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Frustration ist am Spieltisch ungern gesehen. Von ihm ausgelaugte Spieler*innen sind der Schrecken jeder Spielleitung, und genervte Spielleiter*innen liefern schlechte Abenteuer. Frust kann aber manchmal eine gute Sache fürs Rollenspiel sein. In diesem Beitrag findest du Tipps, mit diesem Gefühl deine Spielrunde zu stärken.

Ich will nicht fürs Spielen bestraft werden!

Frust – eine gute Sache? 

Wir alle erleben ihn, niemand schätzt ihn, und dennoch ist er eine wichtige Komponente im Rollenspiel: Frust. Frustration ist eine Tatsache zwischenmenschlichen Handelns, die wir jeden Tag erleben – sei es in Beruf oder Berufung, im Hobby oder mit der Familie und Freund*innen. Leider wird auch das Rollenspiel als schönste Beschäftigung der Welt ab und an von diesem Gefühl geplagt. Und das ist eine gute Sache.

Ohne Frust hätten wir keine belohnenden Momente des Triumphes. Ein Gegner wird nur dann interessant, wenn er die Spieler*innen vor seinem unweigerlichen Ende zuerst so richtig schön an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus treiben durfte.

Woher kommt Frust beim Spiel? Folgen wir der Definition von Wikipedia, können wir lesen: „Eine Frustration ist das Erlebnis eines unfreiwilligen Verzichts auf Erfüllung einer Erwartung oder eines Wunsches“. Wir sehen hier, dass ein Unterschied in der Erwartungshaltung vorliegt. Sei es zwischen Spieler*innen und Spielleitung, oder den spielenden Menschen und der Realität am Spieltisch. Die Gründe für diese Divergenz in der jeweiligen Erwartungshaltung können vielfältig sein. Vielleicht ist es ein Mangel an Konsequenz im Spiel. Eventuell erkennt man auch, dass die Spielrunde doch nichts für einen ist.

Die breit gefassten Themen Sinnlosigkeit sowie Enttäuschung und Frust wurden von Teilzeithelden schon behandelt. Dieser Beitrag versteht sich als Ergänzung, um dir Hinweise zu geben, wie man aufgekommenen Frust in positiver Weise nutzen kann.

Mit dem großen Themenkomplex „Frustration im Rollenspiel“ bewegen wir uns zwangsläufig in einem ewigen paradoxen Zustand: Die Spieler*innen sollen ihr Ziel erreichen, aber nicht zu leicht. Die am Ende des Abenteuers gefundene Beute soll groß sein, aber nicht zu überwältigend, dass die Charaktere keinerlei plausiblen Grund mehr haben, auf Abenteuer auszuziehen und ihre eigenen Leben aufs Spiel zu setzen (Tashas Kessel mit Allem hat hier zwar eine Lösung, dass die Held*innen zu Mentor*innen werden können und somit die Fackel an neue Charaktere weitergeben, aber das ist nicht immer befriedigend). Ein*e Bösewicht*in soll stark, aber schaffbar sein. In diesem Dilemma bewegt sich jede Spielleitung, wenn sie ihren Spieler*innen und deren Charakteren ein denkwürdiges Erlebnis am Spieltisch bieten möchte.

Wie können wir jetzt aus dieser Situation Gewinn ziehen?

Als SL sollten wir immer bedenken, dass die Spieler*innen und ihre Charaktere nicht ein und dasselbe sind. Was für einige traumatisierend und furchtbar wäre, ist für andere beste Unterhaltung. Die Wege des Meisters von Ulisses bringen zu diesem Punkt das Beispiel des Helden, der einen Arm verliert. Während der einarmige Held selbstverständlich seinen verlorenen Arm wieder erlangen möchte, muss das für seine*n Spieler*in nicht unbedingt gelten. Sprich als SL mit deinen Spieler*innen, wie „schlimm“ es werden darf und soll, insbesondere bei neuen Leuten, die du noch nicht gut kennst.

Bedenke auch, dass deine Spieler*innen andere Ziele als ihre gespielten Charaktere haben können. Während beispielsweise in der Kampagne Der Fluch des Strahd die Spieler*innen selbstverständlich den Endboss besiegen möchten, wird so mancher Charakter einfach nur aus dieser grau umnebelten Hölle flüchten wollen. Wenn die Spieler*innen dann merken, dass manches Übel nicht so einfach aus dem Weg zu räumen ist, werden die Held*innen einfach nur froh sein, überlebt zu haben.

Frust ist etwas Tolles

Warum brauchen wir nun Momente des Frustes?

