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Die Sonne brannte heiß auf das Vordach. Sheriff Jimjohn saß auf einem Stuhl im Schatten und hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Plötzlich erschallte lautes Pferdewiehern und Schüsse zerrissen die mittägliche Ruhe. Jimjohn seufzte und griff nach seinem Gewehr. Ein ganz normaler Tag in Dingstown.

Dingstown ist ein hartes Pflaster.

Der Wilde Westen liefert jede Menge Möglichkeiten, spannende Szenarien für Miniaturenspiele zu erschaffen. Dies hat sich auch Axel Jansen gedacht und mit seinem in Eigenregie entwickelten Regelwerk Shootout in Dingstown seine Vision wahr gemacht. Das Spiel verspricht spannende Kämpfe in einer eher cineastischen als historischen Welt. Gerade hat er per Kickstarter eine Hardcover-Ausgabe seines Regelwerkes finanziert. Dies haben wir zum Anlass genommen, uns das Regelwerk – in unserem Fall noch in der Softcover-Version – einmal genau anzusehen. Also die Pferde gesattelt und auf ins Abenteuer.

Triggerwarnungen

Keine üblichen Trigger

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Grundlegendes

Shootout in Dingstown ist ein Skirmisher für zwei bis vier Spieler*innen und verwendet keine eigenen Miniaturen. Stattdessen können die Modelle frei aus diversen Herstellern auf dem Markt gewählt werden. Wichtig ist nur, dass Waffenoptionen auch am Modell dargestellt sind. Der verwendete Maßstab ist 28 mm, wobei das Regelwerk Umrechnungsmöglichkeiten für die Maßstäbe 20 mm, 54 mm und 7,5 cm bietet. Der letztere Maßstab verwendet Playmobil-Figuren, was nicht nur für Eltern interessant ist. Als Spielfläche werden 120 cm x 120 cm oder 100 cm x 150 cm vorgeschlagen, was einem großen Küchentisch entspricht. Entfernungen werden wahlweise in Zoll oder Zentimeter gemessen, wobei Spielende sich auf eine Einheit einigen sollten. In diesem Artikel werden wir der Einfachheit halber Entfernungen in Zoll angeben. Es sind im Regelwerk aber auch immer die entsprechenden Zentimeter-Werte angegeben. Das Spiel verwendet außerdem zehnseitige Würfel (W10) und ein Skat- oder Pokerblatt.

Die Banden

Eine Bande besteht aus einem Boss und fünf bis sieben weiteren Miniaturen. Es sind auch größere Spiele möglich, sofern dies gewünscht ist. Für ausgeglichenere Verhältnisse kann ein vorher vereinbartes Punktelimit verwendet werden. Modelle haben einen auf dem vorher gewählten Erfahrungsstand basierende Grundkosten, welche durch Waffenwahl und Eigenschaften verändert werden. Wie bereits erwähnt, sollte gewählte Bewaffnung am Modell sichtbar sein, wobei die in den Händen getragenen Waffen gelten. Sollen auch andere am Modell sichtbare Waffen, beispielsweise im Holster, ebenfalls verwendet werden, bedarf dies einer Absprache mit den anderen Spielenden. 

Eine Beispiel-Bande.

Um einer Bande noch mehr Charakter zu verleihen, können einzelne Modelle mit zufälligen Charakterstärken ausgestattet werden, wobei jede Stärke gleichzeitig auch eine ebenfalls zufällig ermittelte Schwäche mit sich bringt. Außerdem können Banden mit ihrer Fraktion zugewiesenen Vorteilen erweitert werden. Zur Wahl stehen Cowboys, Ladies des Westens, Banditen und Bankräuber, Pinkerton Detectives, Soldaten, Südstaatler, Kavallerie, Scouts/Trapper, Indianer, Mexikaner und Desperados, Kolonialtruppen, Eingeborene und Untote. Die Verwendung des Begriffes Indianer für amerikanische Ureinwohner ist in der heutigen Zeit nicht ganz optimal gewählt. Andererseits dient er zur Abgrenzung von den Eingeborenen, die im Spiel eine andere Rolle übernehmen. Wobei auch amerikanische Ureinwohner als Eingeborene gespielt werden können, mit den entsprechenden Vorteilen der Fraktion.

