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Der Mensch ist nicht mehr, die Welt ist vor die Biber gegangen und die fleißigen Nager wollen in Timberborn zeigen, dass sie es besser können. Für die Dammbauer spielt dabei aber das Wasser eine besondere Rolle. Eure Kontrolle über das nasse Gold entscheidet über Sieg und Niederlage eurer Kolonie.

Rund um die Aufbaustrategie ist es zuletzt wieder etwas ruhiger geworden, das Remake Pharaoh: A New Era lässt noch auf sich warten, gerade erst dominierte mit Warhammer III die Echtzeit-Strategie für Feldherren. Selbst der Dauerbrenner und Zeitfresser Anno 1800 hatte zwischenzeitlich erst einmal ein Ende der neuen Inhalten erklärt. Bevor diese jetzt aber wieder anziehen und besagte Neuerscheinungen ins Haus stehen, bot sich damit eine gute Gelegenheit für kleinere Aufbautitel, ihre eigene Nische ins Genre zu schlagen. Indie-Titel wie Banished haben zuvor schon gezeigt, dass es keine riesigen Entwicklungsstudios braucht, um der Aufbausimulation neue Facetten hinzuzufügen.

Denn das etwa siebenköpfige Team des polnischen Studios Mechanistry will seine Unabhängigkeit nicht nur fürs Etablieren neuer Spielelemente nutzen, sondern hat für seinen Erstling auch gleich ein ungewöhnliches Szenario gewählt: Während Spielende in anderen Titeln meist Raumstationen oder mittelalterliche Städte hochziehen und die Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen befriedigen, spielen in Timberborn flauschige und fleißige Biber die Hauptrolle.

Nach dem Menschen ist vor dem Biber

Die Nager sind dabei die einzigen Überlebenden nachdem die Menschheit den Planeten sowie sich selbst zu Grunde gerichtet und die Natur die Welt zurückerobert hat. Die verbleibenden Spuren der Zivilisation finden sich in verrosteten Hochhausskeletten und ein paar Minenschächten. Ansonsten gehört die post-apokalyptische Welt bei Spielstart ganz eurer Kolonie, bestehend aus einem Starthaus und einer Handvoll Pelzträgern. Das witzige Setting nimmt sich hier einige Freiheiten, die anthropomorphen Biber geben sich mit einem Damm im See nicht zufrieden, sondern sind mit dem Ziel angetreten, eine eigene Zivilisation inklusive Fabriken und Sternwarten zu errichten.

Anfangs erinnert Timberborn an andere Aufbauspiele, bevor es schnell eigene Akzente setzt.

Die ersten Minuten spielen sich dabei noch eher bekannt: Pfade müssen angelegt, Ressourcen wie Holz und Beeren zum Erhalt der Kolonie verfügbar gemacht und erste Lager- und Wohnhäuser errichtet werden. Dies erfolgt nicht über die Kontrolle einzelner Nager, sondern über die Verteilung von Bauaufträgen oder Markierung von Ressourcen zum Abbau, welche von der Kolonie in Folge abgearbeitet werden. Wer schon einmal Banished gespielt hat, dürfte sich bis zu diesem Punkt wie zu Hause fühlen.

Im aktuellen Early Access besteht dabei die Wahlmöglichkeit zwischen zwei verschiedenen Fraktionen, den holzverliebten Folktails und den industriellen Iron Teeth. Die großen Spielmechaniken bleiben bei beiden Völkern gleich, die Fraktionen unterscheiden sich sowohl durch den optischen Anstrich als auch unterschiedliche Spezialgebäude. Letztere verschieben den Fokus der Partie im Kleinen durchaus und stellen leicht veränderte Anforderungen an das Siedlungsmanagement. Die Folktails beispielsweise vermehren sich bei ausreichendem Wohnraum automatisch, der Fokus liegt hier darauf, für teuer Holz stets genug Hütten zur Verfügung zu stellen. Für die Iron Teeth ist die Unterkunft dagegen weniger wichtig, denn statt dem Biberstündchen ziehen die grauen Nager die Fortpflanzung aus der herrlich futuristischen Kapselkammer vor – eine stetige Versorgung an Beeren und Wasser vorausgesetzt.

Die Iron Teeth ziehen die Fortpflanzung per Retorte dem Kuscheln am Lagerfeuer vor.

Das Wasser muss fließen

Wasserversorgung ist hier bereits das Stichwort, denn zu diesem Punkt im frühen Spiel biegt Timberborn in neue Gefilde ab. Eine simple Pumpe zur Trinkwasserversorgung ist schnell errichtet und verrichtet stampfend ihr Werk. Zur Weiterverarbeitung des gesammelten Holzes in der Schreinerei wird dagegen ein erstes Wasserrad notwendig, die Fließgeschwindigkeit bestimmt darüber, wie hoch die Energieversorgung ausfällt. Zu diesem Zeitpunkt dürfte der Wetter-Ticker auch darauf hinweisen, dass in wenigen Tagen der Kolonie die erste Dürre-Periode droht.

Mit dem Versiegen des Wassers trocknen nicht nur die angelegten Kartoffel- und Karottenfelder aus, auch die Wasserräder stehen erst einmal still. Letzteres lässt sich kurzfristig durch Strampeln in einem überdimensionierten Hamsterrad ausgleichen, später lassen sich Windräder erforschen, um in der Dürre auszuhelfen. Langfristig liegt die Lösung, gerade auch zur Feldbewässerung, allerdings nicht in Vorräten und Ausharren, sondern darin sich die Umgebung untertan zu machen, Stauseen und Dämme zu errichten und dank Pumpen und Schleusen das kühle Nass zum richtigen Zeitpunkt dort hinzubringen, wo es gebraucht wird.

Kontrolle über das Wasser und der richtige Dammbau motivieren dauerhaft zum Optimieren.

Je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad und Spielfortschritt werden diese Trockenperioden immer länger und unterziehen die eigene Kolonie einem ordentlichen Stresstest. Wer nicht vorgesorgt, die Dämme erweitert und eine kluge Feldbewässerung angelegt hat, kann den Feldern schnell beim Verdorren und den Biberbutzemännern und -frauen beim Verdursten zuschauen. Motivationstechnisch sind die Dürreperioden ein genialer Kniff, lassen sie einen doch immer wieder mitfiebern, ob die letzten Maßnahmen ausreichend waren und legen beim Aussterben der halben Population klar die Schwächen der eigenen Wirtschaft offen.

Das sich um nur eine Ressource die ganze Galaxie drehen kann, wissen wir spätestens seit den kosmischen Gewürzen eines Dune. Timberborn geht hier mutig noch einen Schritt weiter und verankert Wasser als das entscheidende Spielelement fest in seinen Mechaniken. Die Kontrolle des H2Os ist bereits in der Early Acces-Fassung klarer Höhepunkt und Herausstellungsmerkmal, selbst Genre-Veteran*innen werden ganz neue Denkmuster abverlangt. Höhenunterschiede müssen verstanden werden, Fließgeschwindigkeiten ganzer Flüsse justiert und als umgekehrte Katastrophe Überflutungen verhindert werden. Gleichzeitig evoziert der Biberaufbau beste Kindheitserinnerungen auf dem Wasserspielplatz; auch spät in die Partie hinein macht es immer noch einen Heidenspaß, ein neu angelegtes Reservoir erstmals zu fluten und dabei zuzuschauen (fingerkreuzend), ob sich das Wasser wie geplant seine geregelten Bahnen sucht.

Falsch gestaut, hat man schnell VIEL mehr Wasser in der Siedlung als gewollt.

Leider kein Gewusel, dafür aber viel Gepuzzel

Dass die Wasserspielerei auch beim Zuschauen viel Spaß macht ist deshalb hilfreich, da sich die restliche Grafik und Präsentation leider eher zweckmäßig halten muss. Dies sorgt zwar auch bei größeren Kolonien für Übersichtlichkeit und erleichtert die Navigation, kann aber nicht verstecken, dass der genre-typische „Wuselfaktor“ nie wirklich in die Kolonie einziehen kann. Dafür sind die Biber selbst zu polygon- und animationsarm und auch das Wasser lockt nicht mit bezaubernden Strömungen oder Verwirbelungen. Hier zeigt die Engine ihre Grenzen auf und wird dem Setting mit knuffigen Pelzträgern in der Hauptrolle wohl selbst in der Release-Fassung nicht gerecht werden können. Immerhin, bei den Gebäuden und mechanischen Zahnrädern fällt dies kaum ins Gewicht, diese erwecken einen netten Bastelcharme, wenn man dem wirbelnden Windrad über viele sich drehende Verbindungen und Höhenebenen hinweg bis zur Fabrik folgen kann.

