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Bibliotheken sind magische Orte, Horte magischen und mundanen Wissens, von Paydata und Datalogs, uralter Schriftrollen und den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaften. So wird jede Spielrunde irgendwann einmal auf eine große Sammlung an niedergeschriebenem Wissen stoßen. In diesem Artikel findet ihr Ideen, wie man diese Begegnungen stilvoll und erinnerungswürdig gestalten kann.

Die vielen Gesichter einer Bibliothek

So gut wie alle Rollenspieler*innen werden eine grundlegende Affinität zu Büchern und damit auch Büchersammlungen, auch bekannt als Bibliotheken, haben. Mit dem Hobby Pen-and-Paper geht eine intensive Beschäftigung mit Büchern einher, da wir all die Regeln, die zum Spielen nun einmal notwendig und meist in Büchern niedergeschrieben sind, irgendwie einmal gelernt haben müssen beziehungsweise gelernt haben sollten.

Auch im Rollenspiel selbst werden die Charaktere der Spieler*innen irgendwann einmal auf eine Bibliothek stoßen. Das angehäufte Studienwissen eines irren Magiers in seinem Turm, die exquisite Privatsammlung einer Vampirfürstin der Giovanni aus der Welt der Dunkelheit (natürlich stilecht gebunden in die noch lebende Haut ihrer Liebhaber*innen), das mehrfach verschlüsselte Paydata eines Chummers aus der Sechsten Welt von Shadowrun. Jede Sammlung an Büchern (beziehungsweise Informationen in einer technisch fortgeschrittenen Spielwelt) kann als Bibliothek gelten.

Nun sind Bibliotheken aber so viel mehr als das. Bibliotheken, zumal öffentlich zugängliche, sind Orte des gelehrten Austauschs von Ideen, sind eine Übereinkunft darüber, was eine Gesellschaft als erinnerungswürdig ansieht, und sind hitzig umstrittene Kampfzonen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in Vergangenheit wie Gegenwart. Aus all diesen Gründen zahlt es sich für Spielleiter*innen aus, sich Gedanken um die Bibliotheken im eigenen Spiel zu machen.

Was macht eine Bibliothek aus?

Eine Bibliothek ist zunächst einmal eine Ansammlung von Büchern. Oder?

Grundsätzlich ja. Aber. Bibliotheken können viel mehr sein als eine bloße Anhäufung (un)sortierter Bücher. Je nach Sammlungs- und Benutzungszweck können sich Bibliotheken grundlegend voneinander unterscheiden. Daher verlangen sie von den Held*innen mitunter tiefgreifende Kenntnisse im Benutzen von Schlagwortkatalogen, digitalen Suchdiensten und Katalogisierungslogiken, um an das gewünschte Wissen (oder auch falsche und gefährliche Informationen) heranzukommen.

Bücher sind Freunde, die man immer wieder gerne besucht. depositphotos © yulan
Bücher sind Freunde, die man immer wieder gerne besucht. depositphotos © yulan

 

Je nach der Ausrichtung der Bibliothek – eine Staatsbibliothek, ein Musikalienarchiv, eine topographische oder kartografische Sammlung, ein Giftschrank voller Grimoires mit unaussprechlichem Grauen, eine Schulbibliothek oder auch eine Festplatte mit den gesammelten Datensätzen einer Shadowrunner-WG im cyberpunkigen Seattle – ändert sich zwar die Kulisse für die Spieler*innen, aber die grundlegende Frage bleibt: Wie kann ich die Bibliothek zu einem interessanten Spielort machen, der mehr als nette Hintergrunddekoration ist?

Warum sind wir hier? Und was findet hier statt?

Wie bereits erwähnt, sind Bibliotheken oftmals Orte öffentlicher Diskurse und Auseinandersetzungen. Gerade in modernen Gesellschaften, in welchen Orte ohne Konsumzwang rarer werden und die Heizarmut ein immer drängenderes Thema wird, ist dieser Aspekt der Öffentlichkeit umso interessanter einzubauen – man sollte hier von Bettler*innen zu Konzernchef*innen jedem*r begegnen können.

Wenn die Charaktere sich mit der Bibliothek als einem Ort für Abenteuer beschäftigen sollen, müssen sie ein möglichst interessantes Ziel vor Augen haben. Das kann entweder von der Spielleitung vorgegeben sein, wie ein bestimmtes Buch innerhalb einer gesetzten Frist zu holen, oder auch von den Charakteren selbst kommen – schließlich schadet es nie, einen Blick in die lokalen Zeitungsarchive geworfen zu haben, wenn man Hinweise zu immer wiederkehrenden mysteriösen Umständen sucht, welche die Charaktere aufklären möchten.

