Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Ein paar Teenager in einem dunklen Wald, verfolgt von einem Axtmörder oder einer Magierin. Es ist so dunkel, dass sie nichts sehen können. Ja, sogar so dunkel, dass die Spieler nichts sehen dürfen, denn in diesem Spiel muss das Umfeld ertastet werden.

Nyctophobia, deutsch Nyctophobie oder Achluophobie, ist die übersteigerte Angst vor der Dunkelheit. Doch in diesem Spiel ist die Angst gar nicht so übertrieben, denn es ist ja wirklich ein Mörder hinter den Spielern her.

Entstanden ist die Idee hinter Nyctophobia, als die Autorin Catherine Stippell ein Spiel entwickeln wollte, bei dem sich nicht ihr blinder Onkel anpassen musste, sondern der Rest der Spielerschaft. Es sollte also ein Spiel her, in dem das Sehen der Spielmaterialien nicht erforderlich, oder gar nicht erst möglich, sein sollte.

Spielablauf

Bei Nyctophobia treten 2-4 Gejagte gegen einen Jäger an und versuchen, im finsteren Wald ihr Auto zu finden und zu fliehen. Das Problem dabei: Die Spieler der Gejagten tragen jeweils eine Dunkelbrille und können somit das Spielfeld nicht sehen. Wer am Zug ist, dessen Hand nimmt der Spieler des Jägers und führt sie zur entsprechenden Spielfigur. Dann muss der Spieler das Umfeld der Figur ertasten und sich langsam durch den Wald arbeiten. Den Mitspielern sollte man natürlich die erlangten Informationen mitteilen, damit sich langsam aber sicher ein Bild vom Wald in den Köpfen bildet. Dabei gilt es neben der Suche nach dem Auto, auch noch vereinzelte Steine zu finden, mit denen man, wenn man Glück hat, den Jäger ein wenig ausbremsen kann.

Das Auto ist optisch nicht als solches erkennbar, hebt sich aber beim Tasten deutlich vom Rest des Spiels ab.
Das Auto ist optisch nicht als solches erkennbar, hebt sich aber beim Tasten deutlich vom Rest des Spiels ab.

Ab und zu bewegt sich auch der Jäger, mithilfe von Karten,meist auf den nächsten Gejagten zu oder, sollte jemand ein lautes Geräusch verursacht haben, in dieser Richtung.

Das Spiel endet, wenn entweder das Auto gefunden wird und die Gejagten danach noch eine Runde überleben – dann trifft mittels des Autotelefons gerufene Hilfe ein – oder, wenn ein Gejagter seinen letzten Lebenspunkt verliert. Da jeder am Anfang nur über zwei Lebenspunkte verfügt, kann das ganz schön schnell gehen. Aber auch im Falle eines längeren Spiels sprechen wir von insgesamt maximal 50-60 Minuten bis eines der Enden eintritt.

Bei den gejagten finden sich die typischen Rollen, die man aus diversen Horrorfilmen kennt.
Bei den Gejagten finden sich die typischen Rollen, die man aus diversen Horrorfilmen kennt.

Für die Gejagten stehen sechs verschiedene Rollen zur Verfügung, die jeweils unterschiedliche Spezialfähigkeiten haben. Als Kletterer zum Beispiel kann man die ansonsten unpassierbaren Baumreihen überqueren, während der Boxer auch ohne Stein zurückschlagen darf. Als Jäger hat man die Wahl zwischen zwei verschiedenen Typen. Der Axtmörder ist sehr direkt und kann ab und zu auch schon mal überraschend durch eine Baumreihe preschen. Die Magierin hingegen arbeitet lieber mit Tricks und kann den Wald mit ihren Karten verändern. Da das Feld des Waldes komplett variabel ist, ergeben sich zusammen mit diesen unterschiedlichen Möglichkeiten für beide Seiten unzählige Kombinationen, um das Spiel zu variieren.

