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Kaum ein Setting ist so zentral auf einen einzelnen Ort ausgerichtet wie Frank Herberts Dune-Saga um den namensgebenden Wüstenplaneten Arrakis. Folgerichtig hat Modiphius einen eigenen Ergänzungsband für sein Rollenspiel Dune: Abenteuer im Imperium herausgebracht. Ob sich der Ergänzungsband lohnt, wird hier besprochen. Warnung: diese Rezension könnte Sandwürmer enthalten. 

Triggerwarnungen

Gewalt, Drogen, Rassismus, religiöser Fanatismus

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Die Spielwelt

Arrakis. Dune. Wasteland of the Empire“. – Prinzessin Irulan.

Es gibt wohl wenige Orte, welche das Genre Science-Fiction so sehr geprägt haben wie der Wüstenplanet Arrakis. Heimat der geheimnisvollen Fremen, welche über Generationen ihr Wasser sammeln, um ihre Heimat endlich fruchtbar zu machen, nur, um in einem grausamen Dschihad einem Gottimperator (nein, nicht dem einen aus Warhammer 40.000. Der andere) zu folgen und die Galaxis in Blut zu tauchen. Heimat des alten Mannes der Wüste, Shai-Hulud, besser bekannt unter seiner Bezeichnung Sandwurm, welcher in seinem Wachstumszyklus die bewusstseinserweiternde Droge erzeugt, welche interstellare Reisen erst möglich macht.

Die Wüste steckt voller Gefahren

Und schließlich Ort des Zusammenstoßens uralter Philosophien über den weiteren Weg der Menschheit. Zwischen beispielsweise den ideologischen Überresten von Butlers Dschihad und den Bene Gesserit. Dem Goldenen Pfad von Leto II. oder dem Glauben der Fremen, zusammengestellt aus den Fragmenten der Zensunni und den Einflüsterungen der Hexen der Bene Gesserit. Der Wüstenplanet, der schließlich erblühen wird, in welchem eine Träne nicht mehr schwerer wiegt als Blut.

Man sieht schon, dass das Bespielen dieses Planeten seine Herausforderungen bieten dürfte.

Nicht zuletzt durch mehrere großartige Verfilmungen des Stoffes des Wüstenplaneten (die letzte war auch ganz in Ordnung) ist Dune mittlerweile stark im Bewusstsein von Rollenspieler*innen angekommen. Doch gerade diese tolle Vorlage für Abenteuer bietet neben einem aufregenden Schauplatz auch die Gefahr, die Ereignisse der bekannten Bücher und Filme lediglich zu wiederholen, beziehungsweise im Versuch, den Spieler*innen ein noch tolleres Erlebnis als die bereits bekannten Vorgänge zu bieten, zu scheitern.

Inhaltsübersicht

Was bietet uns also der Ergänzungsband Sand und Staub von Modiphius? Das Cover verrät schon einmal, wohin die Reise gehen soll. Der nicht gerade bescheiden klingende Untertitel „Das Arrakis-Quellenbuch“ verheißt eine umfassende Menge an Spielinformationen. Illustriert wird der Bandumschlag durch eine Fremenfrau, welche die Leser*innen direkt anblickt. Dahinter finden sich nicht lediglich ein, sondern gleich zwei Sandwürmer in Interaktion mit Fremen und Ornithoptern. Man merkt also, dass allein schon durch das Cover viel versprochen wird. Aber hält diese Ankündigung auch einer Überprüfung stand?

Eine schöne Stimmung wird bereits durch den sandfarbenen Hintergrund der Seiten und die Einleitung jedes Kapitels durch ein Zitat aus dem Universum von Dune, ganz wie in Herberts Büchern, vermittelt. Die Einleitung erklärt, was der Wüstenplanet ist und warum jede*r Kontrolle über ihn haben will, stellt aber auch klar, dass er mehr als nur Gewalt und Drogen bietet. Die einzelnen Kapitel des Buches beschäftigen sich mit den wirtschaftlichen, sozialen und historischen Umständen, die Arrakis zu dem gemacht haben beziehungsweise machen, was er ist. Das bietet eine schöne Gelegenheit, dem Ort etwas Geschichte zu geben, die bereits vor der Ankunft der Held*innen geschehen ist. Ein bespielter Ort fühlt sich immer lebendiger an, wenn auch ohne das Zutun der Charaktere Dinge geschehen können.

