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Manche Erlebnisse lassen uns beinahe an Metaphysisches glauben. Für unseren Rätsel-Liebhaber Milanko kamen diese Erlebnisse in Form von philosophisch anmutenden Puzzle-Games. Wir zeigen euch drei Spiele, die zum Nachdenken und Nachfühlen anregen und euch über den Tellerrand der Rationalität hinausblicken lassen.

Als pragmatischer, halbwegs aufgeklärter Mensch gebe ich im Allgemeinen wenig auf esoterische Weltanschauungen und Religion. Wenn ich etwas glauben soll, dann will ich Beweise dafür sehen oder verlasse mich notgedrungen auf die Aussagen von Wissenschaftler*innen, die sich besser mit dem jeweiligen Thema auskennen als ich. Der Existenz einer Seele oder ähnlichen metaphysischen Konzepten stehe ich äußerst skeptisch gegenüber.

Es gibt jedoch eine Handvoll Spiele, die es geschafft haben, mir ein solches Gefühl von Ehrfurcht einzuflößen, dass es sich beinahe wie eine übernatürliche Begegnung anfühlte. Spiele, die mich derart im Kern meines Seins erschütterten, dass sie meinen Blick auf die Welt für den Rest meines Lebens veränderten – die Kategorie Spiele, für die ich eine Amnesie in Kauf nehmen würde, um sie noch einmal zum ersten Mal erleben zu können.

Einleitung

Schon lange sind Games nicht mehr ausschließlich zur geistlosen Bespaßung da. Werke wie The Witcher 3 bringen uns dazu, uns mit kniffligen Fragen und Dilemmas des Menschseins zu konfrontieren – und erlauben es uns, dabei auch noch verdammt cool auszusehen. In Titeln wie The Last of Us Part II geht das sogar so weit, dass wir uns darin der Dunkelheit in uns selbst stellen müssen. Das hat einige offenbar derart erschüttert, dass es eine regelrechte Kontroverse um das Spiel gab.

Manche Spiele hinterlassen einen bleibenden Eindruck. © DragonImages
Manche Spiele hinterlassen einen bleibenden Eindruck. © DragonImages

Diese Art der Spiele lässt sich in ihrer Darstellung zeitgenössischer Probleme grob der Stilrichtung des Naturalismus zuordnen, der sich durch Darstellung der Wirklichkeit und gesellschaftlicher Probleme auszeichnet (im Falle obiger Beispiele durch den Filter der Phantastik). Daneben gibt es noch eine weitere Kategorie von Spielen, die eher im Impressionismus zu verorten ist. Dieser zeichnet sich durch abstraktere Darstellungen aus, die oft mit einer Abwendung von gesellschaftlichen Problemen hin zur Betrachtung emotionaler Landschaften einhergeht. Diese Spiele schaffen es, durch eine abstrakte – falls überhaupt vorhandene – Handlung Fragen aufzuwerfen, Gedanken und Gefühle zu erzeugen. Trotz der großen Entfernung zu unserer Realität vermögen sie, etwas tief in uns zu bewegen – oder vielleicht gerade deswegen.

Spiele, die auf Dialoge, ausufernde Cutscenes und einen cineastischen Erzählstil verzichten, um auf anderem, subtileren Wege Emotionen zu erzeugen. In diesem Artikel möchte ich euch die philosophisch anmutenden Puzzle-Games vorstellen, die mein Leben verändert haben.

The Witness: Die Welt mit neuen Augen sehen

Von The Witness von Thekla Inc. berichteten wir bereits in unserem Artikel über Singleplayer-Spiele, die auch zu zweit Spaß machen. Darin verschlägt es uns auf eine einsame Insel, die mit Panels gespickt ist, auf denen es die aus Zeitschriften bekannten Labyrinth-Rätsel zu lösen gibt.

Trotz der zunehmenden Schwierigkeit, führt The Witness uns gut an die Rätsel heran. © Thekla Inc.
Trotz der zunehmenden Schwierigkeit, führt The Witness uns gut an die Rätsel heran. © Thekla Inc.

Zu Beginn sind diese noch denkbar einfach – finde den Weg vom Start zum Ziel –, doch das ist nicht alles: Bald bemerken wir, dass wir durch diese Rätsel die Umgebung beeinflussen können. Je nachdem, wo wir enden, oder welchen Weg wir auf dem Panel gehen, geschehen unterschiedliche Dinge: Kabel aktivieren weitere Panels, Türen öffnen sich oder mechanische Umgebungselemente ändern ihre Konfiguration und geben damit neue Wege frei.

Sogar das Boot wird durch Labyrinth-Panels gesteuert. © Thekla Inc.
Sogar das Boot wird durch Labyrinth-Panels gesteuert. © Thekla Inc.