Die beiden linken Karten gehören zum Axtmörder, die rechten zur deutlich gemeineren Magierin.
Die beiden linken Karten gehören zum Axtmörder, die rechten zur deutlich gemeineren Magierin.

Spielerisch ist Nyctophobia auf jeden Fall einzigartig. Ein Spiel, das komplett nur über den Tastsinn gespielt wird, ist mir zumindest zuvor noch nicht untergekommen. Ja, solche Elemente gab es auch schon in anderen Spielen, doch entweder nur als Teilaspekte wie bei Stellium, im Rahmen von Kinderspielen wie Ausgefuchste Meisterdiebe oder dem Klassiker Topfschlagen. Doch leider wurde dabei ein wenig der Rest des Spiels vernachlässigt. Wie sonst ließe sich erklären, dass in einem One vs. Many-Spiel ein Hinweis für den Jäger steht, dass sein Spielziel nicht der Sieg sein sollte: „…eine nicht-optimale Spielweise kann zu einem besseren Erlebnis für die gesamte Gruppe führen“.

Auch obliegt es dem Jäger, die Gejagten zu verhöhnen oder ihnen richtige oder falsche Hinweise zu geben. Hierbei ist sehr, sehr schwammig gehalten, wie ein solcher Hinweis auszusehen hat. Ebenfalls Teil seiner Aufgabe: durch Herumschleichen um den Tisch oder ähnliches für Stimmung sorgen. Alles in allem fühlt sich der Jäger in diesem Spiel mehr wie ein Spielleiter an, als ein Gegner.

Für die Gejagten ist es hingegen oftmals am besten, sich zum Ende ihres Zuges hin zu verstecken. Insbesondere, wenn sie schon einmal getroffen wurden, denn ansonsten ist der nächste Treffer ja bereits das Ende des Spiels. Da aber versteckte Spieler nichts sagen dürfen, kommt zwar schön eine düstere und angstvolle Stille auf, aber zugleich auch allzu schnell Frust darüber, am Spiel gar nicht mehr teilhaben zu können.

Ausstattung

Optisch macht Nyctophobia wenig her. Aber wozu auch, sehen doch die Spieler ohnehin nichts davon.
Optisch macht Nyctophobia wenig her. Aber wozu auch, sehen doch die Spieler ohnehin nichts davon.

Das Spielfeld passt exakt in die Schachtel, und die Plastikteile, die den Wald und die Spielfiguren darstellen, haben dort auch mehr als genug Platz. Des Weiteren kann die Schachtel verwendet werden, um das Spielfeld abzudecken, falls ein Spieler einmal seine Dunkelbrille absetzen muss.

Die Dunkelbrillen selbst hingegen lassen zu wünschen übrig. Sie sind zwar nach vorne hin komplett undurchsichtig, aber sie schließen weder an den Seiten noch nach unten irgendwie das Sichtfeld ab, sodass die Gejagten ihren „Blick“ immer auf das Spielfeld halten müssen, um nicht aus Versehen doch etwas wahrnehmen zu können. Dabei hilft auch nicht, dass die „Gläser“ innen verspiegelt sind und man so ständig sich selbst oder Dinge hinter sich sieht. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass es für die Spieler am besten ist, hinter der Brille die Augen zu schließen. Das ist deutlich angenehmer, als auf diese spiegelnden Flächen zu blicken.

Die Brillen sind einfach, leicht, und erfüllen ihren Zweck hinreichend.
Die Brillen sind einfach, leicht und erfüllen ihren Zweck hinreichend.

