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Immer mehr Brettspiele werden digital umgesetzt – für Steam, die Switch oder andere Konsolen. Da darf natürlich auch der erfolgreiche Dungeon Crawler Gloomhaven nicht fehlen, der tapfer die Top-Liste der Brettspiele anführt: Wir haben die Early-Access-Version von Gloomhaven Digital für euch getestet.

Disclaimer: Wer das Brettspiel noch nicht kennt, dem sei unser ausführlicher Bericht zu Gloomhaven empfohlen. Dort wird auch ausführlich auf die Regeln eingegangen. Dieser Artikel hier geht davon aus, dass zumindest ein grundlegendes Verständnis der Spielmechanik bekannt ist.

Seit Mitte Juli ist Gloomhaven Digital nun im Early-Access spielbar.

Erster Raum – Das Team bestehend aus Cragheart und Spellweaver macht sich auf in seinen ersten Kampf.
Erster Raum – Das Team bestehend aus Cragheart und Spellweaver macht sich auf in seinen ersten Kampf.

Charaktere

Im Early Access sind aktuell vier Klassen, von denen jeweils zwei als Team ausgewählt werden können, spielbar. Das Spiel mit drei oder allen vier Klassen wird zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar sein, ebenso wie die fehlenden beiden Startklassen: Quatryl Tinkerer (ein guter Heiler für große  Partys, der aber auch ordentlich austeilen kann – geplant für das dritte Quartal 2019) und der Vermling Mindthief (ein Schurke mit Geistesbeeinflussung und Rattengefährten – geplant für das erste Quartal 2020).

Klassenkombos – Die aktuell spielbaren Zweierteams mit Einschätzung des Schwierigkeitsgrades
Klassenkombos – Die aktuell spielbaren Zweierteams mit Einschätzung des Schwierigkeitsgrades

Die Zweier-Kombos sind mittlerweile durch Totenschädel in Schwierigkeitsgerade eingeteilt. Die Kombination ohne Tank (Scoundrel-Spellweaver) ist die eindeutig schwerste und wurde von der Community des Brettspiels als unspielbar bewertet. Die vier spielbaren Klassen sind folgende:

Brutes sind die klassischen Rollenspiel-Kämpfer/Fighter und somit relativ simpel und für Anfänger angenehm zu spielen. Die Brutes teilen im Nahkampf ordentlich aus, können aber mit ihrer hohen Gesundheit auch viel einstecken. Selbst widerstandsfähige Gegner ringt diese ideale Startklasse somit gerne nieder.

Scoundrels sind Schurken, die den Gegnern im Nahkampf — und möglichst häufig unsichtbar — enormen Schaden zufügen. Je nach Spezialisierung können sie mehrfach zuschlagen, Gegner vergiften, geschwächte Ziele meucheln oder mit Wurfmessern um sich werfen. Rollengerecht können sie auch ihre Gegner um Ausrüstung oder Gold erleichtern. Scoundrels spielen sich sehr geradlinig, weshalb sie für Einsteiger eine gute Wahl sind. Ihr Schadenpotenzial auszuschöpfen macht allerdings auch Experten Spaß. 

Craghearts gehören zu den flexibelsten Klassen im Spiel. Sie werfen Felsen und bringen Dinge zum Explodieren. Durch ihre Vielseitigkeit können Sie sowohl als Tank, für Flächenschaden oder auch als Heiler mit Crowd-Control-Fähigkeiten spezialisiert werden. Craghearts sind somit sowohl für Einsteiger als auch für Profis eine gute Wahl.

Spellweaver sind die vielseitigen Magier im Spiel. Wie die Craghearts sind sie sehr flexibel einsetzbar: Als Fernkämpfer, Unterstützer oder eine Mischung aus beidem. Am liebsten halten sie sich in sicherer Distanz zum Kampfgeschehen auf, um ihre niedrige Gesundheit nicht auszureizen. Wenn es hart auf hart kommt, können sie aber auch Schaden verhindern, heilen oder Helfer beschwören. Hohen Schaden auch mit Flächenangriffen auszuteilen, zu heilen und zu unterstützen, ist in jeder Gruppe willkommen, organisatorisch ist das allerdings nicht ganz einfach. Spellweaver sind daher nicht die beste Wahl für Einsteiger.

Adventure Mode

Der Kampagnenmodus wird zu einem späteren Zeitpunkt implementiert, aktuell ist nur der sogenannte Adventure Mode spielbar. Hier sucht man sich eben eine Zweier-Kombi aus und stellt den Schwierigkeitsgrad ein: normal, hard und insane. Spannend ist, dass die reguläre Umsetzung des Brettspieles dem Insane-Modus entspricht. Das Ziel ist es, die drei bislang implementierten Bossgegner zu besiegen. Zu diesen gelangt man auf einer Landkarte.

