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Roll and Write als Mechanismus hat in den letzten zwei Jahren eine große Renaissance erlebt. Eines der beliebteren Spiele, die daraus entstanden, ist Roll Player. Von diesem erschien zur SPIEL 2019 ein Ableger mit dem Mechanismus Draw and Draw. Wird dieser Mechanismus das nächste große Ding?

Im September 2018 schrieb ich noch in meinem Artikel über Spielmechanismen – zu dem kürzlich ein ergänzender dritter Teil erschien –, dass Roll and Write eine der kleinsten Kategorien war. Aber seither hat sich eine Menge getan. Sicherlich nicht zuletzt durch die Aufnahme von Ganz schön Clever auf die Auswahlliste zum Spiel des Jahres 2018 bekam der Mechanismus, den vermutlich jeder von Spielen wie Kniffel/Yahtzee kennt, neuen Aufwind, und in Folge erschien eine ganze Reihe von Spielen, die ihn auf interessante neue Arten umsetzten.

Im Fantasybereich war dabei Roll Player von großem Interesse, welches die Erschaffung von Charakteren zum eigentlichen Spielinhalt erhob. Dieses Spiel, zu dem mittlerweile mehrere Erweiterungen erschienen sind, war zugleich auch Begründer eines eigenen Spieleuniversums. Und in genau jenes führt uns auch der heute betrachtete Titel: Der Kartograph.

Spielablauf

Jeder der Spieler, von denen jede denkbare Anzahl theoretisch möglich ist, übernimmt die Rolle eines Kartographen. Nach und nach werden verschiedene Landschaftskarten aufgedeckt. Auf diesen sind Tetris-artige Formen abgebildet und jeder Spieler kann sich entweder zwischen zwei Formen oder zwei Landschaftsarten entscheiden und das Ergebnis dann auf seiner eigenen Landkarte einzeichnen. Eine Ausnahme sind hierbei die Monsterkarten bzw. Überfälle, wie das Spiel sie nennt. Diese geben jeweils eine Richtung an, in die man seinen Plan weiterreicht. Der entsprechende Spieler hat dann die Aufgabe, die Monster an möglichst ungünstigen Stellen einzuzeichnen. Im Grunde wird also jede Runde eine Karte gezogen (englisch: to draw a card) und danach etwas gezeichnet (englisch: to draw something). Daher die etwas scherzhafte Bezeichnung Draw and Draw für diesen Mechanismus.

Obwohl alle Spieler die gleichen Karten zur Verfügung haben, unterscheiden sich die resultierenden Landschaften am Spielende meist deutlich.

Nachdem eine bestimmte Menge an Zeiteinheiten – jede Karte verbraucht zwischen 0 und 2 davon – verbraucht wurde, endet die aktuelle Jahreszeit und es kommt zur Wertung. Wofür es dabei Punkte gibt, unterscheidet sich von Partie zu Partie und auch von Jahreszeit zu Jahreszeit. Gespielt wird ein Jahr, also vier Jahreszeiten, und jede der aufgedeckten Wertungskarten wird genau zweimal gewertet.

Abgesehen von ein paar Besonderheiten wie Gebirgen, die einmal umschlossen Münzen verleihen, welche konstant Siegpunkte wert sind, oder Ruinenfeldern, die manchmal zur eingezeichneten Form gehören müssen, ist das oben geschriebene eigentlich bereits das komplette Spiel. Schnell erklärt und ebenso schnell verstanden. Das heißt aber nicht, dass das Spiel allzu simpel ist. Kenntnis der möglichen Formen, die kommen können, und geschickte Vorausplanung für künftige Wertungen entscheiden häufiger über den Sieg als pures Glück. Da aber nicht in jeder Jahreszeit alle Formen ins Spiel kommen, ist der Glückfaktor ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Eine Partie dauert, nachdem alle Spieler das Spiel einmal verstanden haben, ca. eine halbe Stunde – und das nahezu komplett unabhängig von der Spieleranzahl. Denn Wartezeiten gibt es an sich keine. Alle Spieler zeichnen zeitgleich und jeder für sich selbst, außer bei Monsterkarten, die auch die einzige Interaktion mit den anderen Spielern darstellen. So lässt sich erklären, dass das Spiel theoretisch mit 100 oder mehr Spielern gleichzeitig gespielt werden kann – zumindest, wenn jeder Spieler sich selbst einen Stift mitbringt oder man vorher einen IKEA überfällt.

Die Kartenvorlagen sind beidseitig bedruckt und können so jeweils zweimal verwendet werden, jedoch in unterschiedlichen Schwierigkeiten.

