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Ein weiterer kooperativer Dungeon Crawler aus dem Hause Fantasy Flight Games/Asmodee, und dann in der Mutter aller Fantasy-Welten. Hier erleben bis zu fünf Helden Abenteuer zwischen dem Hobbit und dem Herrn der Ringe. Ob das Spiel den hohen Erwartungen gerecht wird, lest ihr im Folgenden.

Hier sind die Helden schon mitten im Kampf. Glücklicherweise hat Aragorn noch einiges an Inspiration auf seiner Charakterkarte, um es mit dem Oger aufzunehmen.
Hier sind die Helden schon mitten im Kampf. Glücklicherweise hat Aragorn noch einiges an Inspiration auf seiner Charakterkarte, um es mit dem Oger aufzunehmen.

Fünf Helden, die sich aufmachen, das Böse – gesteuert durch eine App – zu bekämpfen, und das Ganze entwickelt von Fantasy Flight Games, das haben wir doch schon mal irgendwo gehört. Spielmechanisch übersetzt die Asmodee-Spieleschmiede ihr Erfolgskonzept von Villen des Wahnsinns 2. Edition nach Mittelerde. Statt Hinweismarkern, denen man nachspürt, um das aktuelle Rätsel zu lösen, den Mörder zu finden oder das Ritual zu stören, damit die Welt mal wieder nicht von einem Großen Alten verschlungen werden kann, sucht man hier nach Inspirationstoken. Mit diesen bezahlt man für seine besonderen Fähigkeiten und erkauft sich Erfolge bei Fertigkeitsproben, um im Kampf, der hier einen größeren Stellenwert einnimmt, zu bestehen. Ebenfalls die Unterscheidung zwischen Schaden und Furchtschaden übersetzen das bekannte System der cthulhuesken Spielereihe von Lovecrafts in Tolkiens Universum. Schauen wir mal, ob das so einfach funktioniert.

Spielablauf

Sechs verschiedene Helden stehen zur Auswahl. Neben den altbekannten Charakteren Bilbo, Aragorn, Legolas und Gimli wollen auch zwei Damen mit ins Abenteuer ziehen. Das sind Elena und Beravor. Wer? Ja, leider hat der alte Tolkien den Bechdel-Test noch nicht gekannt, und Heldinnen sucht man ziemlich vergebens in seinem Epos – einzig Galadriel fällt einem ein, und die wäre wohl ein wenig zu mächtig für das Powerlevel der anderen Charaktere für die Abenteuer, die lose irgendwo zwischen dem Hobbit und der Herr der Ringe-Trilogie angesiedelt sind. Also bedient man sich der Eigenschöpfungen, die man schon im Herr der Ringe-Kartenspiel (das es auch als Computerumsetzung gibt) verwendet hat. Das fühlt sich ein wenig komisch an, aber eine bessere Alternative fällt mir auch nicht ein, denn ausschließlich frische Charaktere in Mittelerde zu verwenden … dann wäre da gar nicht mehr so viel Herr der Ringe im Spiel, außer, dass es Elben (auch wenn sie sonst Elfen heißen), Zwerge und Orks gibt – und die gibt es mittlerweile nun mal so ziemlich überall.

Die Heldenkarte des Meisterschützen Legolas. Bei Proben auf Stärke darf er nur zwei Karten ziehen, auf Beweglichkeit natürlich vier.
Die Heldenkarte des Meisterschützen Legolas. Bei Proben auf Stärke darf er nur zwei Karten ziehen, auf Beweglichkeit natürlich vier.

Natürlich hat jeder Held eine eigene Sonderfähigkeit und unterschiedliche gute Werte (von zwei bis vier) in den recht klassischen Hauptattributen: Körperkraft und Beweglichkeit für Nah- und Fernkampf, sowie Wille, Weisheit und Scharfsinn, meist für Fertigkeitswürfe durch Events und Karteneffekte genutzt. Würfel gibt es jedoch nicht, sondern eine recht elegante Kartendeck-Mechanik. Auf diesen Karten befinden sich nämlich Erfolge, Nieten und bedingte Erfolge, wenn man eben einen der zuvor gesammelten Inspirationsmarker ausgibt. Man zieht so viele Karten, wie man in dem entsprechenden Attribut hat, und gibt die Erfolge in die App ein. Oft reicht dabei einer, manchmal braucht man mehrere. Zudem gibt es Gruppenerfolge; und im Kampf kann man Erfolge für verschiedene Schadensgrößen und/oder Effekte ausgeben. Das ist im Grunde auch der Kern des Spiels.

Jeder Spieler wählt zudem eine Klasse, hier Rolle genannt. Diese Rollen wie Meisterdieb, Wächter oder auch Jäger passen schon recht gut zu jeweils einem der Charaktere, aber man kann jede beliebige Kombination wählen. Das ist ein netter Gedanke für die, die Gimli schon immer mal als Musiker singen hören wollten. Dann werden noch ein paar Gegenstände gewählt und das Startdeck zusammengestellt: Dieses startet mit 15 Karten, die sich aus Basiskarten (die alle haben), charakterspezifischen und rollenspezifischen Karten zusammensetzen, und einer Schwäche, die nichts macht, außer, dass sie weder einen Erfolg darstellt noch eine Fähigkeit besitzt..

Neben den Symbolen für Erfolge oder Inspirationserfolge haben die Karten natürlich auch noch Effekte. (Die allerdings nicht beim Abhandeln von Proben ausgelöst werden!) Um die Fähigkeiten nutzen zu können, kann man immer am Anfang einer Runde die obersten beiden Karten seines Decks ziehen und dann eine davon vorbereiten. Die hat dann dauerhafte Effekte oder kann abgeworfen werden, um einen Einmaleffekt zu erzielen. Maximal vier Karten kann man so gleichzeitig vorbereitet haben. Da man entscheiden kann, die andere Karte auf oder unter sein Deck zu legen, wählt man aber nicht nur die Fähigkeit, sondern legt sich ggf. auch einen sicheren Erfolg nach oben. Es versteht sich von selbst, dass die Erfolgsfähigkeiten meist die mächtigeren sind, sodass es oft gar nicht so leicht ist, diese wichtige Entscheidung zu treffen. Es kann nämlich auch sinnvoll sein, einfach seine Schwächekarte vorzubereiten, damit sie einem später keine Scherereien zu schaffen vermag.

Man hat zwei Aktionen pro Runde, die man aus Bewegen (zwei Felder), Kämpfen und Interagieren (auch jeweils doppelt) zusammensetzt. Bewegungen dürfen unterbrochen werden. Neue Planteile werden automatisch aufgedeckt. Das kann passieren, wenn man ein bereits vorhandenes unentdecktes Teil betritt (und das in die App eingibt) oder durch andere Konditionen, wie Interaktionen mit Nicht-Spieler-Charakteren oder Suchmarkern für besondere Events.

Mutig bereiten sich unsere vier Helden auf die kommenden Abenteuer vor. Die beiden rechten Planteile sind noch unerkundet (eckige Token) und die runden sind Ereignisse oder Begegnungen.
Mutig bereiten sich unsere vier Helden auf die kommenden Abenteuer vor. Die beiden rechten Planteile sind noch unerkundet (eckige Token) und die runden sind Ereignisse oder Begegnungen.

Der Rest des Spiels ist ziemlich selbsterklärend für jeden, der schon mal etwas Verwandtes im Sinne eines Dungeon Crawlers, Miniatur- oder Rollenspiels gespielt hat. Es erscheinen Gegner. Die verhaut man, oder sie machen einem Schaden nach einer Prioritätenliste, die von der App verwaltet wird; wer zu viel davon bekommt, stirbt – und dann wird nur noch die aktuelle Runde für alle zu Ende gespielt. Wenn dann die Aufgabe nicht gelöst ist, hat man verloren.

Zeitdruck kommt zudem dadurch auf, dass man auf dem Bildschirm eine Leiste hat, die sich gar nicht so langsam mit Bedrohung füllt. Je mehr unentdeckte Planteile bereits ausliegen (und für jeden Bedrohungsmarker gibt es mehr), aber auch durch die zwei Bedrohungspunkte pro Charakter, hat man im ersten Abenteuer im Spiel zu viert zum Beispiel zwischen fünf und sieben Runden Zeit, um der Narration folgend nicht die Zeit zu verlieren, weil man z. B. zu viel mit Kämpfen beschäftigt ist. Über diese Mechanik wird die Geschichte auch fortgeschrieben, denn man sieht bereits, dass bei einem bestimmten Wert auf der Leiste ein neues Event geschehen wird, und bekommt dazu einen kleinen Teaser.