Das restliche Spielmaterial ist alles andere als ansehnlich:weißes Plastik, in der Ursprungsform recht eindeutig mal aus einem 3D Drucker. Die Baumreihen stecken auch nicht gut in den entsprechenden Löchern auf dem Spielfeld.Schon mäßig festes Ertasten kann den Wald schnell aus der Fassung bringen. Ebenso schreiben die Regeln vor, dass man nicht diagonal tasten darf, aber durch die Beschaffenheit der Baumreihen sind zumindest diese schnell berührt, selbst wenn sie eigentlich zu dem Feld gehören, dass man nicht ertasten darf.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pansaurus Games / Asmodee
  • Autor(en): Catherine Stippell
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer:30-60 Minuten
  • Spieleranzahl: 34 5
  • Alter:12+ (Spielerisch: 8+, aber durch die Thematik eher nicht für Kinder geeignet)
  • Preis: ca. 35 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Asmodee-Seite zum Spiel kann man das Regelheft von Nyctophobia herunterladen.

Fazit

Das Spiel aus Sicht des Jägers.
Das Spiel aus Sicht des Jägers.

Nyctophobia probiert mit seinem komplett auf Tasten und Fühlen basierenden Spielprinzip etwas Neues aus, und alleine dafür hat es bereits Applaus verdient. Auch die Idee, ein Spiel zu schaffen, dass so barrierefrei für Blinde ist, dass es die Sehenden sind, die sich anpassen müssen, ist eine interessante Idee. Doch leider kann das Spiel dabei nicht vollständig überzeugen. Die Anweisungen für den Jäger machen ihn zum Atmosphärebereiter und Dienstleister, der darauf zu achten hat, dass die anderen ihren Spaß haben. Kompetitiv kann dieses Spiel kaum gespielt werden.

Die Fähigkeit der Magierin, den Wald im Laufe des Spiels zu verändern, sowie die zu niedrige Fehlertoleranz – bereits der zweite Treffer am gleichen Spieler beendet die Partie für alle mit einer Niederlage – sind ebenso Quellen für Frust wie der Zwang, im versteckten Zustand auch wirklich still sein zu müssen.

Alles in allem wirkt Nyctophobia, als sei es auf halbem Weg zwischen einem Experiment und einem Brettspiel steckengeblieben und dann irgendwo in Richtung Rollenspiel abgebogen.

Wer Lust hat, ein solche Experiment einmal durchzuführen und dann noch ein Gruppe hat, die mehr Wert legt auf Stimmung, auch wenn diese durch einen der Spieler aufzubauen ist, als auf ein hartes Spiel, der wird an Nyctophobia vermutlich Spaß finden können. Für die meisten anderen Spieler bietet es jedoch leider nur wenig.
                                                 mit Tendenz nach oben

 

Zweitmeinung von Christian Barazutti

Nyctophobia zählt zu den Spielen, welche mehr Spielerfahrung statt Spiel sind. Als jüngstes Beispiel sei hier The Mind genannt, was entweder auf totales Unverständnis oder helle Begeisterung stieß.

Durch diese Erkenntnis sollte die Herangehensweise an dieses Spiel neu bedacht werden. Dem Spielleiter kommt hierbei die wichtigste Rolle zu. Er ist der Mörder, der die Spieler jagt, aber während der Spielzüge seiner „blinden“ Mitspieler Tipps und Hilfestellung bietet.

Hier geht es um Atmosphäre wie in einem Rollenspiel: gruselige Musik im Hintergrund, schummriges Licht und dann der Mörder, der die Spieler verhöhnt, auslacht, anschreit, erschreckt, ihnen das Gefühl gibt, stets in der Nähe zu sein.

Daher sollte der Spielleiter nicht den eigenen Sieg vor Augen haben, sondern das Ziel, seinen Mitspielern eine spannende Erfahrung zu bieten.

Bei den Gejagten hingegen ist räumliches Vorstellungsvermögen unabdingbar. Wer nach zwei Schritten bereits nicht mehr weiß, wo er sich befindet, wird wohl eher überfordert sein.

Als Spielerfahrung kann ich somit sehr gute drei Punkte vergeben, auch wenn das Spiel dahinter Schwächen aufweist.

                                                  mit Tendenz nach oben

Artikelbild: Asmodee, Fotografien: Holger Christiansen, Bearbeitet von Jennifer Stramm
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein