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Pen-and-Paper-Rollenspiel ist ein sehr umfangreiches Hobby. Die schiere Menge an Informationen, welche sich am Anfang und während einer länger andauernden Kampagne anhäuft, kann Neulinge, aber auch erfahrene Spieler*innen überfordern. In diesem Beitrag findest du Hinweise, wie diese notwendige Hürde leichter genommen werden kann. 

Einleitung – ein holpriger Start

Wir beginnen diesen Beitrag an einem privaten Spieleabend. Wir spielen MERS, ein schon älteres System mit Der Herr der Ringe als Setting. Drei Spieler*innen und der Spielleiter haben sich versammelt, um Spaß in Mittelerde zu haben. Der Spielleiter erzählt, wie die Held*innen in einem alten Gewölbe die Überreste von Dunedain und die Skelette zweier Elbenzwillinge finden.

Spieler 1 (Zwerg): „Das sind Überreste von Dunedain. Und Wappen aus Numenor“.

Spieler 2 (Mensch): „Numenor. Bei den Valar, das muss aus dem zweiten Zeitalter stammen!

Spieler 1 (Zwerg): „Meister, ich möchte darauf würfeln, wieviel ich hierzu weiß.“

Spielerin (Elbin): „Zweites Zeitalter?

Etwas später haben die Held*innen die Überreste der beiden Elben geborgen. Da sie mehr Informationen über die beiden Toten haben möchte, sucht die Gruppe nach Unterstützung. Die Gruppe befindet sich in der Nähe des Anduin, relativ gleich zwischen Bruchtal, Lothlorien und dem Großen Wald. Da die Spielerin einen Charakter aus dem Großen Wald spielt, einigt man sich darauf, es mit Thranduil und seinen Waldelben zu versuchen. Auf dem Weg dorthin treffen sie auch auf Elben. Die Spieler und der Spielleiter tauschen sich währenddessen über die Feinheiten der Elbenstämme aus. Mit der erfolgreichen Ankunft in Thranduils Hallen ist der Abend dann auch schon zu Ende.

Leider war dieser Abend für die Elbenspielerin aus gleich mehreren Gründen frustrierend. Sowohl In- als auch Outgamegründe trugen dazu bei: Die anderen Spieler*innen und der Spielleiter haben, im Unterschied zu der Spielerin, das Silmarillion gelesen und somit ein vertiefteres Wissen über die ältere Geschichte Mittelerdes (und Ardas). Dieses Wissen haben sie auch untereinander genutzt, um gegenseitig Theorien aufzustellen (und sich ein wenig aufzuspielen). Für die Spielerin gingen diese Gespräche laut ihr irgendwann in „white noise“ über, einen Zustand, in dem man auch bei genauem Zuhören nichts mehr mitbekommt. Der Spielleiter, ein großer Tolkienfan, war erfreut, dass sich die Spieler miteinander unterhalten, und brach die Unterhaltung nicht frühzeitig ab. Somit waren diese Gespräche für die Teilnehmerin am Spiel eher frustrierend als ein Spiel. Die Spielerin war auch deswegen genervt, weil ihre Elbin noch am ehesten historisches Wissen hätte besitzen müssen. Auch, dass Elbenzwillinge etwas extrem Seltenes sind, war ihr nicht bewusst. Dies löste der Spielleiter aber rasch dadurch, dass er es der Spielerin direkt sagte und somit als relevant markierte.

Einige Tage später darauf angesprochen entschied sich die Gruppe, dass sich die restlichen Spieler mit ihrem eigenen Spezialwissen über Mittelerdes Geschichte zurückhalten würden und somit auch ihr mehr Raum geben würden, neue Informationen häppchenweise aufzunehmen.

Für uns stellt sich aus dieser privaten Anekdote eine allgemeine Frage fürs Pen-and-Paper:

Wie kann ich Informationen gut an die Spieler*innen weitergeben?

In dieser Frage stehen bewusst keine Begriffe wie „wichtig“ oder „viel“. Spielleiten ist die Kunst, Informationen an Spieler*innen weiterzugeben. Dabei ist es umso realistischer, angenehmer und letzten Endes auch für die Spieler*innen befriedigender, wenn die Spielleitung sowohl wichtige als auch weniger wichtige Informationen herausgibt, mit denen die Mitspieler*innen und ihre Charaktere ihre imaginäre Welt bauen können.

  • Ist es wichtig, dass der Name des Dämons Bob lautet?
  • Ist es relevant, wer die Prinzessin ist, die den Drachen gefangen hält?
  • Muss man wissen, wie der Code für die Rettungskapseln lautet?

All diese Informationen können, müssen aber nicht relevant sein. Sie können es aber werden, je nachdem, ob die Spieler*innen (und, etwas weniger wichtig, die Spielleiter*innen) es wichtig werden lassen. Gerade als Spielleitung kann man so gut wie nie vorausahnen, welche NSC der Gruppe ans Herz wachsen, oder ob sie heute einen ganz ungeplanten Weg einschlagen werden (sie werden es).

Ein Spiel, unbegrenzte Möglichkeiten. Wohl denen, die gut vorbereitet sind. ©depositphotos | saquizeta

Genau deswegen ist es wichtig, ein gemeinsames Grundgerüst aus Lore und Welt zu schaffen, die zum gemeinsamen Spielplatz wird. Die Lore ist der Hintergrund, die Geschichte der Welt, während die Welt das ist, was die Charaktere in ihr sehen und erleben. Je weiter die Charaktere und ihre Spieler*innen in diese Welt eintauchen, desto mehr Lore werden sie aufdecken, sofern diese nicht sowieso schon bekannt ist, wenn die Spieler*innen schon Jahre in der selben Welt gespielt haben. Das Schwarze Auge ist mit seinem Metaplot berühmt und berüchtigt dafür, angeblich viel Wissen um den Hintergrund der bespielten Welt vorauszusetzen, bevor man spielen „darf“.

Du kannst Thorwal einfach verschwinden lassen. Dehnt das Orkland nach Thorwal aus! Lasst das Mittelreich in vierundachtzig Kleinstaaten zerbrechen. Lasst die Elfen die Macht übernehmen. Rottet die Zwerge aus“. – Hadmar von Wieser, maßgeblicher DSA-Autor, „Hinter der Maske des Meisters“.

Ganz offensichtlich ist also Lore, ist der Hintergrund der bespielten Welt etwas, das die Gruppe inklusive Spielleitung untereinander ausmacht. Wie jetzt also die Hintergrundinformationen am besten an die Gruppe weitergeben?

Ein kurzes Briefing zu Beginn – zweitausend Jahre Geschichte in fünf Sätzen

Der Beginn ist eine sehr delikate Angelegenheit“ – Prinzessin Irulan, Dune

Was ist ein Gareth?“ – Ich, in meiner ersten Runde Das Schwarze Auge.

Zu viel Kontext kann schnell überfordern. ©depositphotos | illustratorgold

Wenn wir von einer Spielrunde ausgehen, die sich neu zusammengefunden hat, muss man zunächst einmal gemeinsame Grundlagen schaffen. Erfahrene Veteran*innen werden andere Voraussetzungen mitbringen als Gelegenheitsspieler*innen und Neulinge. Gerade bei unterschiedlichen Graden an Erfahrung ist es besonders rücksichtsvoll von den Spieler*innen mit mehr Wissen über die Welt, die anderen nicht zu überfahren, sondern die Spielleitung zu unterstützen, wenn es angemessen ist. Die Spielleitung hat die Aufgabe, Augen und Ohren aller Spieler*innen zu sein, für erfahrene wie unerfahrene.

Für die Spielleitung ist es unabdingbar, die notwendigen Voraussetzungen für alle Spieler*innen zu schaffen. Sind Orks in dieser Welt kulturschaffende Wesen oder geistlose Ungeheuer? Ist Magie etwas Alltägliches oder gar verboten? Welche Rolle haben die Geschlechter in den diversen Gesellschaften dieser Welt?

Die Session 0 sollte – neben dem Kennenlernen der Spieler*innen – auch dazu genutzt werden, um in lockerer Atmosphäre vor dem Spiel mal abzuklären, wie der Kenntnisstand der Spieler*innen ist. Dann kann man, darauf aufbauend, immer neue Häppchen an Erkenntnis hinzufügen. In den meisten Runden wird man mit einem niedrigstufigen Charakter beginnen, gerade am Anfang als Rollenspieler*in. Dann ist es auch passend, wenn sich die Charaktere nur innerhalb von ein paar Tagesreisen um ihre Heimat auskennen und nicht viel weiter. Die Spielleitung muss sich also vor dem eigentlichen Spiel überlegen, was ein lebensfähiger Charakter in dieser Welt unbedingt wissen muss. Erfahrenere Spieler*innen können dabei auch ihren Spaß mit Charakteren haben, deren Wissen weit hinter dem eigenen zurückliegt, und den Neulingen etwas mehr Rampenlicht gönnen.