Das zweite Kapitel widmet sich den geheimnisvollen und gefährlichen Ureinwohner*innen von Arrakis, den Fremen, und wie man sie im Spiel passend darstellen kann – als Spieler*in wie als Spielleitung. Da der Glauben und die Lebensweise der Fremen das zentrale Konzept von Dune sind, ist insbesondere dieses Kapitel spannend.

Neben den Ureinwohner*innen von Arrakis gibt es natürlich auch die Neuankömmlinge. Deren Politik (eine Mischung aus Intrigen und Gewalt) um die Gewürzmelange der Alten Männer der Wüste ist das Thema des dritten Abschnitts. Hier finden sich besonders diejenigen Gruppen wieder, die als Außenstehende auf dem Wüstenplaneten ankommen.

Das vierte Kapitel dreht sich schließlich darum, wie man auf dem Wüstenplaneten spannende Geschichten erzählen kann, ohne lediglich die klassische Saga zu wiederholen. Zwischen all den beteiligten Personen – Fremen, Große Häuser, Stadtbewohner*innen, Abenteurer*innen und Söldner*innen – kann es durchaus anspruchsvoll sein, allen etwas Ansprechendes bieten zu wollen.

Der letzte Abschnitt des Bandes ist schlussendlich ein spielfertiges Abenteuer „Das Wasser muss fließen“. Während einer Wassernot müssen die Held*innen den*die Urheber*in der Wasserknappheit finden, während die Harkonnen die notleidende Bevölkerung gegen die Fremen aufhetzen und die ersten Menschen verdursten.

Neue Charaktere

Es befinden sich 19 neue einsetzbare Archetypen/Hintergründe für Charaktere in diesem Band. Darunter Fremen-Wächter*in, Gewürz-Vorarbeiter*in und Ornithopter-Pilot*in.

Arrakis steckt voller Überraschungen

Man sieht an dieser bloßen Anzahl schon, dass eine sehr große Bandbreite an Charakterkonzepten (zusätzlich zu denen im Grundregelbuch) möglich ist. Natürlich bekommen die Fremen als Ureinwohner*innen von Arrakis einen Großteil der Aufmerksamkeit, aber eine Gruppe aus mundanen, einfachen Stadtbewohner*innen von Arrakeen ist absolut denkbar.

Dankenswerterweise haben wir hier Zugriff sowohl auf exotischere Archetypen wie beispielsweise Mystiker*innen (welche in einer Kampagne mit Bene Gesserit und Tleilaxu sicherlich spannend wären). Andererseits gibt es simple, aber potentiell umso spannendere Klassen wie Eigentümer*innen einer Bar, welche sicher interessant mit Wasserverkäufer*innen, Gewürzarbeiter*innen und Marktverkäufer*innen eine low-level-Runde gestalten können. Diese könnte während der Ereignisse um die Machtübernahme der Atreides, der Kämpfe gegen die Harkonnen und den Aufstieg von Muad’Dib spielen. Mehr (Auswahl) ist eben manchmal doch mehr.

Fremen

Der Kultur der Fremen wird ein eigenes Kapitel gewidmet, sind sie es doch, die das Herz von Dune bilden. Von ihren Ursprüngen als Abkömmlinge der Zensunni, ihrer Hochzeit während des blutigen Dschihads des Gottkaisers und ihrem Ende als Museumsfremen, die ihre Wüste schließlich verloren haben, bietet sich ein überaus breit angelegtes Bild dieser faszinierenden Menschen. Leider geht das Buch nicht näher auf den Zensunni-Katholizismus oder das Mahayana-Christentum oder den im Imperium dominierenden Buddhislam mit seiner orange-katholischen Bibel oder eine andere der Religionen des Dune-Universums ein, was sehr schade ist.