Aus dem obigen Beispiel mit der Grafschaft Barovia und seinem untoten Philanthropen an der Spitze (er bevorzugt die Bezeichnung „vermindert lebend“), sehen wir, warum Frustration eine tolle Sache ist. In der kürzlich geschlagenen letzten Schlacht der Kampagne freute sich so manche*r Spieler*in (und in dem Fall auch der Charakter) ganz besonders, der persönlichen Nemesis begegnen zu dürfen. Alte Narben und Vendetten konnten beendet werden. Dazu musste aber zunächst einmal eine Fehde aufgebaut werden.

Scheue dich nicht, deine Antagonist*innen arrogant und stark erscheinen zu lassen. Sie dürfen die Held*innen (und in weiterem Sinne damit auch ihre Spieler*innen) durchaus spüren lassen, dass sie (zunächst) stärker sind und den Ton angeben. Es ist kein Problem, deine Spieler*innen Staub fressen zu lassen.

Aber nur dann, wenn sie am Ende auch ein Licht sehen und strahlen dürfen.

Irgendwann sollte nach dem Triezen eine Belohnung erfolgen.

Eine Durststrecke ist vollkommen in Ordnung. Aber letzten Endes müssen alle um und auf dem Spieltisch ein großes Erfolgserlebnis haben, um der ganzen Sache einen Wert zu verleihen. Ein Abenteuer ohne befriedigende(s) Ende(n) ist Zeitverschwendung. Es muss sich am Ende so anfühlen, dass irgendetwas erreicht wurde. Dazu ist es durchaus möglich, dass die Held*innen tot oder gescheitert sind: Auch das ist eine von vielen Optionen. Tatsächlich ist die Möglichkeit des finalen Scheiterns sogar notwendig, damit eine gewisse Spannung entstehen kann.

Aber letzten Endes sollte die bereits erwähnte Durststrecke enden und die aufgebaute Frustration in ein sinnvolles Ziel münden. Wie lange diese Spannung aufrechterhalten werden soll und kann, wirst du als SL mit der Zeit lernen. Eine gute Grundregel ist es, ein Problem nicht sofort und augenblicklich zu lösen, sondern den Spieler *innen Gelegenheit zum Scheitern zu geben (und somit ein wenig Frust aufzubauen). Wenn die Belohnung zu schnell kommt, verliert sie ihren Reiz und das Problem seinen spielerischen Wert (nicht umsonst ist Weihnachten als Kind so toll, ist es doch nur ein einziges Mal im Jahr).

Eine weitere Methode zur Frustgestaltung, die man als SL beherzigen sollte, ist: Nicht jedes Problem muss gelöst werden. Im Hobby Pen-and-Paper rühmen wir uns oft und gerne der fast unzähligen Möglichkeiten, wie ein Abenteuer gelöst werden kann, wie sehr unsere Abenteuer und Welten von unseren Charakteren gestaltet und erlebt werden können. Und das fällt leicht flach, wenn wirklich alles möglich ist. Gerade neue SL neigen dazu, den Spieler*innen und ihren Charakteren sehr viel „durchgehen“ zu lassen und kaum ein Scheitern zu ermöglichen. Und das ist nicht gut.

Ich brauche keine Bequemlichkeiten. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde.“ „Kurzum“, sagte Mustafa Mannesmann, „Sie fordern das Recht auf Unglück.

– Aldous Huxley, Schöne neue Welt.

Ohne die durchaus mögliche Option des Scheiterns betrügen wir unsere Spieler*innen um eine ganz wichtige Komponente des Spiels: die Glaubwürdigkeit. Damit ist aber keineswegs gemeint, dass eine fantastische (oder postapokalyptische, karibische, cyberpunkige …) Spielwelt unbedingt „realistisch“ sein muss. Sie benötigt aber eine innere Logik und Absehbarkeit, ohne die das Spiel zu einer mäandernden Abfolge marodierender Monaden wird, welche von einer Szene in die nächste stolpern. Ein*e gute*r Regisseur*in (und das sind SL) vermag es, den spielenden Figuren eine passende Bühne für ihre Leiden zu bieten. Hamlet ohne Selbstzweifel wäre schließlich langweilig anzusehen. Und genau so ergeht es den Charakteren in unseren Abenteuern.

Ohne Frust baut sich auf mittlere Sicht recht schnell Langeweile auf. Wenn meine Erwartungshaltung nicht gereizt, also frustriert wird, erzeugt das in weiterer Folge eine Sinnleere, die man unbedingt vermeiden sollte. Die Frage, die sich aus dieser Situation ergibt, lautet also: Wie frustriere ich richtig?

