Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Die Menschheit ist verschwunden. Mäuse, Hamster und Meerschweinchen sind die tierischen Helden in diesem postapokalyptischen Abenteuerspielbuch von Jerry Hawthorne. Könnt ihr ihnen helfen, gegen Feinde und Hunger zu bestehen sowie ihre Kolonie aufzubauen und zu beschützen? Oder droht den kleinen Nagetieren ein jähes Ende in der Endzeitwelt von Aftermath: Nach dem Untergang?

Jerry Hawthorne hat sich mit dem Spiel Maus und Mystik des Verlags Plaid Hat Games im Bereich der niedlich-kreativen und geschichtslastigen Spiele einen Namen gemacht. Während wir uns dort allerdings als verwunschene Hofgesellschaft eines Fantasy-Settings in Mäuse verwandelt vorfanden, spielen wir in Aftermath: Nach dem Untergang Nagetiere in der realen Welt, einige Jahre nachdem die gesamte Menschheit spurlos verschwunden ist.

Der tapfere Ringo macht sich mit Startfähigkeit und -Item auf ins Abenteuer

Spielablauf

Im Grunde handelt es sich um ein Miniaturenspiel, das auf den einzelnen Kartenabschnitten im großen Abenteuerbuch gespielt wird. Das eigene Nagetier wird auf der Karte bewegt, stößt auf aufgedruckte Symbole, sammelt Token auf und besiegt Gegnertiere. In vielen Fällen wird dazu ein Abschnitt auf der gegenüberliegenden Buchseite vorgelesen und die Story geht voran, weitere Hindernisse stellen sich in den Weg, wir finden etwas Nützliches oder auch neue Freunde.

Zwei Plünderratten warten bereits auf uns
Zwei Plünderratten warten bereits auf uns

Die jeweiligen Aktionen werden mit Karten gesteuert. Hierzu zieht man zu Beginn des eigenen Zuges immer auf fünf Handkarten auf und kann dann, je nach Farbe, Aktionen wie Stärke/Nahkampf (rot), Geschick/Fernkampf (grün) oder Stöbern/Kommunizieren (gelb) ausführen.

Wer hierbei direkt an die Würfelfarben von Der Herr der Träume oder Komanauten denkt, liegt goldrichtig. Blau steht ebenso für Verteidigung und es finden sich viele Boni, allerdings darf auch mit Stärke, Geschick oder Köpfchen verteidigt werden. Außerdem gibt es die weißen Joker-Karten, mit denen jede Art von Aktion vollzogen werden kann. Zu den gespielten Kartenwerten eins bis drei werden die Boni von Charakterfähigkeiten und Gegenstände addiert, um die jeweilige Schwierigkeit zu übertreffen.

Rot für Angriff, gelb für Kommunikation, weiß als Joker und schwarz für die Gegnertiere

Die Karten bieten gegenüber Würfeln viele Vorteile: Neben einer gewissen Berechenbarkeit, weil das Deck zwei bis drei Mal in einer Partie durchgespielt wird, liegt die Bandbreite der einzelnen Karten nur zwischen eins und drei, also halb so viele Möglichkeiten wie bei einem sechsseitigen Würfel. Beides sorgt dafür, den positiven Nervenkitzel des Zufalls zu spüren, ohne ihm jedoch zu viel Macht einzuräumen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Karten kombiniert werden dürfen, wenn sie der gleichen Farbe oder dem gleichen Wert entsprechen.

Im Anschluss kommen doch noch ein bis zwei Würfel ins Spiel, jeweils mit den Seiten -2, -1, 0, +1, +2, +3. Der weiße Würfel wird dem eigenen Erfolgswert zugezählt. Bei heiklen Proben (wie beispielsweise im Kampf) wird der schwarze der Schwierigkeit hinzugefügt. Bei entsprechender Kartenhand können Proben komplett abgesichert werden, was meist ein paar Karten kostet – oder wir versuchen mehrere Aktionen, benötigen aber eine Portion Würfelglück dabei. Hier ein wenig zu tüfteln macht Spaß und funktioniert wirklich gut. Es wirkt, als hätte Jerry Hawthorne sein System soweit abgerundet, dass es sich jetzt vollkommen flüssig und abwechslungsreich spielt.

