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Vor ungefähr 100 Tagen veröffentliche Paradox Interactive mit Victoria 3 den langersehnten Nachfolger der Globalstrategiespielreihe über Industrielle Revolution und Imperialismus. Worum es in dem Spiel geht und ob sich ein Kauf lohnt, haben wir uns bereits direkt nach Veröffentlichung angeschaut. Zu unserer Releaserezension geht’s hier.

Der Release selbst war wirtschaftlich ein Erfolg und erlöste die seit 13 Jahren wartende Fangemeinde. Qualitativ hatte Victoria 3 zu Beginn jedoch noch Verbesserungspotenzial. Paradox Interactive, bekannt dafür, langfristig an der Verbesserung seiner Spiele zu arbeiten, hat daher mit dem Patch 1.2 nachgelegt. Schon seit einiger Zeit als offene Betaversion verfügbar, wurde der Patch am 13. März veröffentlicht und brachte zahlreiche Veränderungen an der Spielmechanik. Wir haben uns die aus unserer Sicht wichtigsten angeschaut und überprüft, ob sie die von vielen gewünschte Verbesserung sind oder ob die Fangemeinde weiter auf die Folter gespannt wird.

Die Veränderungen:

Patch 1.2 bringt Veränderungen und Verbesserungen in zahlreichen Bereichen des Spiels. Zur besseren Übersicht betrachten wir deshalb einzelne Funktionen getrennt voneinander. Dabei gehen wir jeweils kurz darauf ein, wie die Spielfunktion vorher war, wie sie verändert wurde und wie sich diese Veränderung auswirkt.

Wirtschaft und Handel

Bisher bestand der Wirtschaftsteil mehr oder weniger daraus, dass wir Fabriken, Landwirtschaftsbetriebe und Minen bauen, in denen unsere Bevölkerung arbeitet und Steuern zahlt, die einen Teil unserer Staatseinnahmen ausmachen. Mit diesen und anderen Einnahmen können wir als Staat dann in Kasernen Soldaten rekrutieren und mit zunehmend teurerem und ausgefallenerem Kriegswerkzeug versorgen, in Marinebasen große, schicke und sehr teure Kriegsschiffe in See stechen lassen und, natürlich, weitere Fabriken, Landwirtschaftsbetriebe und Minen bauen, die uns noch mehr Geld einbringen und uns immer reicher und mächtiger machen. Bezuschusst werden unsere Bauprojekte durch einen privaten Investitionsfonds, in den ein Teil der Bevölkerung Teile seines Vermögens investiert und der uns zur Verfügung steht.

Das war eine grobe Vereinfachung im Vergleich zum Vorgängerspiel Victoria 2, in dem wir als Staat abhängig von unserer Wirtschaftspolitik nur mit unserem Geld oder sogar gar nicht bauen konnten. Zusätzlich hat die Klasse der Kapitalisten in unserem Land auf eigene Rechnung Fabriken und Rohstoffgebäude gebaut und ausgebaut. Diese bürgerliche Oberschicht der Kapitalbesitzer gibt es in Victoria 3 auch, allerdings war sie hier bislang wirtschaftlich an die Seitenlinie gedrängt, nur in der Politik durfte sie auftreten und gesellschaftlichen Fortschritt voranbringen (falls man eine rückständige Monarchie spielt) oder aufhalten (falls man einen Schritt weiter ist und den Kapitalismus überwinden will).

Patch 1.2 bringt die Kapitalisten, und nicht nur diese, nun auch in der Wirtschaft wieder in die erste Reihe. Der private Investitionsfonds steht uns nun nicht mehr zur Verfügung, sondern der kapitalistischen, und je nach Gesetzeslage und Gesellschaftsaufbau auch anderen Klassen. Diese bauen nun autonom, was sie für richtig halten. Das entlastet uns von einigem Mikromanagement, nimmt uns aber auch einen gewissen Einfluss und macht uns abhängiger von unserer Bevölkerung.