Im Laufe des Spiels werden die Rätsel außerdem kniffliger. Es kommen neue Elemente ins Spiel, die neue Regeln mit sich bringen. Aber nicht nur das: Immer wieder werden wir aus dem Konzept gebracht, weil die offensichtliche Lösung nicht die richtige ist. Uns bleibt schnell nichts anderes übrig als unsere Perspektive auf das Rätsel zu hinterfragen und es aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Das ist der Kern von The Witness: Alles auf der Insel ist darauf ausgelegt, uns zum Wechsel unserer Perspektive zu motivieren. Diese Idee findet sich auch in zahlreichen Easter-Eggs wieder.

Überall auf der Insel finden sich hübsche kleine Spiele mit der Perspektive. © Thekla Inc.
Überall auf der Insel finden sich hübsche kleine Spiele mit der Perspektive. © Thekla Inc.

Ziel des Spiels ist es, durch das Lösen von Rätseln Laserstrahlen zu aktivieren, die den Weg in den Endbereich freimachen. Die Laserstrahlen stellen den einzigen Fortschritt innerhalb des Spiels dar. Der größere, relevantere Fortschritt findet jedoch in unseren Köpfen statt, indem wir verstehen, wie die Rätsel funktionieren. So werden uns nach und nach alle mentalen Werkzeuge übergeben, die wir brauchen, um zum Ziel zu gelangen.

Auf dem Weg dahin bemerken wir jedoch schnell, dass die Sache mit der Perspektive noch viel weiter geht als gedacht. Wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel verraten, doch es wartet ein hübscher Wow-Effekt auf euch, bei dem einem die Kinnlade herunterfällt.

Wir möchten an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass das Spiel mehrere Enden hat. Solltet ihr am Schluss angelangt und mit dem Ergebnis unzufrieden sein, so empfehlen wir weiterzuspielen. Ihr benötigt nicht alle Laserstrahlen, um in den Endbereich zu gelangen, doch lohnt es sich, alle Bereiche der Insel zu erkunden. Es wartet noch eine schwierige, zeitbegrenzte Herausforderung auf euch (ihr erkennt sie an der Untermalung mit klassischer Musik). Diese Herausforderung hat mich einiges an Nerven gekostet, doch die Befriedigung zum Schluss war umso süßer.

Die Belohnung am Ende der Herausforderung hat einige Fragen aufgeworfen. Herauszufinden, wofür diese Belohnung ist, hat jedoch einen regelrechten Gänsehaut-Moment ausgelöst. Zum Schluss offenbart das Spiel das Ausmaß des Perspektivwechsels, das es von den Spielenden erwartet. Das Ende hat mich zutiefst erschüttert. Vor The Witness hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ein derart stilles und unscheinbares Spiel einen solchen inneren Aufruhr in mir erzeugen kann.

Der Moment, in dem ich erkannte, dass das Ziel die ganze Zeit über in greifbarer Nähe war, hinterließ mich sprachlos. Ich erkannte, dass es die ganze Zeit über kein Spielfortschritt gewesen war, der mich davon trennte, sondern mein eigener Verstand. Die Lösung hat nie daraus bestanden, Rätsel zu lösen und weiterzukommen, sondern schlicht und ergreifend in der Änderung meiner Perspektive. Nicht das Spiel hat sich verändert – ich habe mich verändert.

Antichamber: Nichts ist wie es scheint

Das von Alexander „Demruth“ Bruce entwickelte Antichamber ist auf den ersten Blick nicht sonderlich hübsch anzusehen. Das Spiel hat eine sehr reduzierte Grafik, die vorrangig mit extremen Kontrasten arbeitet. Diese können manchmal ein bisschen unangenehm für die Augen sein, sollten aber nicht davon abhalten, dem Spiel eine Chance zu geben.

Die einfache Gestaltung hilft nicht bei der Orientierung im Spiel. © Demruth
Die einfache Gestaltung hilft nicht bei der Orientierung im Spiel. © Demruth

Zu Beginn wirkt das Spiel wie ein einfacher Puzzle-Shooter, doch wird bereits innerhalb der ersten Minuten mit derlei Erwartungen gebrochen. Selten vergehen mehrere Minuten im Spiel, ohne dass etwas Unerwartetes passiert. Laufen wir über den Rand eines Abgrunds, fallen wir nicht – stattdessen entsteht unter unseren Füßen eine Fläche, auf der wir laufen können. Versuchen wir, über ein Hindernis im Weg zu springen, fallen wir dann doch.