Adventure Start – Ein wenige Flavour darf nicht fehlen: Im Hintergrund sind die drei möglichen Wege nach Schwierigkeit farbkodiert.
Adventure Start – Ein wenige Flavour darf nicht fehlen: Im Hintergrund sind die drei möglichen Wege nach Schwierigkeit farbkodiert.

Nach ein wenig Einleitungstext ist der Spielaufbau auf der Landkarte dann immer gleich. Man wählt ein neues Reiseziel, wiederum auf einem leichten, mittelschweren und schweren Weg. Wenn man am Ziel (bei dem es manchmal einen Shop gibt, um Gegenstände zu kaufen) ankommt, gibt es unterschiedlich viele Erfahrungspunkte, Gold und Gegenstände. Aber die eigentlichen ein bis drei Szenarien liegen auf diesen Wegen. Da die Belohnungen hier sehr unterschiedlich ausfallen, kann man jederzeit sehr modular seine Strategie wählen.

Begegnung – Da ist er wieder: Der alte Weinhändler sollte sich mal bessere Räder zulegen. Bis dahin heißt es anpacken oder ausrauben.

Aber man sollte aufpassen: Wird eins der Szenarien verloren, geht es quasi zurück auf den letzten Speicherstand und das ist der Startort. Man verliert also gegebenenfalls den Fortschritt von zwei früheren Szenarien, wählt man einen Dreier-Weg, bei dem man im dritten Spiel keinen Erfolg hat. Auf dem Weg kommt es manchmal noch zu Begegnungen, analog zu den Karten im Spiel, und man trifft Entweder-Oder-Entscheidungen, wie dem Weinhändler mit seinem Achsbruch zu helfen, oder ihn doch lieber trotz oder ob seiner misslichen Lage auszurauben. Vielleicht erweist er sich ja als dankbar?

Doch dann geht die Reise los und man startet sein erstes Szenario. Diese fühlen sich sehr vertraut an für diejenigen, die bereits das Brettspiel gespielt oder einen Stream gesehen haben. Man wählt zwei seiner Karten aus, danach wird, entsprechend der eigenen Initiative, eine Oben- mit einer Unten-Aktion kombiniert, Gegner getötet, eigener Schaden geheilt, Münzen und vielleicht Schätze (mit weiteren Münzen) aufgesammelt oder gerastet, um verbleibende Handkarten wieder aufzunehmen. (Bei Interesse an einer ausführlichen Beschreibung der Spielmechaniken, sei noch mal auf den Artikel zum Brettspiel hingewiesen.)

Mit den Münzen kann man an manchen Orten Gegenstände kaufen, wobei man auch einige davon als Abenteuerbelohnung bekommt. Da man allerdings keinen sich steigernden Markt hat und man theoretisch unendlich oft spielen könnte, gibt es die Veränderung, dass Gegenstände (außer denen, die jeder Charakter am Beginn erhält) sich nach ein paar Szenarien verbrauchen. Das irritiert erst etwas, ergibt aber in diesem Modus Sinn. Zudem hat man keinen Zugriff auf einen offenen Markt mit wirklich teuren Gegenständen. Gold wird damit irgendwann zur Nebensache, wodurch der Nervenkitzel des Brettspiels stark gemildert wird. Dort muss man sich jedes Mal fragen, ob man diese eine Münze aufheben will, auch wenn man einen effektiveren Zug gegen die Feinde machen könnte.

Auch gelevelt wird etwas anders. Man bekommt – wie im Brettspiel – zwar mehr Hitpoints, kann aber aus drei zufälligen Karten auswählen, statt aus den beiden, die für das jeweilige Level vorgesehen sind. Möglicherweise soll auch hiermit der Wiederspielwert erhöht werden.

Schließlich gelangt man zum ersten Boss und merkt, dass diese Kämpfe es immerhin ganz schön in sich haben.

Startschwierigkeiten

Wie eingangs erwähnt (in diesem Artikel und im Spiel), handelt es sich um einen Early Access. Am ersten Tag wurde noch jedes dritte Spiel nicht geladen. Dieser und weitere Bugs wurden allerdings direkt gefixt. Aber auch danach kam es zu ein paar Obskuritäten, wie Karten, die sich nicht mehr ausblenden ließen, oder einem gegnerischen Summon, das direkt wieder gestorben ist. Insgesamt läuft das Spiel aber recht flüssig. Oder würde es, wenn ich nicht auf meinem alten iMac im Bootcamp-Modus spielen müsste, da es aktuell nur eine Windows-Version gibt und die graphischen Anforderungen (für eine Brettspielumsetzung) nicht ganz ohne sind, um die volle Pracht genießen zu können.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Asmodee Digital
  • Autoren/Developer: Isaac Childres (Brettspiel), Flaming Fowl Studios (PC Umsetzung)
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Englisch
  • Spieldauer: 30-45 Minuten (pro Szenario)
  • Spieleranzahl: 1 (aktuell, später bis zu 4)
  • Preis: 25,00 Euro
  • Bezugsquelle: Steam

