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Uns erwartet Großes – Regierungsverantwortung. Wie machen wir uns als Berater*innen des Königs, wo unsere Entscheidungen das Wohl vieler Menschenleben bestimmen? Regieren wir gütig, oder stürzen wir mit Selbstsucht und Grausamkeit das ganze Reich ins Verderben? Aber Obacht: Unser Volk vergisst in diesem Legacy-Brettspiel so schnell nicht …

Im bekannten Handyspiel Reigns herrschen wir als König über das Volk und müssen nach dem Tinder-Prinzip nach links oder rechts „swipen“, um uns für die eine oder die andere Wahlmöglichkeit von kniffligen Regierungsfragen zu entscheiden. In etwa dieses Prinzip lässt sich mit The King’s Dilemma nun auch als Legacy-Brettspiel erleben, allerdings komplexer und mit mehr Tiefgang.

© HeidelBär Games

„Lasst uns die Sklaverei abschaffen, weil sie absolut unmenschlich ist, egal, ob die Moral unseres Volkes und unser Wohlstand dadurch sinken, wir tun das Richtige!“ Mit einer flammenden Rede wie dieser und voller Überzeugung war ich das Ratsmitglied, das in einer Spielrunde The King’s Dilemma die Sklaverei im fiktiven Königreich Ankist abschaffte. Die Entscheidung brachte mir persönlich und dem ganzen Königreich jedoch über viele weitere Folgepartien große Nachteile. War es trotzdem die richtige Entscheidung? Alleine im Rat sind wir schließlich auch nicht, wir müssen uns gegen die Intrigen und eigenen Ziele unserer Mitspieler*innen durchsetzen oder Kompromisse eingehen. Gesteuert wird das Spiel aber nicht über ein Abenteuerbuch, wie andere storyorientierte Spiele wie Herr der Träume oder Gen 7, sondern über ein Dilemmakarten-System.

The King’s Dilemma verspricht uns, mit unseren Entscheidungen das Schicksal des ganzen Landes zu bestimmen und unseren eigenen Weg von Millionen von Möglichkeiten zu gehen. 2020 war es sogar für den Preis Kennerspiel des Jahres nominiert. Was uns ganz genau erwartet, haben wir uns für euch angeschaut.

Wie wird es gespielt?

The King’s Dilemma ist ein Verhandlungsspiel, angesiedelt in der fiktiven, mittelalterlich anmutenden Welt von Ankist. Alle übernehmen die Rollen von Ratsmitgliedern im königlichen Rat, und jede Partie besteht aus der Amtsperiode eines Königs, der mit Partieende stirbt oder abdankt.

Dabei repräsentiert jedes Mitglied ein einzigartiges Adelshaus, jede*r kann sich vor Beginn des Spiels eines aussuchen. Dies legt die persönlichen Ziele und somit auch den potenziellen Spielstil fest, um den kompetitiven Anteil in den Verhandlungen zu stärken. Sind die Interessen des Hauses eher auf Geld und Wohlstand ausgerichtet? Sucht es vielleicht einen Weg, um Gold zu machen? Zu der Wahl jedes Hauses erhalten die Spieler*innen den passenden Sichtschirm. Dort werden, verdeckt für die Anderen, die beiden Ressourcen für das Verhandeln aufbewahrt: Geld (in Form von Münzen) und Macht (in Form von Schildmarkern). Zu Beginn erhält jede*r Spieler*in zehn Geldeinheiten und acht Machteinheiten. Diese Menge kann (und wird) bei weiteren Partien durch Legacy-Effekte oder Ähnliches immer wieder schwanken. Für die Abstimmungen werden zusätzlich jeweils „Ja“-, „Nein“- oder „Passe“-Karten ausgegeben.

Die Stabilitätsmarker auf dem Spielbrett © HeidelBär Games

Gespielt wird auf einem Spielbrett, das den Status unseres Königreiches repräsentiert. Es gibt fünf verschiedene Faktoren, die sich durch unsere Entscheidungen entweder zur positiven weißen Seite oder zur negativen schwarzen Seite bewegen: Einfluss (Armee), Vermögen, Moral, Wohlergehen und Wissen. Darüber hinaus gibt es noch einen Stabilitäts-Marker mit dem Bild einer Waage, der sich mit den Ressourcen jeweils nach oben oder unten bewegt und die Partie beendet, wenn dieser eines der Enden erreicht.

Außerdem ist The King’s Dilemma als Legacy-Spiel konzipiert. Entscheidungen sind also nicht nur einmalig für die aktuelle Runde gültig, sondern wirken sich auch noch einige Partien später positiv oder negativ auf das Königreich aus. Dokumentiert werden diese Ratsentscheidungen in Form von Stickern, die auf das Spielbrett aufgeklebt und mit der Unterschrift des*der Anführer*in markiert werden. Hier gibt es ebenfalls die schon genannten fünf Bereiche, in denen jeweils drei Sticker aufgeklebt werden können.

hier kann man sehen, wie das Legacy Board langsam wächst © HeidelBär Games

Eine Runde verläuft immer so, dass eine Karte mit einer Entscheidungsfrage vorgelesen und im Rat besprochen wird. Der Rat muss sich nun für „Ja“ oder „Nein“ entscheiden. Wir sehen grundsätzlich bei der Fragestellung, wie die jeweiligen Auswirkungen ungefähr sind, allerdings nicht wie stark. Erlassen wir beispielsweise den armen Bauern die Steuerzahlung, weil es eine Missernte gab, selbst wenn sich hierbei „Nein“ positiv für das Vermögen und negativ für die Moral, aber „Ja“ negativ für das Vermögen auswirkt?