Bibliotheken sind außerdem ein toller NSC-Hub, in welchem man hilfreiche Personen parken kann, die dann den Spieler*innen Hilfe geben (aber nicht zu viele, schließlich sollen die Charaktere und nicht die NSC das Abenteuer lösen). Das müssen nicht einmal Bibliotheksmitarbeiter*innen sein. Zufällige Begegnungen mit anderen NSC (oder vielleicht Antagonist*innen), welche ebenfalls ihren eigenen Rechercheprojekten nachgehen, lassen sich gut argumentieren.

Bibliotheken müssen nicht verstaubt wirken. Sie können im modernsten Design erscheinen. depositphotos © ozimicians
Bibliotheken müssen nicht verstaubt wirken. Sie können im modernsten Design erscheinen. depositphotos © ozimicians

Bibliotheken bieten aber nicht nur Bücherwürmern eine Vielzahl an Gelegenheiten für Spielspaß. Schurk*innen können seltene und uralte Bände stehlen (oder eine einzelne Seite aus einem Buch entfernen, um gezielt jemand anderem Informationen vorzuenthalten), Gesellschaftscharaktere freuen sich über zahlreiche zwischenmenschliche Begegnungen, Rätselfreund*innen finden Vergnügen an ausgefeilten Fallen und Hindernissen, welche man umgehen muss.

Eine Bibliothek ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile und so muss man sie auch im Spiel betrachten – eine Vielzahl an Herausforderungen, welche die Spielleitung ihren Spieler*innen entgegenwerfen kann.

Die folgende Liste an Szenarioideen stellt nur eine unvollständige Sammlung für mögliche Interaktionen in einer Bibliothek dar. Natürlich ist an einem solchen Ort noch viel mehr möglich, um deine Spieler*innen zu überraschen und zu beschäftigen.

Der Heist

Eines der klassischen Szenarien für moralisch ambivalente Gruppen – wir wollen durch diese Tür und sehen, was sich dahinter befindet. Ein spannender Einbruch mit Proben auf Geschicklichkeit, Schleichen und Verbergen stellt alle Freund*innen von Schleichspielen zufrieden.

Je nach magischer und/oder technischer Ausgefeiltheit der Sicherheitsmaßnahmen der Bibliothek können (Geister von) Bibliothekar*innen, Überwachungskameras, eifrige und ausgeruhte Student*innen (das wohl unwahrscheinlichste Begegnungsszenario) oder einfach Hausmeister*innen auf der täglichen Runde ein Hindernis darstellen.

Besonders schön ist es natürlich, wenn alle Charaktere in einem Szenario eingebunden sind. Für die Charaktere, welche nicht direkt an dem schleichenden Teil des Einbruchs beteiligt sind, ist es vielleicht angeraten, NSC abzulenken, Wache zu halten oder anderweitig Sicherheitssysteme wie Hunde und/oder übermüdete Mitarbeiter*innen abzuwehren. Wenn dabei noch ein zeitlicher Ticker läuft, kommt mit Sicherheit Spannung am Spieltisch auf.

Die Soiree

Eine Abendveranstaltung in kultivierter Umgebung – was könnte es Schöneres geben? Wenn sich die Elite einer Siedlung die Klinke in die Hand gibt, um Vorträge zu hören, Neuigkeiten auszutauschen, Gelegenheiten zum Netzwerken, sehen und gesehen werden wahrzunehmen, können auch die Held*innen das ein oder andere nützliche Gerücht aufschnappen oder Kontakte knüpfen.

In Fantasysettings bieten sich besonders magische Umgebungen wie eine Magierakademie an, welche auch die höhergestellte Kaste ihrer Gesellschaft darstellen dürften. Andere Spielwelten können zerfallene Gebäudekomplexe (Postapokalypse), klassische Dungeons (Dark Fantasy) oder verborgene Netzwerke im Darknet (Shadowrun) als Bibliotheken kennen. Welche Art von Umgebung deine Bibliothek darstellt, hängt im großen Maße von der bespielten Welt ab.

