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Nach zwei Jahren im Early Access sind wir gespannt, ob sich das Warten auf die Veröffentlichung von Gloomhaven Digital gelohnt hat. Kann der digitale Dungeon Crawler genauso überzeugen wie der „König der Brettspiele“, der weiterhin die Rangliste bei Boardgamegeek anführt? Gilt noch: Was könnte besser sein als mehr Gloomhaven?

Alles, was „Gloomhaven“ heißt oder damit in Verbindung steht, wird automatisch zum Erfolg, so scheint es. Während die Fangemeinde weiter auf Isaac Childres‘ nächstes vermeintliches Meisterstück Frosthaven wartet, schafft es die digitale Umsetzung von Gloomhaven nach über zwei Jahren Early Access endlich in die Veröffentlichung. Neben dem Originalspiel haben wir auch die „Lightversion“ Pranken des Löwen und auch den Early Access der Digitalversion bereits für euch angeschaut. Was sich seitdem getan hat, berichten wir hier:

Der Guildmaster Mode

Der Spielmodus aus dem Early Access ist als Guildmaster Mode weiter dabei und kann mit bis zu vier Abenteuersuchenden online bestritten werden. Hier können die verschiedenen Charaktere kennengelernt und kleinere Ziele verfolgt werden. Die Geschichte, die die einzelnen Quests einrahmt, ist deutlich dünner als in der Kampagne des Brettspiels und nicht mit vorgelesenen Textpassagen ausgestattet.

Zusätzlich sind die verschiedenen Dungeons nicht immer gleich aufgebaut, sondern mit randomisierten Raumanordnungen und Monsterpositionen ausgestattet. Das erhöht den Wiederspielwert.

Zum Vergleich das Szenario 1 im Guildmaster Mode. Sieht es bei euch anders aus?

Beim Inox Trainer können viele verschiedene kleinere Ziele freigespielt werden, was es erstaunlich motivierend macht, mit verschiedenen Vierergruppen durch den Guildmaster Mode zu streifen. Dabei wird eine zufällige Abenteuerkarte mit vielen kleinen Startstädten freigespielt, über die wieder neue Szenarien freigespielt werden können. Je Charakter gibt es spezielle Szenarien zu finden und kleinere Mini-Geschichten spielen.

Die digitale Kampagne

Seit Juli 2019 und dem Start des Early Access ist viel passiert im digitalen Gloomhaven: Die komplette Kampagne des Brettspiels mit 95 Szenarien ist nun genauso umgesetzt wie die 34 Monstertypen und alle 17 spielbaren Charaktere mit ihren eigenen Kartendecks. Die Charaktere der Abenteuergruppe können an bis zu vier Mitspielende verteilt werden. Das Gruppenmanagement ist dabei recht gut mit Steam-Integration oder Versenden von Links gelöst.

Auf dieses Bild starrt man bei Mehrspielerkampagnen gerne ein paar Minuten, bis alle startklar sind.

Etwas seltsam ist jedoch, dass das ganze Spiel für eine knappe Minute nicht bedienbar ist, wenn jemand der Spielsitzung beitritt. Dass der Spielfortschritt automatisch gespeichert wird und später fortgesetzt werden kann, fällt dagegen positiv auf. Manuelles Speichern und Laden ist natürlich auch möglich.

In der Kampagne können die Charaktere dann beim Händler ausgerüstet und gelevelt werden. Wenn alle bereit sind, kann der Host das nächste Quest-Ziel vorschlagen, dem dann alle anderen zustimmen müssen. Für Ereignisse in der Stadt oder auf der Straße zum nächsten Dungeon trifft leider der Host allein die Entscheidung über die gewählte Handlungsoption – ein Abstimmungssystem für alle Charaktere wäre schöner.

Bei den Encounter-Entscheidungen fehlt leider ein Abstimmmechanismus.

