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Larp ist ein internationales Hobby, das Menschen, Communities und Kulturen verbindet. Doch wo immer Spielende aufeinandertreffen, warten auch Konfliktpotential und das ein oder andere Missverständnis. Ein Blick auf die Spanische Liverollenspiel-Gemeinschaft zeigt, dass sich der Schritt aufeinander zu immer lohnt und ein vermeintlicher Unterschied auch immer Chancen bietet.

Nicht erst mit der Expansion des Drachenfest in die USA ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass Liverollenspiel ein Hobby ist, das Ländergrenzen überschreitet. Viele GroßCons im deutschsprachigen Raum locken ein stetig wachsendes internationales Publikum an, die Spielerschaft ist so divers wie nie zuvor.

Ein Blick über den Tellerrand hinaus zeigt, wie sich spanisches und deutsches Liverollenspiel voneinander unterscheiden – und was man noch voneinander lernen kann.

Am Anfang war das Skript

Die spanische Larp-Gemeinschaft startete mit einer starken Fantasy- und Vampire-Larp-Bewegung, allerdings ohne übergreifende Organisation.Es konnte passieren, dass mehrere kleine Gruppen sich zum Spiel auf einem öffentlichen Platz verabredeten, ohne voneinander zu wissen – und den Abend mit gruppenübergreifendem Spiel verbrachten.

Das erste große Liverollenspiel bildete das Efeyl, ein Fantasy-Larp, dessen vergleichsweise strenge Organisation sich stark von dem unterschied, was wir von “unseren” GroßCons kennen. Die Charaktere, Klassen und Fähigkeiten, ebenso wie Motivation und Ziele, waren vorgegeben, der Plot folgte einem strengen Skript.

Minimale und maximale Größe von Waffen sowie die Dauer der Nutzung folgten ebenfalls einem detaillierten Regelwerk. Die Ereignisse waren in Ausführung und Abfolge durchgeplant und Abweichungen von Spielerseite nicht unbedingt vorgesehen.

Kennt man hierzulande den Ausspruch “Kein Plot überlebt den Erstkontakt mit den Spielenden”, so konnte es passieren, dass in diesem Konzept der einzige Überlebende der Plot war. Dieses starre Spielkonzept stieß nach einiger Zeit auf den Widerstand der Spielenden und das Pendel schlug in die entgegengesetzte Richtung aus.

Sandbox-Larp wurde immer beliebter, mit einer Ablehnung von festen Skripten und einer Vorliebe für Spielenden-getriebene Metaplots, die Politik und Wirtschaft der bespielten Hintergründe zwischen den Veranstaltungen vorantrieben.

Liverollenspiel wurde einfacher für die Spielenden, und wo zuvor noch oft historische Hintergründe dominiert hatten, wie etwa Charaktere basierend auf Spaniens Goldenem Zeitalter, bildeten sich immer mehr phantastische Elemente, die sich mit den bisherigen vermischten. Immer mehr kleine Gemeinschaften von Spielenden fanden sich und entwickelten ihre eigenen Konzepte und Regelwerke, ehe sie auf andere Gruppen stießen und sich in die wachsende Spielgemeinschaft einfanden.

Das aktuell größte Schlachten-Con in Spanien ist mit 200 bis 300 Teilnehmenden das Tempus Belli, welches im Frühjahr stattfindet und Spielende verschiedener Hintergründe zusammenbringt. Den Großteil der stattfindenden Larps bilden Wochenend-Veranstaltungen, mit Spielzeiten von Freitag bis Sonntag Mittag. Dies gibt mehr Zeit, den Plot zu lösen, und hat den Vorteil, dass das in Deutschland oft obligatorische Samstag-Abend-Feiern etwas weniger ausladend ausfällt, muss die Spielerschaft doch noch mit NSC-Aktionen rechnen.

Nach den Erfahrungen mit stark reglementierten Veranstaltungen beinhaltet der spanische Spielstil heute eine große Liebe zur Improvisation – wird eine Situation kreativ und vielleicht mit ausreichend Humor gelöst, dürfen die Spielenden auch erwarten, dass das Regelwerk sich beugt.

Lediglich Kapitulation ist keine Option.

Dabei ist der Wille zu gewinnen zweitrangig, wer den größten Spaß hatte und anderen das beste Spiel geliefert hat, fühlt sich als Sieger, egal, ob der Plot gelöst, der Gegner besiegt wurde oder nicht. Eine charmante Spielart des Fantasy-Larps, die sich in der spanischen Spielerschaft findet, ist das sogenannte Monstering. Man trifft sich über ein Wochenende zur Jagd auf eine immer größer werdende Anzahl NSC-Monster – die dann um Mitternacht in einem finalen Wellenangriff über die Spielenden hereinbrechen.