Wenn neue Thesen vorgestellt und diskutiert werden, kann das auch für die Spieler*innen ein Grund zum Abenteuer sein – vielleicht möchte ein neidischer Auftraggeber, dass die Charaktere  Konkurrent*innen davon abhalten, rechtzeitig zu einem wichtigen Vortrag zu kommen? Oder die vorzustellenden Erkenntnisse sollen geschwind gegen eine Fälschung eingetauscht werden, um lästige Widersacher*innen vor der Fachwelt bloßzustellen? Auch hier sollten den Charakteren passende Hindernisse im geeigneten Maßstab entgegengeworfen werden. Genug, um zu frustrieren, aber auch nicht zu viele, damit sie nicht verzweifeln.

Die Recherche

Glücklich, wer hier den Überblick behält! depositphotos © HayDmitriy

Das ist das alltägliche trockene Brot der staubigen Luft altehrwürdiger Akademien und Forschungsinstitute. Student*innen und Professor*innen benötigen für ihre täglichen Studien gleichermaßen den Zugang zu geeigneter Fachliteratur und sind im Umgang mit dem Handapparat und den Zettelkästen sowie anderen Nachschlagesystemen wohl vertraut. Akademisch wenig versierten Charakteren dürfte der Zugang zu niedergeschriebenem Wissen da schon etwas schwerer fallen.

Aber auch Held*innen ohne akademische Weihen können Recherche betreiben. Besser noch, die Suche nach einem bestimmten Text ist eine gute Gelegenheit, neue NSC mit den Charakteren bekannt zu machen, da sie ihre Hilfe benötigen. Ein weiteres Hindernis nach erfolgter Recherchearbeit könnte sein, dass der Text bereits aus der Bibliothek ausgeborgt wurde und nun von der entlehnenden Person beschafft werden muss.

Das Labyrinth

Ein anderer Aspekt, der besonders schön in der Bibliothek in Der Name der Rose (Buch wie Film) von Umberto Eco ausgearbeitet wurde, ist die schiere architektonische wie organisatorische Komplexität einer Bibliothek. Endlos scheinende Gänge, Kammern, die zwischen kilometerlangen Regalen verloren scheinen, vergessene Räume. All das führt zu einer Verwirrung und Orientierungslosigkeit, die man wunderbar am Spieltisch nutzen kann. Vor allem, wenn die Spieler*innen darauf verzichtet haben, sich die beschriebenen Wege zu merken, um rechtzeitig vor dem Eintreffen des*der Aufseher*in zurück im öffentlichen Bereich der Bibliothek zu sein.

Fantastischere Begegnungen wie mit Geistern oder Elementaren, die das Leben komplizierter machen können, wurden bereits erwähnt. Vielleicht haben sich auch nur zwei Student*innen hierher zurück gezogen, um in Ruhe zu, äh … studieren. Und diese sind gar nicht glücklich darüber, dass ihre Lerngruppe soeben aufgeflogen ist.

Alte Zeiten

Teilzeithelden hat schon mal über Alte Geschichte geschrieben. Bibliotheken entwickeln wie jeder andere Ort mit der Zeit eigene Traditionen und eine eigene Geschichte. Was befindet sich in den wirklich alten Archiven der Bibliothek? Was war vor etlichen Jahrzehnten interessant und wurde schon damals akribisch gesammelt? Finden sich bestimmte Informationen daher vielleicht wirklich nur mehr hier und nirgendwo sonst? Was haben Feuer, Schimmel, Holzwurm und Nachlässigkeit hier schon vernichtet? Kommen die Charaktere vielleicht zu spät, um ein bestimmtes Buch noch lesen zu können? Haben Schimmel und Würmer nur mehr zwei Buchdeckel mit unlesbarem Dreck dazwischen übrig gelassen?

Fazit – mach mehr aus deiner Bibliothek!

Bibliotheken sind lebendige Orte der Begegnung und des Wissensaustausches. Sie geben einer Ortschaft Charakter und verbinden ihre Besucher*innen über Alters- und Klassengrenzen hinweg zu Suchenden. Sie sind ein großartiger Ort, um Anfang, Mitte und Ende eines Abenteuers zu sein. Sie verdienen es, eigene charakteristische Merkmale zu erhalten (die sich im Laufe des Abenteuers noch weiter entwickeln können). Sie sind ein vertrauter Ort, haben aber auch oft genug Geheimnisvolles an sich, damit die Charaktere immer mal wieder etwas Neues in oder an ihnen entdecken können.

Nur eines sind sie nicht – langweilig.

Artikelbilder: © wie gekennzeichnet
Titelbild:  depositphotos © brankospejs

Layout und Satz: Nina Horbelt, Roger Lewin
Lektorat: Susanne Stark

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