Am Ort des Geschehens angekommen, werden noch letzte Anpassungen an den Kartendecks vorgenommen und ein privates Ziel für das Szenario ausgewählt, bevor es dann losgeht. An dieser Stelle kommt eine der größten Annehmlichkeiten im Vergleich zum Brettspiel zum Tragen: Der Dungeon ist fertig aufgebaut, niemand muss puzzeln oder Möbelstücke und Fallen platzieren. Das aufgebaute 3D-Ergebnis ist sehr hübsch: Gerade die Monster sind als 3D-Modell im Vergleich zu den Pappaufstellern aus dem analogen Vorbild eine Augenweide.

Wie im Brettspiel geht der Kampf los, wenn alle Mitgereisten ihre zwei Karten für die erste Runde ausgewählt haben. Jede Runde spielen alle gleichzeitig verdeckt zwei Karten, wobei die Zahl in der Mitte der zuerst gespielten vorgibt, wann der eigene Charakter am Zug ist. Alle Karten sind zweigeteilt und haben auf der oberen meist Angriffs- und auf der unteren Hälfte Bewegungsaktionen.

Anschließend wird für jede Monstergruppe eine Karte vom Monsterdeck gezogen. Der Ablauf der Spielrunde ist nun also bekannt und es kann taktisch entschieden werden, wie man eine der „Oben“-Aktionen mit der „Unten“-Aktion der anderen Karte kombiniert. Diese Kombination aus zwei Karten zur Initiativebestimmung und Aktionswahl ergibt ein gleichzeitig erfrischend einfaches und doch vielseitiges System, die Züge zu planen und abzuwickeln.

Diese geniale Mechanik ist auch in der digitalen Version gut umgesetzt. Die begrenzten Möglichkeiten, Züge zurückzunehmen und manche, nicht ganz eindeutige, Anzeigen bei der Zielauswahl oder Sichtlinienprüfung lassen das Spiel (noch) schwieriger als in der Brettversion wirken.

Schreiten die 3D-Charaktere zur Tat, zeigt das Spiel weitere wirklich schöne Seiten: Die stimmungsvolle Musik-Untermalung wird durch viele unterschiedliche Sounds und Animationen für die gewählten Charaktere und Aktionen ergänzt.

Im Kampf werden für alle involvierten Charaktere und Monster noch Karten von einem Kampfdeck gezogen, um die Angriffswerte ähnlich einem zwanzigseitigen Würfel zu verändern. Dieses Deck ist zu Beginn für alle Charaktere und Monster gleich, verändert sich aber bei einem Charakter mit jedem Perk, den es bei Levelaufstieg oder für erledigte Mini-Ziele gibt.

Auch diese Kartenmechanik findet elegant umgesetzt eher im Hintergrund statt. Sämtliche Berechnungen können aber jederzeit auch in einem Onscreen-Log nachvollzogen werden.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: Flaming Fowl Studios
  • Publisher: Asmodee Digital
  • Plattform: PC und Mac
  • Sprachen: Sprachausgabe: Englisch, Interface: Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch
  • Mindestanforderungen: i5-3470, 8 GB RAM, Geforce GTX 760 / macOS 11, 2,7 Ghz, 8 GB RAM
  • Genre: Dungeon Crawler / Taktisches Rollenspiel
  • Releasedatum: 20.10.2021 (macOS 25.11.2021)
  • Spielstunden: > 100
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Preis: 34,99 EUR

 

Stand der Entwicklung

Nach dem Launch am 20.10.2021 hat Asmodee Digital noch einige Updates, davon mindestens zwei größere veröffentlicht. Am 16. November wurden mit Friendly und Deadly zwei weitere Schwierigkeitsstufen nachgeliefert. Diese extremen Schwierigkeitsstufen werden nur Fans oder sehr gemütliche Spieler benötigen.

Neben Reparaturen für das Ping-System und die Zielauswahl wurden auch sehr sinnvolle Hausregeln eingeführt.