Der Alltag in einem Sietch (eine verborgene Höhlensiedlung der Fremen in der Wüste, welche lediglich einige Dutzend bis zu mehrere tausend Menschen beheimaten kann) wird ausführlich beschrieben, ebenso die traditionelle Einstellung der Fremen zu Leben, Tod, Gemeinschaft und Wasser (in welchem sich alle vorhergesagten Aspekte des Lebens vereinigen). Typische Fremengegenstände wie Krismesser oder Destillanzüge werden näher beschrieben. Zusätzlich erhalten geneigte Leser*innen Regeln für das Reiten von und Reisen mit Sandwürmern. Nie war das Überwinden einer Distanz im Rollenspiel so stylish!

Schlussendlich bespricht dieses Kapitel die Frage, wie man einen Fremen in das Abenteuer integrieren kann, sei es in einer reinen Fremengruppe oder gemeinsam mit Außenseiter*innen außerhalb des heimischen Sietches. Zu diesem Zweck werden mehrere Vorschläge gemacht, warum ein Fremen überhaupt seinen Sietch verlassen sollte. Dazu gibt es auch sechzehn neue Fokusse, um dem Charakter Gestalt zu verleihen. Nicht alle dieser neuen Optionen sind exklusiv für Fremen gedacht.

Mit sechs neuen Vorlagen können Fremen-Charaktere individualisiert werden. Naibs sind Befehlshaber*innen, Fedaykin Elitekrieger*innen, Sayyadinas weise Frauen, Wali junge Ungestüme des Stammes. Dazu gesellen sich noch Sandläufer*innen und Ökolog*innen. Abgerundet wird diese Auswahl durch neue Talente und Optionen, einen eigenen Sietch zu gestalten.

Die Politik des Gewürzes

Gewürzabbau ist profitabel, aber gefährlich

Kein Werk über den Wüstenplaneten wäre komplett ohne eine Beschreibung, wie dieGewürzmelange ihren heilsamen wie verderblichen Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Als wertvollste Substanz des Universums nimmt sie mit einem eigenen Kapitel den ihrgebührenden Platz ein. Es wird ausführlich beschrieben, wie Spice gewonnen wird, welche Probleme es bei dem Abbau und dem Verkauf gibt, wer alles am Handel mit dem Gewürz verdient. Eigene Gewürz-Talente vertiefen Charaktere, welche (zu) lange Umgang mit dieser geheimnisvollen Substanz haben. Charaktere können so beispielsweise ihre Lebensspanne sehr weit ausdehnen, Einblicke in die Natur ihrer Umgebung gewinnen oder sich schneller bewegen.

Dem Abbau des Gewürzes und dem Lebenszyklus des Sandwurmes wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Wenn gewünscht, können Spielgruppen so als kleines selbstständiges Ernteunternehmen arbeiten. Selbstverständlich werden noch etliche Ideen für politische Intrigen rund um den Gewürzabbau sowie Details über das Leben auf Arrakis eingestreut.

Spielbarkeit aus Spielleitungssicht

Besonders hervorzuheben für die Spielleiter*innen sind die vielen, über die einzelnen Kapitel verstreuten Hinweise, wie man eine Szene an weitere Ereignisse anknüpfen könnte. Die Ansätze sind durchaus divers und bieten Potential für weitere Geschichten.

Das Buch beginnt mit einem geschichtlichen Überblick des Wüstenplaneten. Man muss ja schließlich nicht in der Zeit der Bücher und Filme spielen, sondern kann auch nach der Schlacht von Corrino oder während des Zeitalters des Gottimperators spielen.

