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Im Schatten des Zweiten Weltkriegs und im Herzen der Toskana wird eine junge Frau ermordet. Mit einer Kamera und dem Willen, die Wahrheit herauszufinden, kämpft ihre Zwillingsschwester gegen ihre ganz persönlichen Albträume. In eindrucksvollen Bildern erzählt Martha Is Dead eine ebenso tragische wie schaurige Geschichte

Nicht wenige Spieler*innen dürften die italienische Spieleschmiede LKA von The Town of Light (2016) kennen. Mit der bewegenden wie auch schmerzhaften Geschichte um die junge Renée hat das Studio seine Erzählkünste unter Beweis gestellt. Da ist es kaum verwunderlich, dass der in den Startlöchern stehende neue Titel des Studios – Martha Is Dead – bereits zwei Auszeichnungen gewonnen hat: Bei den Game Connection x Chinajoy 2021 Global Game Development Awards wurde das Spiel mit „Best Storytelling Game 2021“ betitelt und gewann außerdem den „People’s Choice Award 2021“. Die Teilzeithelden haben sich das vielversprechende Spiel einmal genauer angesehen. 

Für diesen Artikel wurde eine Vorab-Version von Martha Is Dead gespielt. Die hier besprochenen Inhalte sind nicht final und können bis zur Fertigstellung des Titels Änderungen unterliegen. Die Vollversion von Martha Is Dead erscheint am 24.02.2022.

Für diesen Spieltest wurden die ersten sieben von insgesamt zwölf Kapiteln von Martha Is Dead gespielt. Hierfür wurden circa drei Stunden benötigt. Es wurden die englische Sprachausgabe sowie englische Untertitel gewählt.

Ein Mord in San Casciano

Italien, 1944: Die junge Giulia findet den leblosen Körper ihrer Zwillingsschwester Martha in einem nahen See treibend. Der Mord lässt die Tochter eines deutschen Soldaten mit vielen Fragen und dem Wunsch, die Wahrheit aufzudecken, zurück. Schnell stellt sich heraus, dass dieses Unterfangen keinesfalls leicht ist. Neben einer Realität, die sich – befeuert durch schauerliche Folkloreüberlieferungen – mehr und mehr mit Giulias Albträumen vermischt, sieht sich die Protagonistin mit den Schrecken des Zweiten Weltkriegs konfrontiert.

Protagonistin Giulia erzählt ihre Geschichte.

Bei Martha Is Dead handelt es sich um einen Psychothriller mit Horror- und Adventure-Anleihen – und manchmal überraschend blutigen Szenen. Der düstere Titel erinnert entfernt an Titel wie The Suicide of Rachel Foster und The Vanishing of Ethan Carter, wenngleich er durch seine thematische Schwere und seine brutalen Bilder an Alleinstellung gewinnt. Vor Blut und verstörenden Inhalten, beispielsweise verstümmelten Leichen, schreckt Martha Is Dead nämlich keinesfalls zurück.

Die Protagonistin

Im Zentrum der Handlung von Martha Is Dead steht Giulia. Die Protagonistin muss nicht nur allein den Tod ihrer Schwester verarbeiten und aufklären – sie hat auch mit dem distanzierten, fast schon feindseligen Verhältnis, das ihre eigene Mutter zu ihr pflegt, zu kämpfen. Giulia leidet einerseits unter Gedächtnislücken, kann sich andererseits jedoch gut an die schaurigen Geschichten erinnern, die ihr vorgelesen wurden, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie hat einen Hang zum Aberglauben und einen ruhigen, fast schon nüchternen Charakter. Weder die Berichte von der Kriegsfront noch der desolate Zustand der Ehe ihrer Eltern scheinen sie zu erschüttern. Anders verhält sich dies hinsichtlich ihrer Albträume; sie lassen Giulia aufgewühlt zurück.

Giulia wuchs mit schaurigen Folkloregeschichten auf.