Es ist kein großer Plot vonnöten, bringt aber Spielenden und NSCs gleichermaßen Spaß und Action. Aus der Mode gekommen ist dagegen die Tradition des “Wachmanns an der Tür”, oft eine Art Initiation für Neulinge, in der junge oder neue Mitspielende ganze Abende als Türwache verbringen mussten, während hinter verschlossenen Türen Adelsspielende die hohe Politik und Diplomatiespiel betrieben.

Auch die Trends der letzten Jahre sind nicht spurlos an der Spielerschaft vorbeigegangen. War das phantastische Rollenspiel zu Beginn noch stark von der spanischen Tolkien-Gesellschaft beeinflusst, so haben in der jüngeren Vergangenheit auch Serien wie Game of Thrones ihren Fußabdruck in der Szene hinterlassen und neue Strömungen hervorgebracht.

Western- und Science-Fiction Larp, die bei uns mittlerweile eine eigene feste Spielerschaft haben, konnten sich dagegen nicht dauerhaft halten. Eine ganz eigene Gemeinschaft hat sich um Larp mit Wikinger-Hintergründen (Nordic Larp) gebildet, welches in der Hauptsache archaische Rollen- und Charakterkonzepte auslotet und von Spielenden phantastischer Hintergründe oft als gesonderte Spielart betrachtet wird.

Dies geschieht nicht ganz ohne Vorurteile, da diese Szene einen teils sehr ambivalenten Ruf hat – auch aufgrund ihres Augenmerks auf Gewaltdarstellung im Charakterhintergrund.

Ein anderer Maßstab

Die größte spanische Liverollenspiel-Veranstaltung zählt zwischen 200 und 300 Spielende. Im Rahmen eines hier bekannten GroßCons entspricht das einem einzigen Lager von vielen. Man kann sich also vorstellen, dass die schiere Größenordnung bereits in der Lage ist, zum ersten Mal angereiste Spielende regelrecht zu erschlagen.

Die erste „Spanische Expedition“ zum Drachenfest startete im Jahr 2012.

Abseits der ungewohnten Größe stellt auch das Regelwerk und dessen Umsetzung eine zweifache Herausforderung dar. Auf der einen Seite bieten GroßCons mit ihrem „Capture-the-Flag“-Ansatz und sonst eher freiwilligem Plot-Angebot, verglichen mit dem starren Regelwerk von Veranstaltungen wie dem Efeyl, ungewohnte Freiheiten in der Charakter-Entfaltung.

Andererseits lassen die Elemente, die festgesetzt sind, weniger Spielraum für Improvisation, als Spielende aus den mittlerweile vorherrschenden Systemen gewohnt sind. Diese Situationen zu navigieren, inmitten von tausenden Spielenden, kann fünf Tage Spiel zu einem regelrechten Kampf werden lassen, vor allem, wenn man bis dahin nur Wochenend-Veranstaltungen gewohnt ist, die den Großteil der spanischen Veranstaltungen ausmachen.

Kulturelle Eigenheiten

Treffen Spielende verschiedener Nationen aufeinander und steht auch noch die Sprachbarriere dazwischen, kommt es nur allzu leicht zu Missverständnissen.

Kommt noch hinzu, dass deutsche (Groß)Cons Deutsch als Basissprache nutzen, müssen gleich beide Seiten sich erst überwinden, in der englischen Sprache den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.

Das fällt schwer, wenn sich Spielgewohnheiten bereits im Vorfeld voneinander unterscheiden. Deutsches Larp kann für spanische Spielende oft wirken, als müsse jeder und jede abwarten, bis er oder sie an der Reihe ist. Vorher wird gern viel geredet, und ist der Höhepunkt einer Szene erreicht, ist es oft eine Person, die dann im Rampenlicht steht und ihren großen Moment hat.

In der spanischen Larp-Kultur hat sich indessen die Faustregel etabliert, dass eine Szene, ein Plot, ein epischer Spielmoment an Epik gewinnt, je mehr Spielende davon emporgehoben werden, getreu der Faustregel „Seid cool als Gruppe, nicht allein!“

Charakterentwicklung im deutschsprachigen Raum findet oft ihren Reiz darin, Dinge auch mal „mit sich selbst“ auszumachen, den Werdegang des eigenen Charakters auch mal konsequent im Stillen zu suchen. Das liefert intensive Spielmomente – aber oft nur für einen begrenzten Personenkreis.

Diese Spielweise hat ihre Daseinsberechtigung und bindet Spielende an liebgewonnene Charaktere. Sie erschwert aber auch, miteinander ins Spiel zu kommen.

Je nach regionalem Einfluss unterscheiden sich auch hier die Gewohnheiten der spanischen Mitspielenden – während im Norden Spaniens ähnlich wie oben beschrieben das interne Spiel und der innere Konflikt das Charakterspiel definieren, trägt man im Süden eher das Spiel nach außen und tauscht sich in der Gemeinschaft aus. Auch hier wird der Charakter nach vorn gebracht, aber nicht von einzelnen Spielenden, sondern im Rahmen der Interaktion und des Dialogs mit anderen. Es gibt weniger „privates“ Spiel – auch hier gilt: mehr Spielspaß für mehr Leute.