Arrakeen und Carthag, die einzigen beiden (bekannten, neben den größten Sietches der Fremen) Metropolen des Planeten werden beschrieben, allerdings leider etwas oberflächlich. Die einzelnen Viertel der Ortschaften werden durchaus erwähnt, aber es hätte schon etwas detaillierter sein dürfen, vor allem, da dies wahrscheinlich die zentralen Ortschaften des Settings während des Spiels sein werden.

Die Wüste bekommt selbstverständlich einen eigenen Abschnitt, in welchem sie näher vorgestellt wird. Neben der unvorstellbaren Leere, die einer Wüste inhärent ist, bietet ihre große Weite  dennoch eine enorme Anzahl an Bewohner*innen, Gefahren und Möglichkeiten für Abenteuer. Besonders schön ist, dass auch auf die spirituelle Bedeutung der Wüste sowohl für die Fremen als auch den Gottkaiser Muad’Dib eingegangen wird und sie somit einen ganz eigenen Charakter erhält.

Erscheinungsbild

Das Layout dieser Erweiterung ist wie das Grundregelbuch in Sandfarben gehalten, lediglich unterbrochen durch die strahlend blauen Augen der Bewohner*innen des Wüstenplaneten. Die Bilder tendieren wie auch im Grundregelbuch dazu, „weichgezeichnet“ zu sein, also keine harten Kanten aufzuweisen. Der Hintergrund der Seiten ist in einem orientalisch angehauchten Ornamentmuster gehalten, welches stellenweise durch weiße Linienstrukturen ergänzt wird, die an Weltraumkarten erinnern. Die Kombination dieser beiden Elemente passt besonders schön zu dem Setting. Alles in allem wirkt der Ergänzungsband wie aus einem Guss.

Als einziges Manko des Bandes muss angemerkt werden, dass er lediglich eine rudimentäre Übersichtskarte von Dune enthält plus eine Übersichtsskizze für das beigefügte Abenteuer. Das ist per se nicht schlimm (Dune war schließlich nie ein Franchise, das groß Wert auf Kartenmaterial gelegt hätte), aber bei einem Hintergrundbuch für Pen-and-Paper ist es doch schade, dass man hier nicht der eigenen Fantasie beim Schreiben des Buches etwas mehr gestalterischen Freiraum ließ. Besonders im Abschnitt über die Fremen-Sietche wäre eine Skizze spannend gewesen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
  • Autor*in(nen): Redaktion Kai Grosskordt
  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover/PDF
  • Seitenanzahl: 151 Seiten
  • ISBN: 3-9633-1855-4
  • Preis: 39,95 EUR, 21,00 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo, DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Fazit

Der wahre Schatz von Arrakis sind die Freunde, die wir dort finden

Mit Dune: Sand und Staub hat man ein prall gefülltes Paket rund um Leben und Sterben und vieles mehr auf dem Wüstenplaneten. Dieser Band ist aufgrund seines Umfanges und Detailfülle in der Beschreibung der Orte, Charaktere und Abenteuermöglichkeiten eine Erweiterung, die man vorbehaltlos empfehlen kann, sei es als Spielleiter*in oder Spieler*in.

Besonders Fremencharaktere werden hier in aller gebührenden Ausführlichkeit beschrieben, aber auch die „gewöhnlichen“ Stadtbewohner*innen der Siedlungen bekommen ein wenig Aufmerksamkeit. Das Buch lohnt sich schon alleine deswegen, da die allermeisten Spielrunden dieses Systems wahrscheinlich Arrakis zumindest einen Besuch abstatten werden.

Das einzige Manko dieser Publikation ist der Mangel an Übersichtskarten und -plänen. Das ist zwar schade, aber, da Frank Herbert selbst keinen Atlas des Wüstenplaneten hinterlassen hat, zu verschmerzen.

  • Solider Hintergrundband aus einem Guss
  • Viele Vorschläge für Spielleitungen zum Ausbau der Abenteuer
  • Man kann Sandwürmer reiten!
 

  • Für Kenner*innen des Hintergrundes nicht allzu viel neues

 

 

Artikelbilder: © Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Katrin Holst
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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