Systemanforderugen (Minimum):

  • OS: Win 7 64 Bits
  • Prozessor: Intel Core 2 Duo E4700 2.6 GHz
  • Arbeitsspeicher: 4 GB RAM
  • Graphikkarte: NVIDIA GeForce GTX 460 1GB
  • DirectX: Version 10
  • Speicher: 4 GB

Fazit

Auf dem Brettspielmarkt gibt aktuell nicht viel, was so gut ist wie Gloomhaven mit seinen 150 offiziellen Szenarien – außer natürlich noch mehr Gloomhaven. Viele Spielgruppen kommen nicht so schnell weiter, weil schließlich niemand mehr genug Zeit hat und sogar mal ein anderes Spiel gespielt werden will – und dabei ist es nicht hilfreich, dass auch Kampagnenspiele mittlerweile aus dem Boden sprießen. So spielen einige Leute das Spiel sowieso allein daheim. Und da spart ein System, das einem die ganze Arbeit (Auf- und Abbau, sowie Verwaltung) abnimmt, natürlich Platz und vor allem Zeit neben dem Kostenfaktor, denn das Brettspiel kostet das fünf- bis sechsfache.

Der Umfang ist aktuell aber noch stark reduziert. Und das wichtigste, motivierende Kernelement fehlt noch: das Metagame. So interessant jedes einzelne Szenario ist, in dem jede Spielrunde ein kleines Puzzle für die beste taktische Spielweise ist, ebenso wichtig ist die Möglichkeit, Charaktere freizuspielen, Szenarien- wie Lebenszielen nachzugehen, die Stadt und den Markt aufzubauen und einer zusammenhängenden Geschichte zu folgen (auch wenn diese sich in der Hauptkampagne irgendwann bei unserer Gruppe verloren hat).

Die wenigen Gegnertypen und Klassen stören aktuell für ein Casual Game nicht, aber nachdem ich mich jetzt bereits dreimal von dem Weinhändler für meine Hilfe habe beschimpfen lassen, frage ich mich doch, ob man hier nicht schnell ein paar weitere Begegnungen schreiben könnte.

Wo ist das Battlelog? Die Animationen sehen gut aus, aber darunter geht der taktische Aspekt ein wenig verloren, wenn man die Zahlen nicht so vor Augen hat, wie es möglich wäre.

Was im Gameplay wirklich fehlt, ist ein Battle-Log. Schön ist, dass man jederzeit sehen kann, wie viele Karten im Kampfdeck (der Würfelalternative) bei jedem Helden oder den Gegnern noch enthalten sind, um Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen, aber um zu schauen, was gerade schief- oder erstaunlicherweise gutgelaufen ist, ist ein Battle-Log mittlerweile Standard. Ein weiterer Punkt ist, dass man gerne jederzeit seine Karten betrachten können möchte, vor allem, wenn man nach einer kurzen Rast entscheiden muss, ob man diese Karte oder doch lieber eine andere opfert. Aber schon in den ersten zwei bis drei Wochen hat sich am Interface etwas getan und wir sind gespannt auf weitere Verbesserungen.

Doch vor allem die Perspektive, in etwa einem Jahr eine komplett neue Kampagne regelmäßig und für ein, zwei Spiele abends zwischendurch mit Freunden irgendwo auf der Welt spielen zu können, lässt mich gespannt sein darauf, wie sie es schaffen wollen, bis dahin durch immer mehr Content den Spielspaß zu erhalten. Und sonst komm ich sicher später wieder.

Mit einem Minus für die Langzeitmotivation des Early Access,
aber mit dem Potential Richtung 5

 

Artikelbild: Asmodee Digital, Screenshots: Daniel Hoffmann, Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

1 Kommentar

  1. Schön, dass es nicht eins zu eins das Brettspiel in digital ist, sondern dass es Unterschiede gibt. Das macht es auch interessant, wenn man eine bestehende Gloomhaven-Runde hat. Viel von dem Spaß, den ich an Gloomhaven habe, kommt allerdings vom Haptischen: Versiegelte Boxen öffnen ist einfach cool. Digital stelle ich mir das wesentlich weniger spannend vor. Ich hoffe, sie schaffen es, das irgendwie zu kompensieren.

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