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Können Brettspiele rassistisch sein? In meiner persönlichen Erfahrung als weißer Mann erlebe ich die Brettspiel-Community als weltoffene und herzliche Gemeinschaft. Dennoch oder gerade deshalb möchte ich ein paar unbequeme Fragen stellen, nach Sklaverei, nach Rassismus – und wie wir in unserem Hobby damit umgehen.

Als weißer Mann bin ich kein Opfer von institutionellem oder strukturellem Rassismus. Die vielen Privilegien, die mit meiner Ethnie einhergehen, sind mir bewusst. Ich versuche, ein toleranter, offener Europäer und Weltbürger zu sein, und bemühe mich um einen rationalen, reflektierten, aber auch empfindsamen Umgang mit meiner Umwelt. Daher habe ich das Gefühl, dass wir die vielen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte in Bezug auf die Freiheit- und Persönlichkeitsrechte aller Individuen, ungeachtet ihrer sozialen Zugehörigkeit, nicht nur stetig ausbauen, sondern auch verteidigen müssen. Gegen im Geiste verschränkte, laute Menschen, die an die Macht wollen oder sie bereits innehaben. Um sich solcher Angriffe zu erwehren, müssen große politische Entscheidungen getroffen werden – aber jeder Mensch kann sich und für sich etwas verändern: im Alltag und so auch in unserem Hobby, dem Brettspiel.

Ich möchte in diesem Artikel auf Denkmuster aufmerksam machen und bisherige Selbstverständlichkeiten auf den Prüfstand stellen. Mein Ziel ist es nicht, Spieler*innen oder Spieleautor*innen zu verurteilen, sondern einen Teil zu einer notwendigen Debatte beizutragen.

Ich bin mir bewusst, dass es Personen gibt, die qualifizierter hierüber berichten können, aber das ist für mich kein Grund, nicht zu versuchen meinen Beitrag zu leisten.

Kolonialismus und Sklaverei

Eins der offenkundigen Themen in der Debatte um Rassismus in Brettspielen liegt im Kern vieler Eurogames. Im Gegensatz zu American Style Boardgames, die aus einer Tradition der Kriegsspiele kommen, wurde der weltweite Boom des deutsch-europäischen Pendants durch die ersten Siedler*innen ausgelöst, die sich auf der Insel Catan niederließen, um Steine ab- und Nahrung anzubauen sowie Schafe zu züchten, um aus den gewonnen Rohstoffen Straßen und Städte zu errichten. Es geht um Aufbau und Handel, oft um Kooperation. Am Ende haben alle etwas geleistet und Siegpunkte errungen, eine Person nur eben mehr als die anderen.

Eigentlich läuft es also friedlicher ab, wenn alle fröhlich vor sich hinbauen, statt sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Allerdings funktioniert Zivilisationsaufbau in Spiel und Realität von Grund auf nur dann, wenn wir – wie bei Stone Age – bereits in der Steinzeit beginnen oder eben, wenn wir neue Lande erschließen. Meist wohnt auf potentiell fruchtbaren Ländereien jedoch schon jemand. So aufregend die sogenannte „Zeit der Entdecker“, also vom 15. bis 18. Jahrhundert, sich uns aus einer europäischen Perspektive heute darstellen mag; so reizvoll sich attraktive Spielmechaniken mit aus eben dieser Perspektive „exotisch“ klingenden Namen verbinden lassen, um den explorativen und zivilisationsbildenden Geist anzusprechen, so wird dabei allzu oft ausgeblendet, wie grausam der Umgang mit Ureinwohner*innen und herangeschafften Arbeiter*innen, meist Sklav*innen, gewesen ist.

Zum Sieg mit braunen „Kolonisten*innen“ in Puerto Rico.

Kein Spiel macht das meiner Erfahrung nach so deutlich wie Puerto Rico, Träger des Deutschen Spielepreises und eines von drei Spielen auf der Auswahlliste des Brettspielpreises Spiel des Jahres 2002. Im Spiel, welches aktuell Platz 26 im Ranking auf Boardgamegeek (BGG) bekleidet, werden Zuckerrohr und Tabak angebaut, anschließend in Fabriken verarbeitet, verkauft und verschifft und nebenbei werden weitere Gebäude für den allgemeinen Wohlstand errichtet – und natürlich für Siegpunkte. Arbeiter*innen, die man auf die Felder oder in die Fabriken schicken kann, kommen dabei jede Runde vom sogenannten „Kolonistschiff“. Der historische Kontext ist eindeutig; es ist offensichtlich, wer auf den Schiffen herangekarrt wurde, um auf den Feldern zu arbeiten. Das Sugarcoating, von Kolonist*innen zu sprechen, hält in vielen Runden Spieler*innen nicht davon ab, offen oder aus Versehen den Begriff Sklav*innen zu verwenden. Vielleicht auch, weil die Repräsentation hier nicht sehr geschickt gewählt ist – die Scheiben, welche die Kolonist*innen repräsentieren, sind braun.

Puerto Rico steht nicht allein: In den Top 100 auf Boardgamegeek finden sich einige verwandte Titel. Da ist der Worker-Placement/Deckbuilder Mombasa (BGG-Rang 71) von 2015, bei dem man versucht, mit der eigenen Firma das meiste Geld aus Afrika rauszuholen. Oder das erst 2019 erschienene Maracaibo (BGG-Rang 73), bei dem die Spieler*innen für Siegpunkte im 17. Jahrhundert ihren Einfluss in der Karibik mehren. Weitere hochdotierte und beliebte Spiele wie Santa Maria oder Archipelago haben dasselbe Problem: Es scheint, als würden Spiele der Kategorie Eurogames Afrika, Lateinamerika und Südostasien als Spielwiese Westeuropas betrachten; als sei dieses Setting nichts anderes, als das russische Eisenbahnnetz aus- oder Wein in der Toskana anzubauen.

Die Ressource Mensch

Bei Five Tribes wurden aus Sklav*innen Fakire.

Anders verhält es sich da bei Five Tribes. Im preisgekrönten und kreativ-bunten Spiel von 2014 (BGG-Rang 58) nimmt man Meeple bestimmter Farben von den Markt-, Stadt- und Oasen-Teilen auf und löst damit Aktionen aus, um dann mit Kamelen, Palmen, Dschinns und Handelswaren Siegpunkte zu erringen. Neben den Waren gibt es außerdem eine Art von Joker-Karten, die man vielseitig ablegen kann, um andere Ressourcen zu ersetzen. In der Originalversion hießen diese jedoch „Sklaven“ und befanden sich im sogenannten Rohstoffkartendeck. Mittlerweile wurden die Karten zu Fakiren samt Illustrationsupdate und für Besitzer*innen alter Versionen gibt es die Fakirkarten auch als Erweiterung.