Danach wurde am 25.11. bereits der Mac-Support nachgeliefert und kurz vor Weihnachten (am 20.12.) kamen noch einige Quality of Life Features hinzu. Diese wurden auch dringend benötigt, um einige hakelige Bedienungsmängel auszubügeln.

Nichtsdestotrotz ist es auch nach der Nutzung des Tutorials empfehlenswert, sich die Tastenbelegung in den Optionen noch genauer anzuschauen, da hier sinnvolle Funktionen wie das Anzeigen der Karten jedes Charakters über die jeweiligen Zahlentasten zu finden sind. Auch Achievements wurden mit diesem Update nachgeliefert.

Macht Asmodee Digital in dem Tempo weiter, sollte Gloomhaven Digital schon bald ein rundes Produkt ergeben. In den Daten zum Spiel scheint es bereits Hinweise auf einen DLC zu Pranken des Löwen zu geben – zumindest hat die Steam-Analyseseite Steam DB diese bereits gefunden und aufgelistet. Auch die Nutzungszahlen sehen dort vielversprechend aus.

Fazit

Mit was wollen wir Gloomhaven Digital vergleichen? Mit anderen taktischen Rollenspielen wie XCOM oder gar Baldur‘s Gate kann es hinsichtlich Story oder Komplexität bei Weitem nicht mithalten. Als Brettspielumsetzung sucht es aufgrund der Komplexität der Vorlage jedoch seinesgleichen. Es ist zu vermuten, dass Asmodee hier groß investiert, da davon auszugehen ist, dass Frosthaven eine ähnliche Umsetzung erfahren und vieles dafür übernehmbar sein wird. Allerdings lässt sich Asmodee Digital Gloomhaven Digital auch gut bezahlen. Circa 35 EUR pro Lizenz sind für eine Vierer-Gruppe genauso viel wie das Brettspiel zum Originalpreis: ganz schön teuer.

Was am Ende für die Bewertung ausschlaggebend ist, ist vor allem der Spielspaß: Nach etwas Eingewöhnungszeit in die Steuerung, die im Tutorial weitestgehend gut erklärt wird, ist dieser hoch. Wie im Brettspiel sind die Belohnungen nach jedem Szenario sehr motivierend: Ob es neue Gegenstände, Gold, Erfahrungspunkte, Levelaufstiege oder gar neu freigespielte Charaktere sind: die Szenarien und Mini-Ziele fesseln. Häufig haben wir nach einer Runde überlegt, ob wir genügend Zeit haben, ein weiteres Szenario zu spielen – und dass, obwohl wir im Vergleich zum Brettspiel deutlich häufiger verloren haben!

Man kann den digitalen Durchlauf nutzen, um andere Wege als im Brettspieldurchlauf auszuprobieren – auch das motiviert in der Kampagne sehr. Vermutlich ist ein dritter Durchlauf durch die Kampagne weniger spannend, sodass man sich mit dem Guildmaster Mode über Wasser hält, bis Frosthaven erscheint.

Gloomhaven Digital hätte beinahe die Bestnote verdient, aber sowohl der Preis als auch die teilweise etwas hakelige 3D- und Aktions-Steuerung sorgt für etwas Punkteabzug. Es erscheinen aber noch regelmäßig Quality-of-Life-Updates, die in der Steuerung/Darstellung verbessern und nützliche Funktionen wie Hausregeln nachliefern.

  • Originalgetreue Umsetzung
  • Geniale Kartengrundmechanik
  • Motivierende Szenarien-Belohnungen
 

  • Hoher Preis
  • Bedienung und Darstellung teilweise hakelig

 

Artikelbilder/Screenshots: © Asmodee Digital
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Alexa Kasparek
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

1 Kommentar

  1. naja… „hoher Preis“ …

    wenn man regelmässig die Steam Sales mitmacht oder einfach mal etwas wartet wird der Preis schneller sinken als gedacht. Etwas das beim „echten Vorbild“ ja eher nicht der Fall sein wird :)

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