Gegenüber des jeweiligen Planes befindet sich die Seite für Story, Regeln und Effekte

Im Deck sind auch böse, schwarze Karten dabei. Nachdem die vierte von diesen gezogen wurde, tritt ein Ereignis ein: Zeit verrinnt, Gegnertiere kommen ins Spiel oder werden aggressiv. Hiernach werden die Karten abgeräumt und jedes Mal, wenn so viele schwarze Karten neu angelegt wurden, wie aktive Gegnertiere im Spiel sind, greifen diese an. Meist verfügen sie über einen üblichen Angriff, der bei Einser- oder Zweier-Karten ausgelöst wird und einen speziellen, der nur bei der einzigen drei geschieht. Zusätzlich gibt es noch die Katzen-Karte, den schwarzen „Joker“: Der schwarze Würfel wird geworfen und je mehr Zeit verstrichen ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass noch etwas unvorhergesehenes Schlimmes geschieht. Verliert ein Charakter den vierten Lebenspunkt, wird das Zeitrad um eins vorgestellt, aber er darf beim nächsten Zug frisch auf dem Startfeld wieder kommen. Nur wenn alle Charaktere gleichzeitig gefangen wurden, ist die Mission gescheitert, doch auch dann geht die Geschichte weiter.

So weit, so einfach.

Alle Ratten haben eine schwarze Karte, Zeit für den Gegenangriff

Komplexer wird es vor allem durch Sonderregeln für beispielsweise Strömungen auf Wasserfeldern, das Überwinden von Abgründen, das Tragen von schweren Dingen oder Mausefallen. Eine Besonderheit ist, dass wir, so lange eine Situation sicher ist, Gegnertiere, statt sie zu besiegen, mit einem Kommunizieren-Check überzeugen können, unserer Kolonie beizutreten. Zudem gibt es einige Statuseffekte wie „kopflos“ oder „brennend“, Charakterfähigkeiten, Fahrzeuge zur Schnellreise und natürlich die vielen Gegenstände, die gefunden und ausgerüstet werden können. So finden wir viele bekannte Mechaniken aus früheren Spielen des Autors oder aus anderen Dungeon Crawlern. Leider aber, so simpel das Grundprinzip zu begreifen ist, sind die Regeln weder verständlich geschrieben, noch umfassend, sodass wir bei den ersten Spielen immer wieder die FAQ und vor allem die BoardGameGeek-Foren zu Rate ziehen mussten, dabei jedoch zumeist fündig geworden sind. Ein Beispiel für eine Frage, die wir immer noch nicht klären konnten: Was gilt, wenn wir ein schweres Ding (welches man nur mit einer Vierer-Gruppenaufgabe bewegen kann) über einen Abgrund befördern wollen (den zu überqueren für jedes Nagetier ebenfalls eine eigene Vierer-Probe mit Würfelwurf ist)?

Unsere Kolonie befindet sich oben links – wie weit wagen sich die Nagetiere im nächsten Abenteuer?

Die einzelnen Missionen sind zwar der wesentliche, aber nicht der einzige Teil des Spiels, welches als Kampagne aufgebaut ist. Einmal heimgekehrt, wird zunächst geschaut, wie lange wir die Kolonie allein gelassen haben. Für jede Zeiteinheit, die wir länger als die Vorgabe gebraucht haben, geschieht ein zufälliges Ereignis. Diese haben meist negative Konsequenzen, wenn wir sie nicht verhindern können, weil wir den passenden Gegenstand oder das passende Gebäude errichtet haben. Denn unterwegs finden wir allerhand nützliche Dinge, vor allem Zahnräder, um mit ihnen in späteren Missionen Gegenstände zu reparieren oder Gebäude für unsere Kolonie zu bauen, die weitere Effekte besitzen. Zudem finden wir jede Menge Käse. Das ist gut, denn unsere wachsende Bevölkerung möchte ernährt werden. Batterien liegen ebenfalls herum und diese können wir später einsetzen, um für eine Mission lang manche Ausrüstungsgegenstände mit Zusatzenergie zu verbessern. Danach ist die Batterie natürlich leer, es sei denn, wir finden und bauen Akkus oder eine Solarzelle.