Das spiegelt wunderbar den Grundansatz von Victoria 3 wider, dass unsere Bevölkerung im Zentrum des Spiels steht, und nimmt uns gleichzeitig einen Vorteil gegenüber der KI, die nicht in der Lage ist, so weitreichend strategisch zu planen wie wir. Gleichzeitig können wir als Staat weiterhin bauen, sind also nicht bar jeglichen Einflusses. Das ist ein cleverer Kompromiss im Vergleich zum Vorgängerspiel und aus meiner Sicht eine richtig gute Lösung.

Und falls uns unsere Kapitalisten weiterhin im Zeitalter der Dreadnoughts und Dampfschiffe zu viele Klipperwerften bauen, können wir mit einer Zentralisierung und Vergesellschaftung der Wirtschaft immer noch die Kapitalisten enteignen und den privaten Investitionsfonds zusammen mit allen anderen Produktionsmitteln verstaatlichen.

Auch im Außenhandel gab es eine große Änderung. Bisher wurde der Profit von Handelsrouten nicht nach den Marktpreisen der jeweiligen Ware in Import- und Exportländern berechnet. Das hatte zur Folge, dass ein knappes und teures Gut weit unter Marktpreis exportiert werden konnte. Dadurch entstanden im Importland nicht nur Gewinne aus dem Nichts, die Ware stand auch der Bevölkerung im Exportland nicht mehr zur Verfügung. Besonders bei Schlüsselprodukten oder Rohstoffen war dies ein großes Problem. Das wurde auch nicht dadurch besser, dass man sich als Exportland Teile der Waren per entgegengesetzter Handelsroute wieder zurückholen konnte und dabei ebenfalls Profit machte. Heutzutage mag das dank EU-Subventionen in manchen Branchen möglich sein, hier ist es jedoch eher widersinnig gewesen. Dieses Problem behebt Patch 1.2 zum Glück, ab jetzt läuft die Berechnung von Handelsrouten über die Marktpreise in den beiden beteiligten Ländern. Diese aus meiner Sicht sehr gute Anpassung sorgt für einen logischeren und nachvollziehbareren Welthandel.

Kriegsführung

Dass Kriegsführung ein Stein des Anstoßes werden würde, war bereits vor Veröffentlichung des Spiels klar. Die Entwickler*innen gingen hier einen komplett neuen Weg. Anders als in allen anderen Spielen von Paradox Interactive befehligt man nicht mehr einzelne Armeen, die man manuell rekrutiert. Stattdessen baut man Kasernen, die dann automatisch Soldaten rekrutieren und zu Armeen organisieren. Diesen Armeen ordnet man dann Generäle zu, die sie befehligen. Damit fällt viel Mikromanagement weg, gleichzeitig wird der eigene Handlungsrahmen aber sehr beschnitten. Ein zweischneidiges Schwert, das nicht überall auf Begeisterung traf, auch wenn ich persönlich diese Entscheidung für richtig und gut halte. Besonders problematisch wirken bei diesen Änderungen dann aber Designfehler, die das eigentlich gute Konzept frustrierend wirken lassen.

Generäle können zugleich auch politischen Fraktionen angehören oder gar selbst Politiker sein und durch ihren Rang und ihr Ansehen das politische Gleichgewicht im Land beeinflussen. Bei der Frage, welchem General wir unsere Westfront anvertrauen wollen, und welchen wir auf Expedition in die Antarktis schicken, empfiehlt es sich daher, nicht nur auf die militärischen Fähigkeiten zu achten.

Noch wichtiger als diese Verzahnung von Politik und Militär ist aber die Tatsache, dass unsere Generäle autonom agieren. Wir geben ihnen lediglich vor, ob sie defensiv oder offensiv vorgehen sollen. Alles andere entscheiden sie. Das führte bisher häufig zu Frustration auf Spieler*innenseite. Mal griff ein General mit zu wenig Soldaten an, mal lief seine Offensive in die falsche Richtung, und häufig genug bog ein siegreicher General kurz vor der feindlichen Hauptstadt ab, um mit horrenden Verlusten wertloses Sumpfland zu besetzen. Patch 1.2 soll hier Abhilfe schaffen. Zum einen wurde die Berechnung der zum Einsatz kommenden Truppen abgeändert, sodass Generäle es jetzt für sinnvoll halten, bei ihrer Offensive nach Möglichkeit mehr Soldaten einzusetzen als der Gegner zur Verfügung hat.

Zum anderen richten sich Generäle jetzt nach den Kriegszielen und versuchen diese ebenso wie die feindliche Hauptstadt möglichst schnell zu besetzen.

Mit diesen beiden Änderungen beseitigt der Patch zwei große Frustrationsquellen und entwickelt eine vielversprechende Innovation gut weiter.

Ebenfalls eine notwendige, wenn auch nebensächliche Verbesserung ist, dass man Marineinvasionen nun mit allen Armeen durchführen kann, die in Küstenregionen stationiert sind, und nicht mehr nur mit Armeen, die in der gleichen Region beheimatet sind wie die sie unterstützende Kriegsmarine. Auch dies war ein Fall von unnötigem Mikromanagement.

Die Darstellung auf der Weltkarte zeigt uns, mit welcher Technik unsere Armeen und Flotten kämpfen.

Diplomatie

Auch diplomatisch lag bisher einiges im Argen. Außenpolitische Ziele sind bei Victoria 3 auf zwei Arten zu erreichen. Entweder auf friedlichem Wege über diplomatische Aktionen und Abkommen, oder auf weniger friedlichem Wege mittels diplomatischer Spiele. Diese Spiele können zum Krieg eskalieren, wenn keine Seite nachgibt, sie können aber auch friedlich gelöst werden, wenn eine Seite erkennt, dass sie eindeutig unterlegen ist und nachgibt. In diesem Fall bekommt die siegreiche Partei das Ziel, wegen dem sie das Spiel begann, sei es eine Gebietseroberung, eine Unterwerfung zum Marionettenstaat oder die Durchsetzung von Freihandelsregeln. Alle anderen Ziele, die im Laufe des diplomatischen Spiels hinzugefügt wurden, verfallen, und zwischen den beiden Parteien besteht eine Waffenruhe von fünf Jahren. Grade bei größeren Konflikten sorgte dies für Frust, da es die eigenen Expansionsbestrebungen drastisch beschränkte.

Patch 1.2 behält dieses Konzept bei, erweitert es jedoch entscheidend. Während eines diplomatischen Spiels verfügte schon bisher jede Seite über eine bestimmte begrenzte Anzahl von Zügen, die sie gegen ihre Gegner machen konnte. Ein Zug besteht dabei entweder aus dem Hinzufügen eines weiteren Kriegsziels oder im Versuch, ein neutrales Land auf die eigene Seite zu bringen. Nun kann man diese Züge auch dafür aufwenden, hinzugefügte Kriegsziele zu primären Kriegszielen aufzuwerten, die auch im Falle eines Nachgebens der anderen Seite durchgesetzt werden. Damit erhöht man sowohl die Wahrscheinlichkeit eines Krieges, denn die andere Seite hat weniger zu verlieren, und man senkt die eigenen Chancen, sich internationale Unterstützung zu sichern. Höheres Risiko für höheren Gewinn, lautet hier das Motto dieser Möglichkeit.