Da wir uns hier in einem fiktiv-abstrakten und leicht magischen Setting befinden, stellt sich umso mehr die Frage, warum man das Thema Sklaverei aufmachen musste. Dabei sind phantastische Welten oder Weltraumerkundungen mit ähnlichen Mechaniken und Spielgefühl eine gute Auflösung der Problematik. Hier können Autor*innen Welten schaffen, ganz ohne die Belastung historischer Bezüge. Man kann sich natürlich auch mit den Rechten der fiktiven und teilweise analog gedachten Orks und Aliens, in deren Gebiete wir Menschen eindringen, auseinandersetzen – aber eben auf eine abstraktere Weise. Fantasy- oder SciFi-Settings ermöglichen es, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, jedoch eben mit ein wenig Distanz. Diese kann hilfreich sein, weil so nicht direkt aktuelle Betroffene oder deren Nachfahren in einen simplifizierenden Kontext gesetzt, weil keine reale*n Politiker*innen oder historischen Figuren angegriffen werden und erlaubt somit einen objektiveren Diskurs, der helfen kann, Dinge begreifbar zu machen.

Aber auch das Bewegen in Anderswelten ist kein Freifahrtschein. So hat Wizards of the Coast Anfang Juni bekanntgegeben, dass sie sieben Artworks von Karten ihres Spiele-Erfolgs Magic: The Gathering aufgrund deren rassistischer Inhalte aus ihrer Datenbank entfernen. Insbesondere die Karte „Invoke Prejudice“ von 1994 erhielt immer wieder Beachtung, da sie schemenhafte Gestalten zeigte, die an Kuttenträger des Ku-Klux-Klans erinnern. Die Karte verteuert die Kosten des Gegners für Beschwörungen, die nicht den eigenen Farben entspricht.

Targi dient als Positivbeispiel kultureller Vermittlung.

Auch aus Spielen wie Cards against Humanity, die explizit und konsequent politisch inkorrekt sein wollen, werden regelmäßig Karten aus neuen Auflagen entfernt.

Es gibt Spiele, mit denen versucht wird, die Spieler*innen respektvoll an eine Kultur heranzuführen. Beim Zweispieler-Worker-Placement-Spiel Targi (BGG-Rang 129), welches 2012 zum Kennerspiel des Jahres nominiert wurde, verkörpern wir je einen Tuareg-Stamm. Das Regelwerk führt uns kurz in die Kultur dieses Wüstenvolks ein, in der Männer ihr Gesicht verhüllen und die Frauen – ganz unverschleiert – in den Zelten das Sagen haben. Ganz nebenbei was gelernt.

Alternativer Umgang mit dem Thema Kolonialismus

Bei meiner Recherche begegnete mir Freedom: The Underground Railroad (BGG-Rang 383), was ich leider noch nicht ausprobieren konnte und klar in die Kategorie sehr ernster Brettspiele gehört. Dessen Verlag Academy Games produziert historische Spiele, die sich meistens mit Schlachten beschäftigen, ist aber auch für Eurogames wie Fief oder Tudor bekannt.

Harter Tobak – gutes Spiel, das einen allerdings an die eigenen Grenzen bringen kann.

Bei Freedom geht es darum, in der Mitte des 19. Jahrhunderts Sklav*innen von den US-amerikanischen Südstaaten-Plantagen zu befreien und nach Kanada zu schmuggeln. Die Karten geben zudem Hintergrund-Infos zu Geschehnissen und Persönlichkeiten der Zeit und des namensgebenden Schleusernetzwerks Underground Railroad. So erfährt man von Dred Scott, der seit 1846 für seine Freiheit klagte. Grundlage für die Klage war, dass er in US-Staaten gelebt habe, in denen Sklaverei verboten war. 1857 wurde seine Klage vom Supreme Court mit sieben zu zwei Stimmen endgültig abgewiesen und Scott als Eigentum und eben nicht als US-amerikanischer Staatsbürger definiert, sodass er in erster Instanz nicht einmal hätte klagen dürfen. In diesem kooperativen, aber spielmechanisch letztlich recht abstrakten Spiel geht es um harte, utilitaristische Entscheidungen: Wie viele Sklav*innen bist du bereit zu opfern, um eine größere Zahl retten zu können? Das Spiel hat einige Preise gewonnen und wurde an US-amerikanischen Schulen bereits zur Geschichtsvermittlung eingesetzt, ist aber vielleicht nicht für jede Person geeignet. Ruel Gaviola, Gast und Co-Host des beliebten Brettspiel-YouTube-Kanals Rahdo runs through sagt zu dem Spiel, dass er es im aktuellen Kontext der BLM-Bewegung vermutlich nicht spielen könnte. In diesem fünfminütigen Auszug einer Top-10-Liste kooperativer Brettspiele führt er nicht nur anschaulich in das Spiel ein, sondern hat auch Richard „Rahdo“ Ham zu Tränen gerührt – wie auch mich.

Dieses Konzept dreht Brenda Romero mit ihrem interaktiven Kunst-Spiel-Projekt Train gewissermaßen um und treibt es dabei auf die Spitze. Jede Runde würfeln die Spieler*innen und können entweder gelbe Püppchen in Höhe der Augenzahl in einen Zug setzen oder diesen entsprechend bewegen. Dabei kann man auch andere Züge blockieren, übernehmen oder gar entgleisen lassen. Erst wenn ein Zug am Ende seiner Strecke angekommen ist, wird dessen Zielkarte umgedreht – und die Spielenden erfahren, dass es sich um Ausschwitz oder ein anderes Konzentrationslager handelt.

Train: Ein Kunst-Spiel, das Fragen aufwirft.

Romero will mit ihrem „Spiel“, von dem nur Ausstellungsexemplare existieren und es niemals eine Verkaufsversion geben soll, hinterfragen, ob wir blind Regeln folgen und ob wir einfach dabeistehen und beobachten. Neben Romeros Homepage fand ich zum vertiefenden Verständnis ihrer sehr verstörenden und disruptiven Idee diesen Artikel bei VentureBeat. Hier werden vor allem einige Erfahrungen von Spieler*innen des Experiments beschrieben, wenn sie realisieren, dass jede der gelben Spielfiguren für 100.000 jüdische Menschen steht, die sie soeben in ein KZ befördert haben.

Baut man hier seine Zivilisation auf den Schultern von Sklav*inneen auf, gibt es am Ende Minuspunkte.