Token für Suchen, Schaden, Feuer, Batterien und die beiden Würfel

Hierin liegt ein großer Reiz des Spiels: Wir bewegen uns in 10-20 Hauptmissionen durch die Welt (ein Muster aus vier mal vier Orten), bis vier Spielziele erreicht wurden (jeder Charakter bringt welche mit, meist zu bauende Gebäude, zu erlangende Gegenstände oder erreichte Bevölkerungsanzahl). Zusätzlich können wir uns jedes Mal für eine Nebenmission entscheiden. Die Futtersuche wählen wir beispielsweise, wenn wir mal wieder zu wenig Nahrung im Speicher haben. Dann finden wir in der aktuellen Mission keine Zahnräder für Gebäude und nützliche Dinge, sondern mehr Futter und wenn wir alle Mäuse ernähren können, gewinnen wir noch einen Moralpunkt. Sonst verlieren wir Moral für alle Koloniebewohner*innen, die wir nicht ernähren können.

Die Kampagnentafel mit den Startwerten unserer Nagetier-Kolonie

Sollte die Anzahl der Nagetiere oder die Moral auf null sinken, ist die Kampagne verloren. Allerdings ist es nach unserer Einschätzung fast unmöglich, an diesen Punkt zu gelangen. Vielmehr hatten wir nach einem halben Dutzend Abenteuer bereits fast das gesamte Lager ausgebaut und alle Fähigkeiten freigespielt. Zusätzlich platzte unser Lager aus allen Nähten was Bewohner*innen, Käse, Material und Items anbelangt. Spaß hat es danach immer noch gemacht und die kleinen, erlebten und gelesenen Geschichten, sowie die Begegnungen und einzelnen Kampfsequenzen sind abwechslungsreich genug, um den Spaß länger aufrecht zu erhalten, als es zum Beispiel Maus und Mystik schafft. Wer jedoch eine Herausforderung sucht, wird Hausregeln erfinden müssen.

Die Boxen der Charaktere: für neue Abenteuerkarten, das Kolonielager und verbannte Karten

Ausstattung

Die Miniaturen sind gewohnt liebevoll und detailliert und kommen für die Bemal-Faulen unter uns direkt mit einem Shading (Technik beim Anmalen, wodurch die Figur mehr Plastizität bekommt): Ein sehr schönes Detail, was sicher etwas in den stolzen Preis von 70 Euro mit hineinspielt. Dafür bekommen wir eine längere und große Geschichte. Im Abenteuerbuch zu spielen, klappt sehr gut und die relevanten Regeln auf der rechten Buchseite und auf Karten zu finden ist eine elegante Mechanik. Aber warum gibt es kein Glossar, oder direkt ein zweites Regelheft, mit allen relevanten Spielelementen und potentiell auftauchenden Fragen? Zwölf Seiten Regeln sind einfach nicht genug, vor allem, weil sie sich zunächst ähnlich sperrig lesen wie bereits bei Komanauten. Darunter leidet ein wenig die Kinderfreundlichkeit, wobei Moment, das Spiel ist sowieso ab 14 Jahren empfohlen? Also ja, Weltuntergang ist ein düsteres Thema, aber die Inhalte werden nicht kinderunfreundlicher als die Tatsachen, dass die Menschen verschwundenen sind und Gegnertiere bekämpft werden müssen. Bereits ab zehn Jahren sollten Kinder hier bereits gut aufgehoben sein, wenn sich ein Elternteil die Mühe macht, die Regelfragen zu googeln.