Auch hier ist das Puzzeln um die richtige Energieversorgung ein langfristiger Motivator, denn mit Wasser- und Windrädern verbunden durch Übertragungsgestänge lässt sich ein ganzes Energienetzwerk errichten. Dabei ist Timberborn im Early Access noch sehr nachsichtig, es gibt keine Reibungsverluste über weite Entfernungen und für die Energieerzeugung eines Windrades spielt es keine Rolle, ob dieses auf den höchsten Hügeln oder im tiefsten Tal errichtet wird. Energiefresser wie die Schrotmühle oder Papierfabrik müssen ebenfalls angeschlossen werden, hier den effizientesten Weg zu finden, oftmals noch über Höhenunterschiede hinweg, macht einen weiteren Reiz der Simulation aus.

Zahlreiche Zahnräder lassen die Energieversorgung zum unterhaltsamen Puzzle werden.

Stramme Dämme und hohe Häuser

Die schon angesprochenen Höhenunterschiede sind das zweite interessante Hauptelement der Aufbausimulation. Timberborn etabliert das vertikale Bauen so selbstverständlich, dass man sich als Spieler*in durchaus für einen Moment wundert, wieso dieses sich nicht längst in der Breite des Genres durchgesetzt hat. Gebäude mit Flachdach können problemlos aufeinandergestapelt und über Brücken und Treppen verbunden werden. So bekommt selbst ein kleiner Biberbau schnell Großstadtflair, wenn bei Nacht die Lichter aus den mehrstöckigen Wohnheimen funkeln. Da feuchter Boden über lange Teile der Partie rar bleibt und Acker- sowie Forstflächen ordentlich Platz am kühlen Nass brauchen, werdet ihr dauerhaft dazu motiviert, die Vertikale möglichst gut auszunutzen. Einige der Gebäude verlangen sogar nach Platz an der Luft oder am Boden. Wollt ihr euren Bibern zur Entspannung eine Dachterrasse gönnen, muss diese namensgebend natürlich ganz oben errichtet werden, das gemütliche Lagerfeuer zum gemeinsamen Marshmallow-Abend muss dagegen aus Brandschutzgründen am Boden verbleiben.

Auch beim Hochziehen der Dämme ist der Bau in die Höhe ein entscheidender Faktor. Wollt ihr ein neues Reservoir errichten oder einen Seitenarm zur Bewässerung fluten, muss die richtige Stelle identifiziert werden. Natürliche Höhenunterschiede in den eigenen Stauplan einzubauen, spart massig Ressourcen und Bauzeit. Und sollte euch der Hügel doch nicht passen, der von Mutter Natur in eurem Stausee platziert wurde, könnt ihr zu einem späteren Zeitpunkt dank Dynamitfabrik auch natürliche Gegebenheiten kreativ umformen.

Treppen machen den Bau nach oben möglich – und das Ausspannen auf der Dachterrasse.

Hier machen sich einige klobige Funktionen und Designelemente bemerkbar, die das Bauen gerade bei größeren Projekten etwas umständlich machen. Die Wegfindung der Biber erfolgt stets per angelegter Pfade, entfernen diese sich zu weit vom Stadtkern oder wollt ihr ein Element einige Ebenen tiefer errichten, muss dies über ein dazugehöriges Straßenstück erfolgen. Sicher nicht unlogisch und dennoch führt es zu kuriosen Situationen. Wollt ihr beispielsweise per Sprengstoff einen Stausee vergrößern oder vertiefen, weigern sich eure Nager dort hinunter zu tauchen oder schwimmend einen Weg zu finden. Stattdessen errichtet ihr zahlreiche Treppen und Wege nur um diese dann nach und nach wieder rückzubauen. Hier wünscht man sich direkt, dass man über den Entwicklungsbaum mit den generierten Forschungspunkten neben neuen Fabriken und besseren Entspannungsgebäuden, auch einen Taucheranzug für seine Nager freischalten könnte, der im späten Spiel hier Abhilfe schafft.

Potenzial statt Problemen im Frühstadium

Lediglich an diesen Stellen sieht man Timberborn dessen Early Access Status an. Das Tutorial zu Beginn ist rudimentär und bereitet neue Spieler*innen schlecht auf die erste Dürre vor. Ein bis zwei gescheiterte Kolonien zum Start sind völlig normal und teils wichtige Infos zu Gebäuden finden sich leichter im externen Wiki als im Spiel selbst. Bei der Auswahl an Maps und Spielmodi herrscht aktuell auch noch eher Dürre, hier dürfte zukünftig noch viel mehr drin sein. Dies würde auch beim Gesamtbalancing über die Partie hinweg helfen. Aktuell ist der Siedlungsbau durch knappe Verfügbarkeit an abholzbaren Bäumen zu Beginn recht knifflig, habt ihr aber einmal Kontrolle erlangt, schwimmt ihr im späteren Spiel in einer Flut an Ressourcen.