Eine weitere Variante, mit dem Thema Sklaverei umzugehen, findet sich in Endeavor: Age of Sail (BGG-Rang 112). In diesem Zivilisationsaufbau-Spiel ist es sogar eine zentrale Mechanik. Die Spieler*innen treffen die Entscheidung, alternativ zum „normalen“ Europastapel vom Sklaverei-Stapel zu ziehen. Letzterer bietet starke Vorteile beim Aufbau der eigenen Engine. Sobald jemand jedoch die Karte mit dem Wert Fünf (die Stapel sind aufsteigend sortiert) im Europadeck nimmt, wird die Sklaverei abgeschafft. Alle Spielenden, die Sklaverei betrieben haben, verlieren ihre Vorteile und erhalten am Ende des Spiels für jede dieser Karten einen Malus auf ihre Ruhmespunkte.

Auch hier wurde stark diskutiert, ob es vertretbar ist, die Mechanik im Spiel zu belassen. Z-Man Games hat sich jedoch dazu entschieden, auch in aktuelleren Ausgaben daran festzuhalten. Neben der rein rational-ökonomischen ist es eben auch eine moralische Entscheidung, ob jemand diesen Weg gehen will oder nicht – und das hat sicher nicht nur bei uns zu einer Diskussion über das Thema geführt. Am Ende muss man aber selbst beurteilen, ob die eigene Spielgruppe mit dieser Entscheidung und der daraus resultierenden Fortführung des Diskurses umgehen kann und will und es vielleicht einen positiven aufklärerischen Aspekt haben kann.

Mangelnde Repräsentation

Keine Frauen, dafür straffällige Familienangehörige auf dem Basar der Bosporus-Metropole.

Aber auch über historische Szenarien hinaus gibt es noch weitere Ebenen zu betrachten. Das Kennerspiel des Jahres 2014 Istanbul (BGG-Rang 110) hat eine interessante Grundmechanik. Mit dem eigenen Karren zieht man über die Basar-Auslage, um mit Waren und Geld fünf Edelsteine, also Siegpunkte, zu erwirtschaften. Dabei hat man vier Assistent*innen, die man beim Ziehen der eigenen Figur jeweils entweder ablegen oder aufnehmen können muss, was die eigene Bewegung auf dem Tableau zu einem interessanten Knobelspiel werden lässt. Allerdings kann man diese Regel ein wenig brechen, indem man ein Familienmitglied von der Polizeiwache abholt. Diese Figur kann dann eine beliebige Aktion ausführen. Wenn man Familienmitgliedern der Mitspieler*innen begegnet, schickt man diese direkt wieder zur Polizeiwache und erhält dafür entweder eine Bonuskarte oder drei Lira Belohnung. Vielleicht hat jede Familie ein schwarzes Schaf, aber die Art der gefälligen Nutzung in dieser Umsetzung ist nicht ganz ohne, wenn man über die impliziten klischeehaften Vorurteile nachdenkt. Neben diesem Spiel mit Stereotypen gibt es hier noch eine andere, leicht irritierende Ebene. Sämtliche der über 80 dargestellten Personen (inkl. beider Erweiterungen) sind Männer – egal ob man sie im Kaffeehaus oder einfach nur draußen auf der Straße antrifft.

Das ist allerdings kein Einzelfall: Brettspiele, wie so viele Hobbies, stehen in einer langen Tradition weißer Männer – sowohl bei Schöpfer*innen, Spieler*innen oder auch Rezensent*innen (Abteilung eigene Nase), als auch bei den Darstellungen. Tanya Pobuda hat 2018 in einer Untersuchung die Top-200-Brettspieltitel auf BGG analysiert und dabei herausgefunden, dass 94 Prozent der Autor*innen weiße Männer waren, 2 Prozent weiße Frauen und 4 Prozent nichtweiße Männer – nichtweiße Frauen waren gar nicht vertreten.

Positiv auffällig: der diverse Cast im Zombie-Survival-Hit.

Analog hierzu zeigen 64 Prozent (bereinigt um Tiere und Aliens) der Top-100-Brettspiel-Cover weiße Männer, ein weiteres Fünftel weiße Frauen. Mit knapp 10 und 7 Prozent sind nichtweiße Männer beziehungsweise Frauen auch hier nicht sehr präsent. Betrachtet man ausschließlich die neuesten Spiele ab 2017, sieht das Ergebnis übrigens nicht relevant anders aus. Das Problem mangelnder Repräsentation spiegelt sich in der Auswahlmöglichkeit der Charaktere in Brettspielen; analog zu Serien und Filmen sind die spielbaren Avatare oft ausschließlich weiß. Erfreuliche Ausnahmen finden sich in der Fülle der Charaktere bei zum Beispiel Winter der Toten (BGG-Rang 106) oder den Spielen von Ryan Laukat wie Oben und Unten (BGG-Rang 229) oder Nah und Fern (BGG-Rang 140).

Nicht-abschließende Worte

In vielen Eurogames werden Menschen als Ressource genutzt. Der wirkliche Worker in Worker-Placement-Spielen wird vermutlich ebenfalls ausgebeutet, egal ob in Lancashire, Birmingham oder Kaledonien, aber er wird dafür bezahlt und verrichtet die Arbeit (zumindest mehr oder minder) freiwillig. Auch hier kann man auf historische Missstände hinweisen, aber diese sind sicher nicht gleichzusetzen mit einer Gesellschaft, die Sklaverei toleriert. Und wenn wir viel weiter zurückgehen? Betrachten wir die braunen und grauen Karten vom gerade neu aufgelegten 7 Wonders, wie würden wir die dargestellte*n Arbeiter*innen dort bezeichnen? Mit der griechisch-römischen Antike ist Sklaverei in unserem Geist untrennbar verbunden. Aber diese Sklav*innen aus den diversesten Volksstämmen zählen vermutlich zu den Ahn*innen der meisten, die diesen Artikel lesen, und es ist nicht nur Jahrhunderte, sondern sogar Jahrtausende her. Die Geschichte der Kolonialisierung Nordamerikas endet nicht mit der Befreiung der Sklav*innen auf den Baumwallplantagen der Südstaaten und auch nicht mit der erst 1967 vollständig legalisierten sogenannten Mixed-Race-Marriage. Die Historie der Unterdrückung, die in den aktuellen Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung mündete, ist eben alles andere als aufgelöst. Die Zustände der Gewalt jenseits des Atlantiks kann man jedoch verurteilen und trotzdem selbst hierzulande unachtsam sein und damit bei seinem Gegenüber Unwohlsein hervorrufen, oder auch radikaleren Genoss*innen suggerieren, dass ihre Position geduldet wird. Wahre Demokratie ist Toleranz ist Kommunikation ist Arbeit.

Mitglieder des Aktionsbündnisses richten dezentral offene Spieleveranstaltungen aus.