Natürlich gibt es noch spezielle Schadens- und Rüstungsarten, Statuseffekte, die Angriffe erleichtern, erschweren oder aussetzen lassen, sowie spezielle, etwas uninspiriert ausschauende Schlachtenpläne für spezielle Szenarien und was man so alles erwartet. Nach einem Abenteuer wird gelevelt, indem man einerseits Karten seines Decks gegen Erfahrungspunkte austauschen darf (auch immer wieder beliebig neu), und mit gesammeltem Wissen (eine weitere Ressource, die man unterwegs findet und die sich nicht verbraucht, sondern stetig wächst) kann man seine Gegenstände aufwerten. Leider findet man nicht sehr viele neue Gegenstände innerhalb eines Abenteuers, dafür darf man aber auch alles die gesamte Kampagne hindurch behalten.

Das Start-Setup in der App. Dort, wo sich Nebel befindet, wird es noch weiter gehen. Außerdem sehen wir die Zeitliste oben und wissen, dass wir uns nicht zu viel Zeit lassen sollten, die Diebe aufzuspüren.
Das Start-Setup in der App. Dort, wo sich Nebel befindet, wird es noch weiter gehen. Außerdem sehen wir die Zeitliste oben und wissen, dass wir uns nicht zu viel Zeit lassen sollten, die Diebe aufzuspüren.

Ausstattung

Das Spielmaterial ist gewohnt gut, wenn man auch recht viel Luft in der nicht ganz so günstigen Startbox sieht; allerdings freut man sich ja auch auf all die Erweiterungen, die man dann ebenfalls dort drin lagern kann. Ein paar mehr Gegnertypen (als Banditen, Orks, Warge und ein Troll) wären nicht schlecht, aber auch hier darf man wohl auf Nachschub hoffen. Neben den liebevoll gestalteten Hex-Planteilen sehen die quadratischen Schlachtenpläne absurd plump aus, allerdings gibt es dafür noch ein paar Overlay-Teile.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fantasy Flight Games, Asmodee
  • Autor(en): Nathan Hajek, Grace Holdinghaus
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: 2-4 Stunden (je nach Szenario)
  • Spieleranzahl: 1 2 3 4 (5)
  • Alter: 14+
  • Preis: ca.100 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Spielübersichtsseite von Asmodee findet man die Regeln sowie das große Referenzhandbuch und auch Links zu den diversen Apps für Steam, iOS und Android.

Nehmen wir an Elena hätte eine Probe auf Weisheit (darin ist ihr Wert drei) abgelegt. Sie zieht also drei Karten vom Deck und hat dabei einen Erfolg. Falls sie noch mehr brauchen sollte und Inspiration hat, kann sie diese ausgeben, um die anderen beiden Karten ebenfalls in Erfolge zu verwandeln.
Nehmen wir an Elena hätte eine Probe auf Weisheit (darin ist ihr Wert drei) abgelegt. Sie zieht also drei Karten vom Deck und hat dabei einen Erfolg. Falls sie noch mehr brauchen sollte und Inspiration hat, kann sie diese ausgeben, um die anderen beiden Karten ebenfalls in Erfolge zu verwandeln.

Fazit

Dungeon Crawler sind am boomen. Rollenspieler mit zu wenig Zeit, Fans von Miniaturen, kooperativer Spiele oder einfach von erlebbaren Geschichten – aus vielen Richtungen kommen bei diesem Spieletyp unterschiedliche Leute zusammen. Wer könnte da besser mitmischen als Fantasy Flight Games, die uns mit Descent, Villen des Wahnsinns (jeweils in zweiter Edition mit App) und Imperial Assault schon drei sehr erfolgreiche Inkarnationen gezeigt haben?

Leider hat man schon das Gefühl, dass man für sein Geld hier noch nicht sehr viel Material bekommt (gerade wenn man den Vergleich mit artverwandten Spielen wagt, wie z. B. Sword and Sorcery), aber eine kostenlose App will natürlich auch irgendwie finanziert werden. Immerhin ist eine zweite Kampagne bereits angekündigt. Wie bei anderen Lizenzprodukten aus dem Hause FFG weiß man aber, dass man noch jede Menge mehr Geld für Erweiterungen ausgeben kann und wird. Denn es macht einfach Spaß.