Neben ihrem Tagebuch, in welchem sie ihre Gedanken zu Papier bringt, führt Giulia eine Kamera mit sich. Mit dieser kann sie Aufnahmen tätigen und in der hauseigenen Dunkelkammer Fotografien entwickeln. Einige Fotos sind spielseitig verpflichtend und müssen zum Voranschreiten der Handlung aufgenommen werden. Bei Bedarf und wenn Spieler*innen Lust darauf haben, können viele andere Fotos geschossen werden. Diese haben allerdings keine Auswirkung auf den Handlungsverlauf.

Das Setting

LKA, das Studio hinter Martha Is Dead, hat sich bei der Gestaltung des Spiels nicht nur um eine realitätsnahe Umsetzung der Örtlichkeiten im Herzen der Toskana, sondern auch um die Implementierung korrekter historischer Hintergründe bemüht. So sind neben zeitgenössischen Utensilien des täglichen Bedarfs, wie zum Beispiel Telegrafen und die von Giulia gerne und häufig verwendete Fotokamera, auch Berichte des tatsächlichen Weltkriegsgeschehens sowie entsprechende soldatische Ausrüstungsbestandteile und Waffenmodelle Teil des Spiels.

LKA erzählt die Geschichte von Giulia und ihrer Zwillingsschwester mithilfe von Gegensätzen. So ist die Protagonistin beispielsweise von einer nahezu idyllischen Szenerie umgeben – und sieht sich doch gleichzeitig den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gegenübergestellt. Sie hat eine enge Verbindung zu ihrer verstorbenen Schwester und spürt gleichzeitig die Abneigung, die ihre eigene Mutter ihr entgegenbringt. Die so entstehende Mischung lädt zum Nachdenken ein.

Trügerische Idylle: Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs scheinen weit weg zu sein.

Features

Nachdem die spannende Handlung und die dichte Atmosphäre vorgestellt wurden, gilt es nun, die technischen Aspekte von Martha Is Dead näher zu betrachten. Hierbei findet zuerst eine Auseinandersetzung mit den Tätigkeiten im Spiel und dem Gameplay statt. Im Anschluss folgt eine Auseinandersetzung mit der Grafik, der Vertonung und der Spielsteuerung.

Von Fotografie und Albträumen

Auf den ersten Blick dürfte das in Ego-Perspektive gespielte Martha Is Dead den Eindruck vermitteln, dass es sich bei diesem Titel um einen Walking Simulator handelt, was nur sehr bedingt der Wahrheit entspricht. Das Spiel bedient sich verschiedener Mechaniken, die an Horror- und Adventure-Spiele erinnern.

Das idyllische Setting, welches Spielenden nach einem düsteren Einstieg präsentiert wird, überrascht etwas. Während ein Teil der Spielabschnitte aus fest aneinandergereihten Szenen mit wenig eigenem Entscheidungsfreiraum besteht, gestatten andere Abschnitte das Erkunden der Familienunterkunft, des umliegenden Waldes und des mysteriösen Sees. Hierbei ist die Protagonistin jedoch immer an die Gehwege beziehungsweise fest abgegrenzten Bereiche gebunden.

Es gilt, die gestellten Aufgaben, zum Beispiel das Aufnehmen eines Fotos oder das Einsammeln am Seeufer aufgestellter Kameras, zu erledigen. Mithilfe dieser Bilder nämlich lassen sich wertvolle Hinweise für den weiteren Handlungsverlauf finden. Fotografie ist ein zentraler Bestandteil des Spiels und mehr als ein einfaches Hobby für Giulia. Besonders schön ist die detaillierte Auseinandersetzung mit verschiedenen Kamera-Utensilien, die für Fotografie-Fans spannend sein dürfte. Ergänzend hinzu kommt die Arbeit in der Dunkelkammer, die verschiedene Schritte beinhaltet, ehe die fertige Fotografie betrachtet werden kann.

Die Details zur Fotografie sind realitätsnah.

Die oftmals friedlichen Sequenzen in Martha Is Dead werden an verschiedenen Stellen plötzlich durch Giulias Albträume und mutmaßliche übernatürliche Erscheinungen gestört. Das Spiel arbeitet außerdem mit blutigen und teils verstörenden Darstellungen.

