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Nach langen Monaten der Abstinenz war es wieder mal möglich, Magic the Gathering live und mit Menschen zu spielen. Diese Gelegenheit nutzten eine liebe Freundin und ich aus, in der lokalen Turnierszene zu grinden. Wie es mir dabei und dem Testen davor ergangen ist, könnt ihr in diesem Bericht lesen.


Switch off the light and close your eyes.
Feel the energy inside.
Chilli bo.
Chilli bo.
Chilli bo.
Fire!!!

Scooter

Red Deck Wins (oder auch nicht)

Es begann alles mit einem Video des herausragenden Magic the Gathering-Youtubers Rhystic Studies. Neben dem Professor von Tolarian Community College ist er mein liebster Content-Erschaffer für die zweitschönste Nebensache der Welt. Es zeigte, wie sehr die Farbe Rot in Magic the Gathering sowohl Philosophie als auch Spielstil ist. Wie sehr man mit der Strategie „All in“ Spaß haben kann und knappe Partien immer spannend bleiben. Ich war erneut angefixt und hatte Lust, wieder einmal in einem echten Turnier mit sichtbaren Menschen zu spielen und dabei möglichst viele von ihnen mit einem billigen roten Deck zu nerven. Eine liebe Spielpartnerin hatte mich auf ein größeres Turnier (Format Modern) aufmerksam gemacht, welches im Juni in Wien stattfinden würde. Dutzende Spieler*innen, das größte Turnier in Ostösterreich seit langem, was wollte man mehr? Die einzige Frage war nun, welches Deck man denn spielen sollte?

Rot, wie mal ein weiser Kommentator auf Youtube geschrieben hat, ist das Zen von Magic the Gathering. Trotz seiner Aggressivität, Schnelligkeit und der Subtilität eines ungeschliffenen Ziegelsteines weist es eine unglaubliche Entspanntheit beim Spielen auf: Entweder habe ich in den ersten zwanzig Karten meines Decks (die Hand natürlich mitgerechnet) genug Schaden liegen, um meine*n Gegner*in auf die magischen Null Lebenspunkte zu bringen, oder eben nicht. Kein Wenn, kein Aber. Maximaler Schaden in minimaler Zeit, oder man geht ohne Sieg heim, so einfach, so schön.

Es sollte dieses Mal also Rot werden. Als alter Spike (uralter Magicslang für eine Person, welcher es vor allem ums Gewinnen beim Spielen ankommt) habe ich immer eine Vielzahl an Deckarchetypen ausprobiert, war allerdings ein wenig durch das Format des Turniers eingeschränkt – Modern sollte es sein, und für dieses Luxusformat hätte ich nur ein moderates Black-Devotion-Deck spielen können. Die Entscheidung fiel auch daher für die günstigere Option aus.

Rot hat natürlich mehrere Möglichkeiten, den Sieg heimzuholen. Von Gimmickkarten wie Tibalt’s Trickery oder Minion of the Mighty abgesehen, welche nie gedruckt hätten werden sollen, kann man sowohl auf Kreaturenflut als auch Magiesturm setzen. Ich entschied mich, auch stark beeinflusst durch das Metagame auf MtG Arena, für einen Mittelweg, welcher vor allem gut mit Sweepern (Zaubern, die alle oder zumindest viele Kreaturen auf einmal vernichten) zurecht kommen sollte.

Die Deckliste zu Anax, Calamity Raid fand ich in einer Facebookgruppe und übernahm sie testweise für das Spielen auf MtG Arena unverändert. Es will mit Hilfe seiner schnell gelegten Kreaturen früh Druck aufbauen, welcher durch seine Verzauberungen Unheilvoller Zirkus sowie Bombardierungsüberfall im Laufe des hoffentlich bald endenden Spieles nur schlimmer wird. Anax als zentrale Kreatur ist besonders gemein gegen Massenvernichtungseffekte, da er im Falle seines Todes ein paar Satyre hinterlässt, deren durch die Verzauberungen erzeugter Extraschaden beim Angriff hoffentlich ausreicht, um den Sieg zu sichern.

Generell haben Theros und die Ravnica-Blöcke (hier speziell die Rakdos-Gilde) viel Gutes für Rot hinterlassen. Neben den bereits erwähnten schadensverstärkenden Verzauberungen sei hier besonders In Szene setzen erwähnt, welche uns mit einem unglaublich starken Kartenzieheffekt dafür belohnt, Schaden zu machen … und wir sind schließlich Rot, das ist unser Markenzeichen.

Finetuning

Nach ein paar (und mehr) vielversprechenden Testspielen war es Zeit, das Deck ein wenig an den eigenen Geschmack anzupassen. Dabei ging es mir eher um Kleinigkeiten. Als größte Maßnahme im Hauptdeck wurden die Sausenden Versenger durch entsprechend viele Chandra, Dienerin des Feuers ersetzt. Als Weltenwanderin ist sie weniger von Massenzerstörungszaubern betroffen und kann darüber hinaus ihre kleinen elementaren Freunde jede Runde aufs Neue herbeirufen. Als Extrabonus ist sie in der Lage, den einen oder anderen Spruch aus dem Friedhof wiederzuverwerten (und die Nekromantie lehrt uns schon, dass Recycling wichtig ist). Für ein paar Euro Kaufpreis beziehungsweise lediglich drei Mana eine definitiv unterschätzte Karte (nicht umsonst war sie im Challenger-Deck Cavalcade Charge dabei).

