fotografien: Johannes Haslhofer
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