Laufen wir über die Kante des Abgrundes, entsteht unter uns eine Fläche, auf der wir laufen können. © Demruth
Laufen wir über die Kante des Abgrundes, entsteht unter uns eine Fläche, auf der wir laufen können. © Demruth

In diesem Spiel stolpern wir von einem „Hä?“-Moment zum nächsten und es vergeht einige Zeit, bevor wir annähernd eine neue Art der Orientierung entwickeln. Immer wieder müssen wir die gewohnte Vorstellung von Raum und Kausalität hinter uns lassen und uns an neue Spielregeln anpassen.

Versuchen wir, über ein Hindernis im Weg zu springen, fallen wir dann doch. © Demruth
Versuchen wir, über ein Hindernis im Weg zu springen, fallen wir dann doch. © Demruth

Story sucht man in Antichamber vergeblich, doch kann von „vermissen“ nicht die Rede sein. Mit seinen ausgefallenen Rätseln und dem ständigen Wandel der Umgebung hält das Spiel uns laufend auf Trab. Das Spiel tut alles Erdenkliche, um uns zu verwirren und desorientieren.

mmer wieder verändern sich die Orte, an denen wir bereits waren. © Demruth
Immer wieder verändern sich die Orte, an denen wir bereits waren. © Demruth

Mit verstreichender Spielzeit wird das Spiel zunehmend mysteriöser und stimmungsvoller. Dies kulminiert darin, dass die letzten Minuten sich anfühlen, als würden wir in eine andere Ebene des Seins vordringen; als seien wir im Begriff, unser Bewusstsein zu erweitern; als hätten wir im Laufe des Spiels Erleuchtung gefunden.

The Talos Principle: Was ist der Mensch?

The Talos Principle von Croteam ist ein Puzzle-Game in Ego- oder wahlweise Third-Person-Perspektive. Wir schlüpfen in die Schaltkreise eines Roboters, der in einem hübschen, antiken Garten erwacht und von einer Stimme geleitet wird. Die Stimme stellt sich als allmächtiger Elohim vor (biblischer Name für JHWH, bzw. Gott) und leitet uns an, Rätsel zu lösen und die Siegel zu sammeln, die uns am Ende jeder Herausforderung erwarten.

Die Polyomino-Siegel sind der Schlüssel zum Weiterkommen. © Croteam
Die Polyomino-Siegel sind der Schlüssel zum Weiterkommen. © Croteam

Die gesammelten Siegel sind der Schlüssel, um weiterzukommen. Zur Lösung der Rätsel verwenden wir Werkzeuge mit unterschiedlichen Funktionen: Zu Beginn haben wir Zugriff auf einen Störsender, der Schranken oder Gegner deaktiviert, durch den Spielfortschritt erhalten wir jedoch noch weitere Werkzeuge.

Die Rätsel sind in abgetrennte Bereiche aufgeteilt, sodass wir stets wissen, welche Elemente dazugehören und welche nicht. Aber es gibt auch versteckte Bereiche zu entdecken und Siegel zu sammeln und oft mehrere Wege, diese zu erreichen. Das erfordert jedoch nicht nur Out-Of-The-Box-Denken, sondern auch ausgeklügelte Kombination und Wiederverwendung der verfügbaren Mittel. Das Herumprobieren und der letztliche Erfolg erzeugen das freudig-kribbelndes Gefühl etwas Verbotenes zu tun, als würde man das Spiel austricksen.

Elohim warnt uns, dass in dem Turm der Tod auf uns wartet. © Croteam
Elohim warnt uns, dass in dem Turm der Tod auf uns wartet. © Croteam

Vordergründig erfahren wir so die Geschichte des namenlosen Roboters, der fleißig ein Puzzle nach dem anderen löst und schließlich auf einen geheimnisvollen Turm stößt, der in den Himmel ragt. Elohim verbietet uns strikt, ihn zu erkunden, und wirft damit die Frage auf, was wir tun wollen. Gehorchen wir Elohim blind oder zweifeln wir seine Worte an?

Verstreut in der Welt sind darüber hinaus Computer-Terminals, an denen wir Informationen in Form von allerlei Dokumenten sammeln können. Es gibt auch sogenannte Zeitkapseln: Sprachaufnahmen, in denen uns eine Person Details aus ihrem Leben erzählt. Auf diesen Wegen wird uns die Hintergrundgeschichte von The Talos Principle vermittelt, die zu Beginn noch ein Mysterium darstellt. Dabei werden zentrale Fragen beantwortet: Wo sind wir – und warum sind wir hier? Was ist der Sinn unserer Existenz und wer steckt hinter alledem?