Wenn man das Spiel einige Male gespielt hat, kann man es auch etwas erschweren. Dafür bietet die Box direkt zwei Möglichkeiten an, die man einzeln oder kombiniert verwenden kann:

Zum einen wäre da eine zweite Variante der zu bemalenden Karte, die die Ödnis, eine Art Loch, enthält, in der nicht gezeichnet werden darf. Dadurch wird der Platz knapper und so manche Wertungskarte deutlich schwerer zu erfüllen. Zum anderen gibt es mit den Fertigkeitskarten eine echte Erweiterung. Mit dieser werden Sonderfähigkeiten eingeführt, die in jeder Partie zufällig gezogen werden und dann pro Jahreszeit einmal eingesetzt werden können. Dies kostet dann Münzen, also im Grunde Siegpunkte, und ermöglicht die Abwandlung von Formen, das Zeichnen über den Rand hinaus oder andere Dinge.

Eine Erweiterung befindet sich direkt in der Schachtel, außerdem eine Karte für das Spiel Roll Player.

Was man, neben der Einfachheit der Regeln, aus der Beschreibung sicherlich auch bereits erahnen kann: Das Spiel ist nicht besonders thematisch. Welcher Kartograph entscheidet bei Anblick eines Landstriches, ob es sich um ein Feld oder einen Fluss handelt? Und warum hat er die freie Wahl, wo dieser Landstrich eingezeichnet wird? Sinn ergibt das nicht wirklich. Aber das muss es ja auch nicht unbedingt, um Spaß zu machen.

Ach ja, einen Solospielmodus hat das Spiel auch. Dieser wurde von uns aber nicht getestet und geht damit nicht in die Bewertung ein.

Ausstattung

Der Inhalt der Schachtel besteht weitestgehend aus Karten und einem Block.

In der kleinen Schachtel befinden sich 50 Spielkarten, ein Block mit 100 Blättern zum Einzeichnen, vier Bleistifte und ein Regelheft. Nicht besonders viel Material. Insbesondere, wenn man den aktuellen und sicherlich reichlich überzogenen Amazon-Marketplace-Preis bedenkt. Andere Händler listen das Spiel für knapp 20 EUR, was deutlich angemessener ist. Allerdings ist es bei keinem dieser Händler aktuell lieferbar. Diese Situation sollte sich Mitte Februar verbessern, denn dann erscheint laut Pegasus der Nachdruck.

Am Material selbst gibt es nichts auszusetzen. Die Karten sind aus festem Material, die Symbole alle gut zu erkennen. Die Wertungskarten müssen jeweils gelesen werden, um sie zu verstehen, aber nach ein paar Partien hat sich auch das eingeschliffen. Die Blätter des Wertungsblockes sind beidseitig verwendbar. Auf der Rückseite finden sich die Karten mit Ödnis, also dem Loch.

Für Fans von Roll Player liegt der Schachtel noch ein weiteres Goodie bei: eine in jenem Spiel verwendbare Vorgeschichts-Karte.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor(en): Jordy Adan
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: ca. 30 Minuten
  • Spieleranzahl: 1-100
  • Alter: 10+
  • Preis: ca. 20 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Produktseite im Pegasus-Shop findet sich die deutsche Spielregel zum Herunterladen. Ob es dort in Zukunft auch die Möglichkeit geben wird, einen weiteren Block zu bestellen oder eine Druckvorlage herunterzuladen, ist unklar.

Fazit

Von jeder der vier zu wertenden Geländearten gibt es vier Varianten. Davon wird pro Spiel je eine verwendet, die dann auf eine der vier Wertungen verteilt werden, von denen pro Jahreszeit zwei gewertet werden.

In Der Kartograph übernimmt jeder der bis zu 100 Spieler – das ist die Anzahl der Seiten des mitgelieferten Blocks – die Rolle eines Kartographen. Oder eines herumteleportierenden, halbblinden Zeichners. Das würde mehr Sinn ergeben. Aber die Story ist nicht das, was dieses Spiel ausmacht. Viel mehr ist es ein kurzweiliges Spiel für Runden variabler Größe, in welchem man sich sowohl am Erreichen von Punkten als auch an den Zeichenkünsten – oder eben dem Fehlen davon – seiner Mitspieler erfreuen kann.

Durch die jeweils unterschiedlichen Wertungskarten und die zufällig gezogenen Landschaften, die gezeichnet werden wollen, hat das Spiel eine hohe Variabilität und damit einen hohen Wiederspielanreiz. Die Tatsache, dass eine Partie nur ca. eine halbe Stunde dauert, macht Der Kartograph außerdem zu einer guten Abwechslung vor, nach oder zwischen längeren Spielen. Oder einfach, um mehrere Partien in Folge zu spielen. Einziges Manko dabei: Irgendwann ist der Block aufgebraucht, und aktuell gibt es keine Möglichkeit, an Nachschub zu kommen, außer sich selbst Vorlagen zu schaffen oder einen Scanner oder Kopierer zu bemühen.

Das fast vollständige Fehlen von Interaktion zwischen den Spielern sowie das de facto nicht vorhandene Thema sind die einzigen beiden anderen eventuell als negativ zu betrachtenden Punkte. Da aber beide reine Geschmacksache sind, beeinflussen sie die Wertung am Ende nicht.

 

Artikelbilder: © Pegasus Spiele, Fotografien: © Holger Christiansen, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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