Das Spiel mit dem Deck funktioniert und ist eleganter gelöst, als Würfel zu nutzen. Wer jedoch ein komplexes Spiel erwartet, ist vielleicht doch eher mit Gloomhaven bedient. Wer eine 800 Seiten lange, tiefe Story erleben möchte (wenn sie auch etwas manga-buffyesk daherkommt), sollte sich vielleicht die zweite Kickstarter-Kampagne von Middara anschauen, die am 24.06. startet (wir werden berichten).

Eingefleischte Tolkien-Fans werden die Finger nicht davon lassen können, auch wenn sich die Welt, ehrlich gesagt, nur ein wenig nach Mittelerde anfühlt. Aber wenn man nicht gerade an den Hauptorten und mit wichtigen NSCs spielt (wie Imperial Assault das gut vormacht), dann lebt das eben hauptsächlich durch die Charaktere und ihre Rollen, die ein wenig so wirken, als wenn sie dem MMO Herr der Ringe Online entlehnt wären. Insbesondere wer Villen des Wahnsinns mag, kann hier nichts verkehrt machen.

mit Tendenz nach oben

 

Artikelbilder: Asmodee; Fotografien: Daniel Hoffmann; Bearbeitet von Verena Bach
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

5 Kommentare

  1. Schade das immer mehr Apps Einzug erhalten und wenn ich das richtig gelesen / verstanden habe, ist das Spiel auch nur mit der App spielbar, was für uns ein no-go ist
    Hier mal so allgemein in die Runde gefragt : was haltet ihr von Apps bei Brettspielen?

    • Super, wenns richtig gemacht wird! Gloomhaven z.B. nie wieder ohne. Villen des Wahnsinns mit Spielleiter auch super. XCOM: perfekt! Descent und Imperial Assault sind auch super. Eine App macht dann Sinn, wenn sie ein kompliziertes Spiel zugänglicher macht. VdW1 dagegen war der Horror in der Usability.

      Es geht ja nicht zwingend darum eine App einzubauen, sondern „upkeep“ zu automatisieren. Stell dir mal XCOM vor ohne App. Das wären Zig Kartenstapel zu händeln. Falls das überhaupt möglich wäre. Obendrein bietet eine App eben Möglichkeiten, die ein analoges Spiel gar nicht hat.

      Wichtig ist nur, dass die App nur Bestandteil des Spiels ist, nicht Hauptkomponente. Dann gerne mehr davon!

    • Mätthi König also bis auf Gloomhaven kenne ich keins der aufgezählten Spiele und Gloomhaven läuft bei uns auch ohne eine App.

      Eine App bietet Möglichkeiten, die ein analoges Spiel nicht hat.
      Aber genau das ist ja ein Brettspiel, ein analoges Spiel, ansonsten kann ich auch am Rechner zocken.
      Ich glaube das stört mich am meisten daran, vielleicht bin ich mittlerweile auch einfach nur zu alt ✌️

    • Michael Schadler Was mich ein bißchen stört ist dieses Schwarz/Weiß-Denken in deinen Posts:

      „Aber genau das ist ja ein Brettspiel, ein analoges Spiel, ansonsten kann ich auch am Rechner zocken.“

      Wenn Du mal XCom gespielt hättest wüsstest du, dass es sehr wohl ein Brettspiel ist, nur dass die Gegenseite von der App übernommen wird.

      Ein weiterer Vorteil ist, dass man weniger „Upkeep-Regeln“ lernen muss, die nur nötig sind um das Spiel am Laufen zu halten, aber keine Entscheidungen der Spieler benötigen. Noch dazu passt sich die App bei XCom dem Spiel der Spieler an, wie es ohne App nicht möglich wäre. So kann man schneller losspielen und die Spieler können sich auf ihre Rollen konzentrieren.

      Also: Nur weil eine App mitgenutzt wird, ist es noch lange kein Computerspiel.

      Vergleichbar dazu: Nur weil jemand Geheimratsecken hat, hat er noch lange keine Glatze.

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