Dabei sind geistige Schubladen letztlich notwendig – man muss die Realität strukturieren und reduzieren, um sie begreiflich zu machen. Jede Theorie, jedes Bild, jeder Gedanke, jedes Wort ist ein Vorurteil – denn wir werden vermutlich nie eine Sache und ihren Kontext komplett erfassen, geschweige denn darstellen können. Das, was die progressiven, wissenschaftlich orientierten und demokratie- und menschenrechtsfreundlichen Kräfte von den anderen unterscheidet, ist es, sich dessen bewusst und stets bereit zu sein, diese Vorurteile zu hinterfragen und zu verbessern. Das gilt auf der großen politischen Bühne ebenso wie bei Alltagsentscheidungen, Witzen und Hobbies wie dem Brettspiel. Das nämlich bringt Menschen zusammen: So verzeichnet das Netzwerk Spielend für Toleranz erfreulicherweise bereits über 100 Veranstaltungen.

Wir alle können noch etwas sensibler und besser mit dem Thema Rassismus umgehen – gute Handlungsempfehlungen geben Vanessa Vu, Amna Franzke und Hasan Gökkaya in der Zeit. Um besser zu werden, müssen wir vor allem miteinander reden, dabei die anderen zu Wort kommen lassen und ihnen zuhören. Und das möchte ich jetzt. Ich bin gespannt auf eure ergänzenden, erläuternden und widersprechenden Gedanken.

 

Titelbild: BLM-Faust aus Spielkomponenten © Kris Johnson (Spielenthusiast und Künstler), Schachbrett © TripleMedia, sonstige Bildrechte liegen bei den Verlagen
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Lukas Heinen
Sensitivity Reader: Aşkın-Hayat Doğan

30 Kommentare

  1. Danke für diesen wichtigen Beitrag, der angenehm unaufgeregt und ohne erhobenen Zeigefinger daherkommt.
    Viele schreien sicherlich auf, und werden fordern die Politik aus dem Hobby raus zu halten.
    Aber es geht eben um Gesellschaft und Gesellschaft findet überall statt.
    Niemand wird verbieten bestimmte Spiele zu spielen. Es sich bewusst zu machen, was man da „spielend“ tut, ist jedoch eben sicherlich nicht verkehrt.

    Ob man nur die Genoss:innen ermahnen muss, oder nicht auch auch die Kamerad:innen, lasse ich mal dahin gestellt. ;)

    So oder so, nochmal Danke für diesen Artikel.

  2. Verzeihung für meine Meinung aber ich finde diesen Artikel absolut sinnlos und ärgere mich auch über die Aussagen im Artikel.

    Einmal schon damit angefangen dass hier scheinbar versucht wird, die tatsächlich absolute Relevanz von „Black Lives Metter“ mit Brettspiele zu vergleichen. Das ist so dermaßen lächerlich. Und wäre in etwa so sinnvoll sich darüber zu beschweren dass zb in Andor es die Helden nur in weiblicher und männlicher Ausführung gibt, nicht aber in Transgender.

    Mit Gesellschaftsspiele ist es doch wie mit allem Anderen: es geht immer um den Kontext. Ein Film wie zb Inglorious Bastards mag gewaltverherrlichend sein; ruft aber nicht auf selbst gewalttätig zu denken. Nur weil ich Azul spiele, werde ich doch dann tendenziell kein Fliessenleger.

    Was mich so ärgert an solche Artikeln wie diese ist die scheinbar kompromisslose Selbstzensur. Natürlich gibt es auch Spiele mit problematischen Zugängen – 7Wonders oder 5Tribes gehören da jetzt mit Sicherheit nicht dazu. Aber für Spiele mit problematischen Zugängen gibt es ja auch eine Altersempfehlung. Denn das selbst Nachdenken darf man in einer Demokratie schon den Mitmenschen selbst überlassen.

    Das Anfangen sich über 5Tribes und die Sklaven zu beschweren ist der Anfang des Öffnens der Pandorabox. Denn: wo hört es dann auf sich über bestimmte Elemente in Gesellschaftsspiele zu beschweren? Man könnte dann zb ja auch so weit gehen sich darüber zu beschweren dass „Mensch-ärgere-dich-nicht“ eigentlich ein totales Mobbing-Spiel ist und man sich darüber mal ernsthaft Gedanken machen sollte….

    So, ich hör jetzt auf zu schreiben hier weil ich gerade merke dass ich immer mehr in Rage komme ob des absolut sinnfreien Artikels

    • Hallo Namensvetter.
      Du stellst eine sehr wichtige Frage: Wo hört es auf? Und ich stelle eben die ergänzende Frage: Wo fängt es an?
      Die Filme Tarantinos sind alles andere als unpolitisch. Er nutzt Gewalt und auch das N-Wort, aber insbesondere Django und Inglourious Basterds haben ne sehr klare Message. Im Medienbetrieb hat sich seit Gone with the Wind hin zu modernen Netflix-Produktionen wie Dear White People und Hollywood viel getan im Bereich wie Personen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung, etc. dargestellt werden. Aber dazu Bedarf es eben einer vorhergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema.

      • Dann stelle ich sehr ernst gemeint die Frage: was wollen uns Spiele vermitteln, wenn man bei Auswahl von Spielfiguren sehr oft nur männliche Figuren anstatt weibliche Figuren vorgibt (oder umgekehrt)?

        Ich gebe meine Antwort dazu: es geht gar nicht um eine politische oder gesellschaftliche Message dabei. Viel zu oft wird so was aber hinein interpretiert. Einem Spiel geht es doch vor allem um eines: eine Geschichte zu erzählen, eine Umgebung schaffen. Das Spiel gibt das vor, mit den Vorgaben kann man glücklich sein oder nicht. Aber so lange wir jetzt nicht von Spielen sprechen, welche klar propagandistisch eingesetzt sind – und solche Spiele gab es in der Geschichte leider auch – ist es fehl am Platz hier Spielen vorrangig politische oder gesellschaftliche Machenschaften zu attestieren – das gleiche gilt zb auch für Filme – sofern eben keine Propaganda.
        Spiele werden meiner Meinung nach DANN problematisch wenn sie tatsächlich vordergründig massiv zensiert werden um bestimmte Messages zu bringen.

        Aber ja, es stimmt: es GIBT Spiele welche auch für mich von der Aufmache schon sehr hart sind und sehr stark mit Bildern arbeiten welche zu überdenken wären. Als Beispiel würde mir Archipelago einfallen – welches sich ganz klar um die Ausbeutung und Kolonisierung dreht. SOLCHE Spiele könnte man tatsächlich zu Recht hinterfragen. Solange man sich als Spieler aber wiederum des Themas bewusst ist, ist es auch wieder gut. Ich würde zb auch mit keinem Kind jemals Tannhäuser spielen, da die Thematik in diesem Spiel für Kinder eventuell verstörend sein könnte. Das meine ich mit „der Kontext ist wichtig“.

