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Marvels Avengers stehen für ganz großes Kino und haben im Filmbereich auch jede Grenze gesprengt, die es bisher gab. Nun bietet ausgerechnet die Qualitäts-Softwareschmiede Square Enix die Möglichkeit, das vielleicht bekannteste Superhelden-Team der Welt selbst zu steuern. Wird das Action-Abenteuer den hohen Erwartungen gerecht?

Videospiele des Superhelden-Genres haben ihren ganz eigenen Reiz. Einmal in die Rollen der größten Helden der Welt schlüpfen: Wer möchte das nicht?

Doch die Maßstäbe in diesem Feld sind hoch. Mit der Batman: Arkham – Reihe wurde das Spiel mit den Superhelden vom freudlosen Herumgedresche zu einem strategischen Erlebnis mit Immersionsfaktor. Gleichwertig und ebenfalls ein Meilenstein war Spiderman auf der PlayStation 4 (PS4). Und nun soll man gleich ein ganzes Team spielen können?

Versprochen wurde ein Action-Abenteuer der Superlative, in dem man die Fähigkeiten und Talente der einzelnen berühmten Held*innen wie Iron Man, Thor, Captain America, Hulk und Black Widow geschickt einsetzen kann, um epische Kämpfe und Missionen zu überstehen. Doch bietet das Spiel wirklich das ganz große Rächer-Erlebnis?

Geschichte

Zumindest das Immersionsgefühl ist den Programmierenden von Anfang an bestens gelungen. Gestartet wird die Geschichte aus der Perspektive der jungen Kamala Khan. Kamala ist Comic-Fan, glühende Verehrerin der Avengers und Teilnehmerin an einem Comic-Wettbewerb, der sie zur großen Convention der Avengers führt. Dort trifft sie ihre Held*innen zum ersten Mal, schwärmt und badet in ihrem Fandom. Leider bleibt die Hochstimmung nicht von Dauer, denn unerwartete Zwischenfälle sprengen im wahrsten Sinne des Wortes das Event. Tage später entwickeln Besucher*innen der Con übernatürliche Fähigkeiten, auf die es die rätselhafte Organisation AIM abgesehen hat. AIM macht Jagd auf die Mutanten, die sogenannten Inhumans, und Khan muss die friedliche Kinderstube hinter sich lassen, um die Avengers wieder zusammenzurufen und selbst ihre Bestimmung zu finden.

Die Geschichte ist liebevoll erzählt und wird durch großartige kleine Querverweise und Sondermissionen zu einem echten Fan-Erlebnis. Zum Beispiel jagt Kamala auf der Convention alten Comics hinterher, die die Original-Cover der ersten Avengers-Bände zeigen. Solche Kleinigkeiten, von denen sich im Spiel viele finden lassen, geben dem Erlebnis Tiefe und fesseln an den Bildschirm.

Features

Kampagnen-Modus

Im Kampagnen-Modus bleibt die Tiefe des Erlebens und die Intensität der Handlung erhalten, jedoch ist die Kampagne kurz und für erfahrene Spieler innerhalb eines Tages durchgespielt. Auch die Arten der Missionen, die man spielen kann, sind sehr begrenzt und ziemlich linear geführt. Nach und nach sammelt man die Avengers ein, lernt ihre Fähigkeiten kennen und spielt Missionen, mal in der einen, mal in der anderen festgelegten Rolle.

Dabei sind die Missionen des Hulk grundsätzlich sehr kampflastig, während man als Iron Man eher ruckelig herumfliegt und Hindernisse aus dem Weg schießt. Black Widow ist für Agenten- und Strategiemissionen eingesetzt. Thor verfügt über mystische Kräfte, und Captain Americas Missionen sind Plattform-Hüpfereien, die an Prince of Persia erinnern. Eine gewisse Eintönigkeit in den Missionsabläufen kann man nicht leugnen.

Leider kommt gerade bei Captain America die etwas zäh reagierende und ungenaue Steuerung zum Tragen, denn die Sprünge können zu frustrierenden Hasserlebnissen werden. In der finalen Szene habe ich etwa 45 Minuten dafür gebraucht, Cap nach einem Wandlauf auf eine Plattform springen zu lassen. Das war regelrecht unerträglich. Captain America ist aber nicht die einzige Figur mit Steuerungsproblemen. Auch die Flugmissionen mit Iron Man können zäh und frustrierend sein, wenn die Figur wieder einmal zu langsam reagiert. Dann trifft er das eine oder andere Hindernis oder ignoriert schon einmal eine Abzweigung, in die man ihn gesteuert hat, völlig. Man spürt förmlich, wie der Blechanzug Dellen bekommt.

Auch sind die Ladezeiten nach einem Scheitern oder dem Versterben eines Charakters auf der PS4 eine Zumutung. Minutenlanges Starren auf den Ladebildschirm wirkt wie eine echte Strafe für das Versagen in der Mission. Man möchte sich in Selbstmitleid ertränken oder alternativ den Controller an die Wand werfen. Bleibt zu hoffen, dass sich das nach dem kostenlosen Update auf die PS5 verbessert.