Positiv und negativ bedeutet hierbei, dass die entsprechenden Marker auf dem Spielbrett herauf- oder heruntergesetzt werden. Die genauen Auswirkungen (wie viele Felder weit bewegt wird) erfahren wir erst nach der Abstimmung. Bei der Abstimmung darf frei diskutiert werden. Final abgestimmt wird reihum mit dem Legen von Macht-Markern auf die „Ja“- oder „Nein“-Karte, wer stattdessen passt, kann damit Geld bekommen oder Moderator werden. Hierbei nehmen die wechselnden Anführer- und Moderator-Marker zusätzlichen Einfluss auf die Entscheidungen, und darauf, wer sich im wahrsten Sinne des Wortes dafür verantwortlich zeichnet, da Entscheidungen vom Anführer persönlich unterschrieben werden. Es ist auch möglich, andere Ratsmitglieder mit Geld verbindlich zu bestechen. Nach der Abhandlung der Karte, bei der gegebenenfalls auch neue Sticker geklebt oder weitere Umschläge geöffnet werden, beginnt eine weitere Abstimmungsrunde mit einer neuen Karte.

Das wichtigste Element des Spiels ist ebendiese große Anzahl von Umschlägen mit neuen Dilemma- oder Ereigniskarten. Je nachdem, für welchen Weg wir uns entscheiden, öffnen wir einen anderen Umschlag und erfahren wie im wahren Leben nicht, was alternativ passiert wäre. So schreiben wir Partie für Partie die Geschichte des Königreiches Ankist. Anders etwa als in der Reihe Undo, die im Prinzip ein ähnliches Thema auf der Fahne hat, bestimmen wir mit unseren Entscheidungen in der Tat das Schicksal des Reiches. Die verschiedenen Storylines in The King’s Dilemma behandeln verschiedene, meist sehr ernsthafte Themen des menschlichen Zusammenlebens voll Leid, Auseinandersetzung und auch Tod, weswegen sogar eine Triggerwarnung auf der Packungsrückseite vermerkt ist. Lassen wir potenziell vergifteten Weizen vernichten, um kein Massensterben zu verursachen, aber riskieren damit eine Hungersnot? Investieren wir viel Geld in Wissenschaft und Forschung oder strafen all dies als Hexerei und Blasphemie ab?

Nach Tod oder Abdanken des Königs findet die Endauswertung statt, bei der Punkte für Geld, Macht und persönliche erreichte Ziele werden. Partiegewinner*in ist die Person mit den meisten Punkten, die auch den Namen des folgenden Königs bestimmen darf. Spannenderweise weiß man jedoch vor und während des Spielens nicht, was das „Gesamtziel“ des Königreiches nach allen Partien ist, und ob man am Ende eher davon profitiert, dass das Königreich im Wohlstand schwelgt oder im Chaos verendet.

Wie ist das Spielerlebnis?

Das Abstimmungssystem ist gut mit den Legacy-Effekten verzahnt und zwar komplex, aber nicht besonders schwierig. Es macht sehr viel Spaß, die zahlreichen moralischen Themen mit der Gruppe zu besprechen, und manch eine Einigung fällt alles andere als leicht. Hierbei besteht jedoch ein gewisses Frustrationspotenzial für sehr aktive Spieler*innen, die viel Macht einsetzen, um Entscheidungen nach ihrem Willen zu treffen, aber damit in der Endauswertung pro Partie häufig weit zurückfallen, während Spieler*innen, die sehr oft passen, systembedingt viel Geld und Macht dazu erhalten.

Zusammenfassend gesagt: Neben den zu treffenden Entscheidungen besteht das wahre Dilemma im Spiel häufig darin, als Spieler*in zu wählen, ob man lieber seine persönlichen Ziele verfolgt und auf Sieg spielt oder die Entscheidungen trifft, die einen von der Story her am meisten interessieren.

Es gibt eine Menge Storylines zu erkunden. © HeidelBär Games

Unsere Runde fand es nicht so erfüllend nach Punkten zu spielen. Es gab zu viele interessante Storylines und Scheidepunkte, um die eigene Neugier komplett auszublenden. Der wahre Reiz des Spiels kommt ganz klar durch die gemeinsam interaktiv erlebte Story zum Tragen.

The King’s Dilemma ist ab drei Ratsmitgliedern spielbar, das volle Potenzial entfaltet sich aber erst bei mindestens vier oder besser fünf Personen. Das liegt daran, dass die Verhandlungen mit mehr Spieler*innen viel dynamischer und unvorhersehbarer sind. Erst dann macht das gegenseitige Bestechen wirklich Sinn. Und jede*r weiß, dass es umso schwieriger wird, sich auf eine Entscheidung zu einigen, je mehr Personen mitspielen. Viele Könige verderben den Brei!