        Das Thema „Rassismus in Gesellschaftsspiele“ ist meiner Meinung nach genau so gefährlich wie die ewige Debatte, ob Shooter-Spiele nicht doch potenziell gefährlich sind. Beide Fragestellungen zielen am Eigentlichen vorbei. Nämlich dass es immer um den Kontext geht. Der Kontext: wer ist der Konsument? Was ist die Intention des Spieles? Was jede und jeder aus einem Spielerlebnis macht bleibt schlussendlich dieser Person selbst überlassen – ist in eigener Verantwortung- und darf aber nicht dazu führen andere zu zensurieren.

        • Hey Daniel,

          ich glaube so weit sind wir nicht auseinander.
          Wenn du Archipelago als durchaus nicht ganz unproblematisch siehst, ich sehe das eben noch bei ein paar anderen Titeln.

          Ich bin weit entfernt davon, irgendjemandem irgendwas zu verbieten – das dürfte aus meinem Artikel auch hervorgehen, hoffe ich.

          Mir geht es eben, wie dir, um einen differenzierten, reflektierten Umgang mit allem, vor allem, je wichtiger es eben ist.

          Und gerade Filme haben einen nicht zu unterschätzenden Impact auf unser Denken, unsere Wahrnehmung von „Normalität“. Um ein anderes Beispiel zu bemühen: Von homosexuelle Männer gab es nicht, sind Witzfiguren, sind Nebencharaktere bis zu sind differenzierte Hauptfiguren in Geschichten war es ein weiter weg. Repräsentation im negativen, wie im positiven ist wichtig, in aller Auseinandersetzung mit Kultur. Und hier passiert ja auch einiges, glücklicherweise. Aber bei manchen könnten wir es am Ende sicher noch ein wenig besser machen.

  3. Wow.
    Genau so was meine ich.
    Dieser Beißreflex der auf der Stelle ausgelöst wird bei manchen Menschen.
    Weder wertet der Artikel betreffende Spiele ab, noch legt er nahe sie nicht mehr zu spielen.
    Im Gegenteil. Er fordert eben gerade dazu auf, Spiele in einen Kontext zu setzen. Eben nicht nur in einen spielerischen, sondern auch in einen historischen, wo es angebracht ist, und, vor allem, in einen gesellschaftlichen.
    Es geht nicht um Beschwerden, es geht um Fragen.
    Warum entscheidet sich ein Spiel, es mir so zu präsentieren, wie es das tut?
    Will es damit gleichzeitig etwas vermitteln?
    Oder ist es ohne weitere Gedanken halt wohl so designed worden?
    Die Schlüsse, die jede einzelne Person dafür auss sich zieht, sind einem selbst überlassen.
    Und auch der Artikel legt einem keine vordefinierte, aus Sicht des Autors „gute“ Lösung vor.
    Die muss man für sich selbst finden und rechtfertigen können.

      • Kein Problem. 😂 In diversen Facebook-Gruppen gesammelt gibt es bereits viele sehr positive, klar ablehnende und auch differenzierte Positionen und daraus resultierende teils spannende, meist sachliche Diskussionen; ich versuche auch gerade, alles im Blick zu behalten – es ist nicht ganz einfach. 😅

  4. Winter der Toten hat einen diversen Cast, ja, aber nur sehr oberflächlich. Die Klischees sind dermaßen dick (ich meine, der Asiate hat ein Katana und ist gekleidet wie ein Ninja…), dass das den eigentlich positiven Effekt ad absurdum führt.

    Aber generell danke für die Diskussion, ist extrem wichtig in diesen Tagen.

    • Ich verstehe deinen Punkt. Aber wie bei Filmen gibt es erst gar keine Repräsentation, dann als Bedienstete, als Comic Relief-Charaktere, als Side-Kicks und irgendwann gibt’s auch n Oskar für ne Hauptrolle für eine schwarze Schauspielerin.
      Ich hoffe, es gibt bald (noch) bessere Beispiele.

      Freut mich, dass du meine Arbeit wertschätzt.

    • Hallo Michael,

      vielen Dank für deinen besagten Aufwand. Und auch die etwas problematische Situation, in der du gebeten wurdest, Kommentare zu löschen, deren Haltung ich zwar teilweise als problematisch empfinde, die aber verhältnismäßig höflich und jedenfalls nicht beleidigend gepostet wurden.
      Viele Teile der Diskussion sind auch fruchtbar und man merkt Annäherungen und Erkenntnisgewinn und Aufeinanderzugehen bei einigen Leuten.

  5. Für mich persönlich ist es nicht schön, wenn mein Hobby politisiert wird.

    Außerdem denke ich, dass es gut ist offen über gesellschaftliche Themen zu reden, wo es dringendere Probleme gibt. Damit meine ich unter anderem, auch konservative Ansichten zuzulassen, obwohl man es selbst vielleicht anders sieht. Mein Eindruck ist, dass der Artikel oberflächlich und tendenziös ist.

    • Wie du den Kommentarsektionen hier, wie auch in diversen Facebook-Gruppen entnehmen kannst, werden konservative Positionen zugelassen und eben diskutiert.
      Ich stimme dir zu, dass man offen über gesellschaftliche Themen diskutieren muss. Ich halte die Welt des Brettspiels als Kulturgut nur ebenfalls für wichtig genug, als das man es dazu zählen sollte. Kinder wachsen damit auf und lernen daraus. Ähnlich wie Filme und Kinderlieder prägen sie Menschen für ihre Leben.
      Darauf zu verweisen, dass es wichtigere Probleme gäbe, könnte man aktuell auf alles anwenden, was sich nicht um den Klimawandel und Covid-19 dreht.
      Mich würde aber interessieren, wie du ausgerechnet auf oberflächlich und tendenziös kommst – so kann ich aus deinem sehr allgemeinen Feedback nicht viel lernen.