An den Terminals können Dokumente wie Logbucheinträge, technische Logs oder Korrespondenz lesen. © Croteam
An den Terminals können Dokumente wie Logbucheinträge, technische Logs oder Korrespondenz lesen. © Croteam

Die Texte sind teilweise recht lang und es macht einen relevanten Teil der Spielzeit aus, wenn man alle durchliest. Das mag nicht das sein, was viele sich unter gutem Videospiel-Design vorstellen. Im Laufe des Spiels wird es jedoch zunehmend spannender, die die Ursprünge von uns und der Welt zu verstehen. Das Zusammensetzen der Informationsfragmente in Form von Zeitkapseln und Terminal-Texten gestaltet sich als eigenes, übergreifendes Rätsel, das es zu lösen gilt. Wir werden mit einer spannenden und teils emotionalen Geschichte konfrontiert, die Gedanken und Fragen über den Tod und Individualismus aufwirft, über Künstliche Intelligenz und darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.

Kognition als Tür zu Emotion

Während ich diesen Artikel schrieb, kam ich ins Grübeln darüber, was diese Spiele für mich so besonders macht. Die offensichtlichste Gemeinsamkeit ist das Genre Puzzle-Game. Doch nicht nur das: Allen Spielen wohnt eine gewisse Dualität inne. Auf der einen Seite gibt es die offensichtliche, bewusste Ebene – das, was sich unmittelbar auf dem Bildschirm ereignet. Dann gibt es noch die darunter liegende, vorbewusste Ebene, die gegebenenfalls gar nicht in dem Spiel, sondern vielmehr in uns selbst stattfindet.

In The Witness spielen wir einen Charakter, der sich den Weg über eine Insel zum Ziel bahnt. Doch auf dem Weg werden wir gezwungen, immer wieder unsere Perspektive anzupassen, Situationen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und so plötzlich neue Dinge und Zusammenhänge zu sehen, für die wir zuvor blind waren.

In Antichamber spielen wir einen namenlosen Charakter, der sich orientierungslos durch eine künstliche Umgebung schlägt. Auf dem Weg werden jedoch gnadenlos alle Regeln auf den Kopf gestellt, wir für unabänderlich hielten. Wir werden gezwungen zu hinterfragen, was wir für selbstverständlich erachteten und müssen uns laufend an neue Situationen anpassen.

In The Talos Principle erleben wir, wie ein Roboter sich durch verschiedenste Rätsel kämpft und sich entscheidet, Elohim, seinem Schöpfer, zu vertrauen – oder nicht. Aber wir erfahren auch die Hintergrundgeschichte, die Zusammenhänge und den Grund für unsere eigene Existenz.

Erstaunlicherweise führen diese Spiele, die größtenteils aus der rationalen Auseinandersetzung mit kniffligen Rätseln bestehen, zu emotionalen Momenten, die tiefer gehen als einfache Gefühle wie Trauer oder Freude. Jedes dieser Spiele hat in mir ein Gefühl von Entrückung hinterlassen und den Eindruck, dass sich etwas tief in meinem Innern bewegt hat. The Witness hat mich nicht nur gelehrt, meine Perspektive zu hinterfragen, sondern auch die Lösung für Problemstellungen in mir selbst zu suchen. Antichamber hat mir ein Gefühl von geistiger Fülle gegeben und das Selbstvertrauen in mir geweckt, alles überwinden zu können, was das Leben mir entgegenstellt. The Talos Principle hat mir nicht nur beigebracht, typische Denkmuster zu erkennen und sie zu sprengen, sondern auch zu zweifeln und zu hinterfragen.

Öffnet die kognitive Arbeit den Weg zum emotional empfänglichen Teil unseres Gehirns? © HayDmitriy
Öffnet die kognitive Arbeit den Weg zum emotional empfänglichen Teil unseres Gehirns? © HayDmitriy

Es sollte eigentlich ein Widerspruch sein, dass Spiele, die derart auf logischen Rätseln basieren, mit solcher Wucht erschüttern können. Doch vielleicht liegt gerade darin die Ursache: Vielleicht wiegt sich unser Gehirn durch die kognitive Auseinandersetzung mit den Rätseln in emotionale Sicherheit und vernachlässigt die üblicherweise hochgezogenen Mauern. In diesem Moment schlägt das Spiel zu, indem es unseren verwundbaren Geist packt und durchschüttelt und uns mit einer neuartigen Verwunderung hinterlässt: Das Gefühl, etwas verstanden zu haben, dass das Reich des in Worte fassbaren transzendiert und uns für unser restliches Leben transformiert. Vielleicht mag ich aber auch einfach sehr gerne Puzzle-Spiele.

Artikelbilder: depositphotos © rudall30, DragonImages, HayDmitriy,  © Croteam, © Thekla Inc., © Demruth
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Nina Horbelt

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