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Brian K. Vaughan kennt man als Autor von Saga oder Y – The Last Man. Wenn sein Name auf einem Band von The Walking Dead erscheint, der Reihe von Robert Kirkman, müssen wir uns das mal genauer anschauen. Kann der Autor dem Zombie-Genre seinen eigenen Stempel aufdrücken?

Die Comicreihe The Walking Dead wurde 2019 mit einem Knall beendet. Doch das heißt nicht, dass keine neuen Bände herauskommen. 2016 kam es zu einem ungewöhnlichen Crossover zwischen Image Comics und Panel Syndicate, einer digitalen Comicplattform, die nach einem „Zahl-was-du-willst“-Prinzip arbeiten. Die beiden Macher hinter der Science-Fiction-Reihe Private Eye, Brian K. Vaughan und Marcos Martin, veröffentlichten einen Einzelband aus der Welt von The Walking Dead.

Zum ersten Mal erfuhr man, was außerhalb von Amerika passierte. Und das ist abgesehen von der abweichenden Verfügbarkeit von Waffen nicht viel anderes als in Übersee. Kann dieser Comic durch den Wechsel des Schauplatzes und des Kreativteams etwas erzählen, das vorher nicht erzählt wurde, oder ist er nur ein einziger Werbegag? Da Cross Cult den Band nun endlich auch auf Deutsch veröffentlicht hat und in einem wertigen Hardcover herausbringt, haben wir die Gelegenheit ergriffen, euch diese Fragen zu beantworten.

Handlung

Der Amerikaner Jeff wacht auf einem Baugerüst mitten in Barcelona auf. In den Straßen überfallen wandelnde Tote einen Jungen. Jeff kommt zu spät, um zu helfen. Plötzlich droht er selbst zur Nachspeise der Untoten zu werden und kann nur knapp von einem Ritter mit einer Hellebarde in mittelalterlicher Rüstung auf einem Motorroller gerettet werden. Sein Ritter stellt sich als Spanierin mit dem Namen Claudia heraus. Zusammen versuchen sie sich einen Weg durch die Untoten zu bahnen, um per Flugzeug nach Amerika zu gelangen, wo sie ein Heilmittel vermuten.

Vieles in diesem Comic wird zeichnerisch erzählt. © Cross Cult

Die Handlung des Bandes ist schnell erzählt. Von den 72 Seiten des Bandes sind nur 55 für den eigentlichen Comic reserviert. Fast schon ist man enttäuscht, dass es so schnell vorbei ist, da man sich gerade erst an die Hauptfiguren gewöhnt hat. Dabei passiert aber nichts, das in der Hauptreihe nicht so oder so ähnlich auch bereits geschehen ist. Eine der großen Stärken von The Walking Dead war, dass es weniger um die Zombies, sondern um die Versuche ging, nach ihrem Zusammenbruch die Zivilisation wieder aufzubauen. Davon sieht man in diesem kurzen Werk wenig. Im Grunde hätte dieser Comic in einem beliebigen Zombieuniversum spielen können, wäre der Stil nicht mit der eigentlichen Reihe vergleichbar.

Hier fehlt mir der Mut, etwas Eigenes zu erzählen. Der Comic überrascht nicht und kann nur als Hommage an eine der beliebtesten Comicreihen gesehen werden. Es wäre vermutlich interessanter gewesen, wenn der Beginn der Apokalypse nicht erst wenige Wochen zurückliegen würde. Auch die Hauptreihe wurde erst mit fortlaufendem Abstand zum Zivilisationskollaps interessanter und fand so einen eigenen Stil.

Charaktere

Die beiden Protagonisten Jeff und Claudia sind interessante Charaktere. Der Comic schafft es auf wenigen Seiten, beide Figuren zum Leben zu erwecken. Jeff wirkt dabei leicht tollpatschig und mit der Situation überfordert. Die geheimnisvolle Claudia hat sich schon wesentlich besser an die veränderten Umstände angepasst. Dass sie sich eine Dauerleihgabe aus dem Museum geholt hat, spricht für ihren Erfindungsreichtum. Sehr viel mehr wäre in diesem kurzen Band auch nicht möglich gewesen.