  6. Ich habe mir vereinzelt Spiele gekauft, gerade weil mich die Mechanik an Ausbeutung und Unterdrückung erinnert. Im Spiel „London“ unterdrückt man die Unterschicht so gut es geht, um reich zu werden, jedoch nur soweit dass man mit den Minuspunkten durch Unterdrückung noch gewinnen kann. Diese Art von Spiel erinnert mich immer wieder in spielerisch heiterer Manier welche Systeme der Ausbeutung existieren; sie zeigen welche Arten von Unterdrückung es gibt. Diese Spiele bringen mich manchmal zum schmunzeln weil sie mich etwas erleben lassen, das ich sonst nicht bin. Ich erfahre Situationen, in die ich sonst nie geraten würde.
    Warum spiele ich dann soetwas?
    Um meinen Horizonz zu erweitern. Um mich auf fröhliche Art daran zu ereinnern und vielleicht auch zu mahnen das es so etwas gibt, und dass wir wach bleiben müssen um uns selbst zu verbessern. Sie regen zum Nachdenken an und lassen mich vielleicht sogar verhaltensweisen an mir verändern. (Und natürlich auch um Spaß zu haben.)
    Wenn Spiele es schaffen zu mahnen, schaffen sie es dann auch Missstande zu verherlichen oder Ungerechtigkeiten zu verharmlosen?
    Ich glaube das schon. Aber hier kommt es auch immer darauf an wer das Spiel spielt, und wie und ob man sich damit auseinander setzt. Deshalb ist es so wichtig über das was wir spielen zu sprechen. Das gilt (gerade) auch bei Computerspielen, genauso wie bei Büchern.
    Meine Meinung zeigen uns Spiele und ähnliche Medien solche Missstände immer nur. Sie stellen sie dar. Manchmal sehr versteckt und manchmal ganz offensichtlich. Dies zu erkennen und zu bewerten obliegt dem Spieler. Oft erkennen wir erst wenn wir darauf aufmerksam gemacht werden, also darüber reden.

    • Und genau darum geht es mir, einen reflektierten Umgang. Aber da ist bei weitem nicht jeder so weit. In Rollenspielen spiele ich auch gern Seiten aus, die ich sonst nicht an mir habe. Verstehe daher dein Ansinnen, da auch einfach mal anders zu sein.
      Gerade bei Computerspielen allerdings bin ich meist noch viel mehr Teddy, als im realen Leben.
      Schön, dass du mitredest – denn, genau wie du sagst, nur so kommen wir weiter.

  7. Hallo Daniel, mit einem Tag Zeit zum drüber nachdenken möchte ich mich dafür entschuldigen deinen Beitrag „oberflächlich und tendenziös“ genannt zu haben.

    Ich war zum einen verärgert, weil ich mein Hobby bisher als Safe-Space betrachtet habe und dort nicht an die vielen schlimmen Dinge die auf der Welt passieren erninnert werden möchte.
    Weil ich verärgert war, hatte ich mich kurz gefasst, um nichts Unbedachtes zu schreiben.

    Andererseits denke ich, dass es so viel Leid, Krieg und Hunger gibt, dass ich es zum Teil unpassend finde, dies im Kontext von Spielen zu erörtern. Obwohl du damit recht hast, dass z.B. Spiele Kinder prägen und diese daraus lernen, was ein gutes Argument ist.

    Was vielleicht nicht so ganz klar geworden ist, ist, dass ich es schade finde, wenn zum Beispiel beim Thema Rassismus, aber noch mehr beim Thema Flucht/Asyl, zwei Fronten aufeinander prallen und der Diskurs darunter leidet. Das meinte ich damit, wenn konservative Ansichten zum Teil von Medienvertretern nicht ernst genommen werden. Ich kann es zum Teil verstehen, wenn Menschen Angst vor Fremden haben. Das sollte man auch Ernst nehmen. Meiner Meinung nach deswegen, damit man dieses Problem löst indem man vernünftig darüber redet.
    Aktuell schottet sich Europa ab und sehr viele müssen darunter leiden.
    Doch um das Thema „Flüchtlingsbewegung“ kommt niemand herum. Wenn man so will trifft diese Bewegung eine Aussage: „Wir sind da.“ (frei nach Harald Welzer).

    Mittlerweile habe ich mich wieder etwas beruhigt, das Gefühl gewonnen, dass dies hier produktiver ist als ich zuerst dachte und würde mich freuen, wenn allgemein mehr Lösungen für Probleme gestritten wird, ganz ohne alternativlose Politik.

    • Hallo Kurt,

      erst einmal Hochachtung und vielen Dank für deine Entschuldigung.

      Ich verstehe den Ansatz, zu sagen, dass man in einem Hobby, welches man zur Zerstreuung betreiben möchte, nicht auch noch mit den Problemen der Welt konfrontiert werden möchte. Einige Spiele, wie „This War of Mine“ tun das allerdings bereits auf hervorragende Art und Weise und ich denke, das ist wichtig. Man kann da aber selbstverständlich auch anderer Meinung sein als ich.

      Was in der Tat bedauerlich ist, ist dass viele in der Diskussion (die vermehrt in Facebook-Gruppen geschieht) gar nicht so weit voneinander weg sind, aber aufgrund ihrer Sprachcodes nicht zusammen kommen, aber das ist Online-Diskussionen geschuldet.
      Umso mehr freue ich mich über deine Nachricht. Lass uns reden und lass uns spielen.

    • Sehr spannende Fragestellung in der Tat – ich habe darüber nachgedacht, das Thema mit aufzunehmen. Mich jedoch dagegen entschieden, da ich kein Freund von Kriegsspielen in realen Settings bin und habe daher selbst wenig Erfahrungswerte besitze.

      Aber vielleicht kannst du mir hier ein wenig Einblick geben: Fühlt es sich für dich gleich an, die Alliierten zu verkörpern oder die Achsenmächte?
      Wenn du Nazi-Deutschland im zweiten Weltkrieg repräsentierst – und gewinnst – löst das irgendwas in dir aus? Oder ist das alles das gleiche – zwei Seiten, eine gewinnt halt – ist ja nur ein Spiel?

      • In der Tat eine gute Fragestellung, danke dafür.

        Zweifelsohne fragt man sich vor, während und nach dem Spiel – und insbesondere, wenn man als Achsenmacht gewonnen hat – wie es wohl gewesen wäre, wenn … Und hat vielleicht, so damit vertraut, auch „Vaterland“ oder „The man in the high castle“, vor dem inneren Auge.

        Als sich selbst politisch links stehender verursacht dies natürlich schon auch mal ein leicht flaues Gefühl, bis man sich eben zur Erinnerung ruft, das es nur ein Spiel ist und man die Bücher (Verfilmungen ebenso) auch genießen konnte – eben als fiktives Werk. Wie sonst könnte man je ein Rollenspiel spielen. Oder als Schauspieler(in) arbeiten.

        Das mag daran liegen, das man auch beim klassischen RISK – noch auf englisch – wenig Probleme damit hatte, die ganze Welt zu erobern (hier wurde ja befreit, wenn ich nicht irre); vielleicht auch an der (erlernten) Fähigkeit, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden.

        In diesem Zusammenhang erscheint mir Ziel und Ansatz des erwähnten „Train“ auch umstritten und zu plakativ, um tatsächlich etwas zu bewirken, außer vielleicht all jenen recht zu geben, die hinter „allem und jedem“ eine tiefergehende Verschwörung wittern (wollen), da es soweit ich es beurteilen kann, innerhalb des Speils wohl keinerlei Anzeichen gibt, das es etwas anderes als ein

        Doch ich glaube, wir verlassen gerade endgültig das eigentliche Thema.