Missionen und Missionsauswahl

Im Laufe des Kampagnenmodus, aber auch im späteren Spielverlauf lassen sich eine ganze Menge freier Missionen auswählen. Diese sind in der Regel für eine Hauptfigur ausgewählt, man kann aber selbst bestimmen, welche Begleiter*innen man mit in die Schlacht nehmen möchte. Je nach Missionstyp und nach Ort, wo man diese Mission ausgesucht hat (also ob im Helicarrier der Avengers oder in der Rebellenbasis der Inhumans) gibt es verschiedenen Belohnungen, welche als Währung in den Shops dienen können. Leider sind die Missionen sehr repetitiv, viel Abwechslung wird also nicht geboten. Zugegeben, die schiere Menge an wählbaren Einsätzen wirkt auf den ersten Blick bombastisch, doch bleibt es bei den immer gleichen Tätigkeiten, die den verschiedenen Avengers zugeordnet sind. Dieser Mangel an Abwechslung trägt leider nicht zum Wiederspielwert von Marvel Avengers bei. Schon nach wenigen Stunden entsteht der Eindruck, man habe bereits alles gesehen, was das Spiel zu bieten hat. Die Eintönigkeit der Szenerien und Hintergründe lastet ebenfalls dröge auf dem Gemüt der Spielenden.

Charaktere und Entwicklung

Im Laufe des Spiels werden verschiedene Shops für Ausrüstung, Kostüme und ähnlich nützlichen Krimskrams freigeschaltet. Durch Zusatzmissionen lässt sich die passende Währung hinzuverdienen.  Das Shoppen macht tatsächlich Spaß.

Hinzu kommt eine Möglichkeit der Charakterentwicklung, die an Arkham oder Spiderman erinnert. Mit der Zeit können neue Skills freigeschaltet und neue Ausrüstung angelegt werden. Während die Auswahl an Ausrüstung umfangreich und nett ist, sind die Skills jedoch bescheiden. Ein Charakter lässt sich sehr schnell fertig steigern. Vielleicht wird im Laufe des Spielerlebnisses versucht werden, durch schiere Fülle an spielbaren Avengers dieses Manko auszugleichen, doch ob dies zu einem echten Mehrwert führen wird, bleibt leider noch abzuwarten. Bisher überzeugt das Charaktersystem wenig, zumal es nicht mit Innovationen aufwarten kann.

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Eine wachsende Welt

Erst nach dem Durchleben der Kampagne soll das Spiel seine wahre Qualität entwickeln: eine ständig wachsende Zahl an Missionen, ein sich kontinuierlich vergrößernder Held*innen-Kader und jahrelanger Spielspaß werden versprochen. Leider hat mich die Kampagne durch die ruckelige Steuerung und die höchstens durchschnittliche Grafik nicht so bei Laune halten können, dass ich in die nachfolgenden Modi tief eingetaucht wäre. Zumindest in den ersten Tagen des Spiels war doch ein Mangel an Abwechslung und ein hohes Maß an Frustration dem Spielerlebnis deutlich abträglich.  Es würde sich sicher lohnen, nach einigen Monaten noch einmal zu schauen, wie sich die Spielwelt erweitert hat und was möglich geworden ist. Zudem bietet das Spiel ein kostenloses Update auf die PS5-Version, das hoffentlich weitere Verbesserungen in der Grafik und Steuerung bringen wird.

Wichtig ist es, an dieser Stelle anzumerken, dass es sich bei Marvel Avengers nicht um ein klassisches Open-WorldSpiel handelt. Stattdessen kann man sich innerhalb der Einsatzgebiete frei bewegen, muss diese aber erst einmal auswählen, um aktiv werden zu können. Dieses free roaming kann dann zu versteckten Kisten mit Spezialgegenständen, Verbündeten in Bedrängnis oder anderen kleinen Sub-Missionen führen. Ein völlig freies Entdecken der Avengers-Welt gibt es aber nicht. Das Hauptaugenmerk liegt insgesamt weniger auf der Einzelspieler-Erfahrung und dem Entdeckungsdrang, sondern auf vernetzten Multispieler-Missionen mit rasantem Gameplay. Diese bauen nicht auf Exploration und Eintauchen in den Charakter, sondern auf schnelle Missionserfüllung und kurzweiligen Spielspaß. Das macht das Spiel eventuell interessant für eine Fortnite-Generation, für Spieler*innen, die sich auf ein echtes Marvel-Erleben gefreut haben, dürfte dies eher enttäuschend sein.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Crystal Dynamics, Eidos
  • Publisher: Square Enix
  • Plattform: PS4/, PS5/,Xbox One/, Steam
  • Sprache: Deutsch/, Englisch/, Französisch/, Spanisch/, Italienisch
  • Genre: Action
  • Releasedatum: 03.09.2020
  • Spielstunden: unbegrenzt
  • Spieleranzahl: 1 oder online Multiplayer
  • Altersfreigabe: 12
  • Preis: 58,47 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Mit Marvel Avengers hat das Superhelden-Genre ein weiteres unterhaltsames Spiel gewonnen.  Leider bleibt es in der aktuell vorliegenden Form auf der PS4 deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zwar wurde der Fan-Faktor liebevoll mit vielen kleinen Details bedient, und auch die Story des Kampagnenmodus ist spannend erzählt. Doch ruckelige Steuerung, zu lineare Erzählweise und durchschnittliche Grafik bremsen den Spielspaß deutlich. Auch die Charakter-Tiefe und -Entwicklung der einzelnen Figuren lassen zu wünschen übrig. Hoffnung liegt auf dem kostenlosen Update auf die nächste Konsolengeneration sowie auf der wachsenden Spielwelt. Jedoch bin ich noch nicht sicher, ob der Reiz bis dahin erhalten bleibt. Vorerst muss ich gestehen, das Spiel beiseite gelegt zu haben.

Artikelbilder: © Square Enix
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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