Zu Grafik, Ton und Steuerung

Die Vertonung des Titels, vor allem aber die musikalische Untermalung, ist hervorragend. Die Musikstücke erzeugen eine dichte Atmosphäre und Anspannung auf Seiten der Spielenden. Zusammen mit einer schönen Grafik, die leider nicht ohne Schwächen ist, wird mehr als nur die Grundlage für eine spannende Geschichte geliefert, die zum Grübeln anregt. Die einfache, intuitive Steuerung ermöglicht überdies ein schnelles Einfinden in das Geschehen. Störend sind die manchmal verschwommen wirkenden Bilder, vor allem beim Drehen der Kamera. Hinzu kommen Ladezeiten, die angesichts der manchmal recht kurzen folgenden Abschnitte auffällig lang erscheinen. Die für den Spieltest verwendete Hardware liegt sowohl über den minimalen als auch den empfohlenen Anforderungen.

Schaurig: Martha Is Dead überzeugt mit starken Bildern.

Der Spieltest konnte nach etwa drei Stunden abgeschlossen werden. Dies lässt vermuten, dass das abgeschlossene Spiel etwa fünf bis sechs Stunden beinhaltet. Ein hoher Wiederspielwert dürfte anhand der beim erneuten Erleben bereits bekannten Verstrickungen nicht gegeben sein.

Die harten Fakten:

  • Entwicklerstudio: LKA
  • Publisher: Wired Productions
  • Plattform: PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X|S
  • Sprache:
    • Sprachausgabe: Deutsch, Englisch, Italienisch, Chinesisch
    • Text: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch, Japanisch, Portugiesisch, Russisch, Koreanisch, Polnisch
  • Mindestanforderungen:
    • Betriebssystem: Windows 10 64bit
    • Prozessor: Intel Core i5 oder vergleichbar
    • Arbeitsspeicher: 8 GB RAM
    • Grafik: NVIDIA GeForce GTX 560 (1 GB), AMD Radeon HD 7790 (1 GB)
    • DirectX: Version 12
    • Speicherplatz: 30 GB
  • Genre: Psychothriller, Horror, Adventure
  • Releasedatum: 24.02.2022
  • Spielstunden: 5-6 Stunden
  • Spieler*innen-Anzahl: 1
  • Altersfreigabe: USK 16, PEGI 18+
  • Preis: 29,99 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, idealo

 

Fazit

Martha Is Dead verknüpft mehrere Geschichten zu einem Gesamtwerk, das trotz weniger Spielstunden einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Eine dieser Geschichten erzählt von Verlust und Trauer, eine andere von Krieg und Gewalt. Auch von einer zerbrochenen Familie wird erzählt, von Aberglauben und Furcht. Mithilfe eindrucksvoller Bilder und stimmungsvoller Musikstücke, die passend in die einzelnen Szenen implementiert wurden, werden die Inhalte emotional aufbereitet und in – zugegebenermaßen kurzen – Kapiteln erzählt. Hierbei kommt es zu leichten grafischen Schwächen, die allerdings mit der für diesem Spieltest zur Verfügung gestellten Vorab-Version des Spiels zusammenhängen könnten.

Die tote Martha wurde aufgebahrt; im Radio gibt es Neuigkeiten von der Front.

Mit einer geschätzten Gesamtspielzeit von fünf bis sechs Spielstunden ist Martha Is Dead alles andere als lang. Angesichts des niedrigen Wiederspielwerts könnte der Preis von knapp 30 EUR für einige Spielende abschreckend wirken. Wer darüber hinwegsehen oder eine spätere Preisreduzierung des Titels, beispielsweise im Steam-Sale, abwarten kann, wird mit einem Psychothriller belohnt, der unter die Haut geht und zum Nachdenken anregt. LKA zieht in Sachen Storytelling nicht alle, aber die besten Register und präsentiert ein bedrückendes wie auch schauriges Erlebnis, das in Erinnerung bleiben wird.

 

  • Realitätsnahe, detailreiche Grafik
  • Dichte Atmosphäre
  • Hochwertige Vertonung
 

  • Geringer Wiederspielwert
  • Grafik stellenweise verschwommen

 

Artikelbilder: © LKA/Wired Productions
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Maximilian Düngen
Screenshots: Yola Tödt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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