Später im Spiel zieht ihr problemlos eigene Kanäle und legt Plantagen sowie Nutzwälder an.

Gleichzeitig ist das Spiel seit dem Release im September letzten Jahres weiter quicklebendig. Zu Beginn der ersten Testpartien vermisste man schmerzhaft eine Funktion, um Bibern priorisierte Jobs in der Kolonie zuzuweisen (sodass sie bei Arbeitskraftmangel erst einmal die Trinkwasserpumpe am Laufen halten statt sich in der Sternwarte zu parken). Diese und weitere Komfortfunktionen wurden aber mit einem letzten Update nachgeliefert. Auch ganz neue Mechaniken werden weiter fleißig ausprobiert, so kamen mit dem aktuellen Update (Stand Juni 2022) vollautomatische Golems dazu, an denen sich Spieler*innen im späten Spiel die Nagezähne ausbeißen können.

Timberborn macht es durch die konstanten Weiterentwicklungen leicht, von zahlreichen weiteren Features zu schwärmen, die das Potenzial des Spiels voll ausschöpfen könnten – egal ob verschiedene Jahreszeiten, Fluktuation in der Wasserversorgung oder die Einbindung weiterer Gebäudetypen in das Energienetzwerk für mögliche Effizienzsteigerungen. Dies ist allerdings nur möglich, weil das grundlegende Spielprinzip und die motivierenden Kernschleifen um Aufbau, Wasserversorgung und Energiemanagement bereits sehr gut funktionieren und man als Spieler*in nicht dazu gezwungen wird, sich schön zu reden wie gut das Spiel denn mal zu Release hoffentlich sein könnte.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Mechanistry
  • Publisher: Mechanistry
  • Plattform: PC
  • Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Polnisch, Brasilianisches Portugiesisch, Russisch, Chinesisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch, Ukrainisch
  • Mindestanforderungen:
    • Setzt 64-Bit-Prozessor und -Betriebssystem voraus
    • Betriebssystem: 64-bit Windows 7 oder neuer
    • Prozessor: 2-core 1.7 GHz oder besser
    • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
    • Grafik: GeForce GTX 660, Radeon RX 460 oder vergleichbar
    • DirectX: Version 11
    • Speicherplatz: 3 GB verfügbarer Speicherplatz
    • Genre: Städtebausimulation
  • Releasedatum: 15.09.2021
  • Spielstunden: 40
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: k.A.
  • Preis: 20,99 EUR
  • Bezugsquelle: MMOGA, Epic Store, Steam

 

Fazit

Was die handvoll Entwickler*innen des polnischen Studios Mechanistry aus ihrem Biberaufbau bereits im Early Access herausholen ist beeindruckend, voller frischer Ideen und motivierender Spielelemente. Selbst die polygonarme Grafik ohne Wuselfaktor und die fehlende Auswahl an Karten und Spielmodi trübt diesen Ersteindruck nur wenig.

Denn Timberborn präsentiert sich selbstbewusst als durchdachter Aufbauspaß, dessen Ideen bereits vor Version 1.0 sauber ineinandergreifen. Das Anlegen einer gelungenen Wasserversorgung und das optimale Nutzen des Bauplatzes in die Vertikale sind sauber aufeinander abgestimmt, die eigene Energieversorgung weiter zu optimieren ist die Kirsche oben drauf. Und stets lockt mit der nächsten Dürreperiode der Zwischenboss, der die Schwächen eurer Aufbaufähigkeiten eiskalt offenlegt.

So macht es trotz noch fehlender Komfortfunktionen einen Heidenspaß, die perfekte Ressourcenversorgung auszutüfteln und über Stunden hinweg riesige Wasserspeicher als Großprojekte aufzuziehen. Der anhaltende Support durch das Studio lässt dabei auf eine absolute Aufbauperle in der fertigen Version hoffen. Aufbausimulationsfans sollten auch vor Release einen Blick riskieren, denn der Spielspaßdaumen hat jetzt schon eine klare Tendenz nach oben!

  • Wasser als Novum und entscheidendes Spielelement
  • Tolles Terraforming durch vertikales Bauen
  • Spaßiges Puzzeln um perfekte Energieversorgung
 

  • Zweckmäßige Grafik
  • Aktuell kaum Abwechslung bei Karten und Herausforderungen

 

Artikelbilder: © Mechanistry
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Maximilian Düngen
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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