 Der Comic schafft es auf wenigen Seiten, die Hauptfiguren zum Leben zu erwecken. © Cross Cult

Zeichenstil

Der Graustufen-Stil passt sehr gut zur regulären Illustrierung von Charlie Adlard. Man erkennt fast nicht, dass hier mit Marcos Martin ein anderer Künstler am Werk ist. Vieles in diesem Comic wird zeichnerisch erzählt. In großen Bildern, welche ganze Seiten oder Doppelseiten einnehmen, wird die Dramatik oder Epik der Geschichte eingefangen. Dann kann es aber auch einmal schnell gehen, wenn es zum Kampf gegen einen Beißer kommt. Dennoch behält man stets die Übersicht und fiebert mit. Dass am Ende mit roter Farbe noch ein besonderer Akzent gesetzt wird, gibt der Optik ein Sahnehäubchen. Ein wenig seltsam mutet es an, dass der größte Teil der Zombies männlich ist und nur vereinzelte Frauenfiguren die Straßen von Barcelona bevölkern. Man muss sich fragen, ob Frauen die Apokalypse besser überstanden haben als das männliche Geschlecht.

Erscheinungsbild

Der Hardcoverband macht einen sehr guten Eindruck und ist hochwertig produziert. Wer den Comic bisher nur als Webcomic konsumiert hat, hat somit die Chance, sich dieses Werk ins Regal zu stellen. Der Band passt dort jedoch nicht zur regulären Hardcover-Reihe von The Walking Dead, da er ein wenig größer ausfällt und eher Comicveröffentlichungen anderer Serien ähnelt. Vermutlich wäre der Comic aber noch enttäuschender geworden, wenn er neben der geringen Dicke auch noch eine geringe Höhe aufgewiesen hätte.

Zum Schluss wird der Band mit etlichen Konzept- und Coverzeichnungen abgerundet.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor*in: Brian K. Vaughan
  • Zeichner*in: Marcos Martin
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 72
  • Preis: 16 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Wie soll man einen Band bewerten, der Lust auf mehr macht, aber damit nur Werbung für eine Reihe macht, die bereits abgeschlossen ist? Brian K. Vaughan hat es verpasst, etwas ganz Eigenes zu erzählen, was das Comicuniversum von The Walking Dead wirklich bereichert. Die Hauptthemen der Comics („Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf“ und „Wiedergeburt der Zivilisation“) werden gar nicht angeschnitten. Dazu ist dieser Comic wirklich verdammt dünn. Wäre er nicht so hochwertig produziert, wäre man sicher enttäuscht über diesen Band. Komplettisten haben den Comic wahrscheinlich ohnehin schon in ihrem Regal stehen. Wer noch nie in einen The Walking Dead-Comic geschaut hat, ist möglicherweise mit der digitalen Variante besser bedient, sofern er kein großes Problem mit Englisch hat.

Dennoch habe ich mich über die Veröffentlichung gefreut, denn als The Walking Dead-Fan freue ich mich über jedes hochwertige Futter. Die Geschichte passt wunderbar in die nüchterne Zombie-Welt von Robert Kirkman und schafft es auf wenigen Seiten eine halbwegs abgeschlossene Geschichte zu erzählen. Das Ende mag einige Leute ärgern, aber diese Leute konnten vermutlich auch vorher schon nichts mit dieser Comicreihe anfangen. Wer aber mit dem Ende der Welt und dem Kampf der Überlebenden etwas anzufangen weiß, kann einen Blick riskieren, sofern ihn der Preis nicht abschreckt.

  • Eine abgeschlossene Geschichte
  • Sympathische Protagonisten
  • Hochwertige Verarbeitung
 

  • Erzählt nicht viel Neues
  • Wenig Comic fürs Geld
  • Story wird der Hauptreihe nicht gerecht

 

Artikelbilder: © Cross Cult
Layout und Satz: Melanie Maria Mazur
Lektorat: Simon Burandt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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