Die Miniaturen kommen bereits mit Shading.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Z-Man Games, Asmodee
  • Autor*in(nen): Jerry Hawthorne
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Spieldauer: 60-120 Minuten pro Partie bei 15-18 Spielen
  • Spieler*innen-Anzahl: 1 2 3 4
  • Alter: 14+
  • Preis: ca. 70 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Seite des Spiels bei Asmodee können die Regeln heruntergeladen werden, ebenso wie ein Dokument mit Errata/FAQ, welches gerne erweitert werden dürfte.

Fazit

Es steckt unglaublich viel Liebe in diesem Spiel, den Charakteren, den Geschichten und der Welt. Es spielt sich stimmig und macht Spaß, aber wir werden das Gefühl nicht los, dass der Bruch zwischen Plaid Hat Games und Asmodee seinen Tribut gezollt hat. Das Spiel wird weiter von Z-Man Games verlegt und es ist unklar, ob es Erweiterungen geben wird, die dann nicht mehr aus der Feder des Autors stammen werden. Jerry Hawthorne war eine ganze Zeit lang noch sehr aktiv bei der Beantwortung von Regelfragen im Forum, aber wie bei seinen anderen bisherigen Machwerken blieben die Rechte am Spiel bei Z-Man Games/Asmodee. So wirkt es ein wenig wie ein Scheidungskind, um das sich gerade niemand richtig kümmert, zumindest nicht so, wie es das bräuchte und auch verdient.

Im Grunde wirkt das Spiel wie eine Weiterentwicklung von Der Herr der Träume im Setting eines postapokalyptischen Maus und Mystik (von dem wir sogar Figuren entleihen können). Das funktioniert super, auch wenn es – sogar im Vergleich zu seinen Vorgängern – über einen wirklich einfachen Schwierigkeitsgrad verfügt. Leider ist das Regelheft mit zwölf Seiten zu kurz und für Ungeübte recht schwer zugänglich, aber YouTube-Tutorials schaffen da Abhilfe. Trotz intensiven Regelstudiums sind wir immer wieder auf Ungeklärtes gestoßen.

Statt Papptoken können wir auf Maus und Mystik und Schwungfedern-Minis zurückgreifen.

Wenn man von diesen bedauerlichen wie vermeidbaren Umständen, absieht, hatten wir eine Menge Spaß, die Abenteuer des draufgängerischen Fernkampfhamsters Ringo, der Meerschweinchen-Tank-Dame Grummel, sowie den beiden Mäusen, der eigenbrötlerischen Whisper und Meziah, dem etwas kleingeratenen Sohn des Kolonie-Anführer-Paares, zu erleben und erspielen. Die Geländekarten, auf denen gespielt wird, sind so abwechslungsreich wie die Begegnungen und Missionen. Abgerundet wird das alles durch die Storyline mit Kolonie-Bau, der durchaus noch etwas vertieft hätte werden können, aber das Spiel aufs nächste Level hebt.

Wir wissen nicht, ob Z-Man Games hier anknüpfen wird oder wir auf den nächsten großen Wurf von Jerry Hawthorne bei Plaid Hat Games warten müssen. Aber wir sind uns sicher, in dem Abenteuerbuch-System stecken noch viele Geschichten und wir sind sehr gespannt darauf.

  • Niedliche Charaktere und ein ganzes Käserad liebevoller Details und Ideen
  • Komplexes, thematisches wie mechanisches World-Buildingt
  • Die Kartenmechanik perfektioniert das einfache wie abwechslungsreiche Spielprinzip
 

  • Wie kann so ein einfaches Spiel so viele Regelfragen offenlassen?
  • Herausfordernd ist anders

 

Artikelbilder: ©Z-Man Games, Asmodee , © depositphotos | grandfailure
Layout und Satz: Annika Lewin
Lektorat: Jessica Albert
Fotografien: Daniel Hoffmann
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein