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Kaninchen sind nicht unbedingt für ihre Kampfkraft berüchtigt, deshalb können sie aber trotzdem tapfer sein! Brave Bunnies lädt uns ein, die Welt aus den friedlichen Augen eines abenteuerlustigen Haustiers zu betrachten. Es muss nicht immer Gold sein, manchmal kann auch die Jagd nach einem leckeren Snack ein Abenteuer werden.

Schon lange klafft eine große Lücke im Rollenspielsektor, die endlich gefüllt wird: Mit Brave Bunnies bekommen wir das friedliche, minimalistische Kaninchen-Rollenspiel, das uns schon immer gefehlt hat – oder? Zusammen mit zwei erfahrenen Kaninchenbesitzerinnen nehme ich die rote Pille und hüpfe ins Innere dieses Kaninchenlochs, um die Tiefen dieses kleinen Systems zu erforschen!

Die Spielwelt

Der einzige Verweis auf die Spielwelt findet sich in wenigen Regelbeispielen, die klarmachen, dass man tatsächlich ganz normale Hauskaninchen in unserer Welt spielt, die kleine Abenteuer erleben. Dabei stellt schon der Ausbruch aus dem Stall, um das verloren gegangene Glöckchen der Hauskatze wiederzubeschaffen, eine echte Herausforderung dar.

Die Regeln

Jede Probe wird mit einem ein simplen W6-Poolsystem durchgeführt, 4 und 5 gelten als Erfolg. Als einzigen Bezug zum Kaninchen-Thema dient das Steigern per „Snacks“: Jeder Snack gibt eine +1-Steigerung auf einen beliebigen Wert, wenn es sich um den Lieblingssnack handelt, den man bei Charaktererschaffung festlegt. Ein Wert steigt außerdem um +1, wenn ein Pasch gewürfelt wird.

Charaktererschaffung

Das Clipart-Bild für die Charakterbögen hatten wir doch schon einmal…?

Jedes tapfere Kaninchen hat die vier Würfelpools „Speed“, „Stealth“, „Springs“ und „Smarts“. Die Startwerte werden zufällig bestimmt. Dazu legt man noch den Lieblingssnack fest und kann sich bezüglich Fellfarbe und -zeichnung künstlerisch an dem stilisiertem Kaninchenbild auf dem Charakterbogen ausleben. Noch ein passender Name, und fertig ist der Hoppel-SC.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Das System besteht im Grunde nur aus einem einfachen Probenmechanismus, und dieser funktioniert so gut oder schlecht wie bei den vielen anderen Systemen auch. Die einzige, regelseitige Herausforderung als SL besteht darin, die Schwierigkeit für jede Probe zwischen 1 und 9 festzulegen.

Im PDF wird direkt mit der Charaktererschaffung begonnen. Es wird noch darauf hingewiesen, dass man mit Brave Bunnies frei und improvisiert spielen kann – richtig wäre aber: Man muss es sogar, denn zur Lebenswelt und -weise der Tiere, zu natürlichen Feinden, üblichen „Snacks“ und dergleichen erfährt man nichts.

Natürlich steht einem das System auch nicht im Weg, wenn man es zum Beispiel etwas märchenhafter oder fantastischer spielen will, aber es unterstützt das auch nicht explizit. Einzig die Charakterwerte haben Bezug zu den Tieren, aber auch hier stellt sich die Frage, warum ein Wert für „Springen“, aber keiner für „Graben“ oder „Schnuppern“ vorgesehen ist, was beides mindestens ebenso kaninchentypische Handlungsweisen sein dürften.

Werte werden auf zwei Arten erhöht: Die eine ist allein von der Entscheidung der SL abhängig, die andere komplett zufällig. Sobald ein Kaninchen einen Snack frisst (wann einer gefunden wird, bestimmt die SL), erhöht sich ein beliebiger Wert um +1, im Falle des Lieblingssnacks um +2. Außerdem erhöht sich ein Wert bei einem Pasch aller Würfel des aktuellen Pools. Besonders die Snackmechanik wirkt wenig durchdacht und läuft darauf hinaus, dass die SL bestimmt, ob und wann ein SC aufsteigt.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Beide Spielerinnen haben oder hatten selbst Kaninchen und kannten sich dementsprechend mit typischen Verhaltensweisen der Tiere aus, was mehr zum Spiel beigetragen hat als die Regeln. Diese standen zwar nicht im Weg, haben aber in keiner Weise zum Flair beigetragen. Im Nachgespräch wurde kommentiert, dass man für USD 1,50 hiermit deutlich zu wenig bekommt und auch die Zielgruppe für das Dokument unklar ist, da sich der Text eher erschließt, wenn man bereits Erfahrung mit Rollenspielen hat – dann aber eigentlich dieses System nicht braucht, sondern einfach selbst mindestens genauso gut improvisiert bekommen würde.