Auf der generellen diplomatischen Ebene bringt Patch 1.2 eine Verbesserung, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Ab jetzt sieht man alle potenziellen diplomatischen Spiele gegen ein anderes Land, unabhängig davon, ob sie momentan möglich sind oder nicht. Bisher konnte man nur die Spiele sehen, die aktuell verfügbar waren. Welche und vor allem warum sie nicht verfügbar waren, darüber gab das Spiel keine Auskunft. Nun zeigt sich hingegen übersichtlich und nachvollziehbar, warum ich meinen Nachbarn gerade nicht zur Marionette machen kann oder warum eine gewaltsame Marktöffnung für mein Opium aktuell nicht möglich ist. Dies macht das Spiel nachvollziehbarer und erleichtert den Umgang mit anderen Staaten, da man sinnvoller planen kann. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass das Einzige, was mich als Frankreich daran hindert, endlich meinen deutschen Nachbarn zu überfallen und das jahrhundertelange Eroberungsstreben meines Landes erfolgreich zu Ende zu bringen, die guten Beziehungen sind, dann kann ich systematisch darauf hinarbeiten, diese zu beschädigen. Wenn ich dann noch sehe, wie viel internationale Verstörung eine solche Aktion meinem Land bringen würde, dann kann ich bereits im Vorfeld die Wogen glätten und dafür sorgen, dass mich meine Eroberung nicht zum Paria macht und man mit Sanktionen oder gar Krieg in die Schranken weisen will.

Beziehungen und ihr Einfluss auf Aktionen sorgten auch bei der Annexion von Untertanen für Irritationen in der Fangemeinde. Bei allen Spielen von Paradox Interactive benötigte man gute Beziehungen zu unterworfenen Staaten, um sie diplomatisch zu integrieren. Bei Victoria 3 war bisher das Gegenteil der Fall. Wenn unsere Marionette uns zu sehr mochte, dann konnten wir sie nicht integrieren. Das war nur möglich, wenn sie uns hasste. Dies basierte auf der nachvollziehbaren Grundhaltung, dass eine Annexion immer ein feindlicher Akt ist und daher nicht zwischen befreundeten Nationen möglich sein sollte. Grundsätzlich richtig, fühlte sich dies in diesem speziellen Fall allerdings falsch an und wurde im Patch 1.2 auch behoben. Gute Beziehungen dienen nun lediglich zwischen unabhängigen Ländern als Verhinderung von aggressiven Aktionen.

Sonstiges

Neben diesen Änderungen in den großen Spielbereichen gab es noch unzählige kleinere Verbesserungen, die in ihrer Gesamtheit das Spiel wesentlich angenehmer zu spielen machen. Das beginnt bei einem Musikplayer im Spiel, mit dem die Spielmusik angepasst werden kann, und endet mit der Möglichkeit, mittels Nachrichteneinstellungen festlegen zu können, welche Nachricht priorisiert angezeigt wird und welche in die Akte P wie Papierkorb kommt.

Zwar ist die aktuelle Unterteilung der Nachrichten noch nicht optimal, aber es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das Risiko, die deutsche Einigung oder die kommunistische Weltrevolution im Nachbarland zu verpassen, weil man mit Nachrichten über abgeschlossene Papierhandelsrouten mit China bombardiert wird, ist nun wesentlich geringer.

Fazit

Insgesamt kann man daher sagen, dass der Patch 1.2 einige dringend benötigte Verbesserungen mit sich bringt, die das Spiel gründlich aufpolieren und einige der größten Baustellen vorerst schließen. Nach wie vor ähnelt Victoria 3 einem Rohdiamanten, der erst noch geschliffen werden muss, bevor er glänzt. Aber das Spiel ist eindeutig auf dem richtigen Weg und beginnt schon zu glänzen. Paradox Interactive hat mit Victoria 3 ein stabiles Fundament geschaffen und scheint darauf auch vielversprechend aufzubauen. Das Spiel macht bereits jetzt Spaß und kann nach diesem Patch auch insgesamt überzeugen. Sollte die Fortentwicklung so weitergehen, wovon man beim Blick auf andere Titel wie Stellaris oder Europa Universalis 4 ausgehen kann, dann steht ihm in der Tat eine glänzende Zukunft bevor.

 

Artikelbilder: © Paradox Interactive
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Rick Davids

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