Der Spielablauf

Das Spiel kann mit einem der fünf Szenarien aus dem Buch gespielt werden oder die Spielenden lassen sich selbst eine Geschichte einfallen. Hierzu liefert das Regelwerk jede Menge Ideen und Ansätze. Das Spielfeld wird gemeinsam aufgebaut. Es bieten sich hierfür zum Beispiel Western-Gebäude aus MDF an. Im Vorfeld sollte besprochen werden, ob Geländestücke über besondere Eigenschaften verfügen, damit klar ist, was als schwieriges Gelände gilt, was als unpassierbar und so weiter. Sofern das Szenario keine Art der Aufstellung vorgibt, kann auch hier aus verschiedenen Varianten gewählt werden oder es wird sich auf eine selbst erdachte Aufstellung geeinigt. 

MDF-Gebäude im Western-Stil schaffen Atmosphäre.

Jede*r Spielende wählt für die eigene Bande eine Farbe eines Kartenspieles und gibt eine der Modellzahl entsprechende Anzahl an Karten in den Aktivierungsstapel. Für normale Spiele ist hierbei ein Skat-Blatt ausreichend. Wird mit mehr als acht Modellen gespielt, wird ein Poker-Blatt erforderlich. Der Aktivierungsstapel wird nun gemischt und die oberste Karte gezogen. Die Kartenfarbe entscheidet, wer eine Miniatur aktivieren darf. So kann es durchaus passieren, dass die gleiche Person mehrmals hintereinander am Zug ist. Zusätzlich liefern die fünf Karten mit den höchsten Werten Ass, König, Dame, Bube und Zehn einen Spieleffekt, der angewendet werden kann. Wird mit weniger als fünf Modellen gespielt, kann es also durchaus wichtig sein, welche Karten in den Stapel gemischt werden. Wird eine Miniatur aktiviert, darf sie zwei Aktionen durchführen. Zur Wahl stehen sechs unterschiedliche Aktionen, welche auch mehrmals durchgeführt werden können. Nach der Aktivierung wird das Modell mit einem Aktivierungsmarker belegt und kann in dieser Runde nicht erneut aktiviert werden.

Die Bewegung

Immer in Bewegung bleiben.

Bei einer Bewegung kann sich eine Miniatur zu Fuß bis zu 5 Zoll bewegen und dabei beliebig oft die Richtung oder Ausrichtung ändern. Berittene Figuren und Kutschen bewegen sich bis zu 10 Zoll. Miniaturen können ohne das Ausgeben einer Aktion auf Pferde oder Kutschen aufsteigen, sofern sie sich in Basekontakt befinden. In der Regel wird dies also im Rahmen einer Bewegungsaktion passieren. Absteigen kostet ebenfalls keine Aktion. Hindernisse bis zur Höhe einer normalen Miniatur können durch das Aufwenden des halben Laufwertes überwunden werden. Werden beide Aktionen für Bewegungen ausgegeben, kann sich das Modell die doppelte Strecke bewegen und gilt als rennend, was das Treffen mit Beschuss erschwert. Hierfür muss aber nicht die volle Distanz gelaufen werden. Das Ausgeben beider Aktionen und eine minimale Bewegung sind hierfür ausreichend. Es können bei einer doppelten Bewegung auch Abgründe von maximal 3 Zoll Breite übersprungen werden. Hierfür ist zusätzlich eine Würfelprobe notwendig.

Schießen

Trefferwürfe werden nicht nur durch Deckung modifiziert.

Miniaturen haben ein Sichtfeld von 360 Grad und dürfen sich im Rahmen einer Schießen-Aktion in eine beliebige Richtung drehen. Soll ein gegnerisches Modell im Sichtfeld beschossen werden, wird die Entfernung vorher nicht gemessen. Es muss also geschätzt werden, ob das Ziel in Reichweite ist. Sollte dies der Fall sein, wird eine Würfelprobe fällig. Getroffen wird auf 6+, wobei der Zielwert durch Dinge wie der Figurenklasse, ein rennendes Ziel, Deckung oder Distanz modifiziert werden kann. Eine unmodifizierte Eins gilt als Patzer und es muss auf der Patzertabelle gewürfelt werden. Die möglichen Ergebnisse reichen von keinem Effekt bis zu einer explodierten Waffe. Wird ein Ziel erfolgreich getroffen, muss es versuchen auszuweichen. Hierfür muss ein Ergebnis von 8+ erzielt werden, welcher im Normalfall nicht modifiziert wird. Kann nicht ausgewichen werden, stirbt das Ziel. Das Leben ist hart in Dingstown. Optional kann auch mit dem Nachladen von Waffen gespielt werden. Eine Pistole hätte dann zum Beispiel sechs Schüsse, bevor ihr die Munition ausgeht und sie mit einer Aktion nachgeladen werden muss. Werden beide Aktionen zum Schießen verwendet, erhält der zweite Schuss eine Modifikation von -2 auf den Trefferwurf.

Feuerbereitschaft

Wird ein Modell in Feuerbereitschaft versetzt, wird dies mit einem Marker vermerkt. Dieser kann als Reaktion auf eine gegnerische Bewegung im Sichtfeld ausgegeben werden, um eine Schussattacke durchzuführen. Das Sichtfeld in Feuerbereitschaft ist allerdings auf 180 Grad beschränkt. Ein Schuss wird hierbei an der nächstmöglichen Distanz abgegeben. Auch hier darf vorher nicht gemessen werden. Hat das Modell in Feuerbereitschaft in dieser Runde mit seiner anderen Aktion bereits geschossen, kommt die Modifikation von -2 nicht zum Tragen. Nach dem Ausgeben des Feuerbereitschaftsmarkers wird das Modell mit einem Aktivierungsmarker belegt. Sollte die Feuerbereitschaft also erst in der folgenden Runde ausgegeben werden, werden beide regulären Aktivierungen hierfür geopfert.

Feuerbereitschaft kann außerdem dazu genutzt werden, um sich mit einem gegnerischen Modell in den Nahkampf zu bewegen, sofern sie maximal 0,5 Zoll am feuerbereiten Modell vorbei läuft.

Zielen

Mit der Aktion Zielen kann ein Modell einen Gegner im Sichtfeld gezielt ins Visier nehmen. Dafür werden beide Modelle mit einem entsprechenden Marker belegt. Bei der nächsten Schussattacke auf das anvisierte Modell erhält der*die Schütz*in eine Modifikation von +1. Zielen darf nicht mit Feuerbereitschaft kombiniert werden.

Nahkampf

Ein Nahkampf verläuft ähnlich wie das Schießen, nur das hierfür Basekontakt zwischen zwei Modellen notwendig ist. Zusätzlich erhält das attackierende Modell in der ersten Runde eines Nahkampfes einen Bonus von +1 auf seinen Trefferwurf. Auch hier kommen Modifikatoren durch Fähigkeiten, Waffen, ein rennendes Ziel oder ähnliches zum Tragen. Modelle sind nicht im Nahkampf gebunden und können sich ohne Konsequenzen aus einem Nahkampf herausbewegen.

Kanone bedienen

Kanonen gelten zu Beginn des Spiels als geladen. Um sie abzufeuern, muss eine Miniatur in Basekontakt eine Aktion ausgeben. Der Schussbereich einer Kanone beträgt aber nur 90 Grad. Ist eine Kanone abgefeuert, muss sie nachgeladen werden. Dies erfordert vier Aktionen, welche auf mehrere Miniaturen verteilt werden können. Um eine Kanone um 45 Grad zu drehen, muss eine Aktion ausgegeben werden.

Sonderregeln

Um die Grundregeln zu erweitern, liefert das Buch eine Menge Sonderregeln. Die hier alle zu behandeln, würde den Rahmen sprengen. Es gibt aber neben den bereits erwähnten Regeln für Geschütze beispielsweise Regeln für experimentelle Waffen, Duelle von Revolverhelden, das Anzünden von Gebäuden und vieles mehr.

Fluff – mehr zur Spielwelt

Der Hintergrund zu Shootout in Dingstown ist schnell erklärt. Dingstown ist eine Eisenbahnstation an der im Bau befindlichen Bahnstrecke in Texas im Jahre 1870. Der Name ist eine freie Übersetzung des deutschen Dingenskirchen. Weit ab von größeren Städten und mit Bahnarbeitern, die ihren Lohn durchbringen wollen, zieht Dingstown auch allerlei Ungesetzliche und findige Geschäftsleute an. Ärger ist also vorprogrammiert.

Der Autor ermuntert Spielende aber, Shootout in Dingstown frei zu erweitern oder auch in andere Hintergründe zu übertragen. So eigenen sich die Regeln auch für Abenteuer mit Piraten, es gibt Optionen für Steampunk und auch jedes andere Szenario, in welchem kleine Gruppen miteinander kämpfen, ist denkbar.

Das Buch

Die Softcover-Regeln von Shootout in Dingstown umfassen 112 Seiten in Vollfarbe. Die Seiten haben einen leichten Sepia-Stich, was an ein altes Buch erinnert. Der Inhalt des Buches besteht fast ausnahmslos aus Regeln, welche aber sehr anschaulich erklärt werden. Durch das umfangreiche Inhaltsverzeichnis findet man schnell durch das Regelwerk, welches gut gegliedert ist. Sheriff Jimjohn führt durch das Regelwerk und meldet sich in kleinen Textkästen mit wertvollen Tipps zu Wort. Zusätzlich helfen weitere Textkästen, Tabellen und ein Stichwortverzeichnis am Ende des Buches bei der Übersicht. Beispielsituationen zur Regelerklärung werden durch eingerückten Text und mit einer Patrone gekennzeichnet, wodurch sie leicht zu finden sind. Die Wortwahl ist nicht zu aufwendig und so können Regeln leicht verstanden werden. Viele Fotos von liebevoll hergerichteten Spielszenen lockern das Buch angenehm auf. Leider ist die Ausleuchtung bei einigen Bildern nicht optimal oder sie sind nicht ganz scharf, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Zunächst werden Spielende in die Grundregeln eingeführt. Diese werden dann im weiteren Verlauf durch Sonderregeln. Szenarien und einen Kampagnenmodus erweitert. Es finden sich aber darüber hinaus immer wieder Vorschläge, wie alternative Regeln angewendet werden können. Dies bietet einerseits großen Freiraum, andererseits können die vielen Optionen aber auch etwas abschreckend wirken.

Für die im Spiel verwendeten Marken befindet sich im Buch eine Kopiervorlage.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Axel Jansen
  • Autor: Axel Jansen
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 90+ Minuten
  • Spieler*innen-Anzahl: 2-4
  • Alter: 12 Jahre
  • Preis: 24,95 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Dingstown Shop

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Internet-Seite zu Shootout in Dingstown gibt es eine große Downloadsektion. Hier finden sich diverse Vorlagen zum Drucken von Markern und Schablonen. Außerdem gibt es Zusatzregeln, Merkblätter und Szenarien. Wer sich gern etwas Gelände bastelt, findet auch ein paar Bastelbögen für Papierhäuser und einen Dampfpanzer. Wer gern auf vorgefertigte Banden zurückgreifen möchte, wird ebenfalls fündig.

Fazit

Shootout in Dingstown ist ein liebevoll gestaltetes Spiel für kleine und große Abenteuer. Als Nebensystem ist es sehr gut geeignet, aber auch für Spielende, die sich gern kreativ austoben wollen, ist es eine gute Wahl. In keinem Fall ist es ein Turnierspiel, möchte es aber auch nicht sein. Das Regelbuch ist übersichtlich gestaltet und dank Inhalts- und Stichwortverzeichnis fällt es leicht, sich im Regelwerk zurechtzufinden. Die hohe Zahl von Optionen und Zusatzregeln ermöglichen eine große Menge an Spielmöglichkeiten. Allerdings erfordert es für Spiele außerhalb von festen Gruppen ein wenig Absprache der Spieler*innen. Auch dass die Regeln auf andere Bereiche als dem vorgeschlagenen Wild-West-Thema angewendet werden können, ist ein Pluspunkt. Egal ob ein Abenteuer wie aus einem Bud-Spencer-Film, eine Steampunk-Geschichte wie in Wild Wild West, Piratenschlachten wie in Fluch der Karibik oder eine koloniale Expedition in Afrika. Alles ist möglich.

Wer gern in lockerer Runde ein spannendes Spiel mit viel Möglichkeiten zum Lachen und verrückten Ideen sucht, ist hier genau richtig. Verbissene Wettkampfspieler sind hier aber eher fehl am Platz.

 

  • Übersichtliche Regeln
  • Freie Miniaturenwahl
  • Anwendbar auf verschiedene Themen
 

  • Viele Zusatzregeln können abschrecken

 

Artikelbilder: © Axel Jansen
Layout und Satz: Andreas Hübner
Lektorat: Denise Hollas
Fotografien: Dennis Rexin

Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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