Spielbericht

Für die Testrunde wurde nicht auf einen vorhandenen Aufhänger zurückgegriffen, sondern ein eigener Plot improvisiert.

Die beiden tapferen Hofkaninchen Bouncer und Floppy haben eigentlich ein ganz angenehmes Leben im Freilaufstall des großen Gartens. Täglich werden sie mit Leckerlis versorgt, dürfen regelmäßig auf die große Wiese und hin und wieder gibt es neues Spielzeug – bis vor ein paar Tagen der Nachschub aufhörte. Zwar gibt es immer noch Futter, aber sobald beide schlafen, ist der Rest verschwunden. Nachdem sich beide zunächst gegenseitig verdächtigen, beschließt man, die Sache selbst in die Pfoten zu nehmen!

Während Floppy vor dem Stall eine verdächtige Spur von Futterresten entdeckt, dreht Bouncer ein paar schnelle Runden (Speed: 6 Erfolge) und reißt damit den Stall ein wenig vom Gitter los, so dass sich eine kleine Lücke auftut.

Die beiden beschließen, der Spur zu folgen und verköstigen erst einmal die gefundenen Reste.

(Hier habe ich beschlossen, das System anzupassen und statt dauerhaften Boni für Leckerlis nur einen temporären auf die nächste Probe zu geben. Außerdem hatte ich eine Zufallstabelle für Snacks vorbereitet, die im Spiel gut funktioniert hat.)

Dabei spüren sie aber schon das Beben des Bodens, das ein nahendes Menschenjunges ankündigt. Während sich Floppy im Blumenbeet versteckt, wird Bouncer entdeckt und hochgehoben, kann sich aber durch schnelles (wieder Speed) Herumschütteln befreien und rennt zur Scheune, wo die Spur hinführt. Während das Menschenjunge auf den Stall zusteuert, haben die beiden Zeit, sich in die Scheune zu begeben. Floppy grübelt darüber nach, wo er noch gleich die magische, sich öffnende Wand gesehen hat (Smarts mit vielen Erfolgen), entdeckt aber dabei ein lockeres Brett in der Wand knapp über einem Haufen an die Außenwand gelehnter Maschinen. Auf diesen hüpft Bouncer mit einer gelungenen Springs-Probe, nimmt einen fremden Geruch war, erreicht aber nicht genug Erfolge auf Smarts und erinnert sich nicht an den Geruch. Er hilft Floppy ebenfalls hoch, der es zwar schafft, dabei aber (dank knappen Springs-Mißerfolg) den Haufen Maschinen umwirft – der Rückweg ist versperrt!

Jetzt meldet sich eine Stimme über ihnen und beiden fällt ein, wem der Geruch gehört: dem listigen Hofkater Fred, der sich von seinem Balken herunterlässt und wissen will, was die beiden hier zu schaffen haben (hier habe ich festgelegt, dass es eine „Sprache der Tiere“ gibt, über die sie sich verständigen können).

Im folgenden Gespräch eröffnen beide, dass es um verschwundenes Futter geht und Fred berichtet im Gegenzug von einem frechen Raben, der ihm schon lange ein Dorn im Auge ist und der wohl öfter in der Gegend Leckereien klaut. Der Vogel lebt in der Scheune auf den höchsten Balken, wo Fred nicht herankommt. Wenn die beiden Kaninchen den Raben runterlocken, wird Fred sich um das Problem kümmern.

Nach kurzer Planung beschließen die zwei einen todesmutigen Plan: Der schnelle Bouncer lockt das Menschenjunge in die Scheune und Floppy stellt sich krank, so dass das Kind auf das Stroh klettert und den Raben aufscheucht, der auf einem Balken Zuflucht sucht, den Fred erreichen kann. Der Kater stürzt sich auf den Raben und verjagt diesen nachdrücklich aus der Scheune. Damit sind die Leckerlis für die Zukunft gesichert und der Stall wird von den Menschen gegen weitere „Luftangriffe“ gesichert.

Die Runde war launig und humorvoll, was sich aber eher aus der Gruppendynamik ergab als aus dem Regelsystem. Schon in der ersten Runde hat man gemerkt, dass mindestens Werte für „Graben“ und „Wahrnehmen“ fehlen sowie eine Mechanik zur Zusammenarbeit. Die Würfelmechanik stand nicht im Weg.

Erscheinungsbild

Brave Bunnies ist nur als PDF erhältlich, was bei den fünf Seiten Umfang (inklusive einer Seite Cover und einer für den Charakterbogen) nicht verwunderlich ist. Das PDF ist in Schwarzweiß gehalten, und als einzige Illustration wird ein freies Clipart mehrfach verwendet. Hier würden ein bisschen Farbe und ein paar gut ausgewählte oder nachbearbeitete Stockfotos eine einfache, aber wirkungsvolle Aufwertung bringen.

… aber wenn man einmal ein gutes Kaninchen-Clipart gefunden hat, muss das auch genutzt werden. So oft wie möglich!

Die Textblöcke wirken durch den Verzicht auf Blocksatz gedrängt und unruhig. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hier um ein recht lieblos in Word heruntergeschriebenes Dokument handelt, was dann ohne weiteres Layout einfach in ein PDF exportiert wurde.

Einzig in den übersichtlichen Charakterbogen ist etwas mehr Aufwand geflossen. Aber auch hier zeigen andere Rollenspiele mit ähnlichem Themenfokus wie beispielsweise Ratten!, wie man an der Stelle deutlich mehr herausholen könnte.

Brave Bunnies Cover.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Highdenn Creations
  • Autor*in(nen): Highdenn Creations
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Englisch
  • Format: A4
  • Seitenanzahl: 5
  • ISBN: N/V
  • Preis: 1,50 USD
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG

 

Hausregeln

Wer trotz dieses Reviews dem System eine Chance geben möchte, dem würde ich folgende Regelanpassung empfehlen, die sich im Spiel nach wenigen Minuten schon bewährt haben:

Zufallstabelle für Snacks

1

Karotten

2

Haselnuss

3

Löwenzahn

4

Sellerie

5

Feldsalat

6

Fenchel

7

Klee

8

Radieschen

9

Heu

10

Rübe

11

Kohlrabi

12

Kräuter

Snackmechanik

Statt eine permanente Erhöhung des Wertes bekommt ein SC einen Bonus von +1/+2 (Lieblingssnack) nach dem Naschen eines Snacks.

Zufallstabelle für Snacks

Statt Snacks willkürlich zu geben, kann man auf folgende Zufallstabelle würfeln, die natürlich beliebig durch Lieblingssnacks der SC erweitert werden kann.

Teamwork

Für eine gemeinsame Probe kann das helfende Kaninchen dem anderen zusätzliche Würfel in Höhe der eigenen Erfolge geben.

Fazit

Ein Rollenspiel mit Kaninchen? Da musste ich direkt an die beiden Bücher Unten am Fluss und Als die Tiere den Wald verließen denken und war motiviert und neugierig, was mich da erwartet.

Das Spiel wird mit „designed for anyone to play“ beworben und kommt diesem Versprechen bestenfalls durchs Weglassen eines Regelsystems nach, das diese Bezeichnung verdient hätte. Über einen einzelnen, undurchdachten Grundmechanismus und ein paar leidlich inspirierende Abenteuerideen hinaus hat Brave Bunnies leider nichts zu bieten, was man als erfahrene*r Rollenspieler*in mit einer stark vereinfachten Variante eines beliebigen Systems nicht auch in kurzer Zeit hinbekommen könnte. Aufbau und Struktur sind wenig geeignet, Neulingen die Grundprämisse eines Rollenspiels beizubringen, und eine unerfahrene SL wird hier gar nicht an die Hand genommen. Gemessen daran, dass es eine ganze Reihe kostenloser Systeme gibt, die deutlich besser funktionieren kann ich hier nicht einmal für USD 1,50 eine Empfehlung aussprechen.