Da die beiden Karten einen wesentlichen Teil des Decks ausmachen, folgte ich der hehren Tradition, dem eigenen Deck (und sei auch nur eine einzige Karte davon von einem selbst hinzugefügt) einen Namen zu geben. Mal schauen, wie gut Chandranax abschneiden würde.

Meine adaptierte Version von Anax, Calamity Raid.

Eine Welt für sich – das Sideboard

Da wir ein Best-of-Three-Turnier bestreiten würden, war ein wohl durchdachtes Sideboard natürlich ein Muss. Dies sind 15 Karten, die man nach dem ersten von drei Spielen beliebig in das Deck mischen darf. Das soll dafür sorgen, sich ein wenig auf den*die Gegner*in einstellen zu können.

Als jemand, der hauptsächlich auf MtG Arena spielt, ist ein Sideboard Neuland für mich (man spielt dort immer nur eine Partie gegeneinander, es gibt dort zwar ein Sideboard von 7 Karten, dieses ist allerdings nur für spezielle Situationen für bestimmte Karteninteraktionen interessant).

Als netter Mensch wollte man natürlich besonders widerliche und bösartige Sachen in sein Sideboard packen, um die Gegner*innen schon beim Anblick zum Aufgeben zu bringen. Nettigkeiten wie Blutmond, Trümmerorgie, Steppenbrand und Drachenklaue sollten einem viele neue Freundschaften am Tisch einbringen.

Nachdem die Überlegungen zum Deck nun so weit fortgeschritten waren, konnte das Turnier doch nur gut laufen, oder?

Oder. Leider war meine Leistung in diesem Turnier nicht berauschend (um genau zu sein, verlor ich jede Partie außer das Mirrormatch gegen Burn). Zur besseren Darstellung findet ihr hinter den Decknamen, gegen die ich gespielt habe, eine Verlinkung zum Deckarchetypen.

Izzet Phoenix

Mit dem Archetyp Izzet Phönix habe ich meine Probleme. Es tut alles, was Burn kann, nur etwas besser. Kartenziehen? Kein Problem. Spot Removal? Sowieso. Kreaturen mit Eile immer wieder ins Spiel zurück bringen? Das steht schon in unserem Namen.

Das blaurote Izzet lebt von seiner unglaublichen Geschwindigkeit und Fähigkeit, seine Hand immer wieder aufzufüllen und somit Antworten auf die Fragen der Gegner zu haben. Die titelgebenden Phönixe sind da nur der vollziehende Abschluss einer rundum starken Strategie.

BRRock

Ein gutes Midrangedeck, welches von Beginn an Druck aufbauen und dann im Mittelteil des Spieles dank besserer Karten dominieren möchte. Gegen die Kombination aus Kartenabwerfern, die meine Hand attackieren, und guten Removalsprüchen bin ich relativ machtlos und gebe die Partie nach zwei verlorenen Matches ab.

Boros Burn

Boros Burn ist der teure Vetter des monoroten Burns. Normalerweise ist da das ausschließlich rote Original etwas im Hintertreffen, da der weiße Anteil des Borosdecks Lebenspunkte zurück holen kann und somit auf lange Sicht einen ordentlichen Vorteil bietet. Mit etwas Glück und Geschwindigkeit ist es aber trotzdem machbar, das Wettrennen um null Lebenspunkte beim Gegner zu gewinnen.

Ich konnte dieses Match mit viel Glück und Geschwindigkeit und dank eines gegnerischen Fehlers in Runde 2 dennoch für mich entscheiden. Sein Eidolon of the Great Revel wirkt auf uns beide, so weit so schlecht. Es macht uns zwar beiden Schaden (genau aus diesem Grunde halte ich es für keine gute Karte in einem roten Deck – man will zu viele Sachen spielen, die günstig sind und deswegen den Effekt des Eidolons auslösen), mein Gegner sollte das dank des heilenden Anteils von Boros jedoch aushalten können. Ich möchte ihm dieses Eidolon mit einem Spruch wegschießen, er spielt dagegen Deflecting Palm. Ich ärgere mich zunächst etwas, folge dann aber rasch meiner Beamtenseele und lese mir den Regeltext der Karte noch einmal durch. Dieser besagt, dass er sich nur selbst damit schützen kann, nicht aber eine seiner Kreaturen. Der Spruch ist somit umsonst gesprochen, das Eidolon stirbt und in weiterer Folge auch der Gegner.

Fazit

Leider hat es in Summe nur für einen Platz sehr weit hinten bei diesem Turnier gereicht. Die Spiele, an denen wir teilgenommen haben, waren jedoch spannend und lehrreich. Ein großes Danke an dieser Stelle für die jederzeit hilfsbereiten und kompetenten Richter, die auch knifflige Fragen lösten (wenn auch nicht immer, wie sie einem gefallen hätten). Hier findet ihr die Top 8 des Turniers, die bis zum bitteren Ende durchgehalten haben.

Rote Decks sind immer spannend, für einen selbst wie für den Gegner. Gleichzeitig sind sie fast schon zenartig meditativ: entweder ich habe innerhalb der notwendigen Zeit beziehungsweise Karten den notwendigen Schaden, um mein Gegenüber auf null Lebenspunkte zu bringen. Oder eben nicht. Dafür, dass Rot eigentlich die aggressivste aller Farben sein soll, liegt darin auch eine gewisse simple Schönheit. Daher kann man das Spiel relativ entspannt angehen und braucht sich nicht über unpassende Matchups, schlechtes Kartenziehen oder das miese Wetter ärgern.

Und was will man mehr?

Titelbild: depositphotos | Oleruzh
Artikelbilder: © Wizards of the Coast
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Saskia Harendt

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