  8. Hallo beide Daniels,
    Ich befürchte bei der ganzen Diskussion nur, daß letztendlich geschichtliche Ereignisse verklärt bzw. umgeschrieben werden. Was auch immer wieder gemacht wurde, denn wie heißt es so schön:“Geschichte wird von den Siegern geschrieben.“
    Wenn ich ein Spiel mit historischen Kontext spiele, dann sollte es auch den historischen Gegebenheiten entsprechen und nicht unter dem Druck einer aktuellen, politischen Situation umgeschrieben werden.

  9. Ergänzung: Denn nur weil verschwiegen wird wie in früheren Zeiten mit Menschen umgegangen wurde, ändert es nichts an der Tatsache das es Sklaverei und Ausbeutung gab.
    Ich für meinen Teil bin sehr froh darüber, daß ich „nur“ spiele ein gemeiner Ausbeuter zu sein und bin letztendlich noch froher darüber, das in unserer Gesellschaft diese Form der Unterdrückung in unseren Breitengraden nicht mehr angewendet wird. Gerade wenn ich mit meinen Kinder solche Spiele spiele, kann ich eben wegen dem von dir, Autorendaniel 😊, genannten Kontext immer wieder auf die Ungerechtigkeiten der vergangenen Zeiten hinweisen. Besonders, da zwei von meinen Kindern die DNA von bis zu vier Kulturkreisen in sich tragen.

    • Hallo Klaus,

      und das ist natürlich super, dass du das machst.
      Manche haben dieses Bewusstsein nicht, daher eine super Sache, dass es Spiele gibt, die eine kulturelle Einordnung bereits im Regelwerk unterstützen; um es eben auch Menschen zu erleichtern sich damit auseinanderzusetzen, die dort vielleicht weniger Hintergrundwissen oder Sensibilität besitzen.

  10. Hallo Daniel,

    ich bin auf deinen Artikel gestoßen, als ich explizit auf der Suche nach Beiträgen über Brettspiele/Gesellschaftsspiele und Rassismus war. Ich habe mich in den letzten Wochen über einige Spiele sehr geärgert, in denen man mehr oder weniger „Afrika kolonialisieren“ oder „Amerika zivilisieren“ spielt und das Spiel selbst überhaupt nicht dazu beiträgt, diese Vorgänge irgendwie kritisch zu hinterfragen.
    Es macht mich oft wütend und traurig, wenn die Stories der Spiele mit solchen Thematiken handeln, die real sind und bis heute zu einer krass ungleichen Machtverteilung und Ausbeutung auf der Welt führen. Ich kann dabei gar nicht genau sagen, ab wann es mich stört, darüber muss ich noch nachdenken. Ich weiß aber, dass Goldschatz finden und dafür Einheimische beseitigen auf jeden Fall schon zu der Art Spiel gehört, die ich nicht mehr genießen kann. Und dann frage ich mich immer, wieso ein gutes Spielkonzept so eine Story braucht.
    Ich selbst bin BiPoc, in Deutschland zur Welt gekommen und aufgewachsen und bin es ziemlich gewohnt, dass die Welt aus Sicht des weißen Mannes als „normal“ bezeichnet wird. Und mir wird oft gesagt, dass ich etwas kaputt mache, wenn ich auf Rassismus hinweise.
    Einige Spiele sind mir unangenehm, es ist mir unangenehm, wenn rassistische Begriffe in Spielen vorkommen oder wenn man mal eben kolonialisieren spielt und Spaß daran hat.
    Ich will niemanden Spaß verbieten und ich will nicht, dass Spiele eine überinterpretierte, ernste, spaßlose Angelegenheit werden. Ich möchte niemanden das Hobby kaputt machen. Aber ich würde mich freuen, wenn mehr über Rassismus gesprochen wird.
    Danke für deinen Artikel!

    Wahrscheinlich hast du „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters schon gelesen, ich finde es ein sehr gutes Buche, gerade auch für weiße Männer (aber auch für alle anderen). Und sehr begeistert bin ich auch von „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüsay. Sie hat mir nochmal sehr geholfen, die Augen zu öffnen und nicht nur in meiner kleinen Welt zu leben. Ich weiß nicht mehr warum, aber bei irgendeinem Kommentar zu deinem Artikel sind mir diese beiden Bücher in den Kopf gekommen. Ich denke, sie könnten dich interessieren

    • Die Frage ist aber doch vor allem eines: was erwartet man von Gesellschaftsspiele bzw aus welchem Grund spielt man sie?
      Ich für meinen Teil sehe es so dass Gesellschaftsspiele eines nicht wollen: Diversität oder Geschichtswissen schaffen. Weil wen man das sich als Ziel setzen würde, dann verbaut man sich die Lust auf viele sehr schöne Spiele.
      Schon klar, und ich glaube da wird man mir noch eher zustimmen hier: Spiele welche wirklich problematisch Themen behandeln – wie zb Archipelago oder Mombasa – haben eine unglaublich schöne, strategische Ebene, sind aber definitiv kritisch zu hinterfragen. Wenn ich diese Spiele auspacke, erwähne ich das auch in meiner Spielerunde expliziet.
      Oder ich würde auch niemals mit Jugendlichen zb Tannhäuser spielen. Aber unabhängig von deren „Belastung“ sind die beiden Spiele unglaublich gut gemacht vom spielerischen, strategischen Aspekt. Und so traurig es klingt: Kollonialismus ist nun einmal ein Teil der Menschheitsgeschichte; sie auszublenden ist einfach nur ein Ausblenden der Realität.

      Bei der Spieleauswahl geht es auch darum, sich auf die Gruppe einzustellen, und was man sich bzw für die Spielrunde erwartet. Im Vorhinein aber fest zu legen dass man von Haus aus bestimmte Spiele nicht spielen wird weil sie einem von der Thematik als zu „belastet“ erscheinen, finde ich den falschen Weg; da blutet mir dann doch mein Herz.

      Es gibt so viele Dinge im wahren Leben, die nicht richtig laufen, dass gerade eine schöne Runde Spielen gemeinsam eine der wirklich schönen Dinge ist, um gemeinsam abzuschalten und gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Wenn man aber nun anfängt, jedes einzelne Spiel zu hinterfragen nimmt man sich selbst viele Perlen weg. So zb Articel27, welches ja dann eigentlich auch nicht gespielt werden sollte (man spielt Großmächte welche sich gegenseitig betrügen und belügen um deren eigenen Agenda durchzuziehen).

