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1985 wurde Sherlock Holmes Criminal-Cabinet zum Spiel des Jahres gewählt. Fünfunddreißig Jahre später bringen Asmodee und die Space Cowboys das Spiel als Sherlock Holmes: Beratender Detektiv neu heraus. Grund genug, den damaligen Jury-Entscheidern Jochen Corts, Jürgen Herz und Synes Ernst die Frage zu stellen: Kann das Spiel heute noch überzeugen?

Egal ob das super-komplexe Detective, das VR-unterstützte Chronicles of Crime oder das cthulhueske Mythos Tales – Detektivspiele sind in den letzten Jahren allgegenwärtig. Sie führen uns an Orte des Verbrechens, an denen wir Informationen finden und Zeugen befragen, um den Mord aufzuklären und die Verbrecher dingfest zu machen. Immer treffen wir schwerwiegende Entscheidungen mit unseren knappen Ressourcen, vor allem der Zeit, und wissen, dass es so viel mehr noch herauszufinden gibt in den dicken Heft-Paragraphen, vielen Kartentexten oder Datenbank-Einträgen.

Dabei wurde das Grundprinzip dieser Krimi-Spiele bereits Mitte der 80er-Jahre entwickelt, und für dieses bahnbrechende Konzept gab es auch direkt den begehrten Preis Spiel des Jahres. Allerdings war das Spiel finanziell damals gar nicht so erfolgreich und wurde jahrelang als vergriffener Geheimtipp gehandelt. Asmodee und die Space Cowboys bringen 2020 eine neue Edition heraus, und nicht nur der Titel soll diesmal nicht vom Original Sherlock Holmes: Consulting Detective abweichen – auch sonst soll gar nicht viel verändert werden am Spiel von damals.

Robin de Cleur, PR & Communication Manager von Asmodee, hat die Spur aufgenommen und drei der Jury-Mitglieder, die damals die Entscheidung über den „Roten Pöppel“ mitgetragen haben, ins Kreuzverhör genommen. Also seid gespannt, was diese Zeitzeugen über die einstigen Geschehnisse zu berichten wissen und ob sie denken, dass die Verlage mit ihrer Entscheidung für eine Neuauflage den richtigen Riecher haben.

Interview

Teilzeithelden: Sie haben Sherlock Holmes: Criminal-Cabinet 1985 als Spiel des Jahres ausgezeichnet. Was war an dem Spiel so außergewöhnlich, dass es Sie alle überzeugt hat?

Jürgen Herz: Ich erinnere mich noch gut daran. Kennengelernt hatte ich das Spiel durch einen Produktmanager vom Frankh-Kosmos Verlag. Damals fanden die Essener Spielertage, der Vorläufer der heutigen weltgrößten Spielemesse, noch ganz klein in der VHS statt. Ich sehe den Produktmanager noch vor mir sitzen an dem Tisch. Er hat das Spiel voller Begeisterung vorgestellt und mich richtig reingezogen. Ich fand es auf Anhieb toll. Ich habe diese Begeisterung wohl auf die damalige Jury übertragen.

Synes Ernst: Es war das Außerordentliche des Spiels, das uns überzeugt hatte: kein Spielplan, kein Ziehen von Spielfiguren, nur aufgrund von Hinweisen beraten und kombinieren. Die meisten Spiele damals waren nicht wie Sherlock Holmes Criminal-Cabinet. Es stach im Jahrgang wirklich heraus.

Teilzeithelden: Außergewöhnliche Spiele können auch polarisieren. Wie haben die Menschen damals auf Criminal-Cabinet reagiert?

Jochen Corts: Trotz der Qualitäten war das Spiel beim Publikum kein Renner. Das Spiel war seiner Zeit weit voraus, so etwas kannten die Leute noch nicht. Für die Zielgruppe Spiel des Jahres war Criminal-Cabinet eigentlich nicht geeignet.

Jürgen Herz: Man musste schon ein Nerd sein, um von dem Spiel so begeistert zu sein wie wir. Die typischen Spiele vor 35 Jahren waren komplett anders.

Synes Ernst: Es war wirklich eine enorme Herausforderung für die Spieler damals. Uns war schon klar, dass das Spiel im Grenzbereich der Familienspiele liegt. Aber wir wollten auch den Mut belohnen, so ein Spiel auf den deutschen Markt zu bringen.

Sherlock Holmes - Spielmaterial © Asmodee
Sherlock Holmes – Spielmaterial © Asmodee

Teilzeithelden: Was genau war denn so neu und herausfordernd?

Synes Ernst: Es war absolut neu, dass man in der Gruppe einen Fall löst. Sherlock Holmes Criminal-Cabinet ist Grübeln, Kombinieren und Denken, eine ganz andere Art von Spiel als sonst damals.

Jochen Corts: In Rollen zu schlüpfen, auf verschiedene Art und Weise zusammenzuarbeiten, war so einfach nicht bekannt. Mit dem Spiel wurde damals wirklich Neuland betreten. Man kann schon sagen, dass Criminal-Cabinet der Ahnherr moderner Ermittlungsspiele ist.

Teilzeithelden: Auch dank dieses Ahnherrn gibt es inzwischen viele andere reizvolle Spiele dieser Art.

Synes Ernst: Heute hat Sherlock Holmes: Beratender Detektiv viele Verwandte. Spiele wie Detective oder Exit und Unlock schaffen durch das gemeinsame Lösen von Rätseln unter Zeitdruck eine ganz besondere Spannung, ein Mitfiebern. Diese Spannung erlebe ich absolut auch in Sherlock Holmes, indem ich mich ständig frage: Finden wir es heraus?

Jochen Corts: Damals war das Spiel ein echtes Unikat. Heute wird es schwieriger, die Wahrnehmung zu erreichen: Es gibt inzwischen mehr Spiele dieser Art. Das Spiel kann aber aufgrund seiner inneren Qualitäten sicher auch heute überzeugen. Auf BoardGameGeek hat es aktuell eine Note von 7,8. Das zeigt, dass es sehr gut ankommt.

Teilzeithelden: Nun ist das Spiel mit Sherlock Holmes: Beratender Detektiv neu aufgelegt worden. Passt es in die heutige Zeit?

Jürgen Herz: Criminal-Cabinet traf damals auf eine Spielerszene, die mit der heutigen nicht zu vergleichen ist. Heute gibt es Spiele, die ähnlich funktionieren, in die man sich richtig reindenken muss. Trotzdem ist es auch nach heutigen Maßstäben noch anspruchsvoll. Das Spiel fast unverändert herauszubringen, ist sicherlich eine vertriebliche Herausforderung.

Synes Ernst: Im Jahr 2020 ist das Spiel voll im Zeitgeist und immer noch absolut modern. Es erscheint heute in einer Spielelandschaft, in der solche Spiele sehr angesagt sind, in der Spieler es gewohnt sind, gemeinsam Rätsel und Fälle zu lösen.

Jochen Corts: Wenn ich sehe, was in den letzten Jahren an Spielen mit erzählerischen Elementen, mit Rätseln und gemeinsamem Ermitteln erschienen ist, finde ich schon, dass Sherlock Holmes deutlich besser in die heutige Zeit passt.

Die Interviewpartner

Jürgen Herz:

Jürgen Herz gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Spiel des Jahres. Die Idee, ein Spiel des Jahres zu wählen, hatte der Autor und Moderator schon länger.

Im Rahmen der Spielwarenmesse 1978 schlug er sie dann einigen bekannten Journalisten vor und setzte sie dann mit diesen in die Tat um. 10 Jahre lang organisierte er die Verleihung in der VHS Essen.

Synes Ernst:

Der Journalist und begeisterte Spieler Synes Ernst gehörte von 1982 bis 2007 zur Jury Spiel des Jahres, von 1994 bis 2004 war er deren Vorsitzender.

Der 1947 geborene Schweizer arbeitete bis zu seiner Pensionierung als politischer Journalist bei verschiedenen Printmedien. Dem Spielen war er immer treu und veröffentlichte in jeder Station seiner journalistischen Laufbahn Rezensionen.

Jochen Corts:

Seit 1974 schreibt Jochen Corts in diversen Tageszeitungen und Zeitschriften über Spiele und Spielliteratur und unterhält Kolumnen für abstrakte Denkspiele und Schachvarianten.

Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Spiel des Jahres und rückt auch nach Eintritt in den Ruhestand als Richter Spielregeln weiterhin mit juristischem Handwerkszeug zu Leibe.

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Asmodee Deutschland.

Artikelbilder: © Asmodee
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Simon Burandt

Über den Autor

Robin de Cleur wurde 1982 geboren und wuchs mit Spielen auf. Zu seiner spielerischen Frühbildung gehörten klassische Stichspiele, Familienspiele á la Hotel oder Spiel des Lebens, aber auch HeroQuest oder Der Schatz des Vul-Khans. Heute spielt er fast alles gerne und lebt diese Leidenschaft auch im Beruf als PR & Communications Manager bei Asmodee aus.

 

 

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