Es ist nicht notwendig, den Spieler*innen vor dem Spiel die gesamte Geschichte der Welt zu präsentieren. Eben nur so viel, wie notwendig ist. Das Erkunden und Entdecken wird nicht umsonst im Dungeon Masters Guide von Dungeons and Dragons als eines der maßgeblichen Elemente von Rollenspiel beschrieben. Neben dem Spiel einer Rolle, dem Kämpfen mit fantastischen Kreaturen und dem Erzählen einer spannenden Geschichte mit anderen Menschen gehört dies zum Kern des Hobbys.

Vom Verschlucken und der richtigen Größe der Happen

Als Spielleitung ist man natürlich von der bespielten Welt begeistert und weiß, wie interessant sie ist. Ansonsten würde man wohl kaum die Zeit investieren wollen, in ihr zu spielen. Diese Begeisterung kann jedoch leicht in einen Vortrag ausarten, der für die Spieler*innen nicht interessant, weil nicht relevant, ist. Wie für die erfahreneren Spieler*innen ist auch für die Spielleitung Zurückhaltung gefragt, wenn man sein gesamtes Feuerwerk nicht auf einmal abbrennen will.

Wo können Charaktere neues Wissen erwerben? Spontane Begegnungen mit NSCs oder gezieltes Suchen bei Institutionen sind nur zwei der Möglichkeiten. Zurückgelassene Notizen, welche man bei einer entdeckten Leiche findet, bieten neuen Hintergrund über den toten Charakter, die Welt um sie herum und eventuell den passenden Aufhänger für ein neues Abenteuer. Tagebücher, welche man in einer gut verschlossenen Schatulle auffindet, sind ebenfalls interessant – vorausgesetzt, man hat sich im Vorhinein Gedanken darüber gemacht, wie man sie spannend gestaltet. Vielleicht investiert man als Spielleitung die Mühe und schreibt einige Seiten daraus selbst. Damit kann man den Spieler*innen die Arbeit überlassen, wirklich relevante Informationen selbst herauszufiltern. Oder man schildert ihnen nur in einem kurzen Abriss, was sie in dem Text nach einiger Zeit des Studiums finden. Beide Varianten und viele dazwischen sind möglich und legitim.

Bibliotheken sind immer wieder Fundorte für Wissen aller Art. Forscher*innen und Gelehrte auch. Vielleicht brauchen die Held*innen von eben jenen Expert*innen eine genauere Information, um ein Problem zu lösen? Bibliotheken sind ein besonders schöner, aber auch potenziell fordernder Ort für Rollenspiel: zwar können die Spieler*innen selbst bestimmen, wie viel sie nachschlagen wollen, gleichzeitig kann es eine unvorbereitete Spielleitung überfordern, jedem Charakter gleich viel an spannender und relevanter Information zukommen zu lassen. In diesem Fall bieten sich entweder vorbereitete Handouts an, oder man fasst schnell zusammen, was die Charaktere finden.

Eine eigene Chronik

Wenn in eine bestehende Runde Neulinge dazustoßen, ist es unumgänglich, den Neuzugang mit genügend Informationen zu versorgen, um am Spiel teilnehmen zu können. Eine Gruppenchronik, geführt von einem*r der Spieler*innen, ist eine tolle Möglichkeit, die Spieler*innen an der Aufzeichnung der Lore teilhaben zu lassen – es muss und soll ja nicht immer an der Spielleitung hängen bleiben. In meinen Runden haben Spielleitung und Spieler*innen schon Aufzeichnungen in Form von Chroniken, Diarien, Liebesbriefen und Forschungsberichten angefertigt (ich warte immer noch, dass ein*e Spieler*in mal die Aufzeichnungsform Musical wählt, aber man darf ja hoffen). Diese privaten und öffentlichen Aufzeichnungen sind gut dazu geeignet, eine Gedächtnisstütze für die gesamte Gruppe und Neueinsteiger*innen zu sein. Und es ist ein Teil der bespielten Welt, in der man seine Freizeit verbringt. Ein Ort, an den man sich hoffentlich auch noch dann gerne erinnert, wenn die Kampagne schon lange zu Ende ist und man vielleicht seine Mitspieler*innen von damals schon lange nicht mehr gesehen hat.