      Natürlich, wenn ich zb Spiele gezielt als Lernspiele einsetzen möchte um Bewusststein für gewisse Dinge zu schaffen, dann würde ich mir auch stark überlegen welche Spiele an den Tisch kommen.

      Aus all meinen erwähnten Gründen finde ich diese Diskussion einfach zu überhitzt bzw geht am eigentlichen Ziel vorbei.

      ich hatte eine Beziehung, in der meine Partnerin aus religiösem Glauben sich stark abgekapselt hatte von diversen Dingen. Das hatte dann nicht mehr viel mit Lebensfreude zu tun, sondern damit dass sie sich von vielen schönen, natürlichen Dingen losgesat hatte. Sie wickelte sich so sehr in ihren Wahn ein, dass ein Zusammenleben mit Andersdenkenden nur mehr schwer möglich war. Und diese Diskussion zum Thema „Rassissmus in Gesellschaftsspielen“ verleitet einem auch in eine ähnliche Richtung.

      Also ad conclusium: Ja, gewisse Gesellschaftsspiele würde ich unter bestimmten Umständen auch nicht zocken wollen (Stichwort Alter der SpielerInnen), aber ansonsten ist doch das primäre Ziel von unser aller Hobbie doch eine schöne, gemeinsame Zeit MITeinander verbringen.

      • Hallo Daniel,

        ich verstehe deine Punkte und diese werden ja oft vorgebracht. In der ganzen Diskussion leider selten so differenziert, wie du es hier darstellst. Danke dir dafür.

        Archipelago z. B. halte ich von den Mechaniken her für ein phantastisches Spiel. Aber nur weil es das ist und Spaß machen soll, heißt es zuallererst eben nicht, dass es das auch bei allen tut. Wenn etwas, ganz egal ob es ein Witz, eine Beleidigung, Filme oder andere Medien oder eben auch Brettspiele sind, verletzend für eine Bevölkerungsgruppe ist, sei es sexistisch oder rassistisch oder anderweitig besetzt, dann erhält es den strukturellen Rassismus, der anderen suggeriert, ach, das ist schon nicht schlimm oder sogar lustig.

        Brettspiel will Kulturgut sein, damit trägt es auch eine Verantwortung, so wie alle Medien. Und da ist Vielfalt wichtig und die haben wir. Ich denke, die meisten von uns spielen Spiele, um, wie du sagst, Spaß zu haben. Und dafür gibt es jede Menge Spiele, die gänzlich unbelastet sind, aber eben auch ein paar, die es nicht sind. Manche offener und offenbarer und andere behandeln eben genau diesen Aspekt von Kolonialismus.

        Geschichte auszublenden ist, wie du auch sagst, sicher nicht die Lösung. Aber entweder gehe ich sensibel mit einem Thema um oder ich fasse es nicht an. Würdest du Train spielen wollen? Ich habe das in den Artikel mit aufgenommen, um es vielleicht etwas besser nachvollziehbar zu machen, warum manche Menschen vielleicht nicht Mombasa oder Puerto Rico spielen möchten.

        Wenn du hier wahrnimmst, dass hier offenbar für viele ein Problem besteht, ist die Frage, wie gehen wir damit um und lösen das? Fühlt es sich für dich richtig an, dass wir als weiße Männer sagen: Reißt euch mal zusammen, ist doch nur ein Spiel!? Was wir damit natürlich auch sagen wollen ist: Wir sind doch keine Rassisten, keine bösen Menschen. Und ich nehme sehr stark an, dass das auf den ganz, ganz großen Teil der Spielecommunity zutrifft. Man kann aber rassistisch sein, ohne explizit Rassist zu sein. Man kann Menschen verletzen, ohne es zu wollen. Das ist ein klein wenig unbequem, ein paar Wörter nicht mehr zu nutzen z. B. – eigentlich kein so großer Akt, trotzdem ist der Aufschrei groß, weil es den Leuten oft schwer fällt zu differenzieren. Sie sind nicht direkt Nazis, wenn sie gewisse Wörter benutzen oder Spiele spielen und das unterstellt auch keiner. Aber wenn wir nicht anfangen bei uns und unseren Freunden auch auf solche Dinge hinzuweisen, uns mal hinterfragen und es aushalten, dass wir vielleicht etwas unsensibel gewesen sind in der Vergangenheit, nur dann kommen wir gesellschaftlich weiter. Kinderbücher werden bunter und haben nicht mehr nur kleine, weiße Jungs als Hauptcharakter. Und bei Kindernbüchern geht es doch ebenso um Spaß.

        Archipelago wäre mechanisch eben immer noch genauso gut, wenn es in einer Fantasywelt oder im Weltraum spielen würde. Also wäre ein anderer Weg, die Verlage und Autor*innen zu bewegen, eben solche Spiele nicht mehr mit diesem Thema herauszubringen, oder eben das Thema vielleicht nicht auszublenden und so zu behandeln, wie Endeavour das macht; potentiell Betroffene einzubeziehen, wie es immer mehr Verlage das auch tun.

        Du willst, so wie ich, dass alle eine schöne Zeit miteinander verbringen, das klappt eben nur, wenn auch alle eine schöne Zeit haben.

        Konnte ich ein paar Dinge etwas besser beleuchten und verständlicher machen?

    • Hallo Carolina,

      verzeih bitte, dass ich erst jetzt antworte. Deine schöne Nachricht, über die ich mich sehr gefreut habe, ist bedauerlicherweise in meinem E-Mail-Postfachs-Chaos untergegangen. Darüber ärgere ich mich sehr, hoffe aber, dass du dich nicht ignoriert gefühlt hast.
      Der Artikel hat – größtenteils in diversen Facebook-Gruppen – eine vierstellige Anzahl an Kommentaren ausgelöst, worin ich vor allem eine Bestätigung der Relevant gesehen habe. Da waren ferner auch gerade Kommentare dabei, die umso mehr gezeigt haben, was noch zu tun ist. Aber allein dein Kommentar hier wäre es wert gewesen, ihn zu schreiben.

      Vielen lieben Dank für deine Literaturempfehlungen. Mit Freude habe ich gesehen, dass beide Autorinnen ihre Werke selbst eingelesen haben und habe mir daher vorhin die beiden Hörbücher gehört, nachdem ich kurz reingehört habe. Ich weiß, ich habe eine Menge zu lernen, für mein eigenes Verständnis und meinen Versuch Dinge ein wenig besser zu machen.

      Ich hoffe, du kriegst eine Benachrichtigung hier und übersiehst sie nicht so wie ich. Dann würde ich mich freuen, wenn du dich vielleicht einmal bei mir meldest über daniel.hoffmann@teilzeithelden.de

      Danke
      Daniel

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