Ausstattung

Der Spielumfang umfasst das Spielbrett, eine Landkarte, die Regeln, 75 Umschläge mit Karten, zwölf verschiedene Sichtschirme für die Adelshäuser, einen ganzen Schwung an Stickern, Karten und Marker für die Abstimmungen sowie Plättchen für die verschiedenen Ressourcen und Legacy-Effekte.

Die Optik von The King’s Dilemma sieht königlich edel aus, mit viel Goldtönen und Prunk. Besonders hervorzuheben ist die Spielgestaltung an sich, sehr schöne Illustrationen und sehr stimmiges Design und Farbwahl von der Spielanleitung bis hin zu den zahlreichen Karten.

Die Spielanleitung erklärt ausführlich und erläutert die Abstimmungen und Spielzüge jeweils mit Bildern. Weiter hinten finden sich Platz für die Endauswertungen der Partien, sowie weitere Mysterium-Sticker, die im Spielverlauf hinzukommen. Es sei außerdem erwähnt, dass es am Ende einen QR-Code zu einem „Erste-Hilfe-Tool“ gibt, falls man in der Story „festhängt“ oder einen zu öffnenden Umschlag übersehen hat. Allerdings ist das Webtool nur auf Englisch verfügbar.

Der Preis für wenig Material, sprich keine aufwändig gestalteten Marker oder Figuren, klingt viel, jedoch ist das vorhandene Material sehr hochwertig und man bekommt eine komplett miteinander verzahnte Gesamtstory, die für immerhin fünfzehn bis neunzehn Runden an den Spieltisch fesselt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: HeidelBär Games
  • Autor*innen: Lorenzo Silva, Hjalmar Hach
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: Deutsch
  • Spieldauer: 60 Minuten pro Partie
  • Spieler*innenanzahl: 3 4 5
  • Alter: Ab 14 Jahren
  • Preis: ca. 60-75 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Verlagswebseite zum Spiel gibt es die Spielregeln und das Material für jede*n Mitspieler*in (Häuser-Sichtschirme und Karten) zum Download. Damit wird auch die Möglichkeit gegeben, The King’s Dilemma mit mehreren Mitspieler*innen über Webcam zu spielen, falls physische Treffen in der für ein Legacy-Spiel benötigten Regelmäßigkeit nicht durchführbar sind.

Fazit

Obwohl ich storyorientierte Brettspiele liebe, war ich sehr skeptisch, ob das doch komplexe Wertungssystem von The King’s Dilemma die Gesamtstory nicht träge werden lässt. Im Prinzip kann ich nach dem Spielen nicht einmal sagen, dass meine Bedenken zerstreut wurden, ich lag richtig. Bei so mancher Partie haben Spielvorbereitung, Aufbau und anschließende Auswertung fast länger gebraucht als die eigentliche Runde. Es ist zwar nicht kompliziert, doch oft genug ist man so gespannt auf eine weitere Runde von Entscheidungen, dass man sich mit den zeitraubenden Schritten dazwischen gar nicht so lange aufhalten möchte.

Es gibt jedoch einen entscheidenden Faktor, der mich bei The King’s Dilemma so stark überzeugt, dass ich darüber hinwegsehe: Die Spieltiefe. Die Storylines sind keine oberflächlichen Entscheidungen, sondern echte Dilemmata. Wir werden mit Hinrichtungen, Sklaverei, Krankheit, Krieg oder auch religiös motiviertem Fanatismus konfrontiert und müssen mehr als nur einmal Entscheidungen treffen, die uns moralisch widerstreben oder den besseren Weg aus zwei schlechten Wegen wählen, statt den einen guten. Ständig müssen wir abwägen: Unsere eigenen Ziele erfüllen oder dem Wohl des Königreiches dienen?

Dilemma steht drauf und Dilemma ist drin, an jeder Ecke. Kaum ein Spiel hat mich so tief und real in sich aufgesogen. Für mich ist The King’s Dilemma eines der besten Brettspiele, das ich je gespielt habe. Warum? Weil das Gesamterlebnis einfach unglaublich gut ist, von Partie zu Partie an den Tisch fesselt und man wirklich das Gefühl hat, mittendrin zu sein. Plus: Für kaum ein anderes Brettspiel macht das Legacy-Prinzip mit den langewährenden Auswirkungen unserer Entscheidungen so viel Sinn wie hier. Wir hinterlassen in der Tat ein Vermächtnis von Runde zu Runde.

Wer eine feste Gruppe von optimalerweise insgesamt fünf Mitspieler*innen regelmäßig an den Tisch bekommt (oder über Webcam miteinander vereint) und Spaß an vor allem düsteren, mitreißenden Stories hat, sollte nach Ankist reisen.

 

 

Artikelbilder: © HeidelBär Games
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Rick Davids
Fotografien: Thekla Barck
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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