Auch spanische Spielende bringen ihre eigene Geschichte mit ins Liverollenspiel. Wo deutsche Ritter-Spielende sich der eigenen Vergangenheit bewusst sein müssen und verantwortungsvoll mit Thematiken wie Christentum und Kreuzzügen sowie den Implikationen der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, hat auch die spanische Geschichte ihre sensiblen Punkte.

Viele spanische Larp-Gruppen nehmen ihre Inspiration aus dem Goldenen Zeitalter Spaniens – eine darstellerisch reizvolle Epoche, was Gewandung, Charakterkonzepte, Waffen und militärischen Spielraum betrifft.

Aber auch eine Zeit, in der religiöser Fanatismus und Antisemitismus eine große Rolle in der Gesellschaft und der Geisteshaltung der Bevölkerung spielten. Gruppen, die sich entscheiden, diesen Hintergrund zu bespielen, finden oft kreative Lösungen.

Religiöse Aspekte werden durch Magie-Spiel ersetzt oder die eigene Geschichte ab einem bestimmten Zeitpunkt umgeschrieben, sodass der kritische Punkt gar nicht erst eingetreten ist. So bleibt das Charakter- oder Gruppenkonzept kohärent und spielbar, ohne Themen miteinbeziehen zu müssen, die das Potenzial haben, das Spiel in eine problematische Richtung zu ziehen.

„Jemanden zu hassen, ist kein Charakterkonzept“ – ein Grundsatz, der hier mit besonderer Verantwortung für die eigene Geschichte einhergeht. Auch die spanische Liverollenspiel-Gemeinschaft ist nicht frei von Klischees, mit denen sie zu kämpfen hat.

Verdreht man bei uns die Augen, wenn Mitspielende uns erzählen, dass sie zum Abenteurer wurden, weil Orks ihr Heimatdorf niedergebrannt haben, so ist das spanische Äquivalent dazu, von einer langen Reihe von Piraten und Freibeutern abzustammen.

An dieser Stelle haben wir also mehr gemeinsam, als wir denken.

Voneinander lernen, miteinander zu spielen

Spanische Pikeniere auf dem Drachenfest 2022 © Morriones Negros
Spanische Pikeniere auf dem Drachenfest 2022 © Morriones Negros

Die spanische Larp-Gemeinschaft ist in den letzten Jahren ein fester Bestandteil der deutschen GroßCons geworden.

Oft gestaltet sich das internationale Zusammenspiel aber noch schwierig – sei es aufgrund der Sprachbarriere oder dass keine/r so recht weiß, wie der erste Schritt aufeinander zu aussehen soll. Gerade Spielende, die sich abgehängt fühlen, bleiben eher unter sich, sprechen die eigene Sprache und gehen weniger auf andere zu, was dann den Eindruck erweckt, dass man lieber „das eigene Ding“ machen möchte. So ergibt sich ein Kreis, der viel einfacher zu unterbrechen ist, als man denkt.

Es reicht schon, sich vielleicht einmal dazuzusetzen und zu zeigen, dass man selbst bereit ist, die eigene Komfortzone zu verlassen. Wo deutsche Spielende es gewohnt sind, ihr intensives Charakterspiel eher unter vier Augen zu teilen, kann sich im Austausch mit internationalen Spielenden eine Bühne ergeben, auf der diese Momente nicht weniger eindrucksvoll sind, aber mehr Charaktere davon profitieren.

Es kann guttun, sich auf Ungewohntes einzulassen und auch einen neuen Blickwinkel auf den eigenen Charakter liefern. Im Gegenzug kann es Spiel generieren, Spielende, die mehr an das große Gruppenspiel gewöhnt sind, in die leisen Töne zu integrieren.

Dabei muss die Sprachbarriere nicht einmal ein Nachteil sein, wenn man sich vor Augen führt, dass beide Parteien nicht in ihrer Muttersprache agieren. Unperfektes Spiel mit Händen und Füßen kann hier viel mehr Spaß bringen als der ideale Ausdruck zur perfekten Zeit und kann genau der Vertrauensbeweis sein, aus dem vielleicht eine Freundschaft unter Spielenden wird.

Besonderer Dank an Oscar und Joaquin von den Morriones Negros, die ihre Eindrücke und Erfahrungen mit uns geteilt haben.

Mehr Informationen zur Con-Reihe Efeyl finden sich unter https://efeylrev.com/

Titelbild: depositphotos | © ibrandify © andreajk3
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Katrin Holst
Fotografien: © Nabil Hanano, © Morriones Negros

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