Seine Spieler*innen überwältigen

Earl Sinclair: „Was macht dich zur Expertin für Dinofrühgeschichte?“

Ethel Philipps: „Ich war dabei“. – Die Dinos.

Ein komplettes Gegenteil des bis jetzt gesagten ist der Ansatz, seine Spieler*innen ganz

Zu viel von etwas Gutem kann schlecht sein. ©depositphotos | fish.irr

bewusst zu überwältigen und im Unklaren zu lassen. Die Buchreihe Das Spiel der Götter von Steven Erikson ist ein Paradebeispiel für diese Vorgangsweise. Man wird ohne Vorwarnung in die Geschichte eines sterbenden Imperiums und fallender wie aufsteigender Götter geworfen und hat zunächst über hunderte Seiten keine Ahnung, um was es denn eigentlich geht.

Auch im Rollenspiel ist das möglich, wenn auch eher für erfahrene Spielleitungen. Wenn die Charaktere mit uralten untoten Gelehrten wie beispielsweise Liche oder Vampiren reden, kommunizieren sie mit Wesen, die eine unbeschreibliche Zeitspanne überblicken können und selbst erlebt haben. Dann ist es nur verständlich, wenn sie die Held*innen mit Informationen überfluten und diese erst herausfinden müssen, was eigentlich relevant ist. Ebenso kann die Entdeckung eines geheimnisvollen Folianten auch nach der Übersetzung eine Herausforderung sein.

Es ist doch nur ein Spiel! ©depositphotos | TopVector

Wenn sich die Spieler*innen gerne darauf einlassen können, mit einem gewissen Nichtwissen durch die Welt zu stapfen, kann die Gruppe daraus interessante Szenarien bauen. Was ist hier vor Jahren geschehen? Wie können wir es herausfinden? Sobald die Spieler*innen solche Fragen stellen, hat die Spielleitung schon gewonnen. Gerade diese Neugier gilt es zu kitzeln und zu kultivieren. Nicht umsonst hat jeder Charakter (und Spieler*in) Neugier (in Das Schwarze Auge ist das sogar als fester Wert definiert). Oder, wie es einer meiner Spielleiter mal formuliert hat: „Ich biete das Abenteuer. Der Wille, auf Abenteuer zu gehen, muss schon von den Spielern selbst kommen“.

Fazit

Pen-and-Paper will seine Spieler*innen unterhalten, nicht langweilen. Aus dieser simplen Prämisse leitet sich der Grundsatz ab, genau so viel Informationen zu liefern, wie notwendig und spannend ist, und sich den Rest für einen weiteren Tag aufzuheben. Die Kunst, entscheidende Informationen im Rahmen eines sogenannten Cliffhangers vorzuenthalten, ist besonders hoch einzuschätzen. Wenn die Spieler*innen unbedingt wissen wollen, wie sich eine Situation auflösen wird, werden sie umso lieber wieder beim nächsten Treffen dabei sein.

Widersteh daher der Versuchung, deine Spieler*innen mit Informationen zu überladen. Sie müssen schließlich nicht für einen Test lernen. Außer, ihr spielt in einem Schulsetting. Aber auch dann geht es um die Unterhaltung, nicht um Überfrachtung.

Artikelbilder: wie gekennzeichnet
Titelbild: depositphotos | © grandfailure
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Rick Davids

1 Kommentar

  1. Ich habe in unserer aktuellen Kampagne den Weg gewählt, dass alle Spielercharaktere aus einem politisch relativ isolierten Kaiserreich stammen, wobei ich die einzelnen Regionen, aus denen die Charaktere stammen, mit den jeweiligen Spielern selbst ausgearbeitet habe, so dass sie zur Backstory der Charaktere passen und mehr die Ideen der Spieler wiederspiegeln als meine.

    So weiß jeder Spieler etwas mehr über die Heimat seines Charakteres als die anderen, während die grobe Struktur des Kaiserreichs allen bekannt ist. Alles darüber hinaus ist aufgrund der politischen Isolation zunächst nur mir als Spielleiter bekannt, und ich hoffe, auch mithilfe der Anregungen aus diesem Artikeln, diese Infos den Spielern nach und nach auf interessante Art und Weise weitergeben zu können.

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