Das Spiel als Kaninchen hat aber einen gewissen „Feelgood-Charme“ und es hat mich immerhin zu einer einzigartigen Zufallstabelle inspiriert. Das Probensystem stand dem Spiel zumindest nicht aktiv im Weg.

Alternativen

Als englischsprachiges Einsteigerrollenspiel im gleichen Preissegment wie Brave Bunnies werden wir demnächst auch Tricube Tales in einer Rezension genauer unter die Lupe nehmen.

Wer sich für Tierrollenspiele interessiert, ist mit den Erweiterungen zu Geheime Welt der Katzen besser bedient. Wer lieber Mäuse mag, der findet mit Mouse Guard eine Alternative. Und Ratten! zeigt, dass man schmale Regeln exzellent präsentieren kann.

Mit Turbo Fate (PDF-Direktlink) bekommt man ein schmales, funktionales, narratives Rollenspiel in der kostenlosen Variante als PDF.

  • Sehr wenig Seiten zu lesen
  • Gewaltfreie Prämisse
 

  • Sinnfreie Snack-Mechanik
  • Keine Unterstützung für Setting
  • Zufällige Charaktererschaffung ohne Mehrwert

 

Artikelbilder: © Highdenn Creations, © Subbotina | depositphotos.com
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

5 Kommentare

  1. Es steht zwar nicht in der Rezi, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht so ist: Bezieht sich das Spiel an irgendeiner Stelle auf „Bunnies and Burrows“ von 1976, oder tritt es wirklich mit dem Anspruch an, das erste Kaninchen-Rollenspiel zu sein? (Oder habe ich die Einleitung falsch verstanden?)

    Jedenfalls, Bunnies and Burrows (das in der Tat als Rollenspiel zu „Unten am Fluss“ gedacht war/ist) könnte man noch bei den Alternativen aufführen.

  2. Und noch ne kurze Ergänzung dazu:
    Bunnies & Burrows ist allerdings kein narratives Minimalspiel, sondern schon ein umfassendes System mit 200seitigem Regelwerk, umfangreichen Illustrationen und einem eher DnD-ähnlichen Spielstil.
    Außerdem ist es ein Vollpreistitel, die (bisher nur auf Englisch erschienene) Neuauflage aus dem letzten Jahr kostet zwischen 25$ für das PDF und 45$ für die Printausgabe.

    Es ist aber auf jeden Fall erwähnenswert, da es unter den ersten 10 Rollenspielen ist, die überhaupt erschienen sind (und wohl der 2. Titel, der den Begriff „Role-Playing-Game“ verwendet):
    https://andreaspischner.wordpress.com/2019/02/22/1976-in-roleplaying/

    • Hallo Ackerknecht,

      die Einleitung ist eher mit einem Augenzwinkern zu lesen – ganz sicher versteht sich Brave Bunnis nicht als erstes System dieser Art/Themas! Allerdings war mir nicht bekannt, dass es sowas schonmal gab. Angesichts der mittlerweile schier unüberschaubaren Größe des Marktes maße ich mir aber auch gar nicht an, alles zu kennen ;)

      Daher vielen Dank an deine Ergänzung! Faszinierend, dass „Bunnies & Burrows“ quasi zu den Urgesteien des Rollenspiels gehört. Überhaupt sehr spannend, dein verlinkter Artikel!

  3. Hi there! I’m the original creator of this content and I want to thank you for taking the time to play and review it.

    To be honest, this was my first time trying my hand at a simple ttrpg, and I appreciate that there is room for improvement. It’s helpful to see feedback like this to help me improve my current and future work.

    To the commenter previous, I never had any intention of implying I was the first to write this type of content in regards to rabbits! It’s just a coincidence. 🙂

    Thank you again for playing and taking the time to write up such an in-depth review. The feedback is gratefully appreciated, and will note what you’ve mentioned to improve my work.

    Inixia, Highdenn Creations

  4. Hello Inixia and thanks for your response. As I already mentioned: We had in fact a joyful session but expected a more elaborated game engine.
    Please feel free to use my home roles and table for improvement. It is completely understandable, that your first game is not perfect ;) However, I would consider „pay what you want“ more appropriate for a first publication.

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