Guter Frust entsteht aus Konsequenzen. Wenn die aktuellen Probleme, unter denen die Charaktere leiden, durch die Entscheidungen der Spieler*innen entstanden sind, trägt das stark zur Authentizität und Glaubwürdigkeit (und somit zur Bespielbarkeit) der Welt bei. Nichts fesselt Spieler*innen besser als persönlich verursachte Herausforderungen. Wenn man nun durch personalisierte Hindernisse die Aufmerksamkeit der Gruppe lenken kann, können sich die von der SL präsentierten Antagonist*innen und anderen NSC richtig schön ins Zeug legen, um den Held*innen den Tag schwer zu machen und denkwürdiges Spiel liefern. Die erinnerungswürdigsten Gegner*innen sind immer die, welche den größten Ärger verursacht haben. Und manchmal sind die Held*innen selbst ihre größten Gegner.

Wie man trotz Frust weitermacht. Oder auch nicht.

Ich bin von dieser Runde, den erlebten Geschehnissen und den Mitspielern enttäuscht. Aber ich spiele weiter. Weil ich weiß, dass du viel Mühe und Liebe in dieses Projekt gesteckt hast.

– Es endete in einem TPK.

Frustrierende Momente können deine Spieler*innen zu Höchstleistungen antreiben. © Depositphots | alphaspirit

Wir haben nun festgestellt, dass Frustration ein wertvolles Element unserer Spieleabende ist. Was aber, wenn der Frust zu stark wird und uns aus dem Spiel zu werfen droht?

Es kann durchaus sein, dass es sehr gute Gründe zum Beenden einer Runde oder eines Charakters gibt. Dann sollte man auch so ehrlich zu sich selbst sein und die Konsequenz ziehen, hier nicht mehr weiterzuspielen. Wenn es sich aber „nur“ um eine temporäre Frustration handelt, wäre das vielleicht etwas übereilt.

Warum hast du Frust? Sind es die Mitspieler*innen, die Spielleitung, die Regeln, andere etwaige Umstände? Eine Kombination aus all dem? Oder frustriert dich eigentlich etwas ganz anderes und das Spiel leidet nur mit dieser Situation, ist aber nicht das auslösende Element? In jedem Fall sollte man sich bewusst machen, was eigentlich die Ursachen des Problems sind. Scheue dich nicht, eventuelle Unstimmigkeiten anzusprechen, in kleinerem wie größerem Rahmen. Üblicherweise wollen deine Mitspieler*innen, dass es dir gut geht und du mit ihnen spielst (wenn nicht, hau so schnell es geht ab, deine Zeit ist es nicht wert). Vielleicht können sie bei der Lösung der Frustration helfen. Wenn nicht, weiß man zumindest, dass ein Problem existiert. Zu viele Leute haben aus dem Hobby Frust mitgenommen, weil Probleme nicht besprochen werden konnten.

Wenn du dich dazu entschieden hast, dich „durchzubeißen“, dann kommuniziere auch das. Lass deine Mitspieler*innen am Tisch wissen, wie es dir mit gewissen Situationen geht beziehungsweise gegangen ist (es ist natürlich gute Etikette, die Mitmenschen am Tisch auch wissen zu lassen, wenn dir zum Ausgleich etwas ganz besonders gut gefallen hat).

Fazit – Frust, ein unterschätztes Gefühl

Ich kann nicht so nach Nullachtfünfzehnmuster so vor mich hinleben wie du! Ich will alles! Die erschütternden Tiefs. Die berauschenden Hochs! Und das sahnige Dazwischen.

– Homer Jay Simpson  

Frustration ist eine Tatsache des Tischrollenspiels. So wie jeder anderen menschlichen Interaktion auch. Spannend wird es dann, wenn wir überlegen, wie wir uns dieses grundlegende Gefühl zu Nutze machen können. Frust hilft uns, Spannung aufzubauen und belohnt uns damit auf lange Sicht. Wenn er richtig und verantwortungsvoll gehandhabt wird. Ungenutzter und verschwendeter Frust ist nichts mehr als ein Ärgernis. Wenn wir nach einer frustrierenden Durststrecke allerdings eine Belohnung erhalten, eine Queste lösen, die böse Prinzessin besiegen und den süßen Drachen retten können, dann hat es sich am Ende gelohnt.

Wenn der Frust unaushaltbar ist, dann muss man ihn lösen, bevor er die Runde auflöst oder, noch schlimmer, den Spieler*innen die Freude an diesem tollen Hobby nachhaltig verdirbt. Frust, richtig angewendet, ist wie eine Prise Chili: Man benötigt ihn, um ein Gericht ordentlich zu würzen. Zu viel davon, und es werden Flammen gespuckt. Deswegen: habt immer ein offenes Ohr und Augen für eure Mitspieler*innen.

Frust zahlt sich aus. Wenn du es zulässt.

 

 

Artikelbilder: © Depositphotos | HayDimitriy
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Alexa Kasparek
Das Bild gehört schon den TZH und stammt aus einem alten Artikel.

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